Kategorie: Ökologie

1.500 zu 50.000 - Atomlobby missbraucht Existenzängste der Auszubildenden

Einen Tag vor der bundesweiten Großdemonstration für den Ausstieg aus der Atomenergie am 5. September 2009 in Berlin meldete sich im südhessischen Biblis die Atomlobby mit einer Veranstaltung der besonderen Art zu Wort. Unter dem Motto „Kernig in die Zukunft“ hatten die Gesamt- Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) des Energiekonzerns RWE zu einem Aktionstag für den 4. September nach Biblis eingeladen, dem sich auch Delegationen anderer Stromkonzerne anschlossen.



Die rund 1500 Demonstranten wurden auf Firmenkosten aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden Württemberg, Hamburg und Bayern herangekarrt, verpflegt und unterhalten.
Ab dem späten Vormittag bewegte sich die Demonstration vom örtlichen Atomkraftwerk am Rheinufer zur Kundgebung in der Bibliser Ortsmitte. Die meisten waren mit kecken T-Shirts uniformiert, die als Aufschrift das Tagesmotte „KERNig in die Zukunft“ trugen. Nur eine Gewerkschaftsfahne war zu sehen – die der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (BCE).

Die Demonstranten trugen zahlreiche Schilder und Transparente mit markanten Parolen pro Atomkraft und Energiemix und handelten sich damit ein dickes Lob ihres obersten Konzernbosses Dr. Jürgen Großmann für die “Super-Organisation“ ein. „Toll, dass Ihr alle an einem Strang zieht“, rief ihnen der RWE- Vorstandsvorsitzende bei der Abschlusskundgebung zu und bekräftigte in seiner Rede die Forderung nach einer Laufzeitverlängerung für das Kraftwerk in Biblis und einer langfristigen Zukunft für deutsche Atomkraftwerke: „Wir können auf Kernkraftwerke nicht verzichten.“

Diesen vermeintlichen Sachzwang hatten sich auch etliche Demonstranten verinnerlicht, als sie auf ND-Anfrage erklärten, weshalb sie nach Biblis gekommen waren. „Ohne Atomstrom gehen die Lichter aus“, erklärte einer von ihnen und erinnerte damit an einen Ausspruch des früheren Stuttgarter Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) vor über 30 Jahren. „Atomkraft kann man nicht ersetzen“, erklärte eine Auszubildende aus dem rheinischen Braunkohlerevier. Offensichtlich hatten etliche JAV seit Monaten auf die Veranstaltung hingearbeitet und die Jugendlichen in diesem Sinne unterrichtet. Parolen und Reden wirkten denn auch wie aus einem Guss. Allerdings bestätigten mehrere Jugendliche aus Baden-Württemberg auf Anfrage, dass sie nicht auf Anlass ihrer JAV, sondern auf Anregung ihres Arbeitgebers nach Biblis gekommen waren.

Als einzige politische Kraft in der Veranstaltung war örtliche CDU-Prominenz sichtbar, die sich im VIP-Bereich tummelte und ihren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Hauptredner feierte. Dieser sagte denn auch, was Großmann und seine jungen Hoffnungsträger hören wollten. Man dürfte „nicht aus reiner Ideologie“ eine Technologie aufgeben, die auf absehbare Zeit in Deutschland „unverzichtbar“ sei. Atomkraft sei sauber, billig und sicher. Es sei ein gutes Zeichen, dass „junge Menschen für ihre Zukunft demonstrieren“. „Mit Kernkraft in die Zukunft statt mit Rot-Grün in das Mittelalter“ hieß es auf einem profesionell erstellten Transparent, das Koch besonders gut gefallen haben dürfte.

Buhmann des Tages waren die Grünen. Einige ihrer Wahlplakate wurden in Biblis von einzelnen Demonstranten zerstört, beklagte ihr örtlicher Bundestagskandidat Christian Gerber. Er hatte sich zusammen mit einer Handvoll Mitglieder des Umweltverbandes BUND am Rande der Kundgebung aufgestellt und warb friedlich für einen Atomaussteig durch den RWE-Konzern. BUND-Aktivist Justus Carl berichtete, er sei mit Äpfeln beworfen und aus der Demonstration herausgedrängt worden. Gerber bemängelte, dass die für die Demonstration vom Arbeitgeber freigestellten und verpflegten Mitarbeiter und Auszubildenden aus ganz Deutschland angereist seien, um entsprechende Fernsehbilder aus Biblis zu liefern. RWE und Atomlobby seien trotz riesiger PR-Maschinerie offensichtlich nicht in der Lage, 1500 Menschen aus der Region in ihrer Freizeit pro Atomstrom zu mobilisieren. In der Tat: 1.500 vom Arbeitgeber an einem Werktag freigestellte Pro-Atom-Demonstranten in Biblis und einen Tag später 50.000 freiwillige Teilnehmer bei der bundesweiten Berliner Anti-Atom-Demo – schon die Zahlen sprechen Bände!

„Dass sich Roland Koch nicht zu schade ist, an einer vom Energiekonzern RWE initiierten Pro-Atomkraft-Jubelveranstaltung teilzunehmen, spricht Bände“, kritisierte Janine Wissler für hessische Linksfraktion den Auftritt des Regierungschefs in einer Presseerklärung.

Biblis, Koch und Clement

In Biblis ist mit dem gut 35 Jahre alten Reaktorblock A das älteste in Betrieb befindliche deutsche Atomkraftwerk angesiedelt ist und Biblis B nur unwesentlich jünger ist. Die Anlage war in den letzten Jahren Gegenstand heftiger innenpolitischer und juristischer Auseinandersetzungen um die geplante Abschaltung. SPD und Grüne in Hessen hatten vor knapp einem Jahr in ihrem Regierungsprogramm eine baldige Abschaltung der Reaktoren Biblis A und B vorgesehen und weitere Laufzeitverlängerungen abgelehnt. Dies war insbesondere Chefetagen der Stromkonzerne auf heftige Kritik gestoßen, die sich unmittelbar vor dem (mit Unterstützung der Linksfraktion geplanten) Regierungswechsel zu Wort meldeten und vor einer Regierung Ypsilanti warnten. Anfang 2008 hatte in diesem Zusammenhang schon Ex-SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement von einer Wahl der Hessen-SPD abgeraten, die damals mit dem Eurosolar-Präsidenten und konsequenten Atomkraftgegner Hermann Scheer als Schatten-Wirtschaftsminister in den Wahlkampf zog. Clement sitzt seit seinem Abschied aus der Politik im Jahr 2005 im Aufsichtsrat der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power. Dass der rot-grüne Regierungswechsel schließlich am Veto von vier SPD-“Abweichlern“ scheiterte und CDU-Ministerpräsident Roland Koch sein Amt behielt, ist nach Ansicht von Beobachtern auch der Einflussnahme und Lobbyarbeit der Energieerzeuger geschuldet. So dürfte es auch ein Ausdruck von Dankbarkeit gegenüber dieser Lobby sein, dass Koch als Hauptredner in Biblis auftrat und ein Plädoyer pro Atom und „Energiemix“ abgab.

Drei Wochen vor der Bundestagswahl, die der CDU ein schwaches Ergebnis und neue interne Konflikte bescheren könnte, kann Koch aber auch Fernsehbilder gut gebrauchen, die ihn als „Held der Arbeit“ und Anwalt der Arbeiterschaft präsentieren und seine innerparteiliche Position stärken. Denn das fortgesetzte Tauziehen um eine ungewisse Zukunft des Autobauers lässt nicht nur bei Opelanern Zweifel daran aufkommen, ob der Auftritt von Koch und Kanzlerin Merkel und ihre vollmundigen Versprechen vor mehreren tausend Opel-Arbeitern im vergangenen März im hessischen Rüsselsheim irgend einen praktischen Nutzen gebracht haben.

Was bei der Bibliser Demonstration allerdings fehlte, war eine starke linke Kraft, die (ein bisschen wagemutig) den jungen Demonstranten etwa in Flugblättern klipp und klar erklärt hätte: Lasst Euch nicht als menschliche Schutzschilde für die Atomlobby missbrauchen! Misstraut Koch, Großmann und Clement, denn sie haben mit Arbeiterinteressen nichts am Hut! Ihnen geht es nur um Extraprofite für die Stromkonzerne! Atomkraft ist weder sicher noch billig noch gesund noch sauber. Die Frage des Atommülls ist völlig ungelöst und eine Last für viele Generationen! In einer Energiewende und dem ehrgeizigen Ausbau erneuerbarer Energien werdet Ihr alle mit Euren Qualifikationen gebraucht!

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