Kategorie: Ökologie |
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"Wissmanns Erzählungen" und jede Menge Spritfresser |
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Überschattet von der Wirtschaftskrise sind auch bei der 63. Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) trotz Öko-Lippen- bekenntnissen teure und schnelle Spritfresser vorherrschend. Noch bis zum kommenden Sonntag ist die 63. Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) auf dem Messegelände in Frankfurt am Main geöffnet. Automobilfans können nun bei dieser weltgrößten Show für 15 Euro in die bunte Glitzerwelt aus Lack und Chrom eintauchen und die eleganten Messe-Hostessen vor üppigen Karosserien bewundern. | |||
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Sie können in den Wagen Platz nehmen und sich von emsigen Mitarbeitern der Autohersteller aus aller Welt die rund 100 "Innovationen" rund ums Automobil vorführen lassen. So etwa neue Bremsassistenten, Knie-Airbags, aktives Kurvenlicht, Abstandstempomat, Fußgängerschutz oder Einparkhilfen. Was bisher der Oberklasse vorbehalten schien, hält nach Herstellerangaben jetzt auch in der Mittelklasse Einzug und soll zum Kauf animieren – so etwa der automatische Parklenkassistent "Park Assist" im VW Golf oder das intelligente Kamerasystem mit Verkehrsschilderkennung und Spurhalteassistent beim Opel Astra. Auch wenn der um markige Worte nicht verlegene Matthias Wissmann, Präsident des gastgebenden Verbandes der Automobilindustrie (VDA), davon spricht, die IAA sei "noch grüner" geworden, springen dem Besucher zunächst jede Menge energiefressende, protzige Sportwagen namhafter Hersteller ins Auge. Wissmann war übrigens in den 1990er Jahren bis zur Abwahl der schwarz-gelben Regierung Kohl 1998 Bundesverkehrsminister und wechselte 2007 vom Bundestag in die Führung des VDA, wo er als Cheflobbyist der Branche wirkt. Dass trotz zur Schau getragener optimistischer Gesichter und hoffnungsvoller, trotziger Andeutungen in Wissmanns Statements der ersehnte Aufschwung noch lange nicht da ist, lässt sich bei der IAA schwer verdrängen. Teile des riesigen Messegeländes bleiben leer, die Zahl der Aussteller ist deutlich geringer als vor zwei Jahren, die Besucherzahl dürfte es – im Vergleich zur Rekord-IAA von 2007 – ebenso sein. "Die Wirtschaftskrise ist noch längst nicht ausgestanden", erklären auf Anfrage unisono Vertreter mittelständischer deutscher Autozulieferer, die Produktionseinbrüche von 20 Prozent und mehr beklagen. An den Ständen der Autohersteller stellen sich manche die Frage, ob angesichts abgelaufener Abwrackprämie und starken Euro-Wechselkurses der Absatz in den kommenden Monaten wirklich anspringen wird. Ökologische Verantwortung? "Kein Gramm zu viel", lautet das Motto eines westfälischen Spezialherstellers, der seit vielen Jahren systematisch an der Entwicklung leichterer und besserer Komponenten arbeitet und allein bei der Autofederung ein Sparpotenzial von 25 Kilogramm entdeckt hat. Manchen Autokäufern allerdings stößt auf, dass allein durch Zubehör wie Fensterheber die Neuwagen tendenziell schwerer werden. Wenige Meter weiter präsentiert sich das Saarland mit dem Verbund "automotive.saarland" stolz als post-montanes Autoland, Standort zahlreicher Zulieferer der Branche und »mit rund 46 000 Beschäftigten das drittst rkste Automobilzuliefererzentrum Deutschlands". Hier liefern einige Betriebe "just in sequence" ihre Produkte exakt nach Bestellung zum sofortigen Einbau an ein Autowerk "um die Ecke" in Saarlouis. Nebenan stellen sich die östlichen Bundesländer mit ihrem Automotive Cluster Ostdeutschland als "Region mit Auto-Herz und Auto-Verstand" dar. Sächsische Tüftler haben die "charakterprägenden Designelemente" des Trabant P 601 Universal modern interpretiert und versprechen mit dem Elektro-Trabant nT "ökologische Verantwortung" ohne Verzicht auf Spaß, Emotion und Sicherheit. Unter freiem Himmel stellt ein österreichischer Hersteller seinen "aufblasbaren Wagenheber" vor, der an eine robuste Luftmatratze erinnert und mit Hilfe der Auspuff-abgase über einen Schlauch in kurzer Zeit prall gefüllt ist. Fünf Meter weiter agitieren offenbar von der Auto- und Luftfahrtlobby finanzierte VDA-nahe Auto-Fundamentalisten eines für ungehinderte "Mobilität" kämpfenden Münchner Vereins. Ihnen ist offenbar selbst der ADAC zu "lasch". Sie sind für eine dritte Landebahn auf dem Münchner Flughafen und strikt gegen ein generelles Tempolimit von 130 km/h. Dabei ist die Bundesrepoublik Deutschland weltweit wohl das einzige Land ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Für die Bundestagswahl legen sie ein Votum für Schwarz-Gelb nahe. Dies sei ein Signal gegen die "ideologisch motivierte" und "autofeindliche Politik" von Rot-Rot-Grün, heißt es in ihren Schriften, die Politiker wie zu Guttenberg, Seehofer und Westerwelle als Anwälte der Autofahrer anpreisen. Zwischen Zulieferern und Hochschulen, an denen sich wissenschaftler Nachwuchs über bessere Autos den Kopf zerbricht, lässt der militärisch-industrielle Komplex grüßen. Die Bundeswehr präsentiert ihren bei Auslandseinsätzen erprobten und mit einer Granatmaschinenwaffe ausgestatteten Spähpanzer Fennek aus der Rüstungsschmiede Krauss-Maffei Wegmann und lässt Neugierige im Hi-Tec-Innenbereich Platz nehmen. Mit 10,3 Tonnen Gewicht und einem 242 PS starken 5,7-Liter-Motor dürfte der 1,3 Millionen Euro teure Fennek für das Prädikat "grün" völlig ungeeignet sein, um das sich andere Hersteller bemühen. Weil Öko "in" ist, findet der aufmerksame Messebesucher jede Menge Prototypen von Fahrzeugen mit den unterschiedlichsten Hybrid- und Elektromotoren und Tafeln mit attraktiven Öko-Messwerten. Opel etwa hält es sich zugute, dass seine Fachleute trotz Krise und langen Bangens auch in den letzten Monaten mit Hochdruck an der Entwicklung des Elektrohybrid-Modells Ampera gearbeitet haben, das 2011 auf den Markt kommen soll. Ein Opel-Ingenieur lobt die Reichweitenverlängerung durch den eingebauten Verbrennungsmotor. Die Hoffnung, mit der "Wunderwaffe" Ampera endlich aus dem Tal der Tränen herauszukommen, steht vielen Opelanern ins Gesicht geschrieben. Als Cheflobbyist der Autobranche freut sich Matthias Wissmann darüber, dass die Zahl der Verkehrstoten statistisch rückläufig ist. Davon haben die vier jungen Männer nichts, die bei einem Unfall mit einem fabrikneuen, 170 PS starken VW Golf GTD in ihrer Heimatstadt Wolfsburg getötet worden. Nach Polizeiangaben schleuderte das Fahrzeug mit mehr als 100 Stundenkilometern gegen einen Baum und wurde in zwei Teile gerissen. Wenig Grund zur Freude über die Statistik haben auch die Hinterbliebenen einer 34-jährigen Mutter aus Bayern und ihrer 13-jährigen Tochter, die am Wochenende bei einem Autorennen in Österreich von einem Auto getötet wurden, das von der Strecke abgekommen und in eine Zuschauergruppe gerast war. So fordert der Autowahn weiter tagtäglich seine Opfer. Und während Matthias Wissmann unermüdlich "nachhaltige Mobilität" verkündet und die "Umweltqualität" des motorisierten Individualv erkehrs preist, bemängeln Umweltverbände die Bremserrolle speziell der deutschen Autobauer in Sachen Klimaschutz. Die 2007 unter dem Eindruck der Klimadebatte versprochene "Ergrünung" der Autoindustrie habe nicht stattgefunden, so die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Massenproduktion von Fahrzeugen mit umweltschonender Antriebstechnik lasse auf sich warten. Die ausgestellten Öko-Modelle seien vor allem Konzeptcars, während besonders die deutschen Hersteller schwere und spritfressende Modelle in den Mittelpunkt stellten. Wortbruch bei den Klimaanlagen DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch wirft dem VDA "Wortbruch" vor und kritisiert "Wissmanns Erzählungen". Entgegen früherer Zusagen werde die deutsche Autoindustrie nun doch nicht ab 2011 für die Klimaanlagen neuer Fahrzeugtypen natürliche und weniger klimaschädigende Kältemittel wie etwa CO2 verwenden. Dies schreibt eine EU-Richtlinie zwingend vor, um das derzeit eingesetzte, extrem klimaschädliche Kältemittel R134a aus dem Verkehr zu ziehen. Aber das von den Chemiekonzernen Dupont und Honeywell angebotene und von den Autokonzernen nun bevorzugte Kältemittel 1234yf sei "vielleicht für die Autoindustrie von ökonomischem Vorteil, jedoch keineswegs für die Autofahrer und Innenstadtbewohner". Diese seien durch die leichte Entflammbarkeit bei Unfällen einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt, warnt der Verkehrsberater und frühere Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, Axel Friedrich Laut Umweltbundesamt könnten zudem schon heute für nur 300 Euro die CO2-Emmissionen eines VW-Golf um fast ein Viertel gesenkt werden, so Friedrich. Die Komponenten hierfür stünden bereits in den Regalen der Hersteller. Wenn durch eine konsequente Anwendung der Leichtbauweise ein Kompaktwagen statt 1,3 Tonnen nur noch 800 Kilogramm wiege, könnte noch einmal so viel eingespart werden. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) schlug zu Beginn der IAA kritische Töne an. BUND-Verkehrsexperte Werner Reh warf den Veranstaltern eine „gezielte Täuschung der Öffentlichkeit“ vor. Mit den auf der IAA präsentierten wenigen sparsamen Prototypen lenke die Industrie von den vorhandenen Möglichkeiten zum Spritsparen ab. Die deutschen Automanager hätten „trotz oder auch wegen der Abwrackprämie“ die eigentliche ökologische Herausforderung verschlafen, nämlich den Trend zu kleineren und leichteren Fahrzeugen. Der Klimaschutz erfordere bis 2020 für deutsche Neuwagen mindestens eine Halbierung der durchschnittlichen realen CO2-Emmissionen von derzeit 165 Gramm pro Kilometer. BUND-Energieexperte Werner Neumann bezweifelte, ob die auf der IAA präsentierten Elektroautos die CO2-Emissionen wesentlich verringern könnten. Autos mit Elektromotoren nützten der Umwelt nur, wenn der Strom aus erneuerbarer Energie stamme. Das Elektromobil dürfe nicht „zum Kohle- und nicht zum Atomstromauto werden“oder als „Ökomäntelchen“ dienen und von der Aufgabe ablenken, den Schafstoffausstoß herkömmlicher Motoren radikal zu senken. Die Welt brauche „nicht mehr, sondern weniger und vor allem andere Autos“, so Neumann, der sich für den verstärkten Ausbau des öffentlichen und nichtmotorisierten Verkehrs aussprach. Fortschrittsfeindlich Eine solche, von Neumann zurecht geforderte grundlegende und radikale Umkehr wird aber weiter auf sich warten lassen, solange private Autokonzerne, Straßen- und Mineralöllobby in Wirtschaft und Verkehr den Ton angeben und auf der Jagd nach kurzfristiger Rendite den ökologischen Fortschritt systematisch behindern. Die noch längst nicht ausgestande Opel-Krise zeigt, dass auf privatkapitalistischer Grundlage weder eine Rettung aller Arbeitsplätze noch eine Umorientierung der Produktion im Sinne von ökologischer Mobiliität möglich ist. Der Opel-Magna-Deal, den die meisten Parteien (bis auf DIE LINKE) in den letzten Tagen gefeiert haben, obwohl er noch nicht einmal unter Dach und Fach ist, wird zur Vernichtung vieler tausend Arbeitsplätze führen. Nach der Bundestagswahl sind vielleicht noch schlechtere Nachrichten zu befürchten. Wir bleiben dabei: Opel gehört in öffentliche, staatliche Hände und unter die demokratische Kontrolle der Beschäftigten. Ohne Bevormundung ohne ohne Zukunftsängste können sie es besser. Damit wäre es möglich, mit den vorhandenen Kapazitäten und dem vorhandenen Wissen aller Arbeiter und Angestellten, Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler die Produktion auf ökologische und soziale Verkehrssysteme und andere gesellschaftlich nützliche Produkte umzurüsten. Statt Entlassungen sollten die vorhandenen Kurzarbeiterregelungen voll für die Weiterbildung und Qualifikation genutzt werden. Dies wäre ein Vorbild für die gesamte Branche. Siehe: Opel hat Zukunft – in Arbeiterhand! Umsteuern und umrüsten jetzt! |