Diese ist aber nur möglich durch die Produktion von Mehrwert, d.h. durch die Ausbeutung von Lohnabhängigen. Die so produzierten Waren aber müssen verkauft werden, da nur auf dem Markt der produzierte Mehrwert realisiert, d.h. zu Geld gemacht, werden kann. Die Produktion von Waren macht vom kapitalistischen Standpunkt aus nur Sinn, wenn sich diese mit Profit verkaufen lassen. Wir können also zwischen der Produktion des Mehrwerts und seiner Realisierung unterscheiden. Die Realisierung schafft keine neuen Werte, es handelt sich dabei nur um den Besitzerwechsel von Ware und Geld. In der Essenz können wir uns den Kreislauf des Kapitals also folgendermaßen vorstellen: Kapital (in Form von Geld) wird in den Produktionsprozess investiert. Das Geld wird für Maschinen, Rohstoffe, Arbeitskräfte, Werksgebäude, etc. ausgegeben. Das Kapital tritt nunmehr nicht als Geld auf, sondern ist quasi „gebunden“ in der Produktion. Erst beim Verkauf der produzierten Waren kann das Kapital zurück in Geld verwandelt werden.
Wenn alles gut geht, d.h. die Waren etwa zu ihrem Wert verkauft werden, kann der im Warenwert enthaltene Mehrwert zu Geld gemacht (realisiert) werden. Dann ist der Zweck der kapitalistischen Produktion erfüllt: Am Ende hat der Unternehmer mehr Geld als am Anfang. Sein Kapital hat sich vermehrt. Diesen Kreislauf der kapitalistischen Produktion könnte man kurz so zusammenfassen: Geld wird in die Produktion investiert und verliert dadurch seine Geldform. Die fertigen Endprodukte werden schließlich durch ihren Verkauf zurück in Geld verwandelt. Dieser Umlaufprozess des Kapitals (die Zirkulation des Kapitals) lässt sich kurz so darstellen: G-W-G’.
Der Sinn und Zweck der kapitalistischen Produktion ist erfüllt, wenn G’ größer als G ist. Dies ist nur durch Ausbeutung von Lohnarbeit möglich, d.h. dadurch, dass durch Löhne und Gehälter die Arbeitskräfte bezahlt werden und nicht die von ihnen produzierten Waren. Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff der Zirkulation nur den Aufenthalt des Kapitals auf dem Waren- und Arbeitsmarkt, d.h. in der eigentlichen Zirkulationssphäre.
Zirkulation und Kredit
Durch Kredit wird Kapital in Form von Geld für alle KapitalistInnen (in der Industrie, im Transport, im Handel, etc.) zur Verfügung gestellt. Der Kredit und alle damit in Zusammenhang stehenden Instrumente (Zahlungsversprechen, Anleihen, Swaps, etc.) erleichtern die kapitalistische Produktion indem sie eine ununterbrochene Mehrwertproduktion ermöglichen. Sie erweitern die Möglichkeiten der Kapitalakkumulation: Man muss nicht erst große Mengen an Geld ansammeln, bevor man es in die Produktion investieren kann. Mit Hilfe von Wechsel (Zahlungsversprechen) kann zumindest ein Teil des in den Waren vergegenständlichten Mehrwerts in Geld zurückverwandelt werden noch bevor die Ware selbst verkauft wurde.
Der für den Kredit gezahlte Zins entspricht einem Teil des Mehrwerts und stellt einen Abzug vom Profit dar. Die eigentliche Zirkulation schafft zwar keinen (Mehr-) Wert, aber das in dieser Sphäre angelegte Kapital ist nichts desto trotz notwendig für den Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion. Daher fällt ihm ein Teil des in der Produktion geschaffenen Mehrwerts zu. Oder umgekehrt: Die Möglichkeit den Zins für geliehenes Kapital zurückzuzahlen ergibt sich, weil davon ausgegangen wird, dass das geliehene Kapital als Kapital verwendet wird, d.h. in der Produktion angelegt und dort vermehrt wird. Marx beschreibt das folgendermaßen: „Da auf Grundlage der kapitalistischen Produktion eine bestimmte Wertsumme, in Geld oder Waren dargestellt – eigentlich in Geld, der verwandelten Form der Ware -, die Macht gibt, ein bestimmtes Quantum Arbeit gratis aus den Arbeitern auszuziehen, bestimmte surplus value [Mehrwert], surplus labour [Mehrarbeit], surplus produce [Mehrprodukt] sich anzueignen, so klar, dass das Geld selbst als Kapital verkauft werden kann, aber als eine Ware sui generis [eigener Art], oder dass Kapital in der Form von Ware oder Geld gekauft werden kann. Es kann als Quelle des Profits verkauft werden. Durch Geld, etc. befähige ich den anderen sich surplus value [Mehrwert] anzueignen. Es ist also in der Ordnung, dass ich einen Teil dieser surplus value erhalte.“ (Theorien über den Mehrwert, III, S. 447).
Es erscheint nun so als ob Kapital als Ware, als Zins tragendes Kapital, sich selbst vermehren könnte, der Zusammenhang mit der tatsächlichen Mehrwertproduktion wird verdunkelt. Marx nennt diese Verschleierung Mystifikation oder Fetischcharakter: „Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch vollendet, der sich selbst verwertende Wert, das Geld machende Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr. Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis des Dings (Geld, Ware) zu sich selbst.“ (Theorien, III, S. 447.) „Es wird ganz so Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnen zu tragen. Und als solches zinstragendes Ding verkauft der money-lender [Geldverleiher] sein Geld an den industriellen Kapitalisten.“ (Theorien, III, S. 453) Grenzen des Kredits Historisch trat der Wucher auf, sobald es Geld gab. Auf Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise aber wird der Kredit zur Notwendigkeit. Jede zur Kapitalanlage fähige Summe Geld könnte in die Produktion investiert werden und ist daher im Kapitalismus immer eine potenzielle Quelle von Profit.
Fließt sie nicht in die Produktion, kann sie gegen Zins verliehen werden. Gäbe es keinen Zins würde kein Kapitalist sein Geld verleihen. Die Existenz von Leihkapital (Krediten) ist aber im Kapitalismus v.a. aus zwei Gründen notwendig: 1. Nur im Produktionsprozess wird Mehrwert geschaffen, der Kredit aber ermöglicht die kontinuierliche Mehrwertproduktion, indem er die Zirkulationszeit abgekürzt. 2. Er ermöglicht die Ausdehnung des Konsums, die Ausweitung des Marktes. So macht Marx etwa folgende Beobachtung: „Die Engländer müssen z.B. ihr eigenes Kapital nach außen verpumpen, um sich einen Markt zu schaffen. In der Überproduktion, dem Kreditsystem usw. versucht die kapitalistische Produktion ihre eigene Schranke zu durchbrechen.“ (Theorien, III, S. 119). Ähnliches passiert auch heute noch, nur in viel umfangreicherem Ausmaß im Handel zwischen mehr und weniger kapitalistisch entwickelten Ländern. So kann „Entwicklungshilfe“ etwa in der Vergabe von Krediten bestehen, die den Absatz der Waren aus den „entwickelten“ Ländern erleichtern. Auch der Handel innerhalb der EU fand jahrelang nach diesem Schema statt: Produktivere Länder wie Deutschland finanzierten ihren Warenexport in die südeuropäischen Länder (z.B.: nach Griechenland) durch Kredite, die sie an die Abnehmerländer vergaben.
Wir können zusammenfassen: Das Kreditwesen soll also in erster Linie die Vermehrung des Kapitals erleichtern. Es ermöglicht eine fast durchgehende Mehrwertproduktion indem es dem einzelnen Kapitalisten die Möglichkeit gibt, über einen Teil von G’ zu verfügen, noch bevor er seine Waren überhaupt verkauft hat. Dieser Teil von G’ kann wieder in die Produktion investiert werden und damit einen neuen Kreislauf der Kapitalvermehrung in Gang setzen noch bevor der alte vollendet ist. Die Kreisläufe müssen nicht zeitlich nacheinander erfolgen, sondern sie überlappen sich. Andererseits gibt es den Kredit für die „KonsumentInnen“, der die Nachfrage nach Waren vergrößern soll. Das ist aber nur innerhalb bestimmter Grenzen möglich. Kredit muss zurückgezahlt werden. Es muss echtes Kapital existieren gegen das „ausgetauscht“ werden kann. Wenn nur versucht wird, den Markt für Konsumgüter zu erweitern, ohne in ausreichendem Ausmaß in die Produktion zu investieren, kann im besten Fall ein künstlicher, kurzlebiger Aufschwung geschaffen werden. Ein solcher „Aufschwung auf Pump“ (wie jener in den USA vor der Krise 2008) ist aber mittelfristig für das Kapital von Schaden. Denn zumindest ein Teil der Kredite muss mit Zinsen zurückgezahlt werden und das Kapital das für den Kauf von Konsumgütern zur Verfügung gestellt wurde, konnte nicht in den Produktionsprozess investiert werden und daher nicht zur Vermehrung des Kapitals dienen.
Fiktives Kapital
Wir können nun eine allgemeine Betrachtung wagen. Nun sprechen wir nicht mehr nur von Krediten, sondern erweitern unsere Analyse indem wir den Begriff des fiktiven Kapitals einführen. Darunter verstehen wir jede Art von handelbarem Anspruch auf spätere Zahlung. In diesem Zusammenhang könnte man auch Aktien betrachten, als Anspruch auf kommende Profite. Solches, fiktives Kapital kann jederzeit gekauft und verkauft werden. Wir könnten zwei Arten von fiktivem Kapital unterscheiden: Solches mit Grundlage im produktiven Sektor, d.h. es stellt ein Eigentumsrecht auf echtes Kapital dar, z.B. Aktien. Die ausgeschüttete Dividende ist eine Art Zins, d.h. sie entspricht einem Teil des produzierten Mehrwerts. Die Aktie kann zirkulieren, jederzeit gekauft und verkauft werden, d.h. auch sie erleichtert ebenso wie der Kredit die kontinuierliche Produktion von Mehrwert. Der Unternehmer muss nicht den vollständigen Umschlag seines in der Zirkulation befindlichen Kapitals abwarten, sondern kann einen Teil seines Kapitals schon frührer realisieren. Auch Credit Default Swaps versuchen die Schranken des Kapitalumschlags zu überwinden. Eine andere Art von fiktivem Kapital hat keine Grundlage im Produktionsprozess: Darunter fallen Staatsschuld und „asset backed securities“, z.B. die berühmten Subprime-Kredite. Wenn der Staat seine Schuld nicht als Kapital, d.h. nicht in der Produktion, anlegt, kann er die Zinsen nur mit einem Teil eines woanders produzierten Mehrwerts bezahlen, im Allgemeinen aus Steuern.
Finanzinstrumente und Derivate sind nicht grundsätzlich schädlich, sondern ermöglichen eine Verkürzung des Kapitalumschlags. Aber alles, was das Geschäft erleichtert, erleichtert andererseits die Spekulation. Der Umfang der Spekulation seinerseits steht mit dem allgemeinen Zustand des kapitalistischen Systems in Zusammenhang. Die Spekulation wächst umso mehr an, je schwieriger die profitable Anlage von Kapital in der Produktion wird. Nehmen wir das Beispiel der Autoindustrie, wo viel mehr Autos hergestellt werden können, als gebraucht werden bzw. gewinnbringend verkauft werden können. Diese Überproduktion drückt sich auch als Überakkumulation von Kapital im Produktionssektor aus, d.h. es kann nicht das gesamte investierte Kapital für gewinnbringende Produktion verwendet werden. Überproduktion kann der Kapitalismus nur durch Vernichtung von Kapital und Waren, durch eine Krise beheben. Jeder Krise aber geht ein wahnsinniges Anwachsen der Spekulation voraus. Es wird versucht das Kapital, das in der Produktion nicht mehr produktiv angelegt werden kann, einfach in der Zirkulationssphäre zu vermehren. Wie beim Glücksspiel ist der Gewinn des einen der Verlust des anderen. Eine Überfülle an Kapital in der Zirkulationssphäre, eine Überfülle an ausleihbarem Kapital, weist auf die Schranken der kapitalistischen Produktion hin, wo nur produziert wird, was und insoweit es gewinnbringend ist. Spekulation zeigt, dass das Kapital im Produktionssektor nicht mehr gewinnbringend genug angelegt werden kann. Spekulationswellen und Krisen gehen somit immer Hand in Hand.
Gratiskredit?
Eine verkürzte Kapitalismuskritik zeigt sich meist als Kritik des zinstragenden Kapitals und der Spekulation. Wer den Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion nicht versteht, kritisiert nur seine wüstesten Auswüchse, ohne zu verstehen, dass diese sich notwendig aus dem System selbst ergeben. Der Marxismus hat sich in der Auseinandersetzung mit jenen halbherzigen Arten der Kapitalismuskritik entwickelt. Einer der historisch bekanntesten Vertreter dieses „utopischen Sozialismus“ war Proudhon, ein Zeitgenosse von Marx, der behauptete, dass Zins „ungerechtfertigt“ sei. Alles solle verkauft, nichts geliehen werden. Er fasst den kapitalistischen Kredit als Wucher auf. Nun gibt es aber einen Unterschied zwischen dem vorkapitalistischen Wucher und dem Kreditwesen auf Basis des Kapitalismus. Proudhon verstand nicht, dass der Zins im Kapitalismus nur der Teilung des Mehrwerts zwischen dem industriellen und dem Geldkapitalisten entspricht: „Aber diese Teilung kann und muß sich stets von neuem erzeugen, sobald Ware oder Geld sich in Kapital verwandeln kann, und das kann es stets auf Basis der Lohnarbeit. Sollen Ware und Geld nicht Kapital werden können und darum auch nicht als Kapital in posse [der Möglichkeit nach] verliehen werden können, so dürfen sie nicht der Lohnarbeit gegenübertreten, […] so heißt das nichts, als […] zu den der kapitalistischen Produktionsweise vorhergehenden Produktionsweisen zurückzukehren.“ (Theorien, III, S. 514-514). Diese Kritiker des Zinses wollen Ware und Geld, aber nicht, dass es sich in Kapital verwandelt, d.h. in „sich selbst verwertenden Wert“ (s. Zitat oben). Aber, solange es kapitalistische Produktions- und Eigentumsverhältnisse gibt, steht auch dem Bankkapital, dem in der Zirkulationssphäre angelegten Kapital ein Teil des Mehrwerts zu.
Umgekehrt: „Sobald die Produktionsmittel aufgehört haben, sich in Kapital zu verwandeln […], hat der Kredit als solcher keinen Sinn mehr […]. Solange andererseits die kapitalistische Produktionsweise fortdauert, dauert das zinstragende Kapital als eine ihrer Formen fort, und bildet in der Tat die Basis ihres Kreditsystems. Nur derselbe Sensationsschriftsteller, Proudhon, der die Warenproduktion fortbestehen lassen und das Geld aufheben wollte, war fähig das Ungeheuer eines crédit gratuit [Gratiskredit] zu erträumen, diese vorgebliche Realisation des frommen Wunsches des kleinbürgerlichen Standpunkts.“ (Kapital, Bd. III, S. 621). Das Verständnis dafür, dass das Kreditsystem und die Spekulation untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden sind, ist Voraussetzung für jede wirklich antikapitalistische Theorie und Praxis. Ohne dieses Verständnis nämlich läuft man Gefahr, nur die schlimmsten Auswüchse des Systems zu kritisieren bzw. in Verschwörungstheorien abzugleiten.
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