Kategorie: Theorie

Marxistische Revolutionstheorie

Eine Zusammenstellung von grundlegenden Texten von Marx, Lenin und Trotzki, in denen wichtige Aspekte einer marxistischen Revolutionstheorie dargelegt werden.



Karl Marx

In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.

aus: Vorwort „Zur Kritik der Politischen Ökonomie"

Lenin

„Die Russische Revolution von 1905 war eine bürgerlich-demokratische Revolution. Sie bestand aus einer Reihe von Kämpfen aller unzufriedenen Klassen, Gruppen und Elemente der Bevölkerung. Darunter gab es Massen mit den wildesten Vorurteilen, mit den unklarsten und phantastischsten Kampfzielen, gab es Grüppchen, die von Japan Geld nahmen, gab es Spekulanten und Abenteurer usw. Objektiv untergrub die Bewegung der Massen den Zarismus und bahnte der Demokratie den Weg, darum wurde sie von den klassenbewussten Arbeitern geführt. (…) Teile des Kleinbürgertums und der rückständigen Arbeiter werden unweigerlich an ihr teilnehmen – ohne eine solche Teilnahme ist ein Massenkampf nicht möglich, ist überhaupt keine Revolution möglich –, und ebenso unweigerlich werden sie in die Bewegung ihre Vorurteile, ihre reaktionären Phantastereien, ihre Fehler und Schwächen hineintragen. Objektiv aber werden sie das Kapital angreifen, und die klassenbewusste Avantgarde der Revolution, das fortgeschrittene Proletariat, das diese objektive Wahrheit des mannigfaltigen, vielstimmigen, buntscheckigen und äußerlich zersplitterten Massenkampfes zum Ausdruck bringt, wird es verstehen, ihn zu vereinheitlichen und zu lenken, die Macht zu erobern, die Banken in Besitz zu nehmen, die allen (wenn auch aus verschiedenen Gründen!) so verhassten Trusts zu expropriieren [enteignen] und andere diktatorische Maßnahmen durchzuführen, die in ihrer Gesamtheit den Sturz der Bourgeoisie und den Sieg des Sozialismus ergeben, einen Sieg, der sich durchaus nicht mit einem Schlag aller kleinbürgerlichen Schlacken „entledigen“ wird.“


Von einem ‚Putsch’ im wissenschaftlichen Sinne des Wortes kann man nur dann sprechen, wenn ein Aufstandsversuch weiter nichts als einen Klüngel von Verschwörern oder wahnwitzigen Narren zutage gefördert und in den Massen keinerlei Sympathien erweckt hat.
(…) Wer einen solchen Aufstand einen Putsch nennt, ist entweder der schlimmste Reaktionär oder ein hoffnungsloser Doktrinär, der unfähig ist, sich die soziale Revolution als eine lebendige Erscheinung vorzustellen. Wer eine „reine“ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.
Die russische Revolution von 1905 war eine bürgerlich-demokratische Revolution. Sie bestand aus einer Reihe von Kämpfen aller unzufriedenen Klassen, Gruppen und Elemente der Bevölkerung. Darunter gab es Massen mit wildesten Vorurteilen, mit den unklarsten und phantastischsten Kampfzielen, gab es Grüppchen, die von Japan Geld nahmen, gab es Spekulanten und Abenteurer usw. Objektiv untergrub die Bewegung der Massen den Zarismus und bahnte der Demokratie den Weg, darum wurde sie von den klassenbewussten Arbeitern geführt.
Die sozialistische Revolution in Europa kann nichts anderes sein als ein Ausbruch des Massenkampfes aller und jeglicher Unterdrückten und Unzufriedenen. Teile des Kleinbürgertums und der rückständigen Arbeiter werden unweigerlich an ihr teilnehmen – ohne eine solche Teilnahme ist ein Massenkampf nicht möglich, ist überhaupt keine Revolution möglich -, und ebenso unweigerlich werden sie in die Bewegung ihre Vorurteile, ihre reaktionären Phantastereien, ihre Fehler und Schwächen hineintragen.“

aus: Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, 1916, LW, Bd. 22

Für den Marxisten unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Revolution ohne revolutionäre Situation unmöglich ist, wobei nicht jede revolutionäre Situation zur Revolution führt. Welches sind allgemein gesprochen, die Merkmale einer revolutionären Situation? Wir gehen sicher nicht fehl, wenn wir folgende drei Hauptmerkmale anführen: 1. Für die herrschenden Klassen ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten; die eine oder andere Krise der ‚oberen Schichten’, eine Krise der Politik der herrschenden Klass, die einen Riss entstehen lässt, durch den sich die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen Bahn bricht. Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel nicht, dass die ‚unteren Schichten’ in der alten Weise ‚nicht leben wollen’, es ist noch erforderlich, dass die ‚oberen Schichten’ in der alten Weise ‚nicht leben können’. 2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus. 3. Infolge er erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die sich in der ‚friedlichen’ Epoche ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen sowohl durch die ganze Krisensituation als auch durch die ‚oberen Schichten’ selbst zu selbständigem historischem Handeln gedrängt werden.
Ohne diese objektiven Veränderungen, die unabhängig sind vom Willen nicht nur einzelner Gruppen und Parteien, sondern auch einzelner Klassen, ist eine Revolution – in der Regel – unmöglich. Die Gesamtheit dieser objektiven Veränderungen wird dann auch revolutionäre Situation genannt. Eine solche Situation gab es 1905 in Russland und in allen Revolutionsepochen im Westen; sie lag aber auch in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland und in den Jahren 1859-61 und 1879/1880 in Russland vor, obgleich es in diesen Fällen zu keiner Revolution kam. Warum? Weil nicht aus jeder revolutionären Situation eine Revolution hervorgeht, sondern nur aus einer solchen Situation, in der zu den oben aufgezählten objektiven Veränderungen noch eine subjektive hinzukommt, nämlich die Fähigkeit der revolutionären Klasse zu revolutionären Massenaktionen, genügend stark, um die alte Regierung zu stürzen (oder zu erschüttern), die niemals, nicht einmal in einer Krisenepoche ‚zu Fall kommt’, wenn man sie nicht ‚zu Fall bringt’.“

Der Zusammenbruch der II.Internationale, LW, Bd. 21, S. 206f.

Trotzki

Der unbestreitbarste Charakterzug der Revolution ist die direkte Einmischung der Massen in die historischen Ereignisse. In gewöhnlichen Zeitläufen erhebt sich der Staat, der monarchistische wie der demokratische, über die Nation; Geschichte vollziehen die Fachmänner dieses Handwerks: Monarchen, Minister, Bürokraten, Parlamentarier, Journalisten. Aber an jenen Wendepunkten, wo die alte Ordnung den Massen unerträglich wird, durchbrechen diese die Barrieren, die sie vom politischen Schauplatz trennen, überrennen ihre traditionellen Vertreter und schaffen durch ihre Einmischung die Ausgangsposition für ein neues Regime. Ob dies gut oder schlecht, wollen wir dem Urteil der Moralisten überlassen. Wir selbst nehmen die Tatsachen, wie sie durch den objektiven Gang der Entwicklung gegeben sind. Die Geschichte der Revolution ist für uns vor allem die Geschichte des gewaltsamen Einbruchs der Massen in das Gebiet der Bestimmung über ihre eigenen Geschicke.
In der von einer Revolution erfaßten Gesellschaft kämpfen Klassen gegeneinander. Es ist indes völlig offenkundig, daß die zwischen Beginn der Revolution und deren Ende vor sich gehenden Veränderungen in den ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft und in deren Klassensubstrat absolut nicht ausreichen zur Erklärung des Verlaufes der Revolution selbst, die in kurzer Zeitspanne jahrhundertealte Einrichtungen stürzt, neue schafft und wieder stürzt. Die Dynamik der revolutionären Ereignisse wird unmittelbar von den schnellen, gespannten und stürmischen Veränderungen der Psychologie der vor der Revolution herausgebildeten Klassen bestimmt.
Die Gesellschaft ändert nämlich ihre Einrichtungen nicht nach Maßgabe des Bedarfs, wie ein Handwerker seine Instrumente erneuert. Im Gegenteil, sie nimmt die über ihr hängenden Institutionen praktisch als etwas ein für allemal Gegebenes. Jahrzehntelang bildet die oppositionelle Kritik nur das Sicherheitsventil für die Massenunzufriedenheit und eine Bedingung für die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaftsordnung: eine solche prinzipielle Bedeutung hat zum Beispiel die Kritik der Sozialdemokratie gewonnen. Es sind ganz besondere, vom Willen der Einzelnen und der Parteien unabhängige Bedingungen notwendig, die der Unzufriedenheit die Ketten des Konservativismus herunterreißen und die Massen zum Aufstand bringen.
Schnelle Veränderungen von Ansichten und Stimmungen der Massen in der revolutionären Epoche ergeben sich folglich nicht aus der Elastizität und Beweglichkeit der menschlichen Psyche, sondern im Gegenteil aus deren tiefem Konservativismus. Das chronische Zurückbleiben der Ideen und Beziehungen hinter den neuen objektiven Bedingungen, bis zu dem Moment, wo die letzteren in Form einer Katastrophe über die Menschen hereinbrechen, erzeugt eben in der Revolutionsperiode die sprunghafte Bewegung der Ideen und Leidenschaften, die den Polizeiköpfen als einfache Folge der Tätigkeit von „Demagogen“ erscheint.
Die Massen gehen in die Revolution nicht mit einem fertigen Plan der gesellschaftlichen Neuordnung hinein, sondern mit dem scharfen Gefühl der Unmöglichkeit, die alte Gesellschaft länger zu dulden. Nur die führende Schicht der Klasse hat ein politisches Programm, das jedoch noch der Nachprüfung durch die Ereignisse und der Billigung durch die Massen bedarf Der grundlegende politische Prozeß der Revolution besteht eben in der Erfassung der sich aus der sozialen Krise ergebenden Aufgaben durch die Klasse und der aktiven Orientierung der Masse nach der Methode sukzessiver Annäherungen. Die einzelnen Etappen des revolutionären Prozesses, gefestigt durch die Ablösung der einen Parteien durch andere, immer extremere, drücken das anwachsende Drängen der Massen nach links aus, bis der Schwung der Bewegung auf objektive Hindernisse prallt. Dann beginnt die Reaktion: Enttäuschung einzelner Schichten der revolutionären Klasse, Wachsen der Gleichgültigkeit und damit Festigung der Positionen der konterrevolutionären Kräfte. Dies ist wenigstens das Schema der alten Revolutionen.
Nur auf Grund des Studiums der politischen Prozesse in den Massen selbst kann man die Rolle der Parteien und Führer begreifen, die zu ignorieren wir am allerwenigsten geneigt sind. Sie bilden, wenn auch kein selbständiges, so doch ein sehr wichtiges Element des Prozesses. Ohne eine leitende Organisation würde die Energie der Massen verfliegen wie Dampf, der nicht in einem Kolbenzylinder eingeschlossen ist. Die Bewegung erzeugt indes weder der Zylinder noch der Kolben, sondern der Dampf.
Die Schwierigkeiten, die sich dem Studium der Veränderungen des Massenbewußtseins in der Revolutionsepoche hindernd in den Weg stellen, sind ganz offensichtlich. Die unterdrückten Klassen machen Geschichte in Fabriken, Kasernen, in Dörfern, in den Straßen der Städte. Dabei sind sie am allerwenigsten gewohnt, sie niederzuschreiben. Perioden höchster Spannung sozialer Leidenschaften lassen überhaupt wenig Raum für Beschaulichkeit und Schilderung. Alle Musen – selbst die plebejische Muse des Journalismus, trotz ihrer derben Flanken – haben es während einer Revolution schwer. Und dennoch ist die Lage des Historikers keinesfalls hoffnungslos. Die Aufzeichnungen sind unvollständig, verstreut, zufällig. Doch im Lichte der Ereignisse selbst erlauben diese Bruchstücke nicht selten, Richtung und Rhythmus der unterirdischen Prozesse zu erraten. Ob recht oder schlecht, aber auf der Berechnung der Veränderungen des Massenbewußtseins begründet die revolutionäre Partei ihre Taktik. Der historische Weg des Bolschewismus zeigt, daß eine solche Berechnung, wenigstens in ihren gröbsten Zügen, möglich ist. Warum soll, was einem revolutionären Politiker im Strudel des Kampfes gelingt, nicht auch dem Historiker rückblickend gelingen?
Die im Bewußtsein der Massen sich vollziehenden Prozesse Sind jedoch weder ursprünglich noch unabhängig. So sehr Idealisten und Eklektiker auch ungehalten sein mögen das Bewußtsein wird doch durch das Sein bestimmt. In den historischen Bedingungen der Formierung Rußlands, seiner Wirtschaft, seiner seines Staates und der Beeinflussung durch andere Staaten mußten die Voraussetzungen für die Februarrevolution und ihre Ablösung durch die Oktoberrevolution enthalten gewesen sein. Insofern die Tatsache, daß das Proletariat zuerst in einem rückständigen Lande an die Macht gelangte, immer wieder als besonders rätselhaft erscheint, muß man von vornherein die Erklärung dieser Tatsache in der Eigenart dieses rückständigen Landes, das heißt in den Merkmalen, durch die es sich von anderen Ländern unterscheidet, suchen.

aus: Vorwort zur "Geschichte der Russischen Revolution"


Beginnen wir mit einigen elementaren soziologischen Leitsätzen, die Ihnen allen zweifellos bekannt sind, die wir aber beim Herantreten an eine so komplizierte Erscheinung wie die Revolution in unserem Gedächtnis auffrischen müssen.
Die menschliche Gesellschaft ist eine geschichtlich im Kampfe um das Dasein und die Sicherung der Aufrechterhaltung der Generation entstandene Kooperation. Der Charakter der Gesellschaft wird durch den Charakter ihrer Wirtschaft bestimmt. Der Charakter der Wirtschaft wird durch die Arbeitsmittel bestimmt.
Jeder großen Epoche in der Entwicklung der Produktionskräfte entspricht ein bestimmtes soziales Regime. Jedes soziales Regime sicherte bisher der herrschenden Klasse ungeheure Vorteile.
Schon aus dem Gesagten geht klar hervor, daß die sozialen Regimes nicht ewig sind. Sie entstehen geschichtlich, um dann zu Fesseln für den Fortschritt zu werden. Alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht.
Aber keine herrschende Klasse hat freiwillig und friedlich abgedankt. In Fragen von Leben und Tod haben niemals Argumente der Vernunft die Argumente der Gewalt ersetzt. Das mag traurig sein, aber es ist nun einmal so. Nicht wir haben diese Welt geschaffen. Es bleibt nichts übrig, als sie so zu nehmen, wie sie ist.
Die Revolution bedeutet folglich einen Wechsel des sozialen Regimes. Sie übergibt die Macht aus den Händen einer Klasse, die sich erschöpft hat, in die Hände der anderen Klasse, die im Aufsteigen begriffen ist. Der Aufstand bildet den kritischsten und schärfsten Moment im Ringen zweier Klassen um die Macht. Der Aufstand kann nur in dem Falle zum wirklichen Siege der Revolution und zur Errichtung eines neuen Regimes führen, wenn er sich auf eine fortschrittliche Klasse stützt, die fähig ist, die überwältigende Mehrheit des Volkes um sich zu scharen.
Zum Unterschied von den naturgeschichtlichen Prozessen wird die Revolution von Menschen und durch Menschen verwirklicht. Aber auch in der Revolution wirken die Menschen unter dem Einfluß der sozialen Bedingungen, die nicht frei von ihnen erwählt, sondern von der Vergangenheit herübergenommen sind und die ihnen gebieterisch den Weg weisen. Eben darum und nur darum ist die Revolution gesetzmäßig.
Das menschliche Bewußtsein widerspiegelt aber die objektiven Bedingungen nicht passiv. Es pflegt aktiv auf sie zu reagieren. In gewissen Momenten nimmt diese Reaktion gespannten, leidenschaftlich Massencharakter an. Die Barrieren von Recht und Macht werden umgestürzt. Das aktive Eingreifen der Massen in die Ereignisse bildet ja auch das unerläßlichste Element der Revolution.
Aber selbst die stürmischste Aktivität kann im Stadium der Demonstration verbleiben, ohne sich auf die Höhe der Revolution zu erheben. Der Aufstand der Massen muß zur Niederwerfung der Herrschaft einer Klasse und zur Aufrichtung der Herrschaft einer anderen führen. Dann erst haben wir eine vollendete Revolution. Der Massenaufstand ist kein isoliertes Unternehmen, das man nach Belieben heraufbeschwören kann. Er stellt ein objektiv bedingtes Element in der Entwicklung der Revolution dar, wie die Revolution einen objektiv bedingten Prozeß in der Entwicklung der Gesellschaft. Sind aber die Bedingungen des Aufstandes vorhanden, darf man nicht passiv, mit aufgerissenem Munde abwarten: auch in menschlichen Dingen gibt es, wie Shakespeare sagt, Flut und Ebbe.
Um das überlebte Regime hinwegzufegen, muß die fortschrittliche Klasse verstehen, daß ihre Stunde geschlagen hat und sich die Eroberung der Macht zur Aufgabe stellen. Hier erschließt sich das Feld der bewußten revolutionären Aktion, wo sich Voraussicht und Berechnung mit Willen und Wagemut verbinden. Mit anderen Worten: hier erschließt sich das Aktionsfeld der Partei.
Die revolutionäre Partei vereinigt in sich die Auslese der fortschrittlichen Klasse. Ohne eine Partei, die fähig ist, sich in der Umgebung zu orientieren, Gang und Rhythmus der Ereignisse abzuschätzen und rechtzeitig das Vertrauen der Massen zu erobern, ist der Sieg der proletarischen Revolution unmöglich. Das ist die Wechselbeziehung der objektiven und der subjektiven Faktoren der Revolution und des Aufstandes.

aus der „Kopenhagener Rede“

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