Kategorie: Theorie |
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200. Geburtstag von Charles Darwin |
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Anlässlich des 200. Geburtstages von Charles Darwin, der die Naturwissenschaften mit seiner Evolutionstheorie revolutioniert hat, veröffentlichen wir einen Auszug aus dem Buch "Aufstand der Vernunft - marxistische Philosophie und moderne Naturwissenschaften". | |||
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Die revolutionäre Geburt des Menschen Das Känozoikum beginnt mit dem Massenaussterben vor 65 Millionen Jahren und hält bis heute an. Während dieses Zeitalters teilten, kollidierten und verschoben sich die Kontinente - neue Umweltbedingungen entstanden. In den ersten 20 Millionen Jahren steigt die Temperatur tendenziell an, damit ist eine Ausdehnung der tropischen Zone verbunden. Auf den britischen Inseln etwa herrschten Umweltbedingungen wie im heutigen malayischen Dschungel. Die wichtigste evolutionäre Veränderung dieser Zeit ist die schnelle Ausbreitung der Säuger, die die ehemaligen Lebensräume der Reptilien erobern. Vor etwa 40 Millionen Jahren tummelten sich bereits Primaten, Elefanten, Schweine, Nager, Pferde, Seekühe, Tümmler, Wale und Fledermäuse auf der Erdoberfläche, die meisten Arten der heutigen Vögel flogen durch die Lüfte und viele Pflanzenfamilien reckten sich der Sonne entgegen. Den Aufstieg der Säuger kann man leicht als triumphalen Siegeszug ohne Rückschläge mißverstehen, an dessen Ende als Krönung der Schöpfung, die Geburt des Menschen steht. Dies ist weit von der Realität entfernt. Wie bereits geschildert kann die Evolution nicht als geradlinige Aufwärtsbewegung verstanden werden. Perioden des massiven Wachstums, wurden auch in der jüngeren Erdgeschichte von dramatischen Umkehrungsprozessen, Tod und Aussterben unterbrochen. Die zwei Hauptperioden des Massensterbens wurden durch die starke Veränderung von Umweltbedingungen ausgelöst. Vor 40-30 Millionen Jahren beginnt sich das globale Klima wieder abzukühlen. Für die nächsten 25 Millionen Jahre können wir eine stetige Abnahme der Temperatur beobachten, bis sich vor fünf Millionen Jahren das Klima auf das heutige Niveau einpendelt. Jene Periode war die bisher letzte vom Aussterben geprägte, die erstmals die Säuger traf. Die Primaten, die Vorläufer heutiger Affen und Menschen, bevölkerten die ganze Welt. Das Zeitalter des Dinosauriersterbens beeinflusste viele Primatenfamilien. Die neuen Umweltbedingungen führten zur Entwicklung einer neuen Spezies - den Proto-Menschenaffen, die an die veränderten Bedingungen besser angepasst waren. Es ist auch erwähnenswert, dass die neuen Bedingungen hauptsächlich Afrika und Eurasien und nicht Amerika betrafen. Die Antarktis erreichte zu jener Zeit den Südpol und begann zu vereisen. In den nächsten 10-20 Millionen Jahren sehen wir eine weitere Periode extensiven Wachstums der Säuger, der größten in der Geschichte überhaupt, in der sich auch viele neue Affenarten etablierten. Die grundlegenden anatomischen Muster der Affen blieben während dieser Periode allerdings unverändert, bis ein weiterer scharfer klimatischer Umschwung hier Umformungen auslöste. Die Frage, wann und wie nun die Hominiden sich von den Affen trennten, ist unter Paläontologen heftig umstritten. Es gibt Knochenfunde, die darauf hinweisen, dass bereits vor weit mehr als 14 Millionen Jahren heutigen Affen ähnliche Arten gelebt haben müssen. Diese Knochen könnten von einer Spezies stammen, die 14 bis sieben Millionen Jahre vor unserer Zeit sowohl in Afrika als auch in Eurasien gelebt hat. Es scheint, dass diese Art sehr erfolgreich war und der gemeinsame Vorfahre von Menschen, Affen und Gorillas ist. Dann, vor zehn bis sieben Millionen Jahren, fanden neue und dramatische Umweltveränderungen statt. Die Antarktis war bereits von Gletschern bedeckt. Die Eisschicht begann sich auszubreiten, nicht nur auf der südlichen, sondern auch auf der nördlichen Hemisphäre, wo Alaska, Nordamerika und Nordeuropa unter Gletschereis begraben wurden. Da mehr und mehr Wasser durch das Eis gebunden wurde, begann der Meeresspiegel um mehr als 150 Meter zu sinken. Die Landmasse wurde dadurch vergrößert und es bildeten sich Landbrücken zwischen den Kontinenten. Europa und Afrika, Asien und Amerika, Britannien und Europa waren auf dem Landweg untereinander verbunden, und dies ermöglichte eine verstärkte Migration von Arten. Das Mittelmeer war komplett ausgetrocknet. Das Klima um den Äquator wurde trocken, Waldstriche wurden stark dezimiert, Wüsten und weite Savannen bildeten sich aus. Der asiatische Zentralraum war durch Wüsten von Afrika getrennt, was auch die Verbindung zwischen verwandten Affenarten abschnitt. Ein Aussterben war in dieser Situation die logische Folge, aber zugleich herrschten nun Bedingungen neue Arten hervorzubringen. An einem gewissen Punkt, wahrscheinlich vor 7 Millionen Jahren, erreichte die Entwicklung der Säuger eine Niveau, das zur Geburt der ersten Hominiden (menschenähnliche Primaten) führte. Heute ist es unwidersprochen, dass der Ursprung der Menschheit in Afrika liegt. Vor 5.3 Millionen Jahren erreichte das Mittelmeer seine heutige Form. In Afrika entstand eine neue Affenart, die sich im Laufe einer Million Jahre in drei Richtungen - Schimpansen, Hominiden und Gorillas - weiterentwickelte. Die Teilung in diese 3 Äste war aufgrund des Umweltdrucks in Ostafrika nötig geworden. Die Ausdehnung der Gletschermassen auf das südliche Afrika führte zu dramatischen Veränderungen im Osten des Kontinents. Die Wälder wurden aufgrund des Nachlassens der Regenmengen und einer allgemeinen Trockenheit radikal reduziert. Dies war wahrscheinlich der Antrieb dafür, dass sich diese Proto-Affenarten voneinander trennten. Bisher lebten sie hauptsächlich auf den Bäumen. Nun hatten sie drei Optionen: 1. Ein Teil blieb in den Wäldern. Sie müssen die erfolgreichste Strategie zur Nahrungsmittelgewinnung aus begrenzten Ressourcen entwickelt haben. Jedoch müssen diese Waldbewohner aufgrund des Niedergangs der Lebensraums Wald schwere Bevölkerungsverluste hingenommen haben. Von diesem Zweig ist heute nur noch der Gorilla übrig. 2. Eine andere Gruppe siedelte sich an den Waldrändern an, wo noch weniger Bäume und Futter vorhanden waren. Sie mussten ihr Nahrungsbezugsgebiet durch die Fortbewegung auf dem Boden erweitert haben, wobei sie aus Sicherheitsgründen versuchten, nahe an Bäumen zu bleiben. Diese Gruppe wird von den heutigen Schimpansen repräsentiert. 3. Eine dritte Gruppe war aufgrund des Populationsdruckes gezwungen die Wälder überhaupt zu verlassen. Es handelte sich wahrscheinlich um schwächere und weniger geschickte Waldbewohner. Sie waren nicht nur gezwungen, sich am Boden fortzubewegen, sondern mussten dabei auf der Suche nach Nahrung auch weite Strecken zurückzulegen. Diese Gruppe war gezwungen, eine vollkommen neue Lebensweise als andere Primaten zu entwickeln. Die Umweltveränderungen in Asien zwangen auch dort einige Affenarten an die Waldränder. Aus diesen entwickelten sich die heutigen Paviane, die sich auf der Suche nach Futter am Boden bewegen, jedoch dann wieder zur Sicherheit auf die Bäume klettern. Primaten zeigen eine Vielfalt an Bewegungsarten. Der Tarsier springt und hantelt sich voran, der Gibbon schwingt sich von Ast zu Ast, der Orang-Utan bewegt sich auf seinen “Vier Händen”, der Gorilla ist ein Knöchelläufer; kurz gesagt die Affen sind Vierfüßer, nur Hominiden meisterten vollständig den zweifüßigen aufrechten Gang. "Gleichzeitig mit der Entwicklung der Hände haben sich die Primaten auch in anderer Weise spezialisiert. Wenn man springen und greifen will, muß man in der Lage sein, Entfernungen richtig zu schätzen. Wenn man das nicht kann, wird man oft mit leeren Händen ausgehen. Schlimmstenfalls wird man an einem Ast vorbeigreifen und abstürzen. Um eine Entfernung genau zu schätzen, muß man plastisch sehen können. Man muß beide Augen auf einen Gegenstand richten, um den Eindruck der räumlichen Tiefe zu bekommen, und dazu müssen beide Augen an der Vorderseite des Schädels angebracht und nach vorn gerichtet sein und dürfen sich nicht an den Seiten des Kopfes befinden wie die Augen eines Eichhörnchens. Die Vorfahren der Primaten hatten solche Augen entwickelt. Ihre Schädel wurden rund, und dabei ergab sich die Gelegenheit für die Vergrößerung des Gehirnvolumens. Gleichzeitig wurden die Kieferknochen kleiner. Ein Tier, das mit den Händen greifen kann, muß sich beim Jagen und auf der Futtersuche nicht auf das Gebiß beschränken. Ihm genügen ein kürzerer Kieferknochen und eine kleinere Zahl von Zähnen. Die heutigen Menschen- und Baumaffen - und die Menschen - haben im Ober- und Unterkiefer jeweils 16 Zähne. Ihre Vorfahren hatten bis zu 22 Zähne in jedem Kiefer." (D.C. Johanson und M.A. Edey, Lucy. Die Anfänge der Menschheit, München 1982, S.392.) Der Psychologe Jerome Bruner betont in seinen Schriften über die geistige Entwicklung von Kindern, dass geschicktes Verhalten viel mit Sprachentwicklung und der Fähigkeit zur Problemlösung zu tun hat. Beinahe alle einfachsten Geschicklichkeiten basieren auf der Verwendung einer oder beider Hände und visueller Orientierung. Über die Entwicklung der menschlichen Hand hat Bruner folgendes zu sagen: “Die Hände des Menschen sind ein sich langsam entwickelndes System, viele Jahre vergehen bis ein Mensch jene manuellen Fähigkeiten vorweisen kann, die unsere Art von anderen unterscheidet - der Gebrauch und die Herstellung von Werkzeug. Tatsächlich wurden historisch selbst von Studenten der Primatenevolution die Hände mit keinem besonderen Interesse bedacht. Wood Jones wollte uns glauben machen, dass nur kleine morphologische Unterschiede zwischen der Hand eines Affen und eines Menschen bestünden, der wesentliche Unterschied liege allein in der vom Zentralnervensysten zugedachten Funktion. Doch wie Clark und Napier aufgezeigt haben, ist es die evolutionäre Richtung der morphologischen Veränderung der Hand, von Spitzhörnchen über Neuweltaffen zu Altweltaffen und dann zum Menschen, die die veränderten Funktionen der Hand, und somit auch die Entstehung der menschlichen Intelligenz enthüllen. Diese Veränderung ging ununterbrochen in Richtung einer sehr speziellen Form der Entspezialisierung. Die Hand befreit sich von ihrer Fortbewegungsfunktion, von ihrer Hangelfunktion und von spezialisierten Bedürfnissen, die in Krallen und exotischen Ausformungen der Fingerballen ihre Entsprechung fanden. Die Entspezialisierung der Funktionen bedeutet eine Verbreiterung der Anwendungsmöglichkeiten. Ohne das Vermögen für das Auseinanderspreizen der Finger, das zum Tragen von Gewichten notwendig ist, ohne die Möglichkeit mit den Fingern eine Hohlhand zur Nahrungsaufnahme zu bilden, ohne die Greiffähigkeit zum Anhalten und Klettern, oder die Opponierbarkeit des Daumens- alles Teil des Erbes der frühen Primaten- zu verlieren, erlangt die Hand in der späteren Primatenevolution viele neue Funktionalitäten, die mit den entsprechenden morphologischen Veränderungen einhergehen. Dazu kommt noch die kombinierte Fähigkeit von präzisem und kräftigem Griff. Die Flexibiliät der Handfläche und des Daumens erhöht sich durch die Veränderungen in der Gliederung des Haken- und Vieleckbeins. Der Daume verlängert sich, und sein Winkel in Ruhestellung zur Hand vergrößert sich. Das letzte Fingerglied, speziell jenes des Daumens, verbreitert und verstärkt sich. Napier mag übertreiben, wenn er festhält, dass ´die aktuelle Fundlage nahe legt, dass die Steingüter des frühen Menschen so gut (oder so schlecht) wie die Hand seien, die es produzierte.` Sicher ist allerdings, dass die ursprünglich dummen Hände durch die Beschäftigung in einem von der Kultur angeleiteten Programm schlau wurden.” (J. S. Bruner, Beyond the Information Given, London 1974, S. 246f.) Die ältesten Fossilien von Hominiden wurden in Ostafrika gefunden. Die Knochenfunde werden einer Art, die als Austraopithecus afarensis bekannt ist und 3,5 bis 3,3 Millionen Jahre vor unserer Zeit gelebt hat, zugeordnet. Diese affenähnlichen Lebewesen konnten schon aufrecht gehen, und ihr von den anderen Fingern abgesetzter Daumen erlaubte bereits die Herstellung von Werkzeugen. Ihr Schädel (450 Kubikcentimeter) war größer als jener anderer Affen. Es wurden keine Werkzeuge dieser frühen Hominiden gefunden, bearbeitete Gegenstände wurden aber von der ersten, eindeutig der menschlichen Art zugehörigen, passend Homo habilis genannten Spezies, zugeordnet. Homo habilis (Handmensch) ging aufrecht, war ca. 120 Meter groß und hatte eine Gehirnkapazität von 800 Kubikzentimetern. An welchen Punkt kann man nun tatsächlich die Trennung des Menschen von den hominiden Affen ansetzen? Paläontologen führen seit jeher heftige Debatten über diese Frage. Engels Standpunkt zu dieser Auseinandersetzung ist in seinem bemerkenswerten Aufsatz “Der Anteil der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen” festgehalten. Aber bereits viel früher, in ihrer Pionierarbeit “Die deutsche Ideologie” (1845), finden Marx und Engels eine treffende Formulierung: „Man kann die Menschen durch das Bewußtsein, durch die Religion, durch was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst.“ (Karl Marx, Die Deutsche Ideologie, MEW Bd.3, S. 21.) Die Rolle der Werkzeugherstellung Sehr oberflächliche Kritiker der materialistischen Konzeption verweisen darauf, dass Menschen nicht die einzigen Lebewesen sind, die Werkzeuge verwenden. Dieses Argument ist in sich hohl. Man kann in der Natur sehen, dass viele Tiere (nicht nur Affen und Schimpansen, sondern sogar auch einige Vögel und Insekten) für gewisse Aktivitäten Hilfsmittel verwenden, aber als “Werkzeug” werden nur herumliegende Naturgegenstände wie Stöcke und Steine verwendet. Darüber hinaus wird eine solche Aktivität entweder zufällig gesetzt, etwa wenn ein Affe einen Stock wirft, um an eine Frucht am Baum zu gelangen, oder es handelt sich um eine zwar komplexe, aber gänzlich genetisch determinierte oder instinktgeleitete Aktion. Die gesetzten Handlungen werden jedenfalls immer nach gleichem Muster durchgeführt. Intelligente Planung, Voraussicht und Kreativität sind nur bei höher entwickelten Säugern und zudem in sehr begrenzter Form vorhanden. Selbst höchstentwickelte Affen entfalten keine produktiven Aktivitäten, die mit jenen des ursprünglichen Menschen vergleichbar wären. Der schlagende Punkt ist nicht, dass Menschen “Werkzeuge benützen”. Es steht außer Frage, dass der Mensch die einzige Tierart ist, die Werkzeuge nicht in einer zufällig gesetzten Einzelaktion herstellt. Diese Aktivität ist eine wesentliche Bedingung für seine Existenz, von der alles andere abhängt. Wenn auch Menschen und Schimpansen genetisch beinahe identisch sind, und das Verhalten dieser Tiere uns in vielen Aspekten sehr “menschlich” erscheint, so ist selbst der intelligenteste Schimpanse nicht fähig, eines jener rudimentären Steinwerkzeuge eines Homo erectus, einer Art an der Schwelle zur Menschheitsentwicklung, zu produzieren. In seinem neuesten Buch Die ersten Spuren bringt Richard Leaky den entscheidenden Unterschied auf den Punkt: "Schimpansen sind geschickt im Umgang mit Werkzeugen und benutzen Stöcke zur Jagd auf Termiten, Blätter als Schwämme und Steine zum Nüsseknacken. Doch bislang ist noch kein Schimpanse in der Wildnis beim Anfertigen eines Steinwerkzeugs beobachtet worden. Menschen haben vor zweieinhalb Millionen Jahren begonnen, scharfkantige Werkzeuge zu verfertigen, indem sie zwei Steine gegeneinander schlugen, und damit einen Weg technischer Tätigkeit einschlagen, der ein helles Licht auf die Vorgeschichte des Menschen wirft." (Richard Leakey, Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München 1997, S. 60.) Vergleichen wir diese Zeilen mit einem Engels-Zitat aus dem Jahre 1876: “Mit ihr (der Hand, Anm.) bauen sich manche Affen Nester in den Bäumen oder gar, wie der Schimpanse, Dächer zwischen den Zweigen zum Schutz gegen die Witterung. Mit ihr ergreifen sie Knüppel zur Verteidigung gegen Feinde oder bombardieren diese mit Früchten und Steinen. Mit ihr vollziehen sie in der Gefangenschaft eine Anzahl einfacher, den Menschen abgesehener Verrichtungen. Aber gerade hier zeigt sich, wie groß der Abstand ist zwischen der unentwickelten Hand selbst der menschenähnlichsten Affen und der durch die Arbeit von Jahrhunderttausenden hoch ausgebildeten Menschenhand. Die Zahl und allgemeine Anordnung der Knochen und Muskel stimmen bei beiden; aber die Hand des niedrigsten Wilden kann Hunderte von Verrichtungen ausführen, die keine Affenhand ihr nachmacht. Keine Affenhand hat je das rohste Steinmesser verfertigt.” (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, S. 180.) Nicolas Toth versuchte viele Jahre, die Methoden zu rekonstruieren, mit denen die frühen Menschen Werkzeuge hergestellt haben. Er kam zum Schluss, dass selbst die einfachsten Steinbehauungen nicht nur manuelles Geschick, sondern auch ein gewisses Maß an Voraussicht und Planung voraussetzen. "Ein guter Hersteller von Abschlägen muß einen Stein von der richtigen Größe auswählen, der den passenden Winkel aufweist, gegen den er schlagen muß; und die Schlagbewegung selbst erfordert eine lange Praxis, um an der richtigen Stelle mit der notwendigen Stärke zuzuschlagen. 'Anscheinend besaßen die ersten werkzeugherstellenden Urmenschen einen intuitiven Sinn für die Grundbegriffe der Steinbearbeitung', schrieb Toth 1985 in einem Aufsatz. 'Es steht außer Frage, daß die frühesten Werkzeugmacher über ein höheres geistiges Vermögen als Affen verfügten', meinte er unlängst in einem persönlichen Gespräch. 'Das Anfertigen von Werkzeugen erfordert die Koordinierung ganz bestimmter motorischer und kognitiver Fähigkeiten.'" (Richard Leakey, Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München 1997, S. 63.) Zwischen Hand, Gehirn und allen anderen Organen bestehen enge Wechselwirkungen. Jene Gehirnareale, die mit der Hand verbunden sind, sind erheblich größer als jene anderer Körperteile. Bereits Darwin verstand, dass die Entwicklung von bestimmten Teilen des Organismus mit der Ausbildung anderer, die oberflächlich in keiner besonderen Beziehung zueinander zu stehen scheinen, verbunden ist. Er bezeichnete dieses Phänomen als „Gesetz der Korrelation des Wachstums”. Die Erhöhung der manuellen Geschicklichkeit durch Arbeit war der notwendige Stimulus für die schnelle Entwicklung des Gehirnes. So war die Entwicklung des Menschen kein Zufall, sondern ein Ergebnis der Notwendigkeit. Der aufrechte Gang der frühen Hominiden diente dem Umherstreifen zu Nahrungssuche in der Savanne. Der Kopf musste, um Raubtiere ausmachen zu können, auf den höchsten Punkt des Körpers rücken, was wir auch bei anderen Steppentieren, wie etwa den Erdmännchen sehen können. Das beschränkte Nahrungsangebot machte es notwendig, Nahrungsmittel zu sammeln und zu transportieren, was besonders die Entwicklung der Hände förderte. Der Körperbau der Affen ist nicht dazu geschaffen, auf zwei Beinen zu gehen, und daher wirken sie dabei auch eher tollpatschig. Die Anatomie der ersten Hominiden hingegen weist in der Knochenstruktur eine klare Anpassung an den aufrechten Gang auf. Die aufrechte Haltung bedingt aber auch klare Nachteile verschiedenster Art. So ist es unmöglich, auf zwei Beinen so schnell wie auf allen Vieren zu laufen. Viele Körperhaltungen der Zweibeiner sind tatsächlich unnatürlich, was die weite Verbreitung von Rückenschmerzen, die das menschliche Tier vom Höhlenbewohner bis heute plagt, erklärt. Aber der große, alles entscheidende Vorteil der Zweifüßer ist die Befreiung der Hände für die Arbeit. Hierin liegt der große Schritt der Menschheit. Arbeit in Kombination mit der Natur ist die Quelle allen Reichtums. Aber, wie Engels verweist, geht die Bedeutung weit darüber hinaus: „Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, MEW Bd. 20., S. 444.) Die durch die Arbeit bedingte Entwicklung der Hand ist eng mit der Entwicklung des Körpers als Ganzes verbunden. „So ist die Hand nicht nur das Organ der Arbeit, sie ist auch ihr Produkt. Nur durch Arbeit, durch Anpassung an immer neue Verrichtungen, durch Vererbung der dadurch erworbenen besondern Ausbildung der Muskel, Bänder, und in längeren Zeiträumen auch der Knochen, und durch immer erneuerte Anwendung dieser vererbten Verfeinerung auf neue, stets ver- wickeltere Verrichtungen hat die Menschenhand jenen hohen Grad von Vollkommenheit erhalten, auf dem sie Raffaelsche Gemälde, Thorvaldsensche Statuen, Paganinische Musik hervorzaubern konnte. Aber die Hand stand nicht allein. Sie war nur ein einzelnes Glied eines ganzen, höchst zusammengesetzten Organismus. Und was der Hand zugute kam, kam auch dem ganzen Körper zugute, in dessen Dienst sie arbeitete...“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, MEW Bd. 20., S. 445 f.) Selbiges gilt auch für die Sprachfähigkeit. Affen sind zwar fähig, bestimmte Laute und Gesten von sich zu geben, die durchaus wie eine unterentwickelte “Sprache” erscheinen, aber alle Versuche, ihnen das Sprechen beizubringen, sind gescheitert. Sprache ist, wie bereits Engels erklärt, das Produkt der kollektiven Produktion. Nur eine Spezies, deren Lebensgrundlage auf der Kooperation zur Herstellung von Werkzeugen basiert, wird Sprachfähigkeit entwickeln. Dieser komplexe Prozess erfordert bewusstes Erlernen und die Weitergabe des Wissens an die nächste Generation. Dazu bemerkt Noam Chomsky: “Jeder, der sich mit dem Studium der menschlichen Natur und der menschlichen Fähigkeiten befaßt, muß sich irgendwie mit dem Umstand auseinandersetzen, daß alle normalen Menschen Sprache erwerben, während der Erwerb selbst ihrer simpelsten Anfangsgründe gänzlich außerhalb der Fähigkeiten eines ansonsten durchaus intelligenten Affen liegt...” (Noam Chomsky, Sprache und Geist, Frankfurt am Main 1996 (6. Auflage), S. 111.) Gerade in jüngster Vergangenheit wurde es eine Mode, nachzuweisen zu versuchen, dass Sprache keine spezifisch menschliche Errungenschaft ist. Wie es nun auch unbestreitbar ist, dass Tiere untereinander Kommunikationssysteme benützen, so falsch ist es jedoch, dies als Sprache beschreiben zu wollen. Sprache begründet sich in der menschlichen Gesellschaft und ihrer kooperativen produktiven Aktivität, und damit besteht zwischen der Sprache und dem komplexesten Kommunikationssystem der Tierwelt ein qualitativer Unterschied. “Die menschliche Sprache stellt ein einzigartiges Phänomen dar, das keine signifikante Analogie in der Tierwelt besitzt. Wenn das so ist, dann ist es vollkommen sinnlos, das Problem aufzuwerfen, wie die Evolution der menschlichen Sprache aus primitiveren Kommunikationssystemen, die auf tieferen Stufen der intellektuellen Fähigkeiten auftreten, zu erklären sei.” (Noam Chomsky, Sprache und Geist, Frankfurt am Main 1996 (6. Auflage), S. 112.) Und weiter: "Soweit wir wissen, ist der Besitz der menschlichen Sprache mit einem spezifischen Typ von mentaler Organisation verbunden, nicht einfach ein höherer Grad von Intelligenz. Es scheint mir kein Grund zu der Annahme zu bestehen, daß die menschliche Sprache nur ein komplexerer Fall von etwas ist, was anderswo in der Tierwelt gefunden werden kann. Das wirft ein Problem für den Biologen auf, denn falls dies zutrifft, ist es ein Beispiel für einen echten 'Entwicklungssprung' - für das Auftreten eines qualitativ anderen Phänomens auf einer spezifischen Stufe der Organisationskomplexität." (Noam Chomsky, Sprache und Geist, Frankfurt am Main 1996 (6. Auflage), S. 117.) Die rasche Zunahme des Gehirnvolumens brachte aber auch neue Probleme, speziell was den Geburtsvorgang betrifft. Während ein neugeborener Affe etwa das halbe Gehirnvolumen (200 Kubikzentimeter) eines erwachsenen Affen hat, liegt das Volumen eines menschlichen Babies bei der Geburt bei 385 Kubikzentimeter, was etwa einem Viertel dessen eines erwachsenen Menschen (1350 Kubizentimeter) entspricht. Die Form des menschlichen Beckens, ist an die aufrechte Haltung angepasst und beschränkt so die Erweiterung des Beckens. Daher sind alle menschlichen Babies aufgrund des großen Gehirnvolumens und der Beschränkungen des Körperbaus eines Zweifüßers “Frühgeburten”. Die vollständige Hilflosigkeit eines menschlichen Neugeborenen sticht im Vergleich zu anderen hochentwickelten Säugern hervor. Der an der University of Michigan lehrende Biologe Barry Bogin erklärt sich das im Vergleich zu Affen langsame Wachstum des menschlichen Säuglings mit der langen Zeitspanne, die benötigt wird, um sich in den komplexen Regeln und Mechanismen der menschlichen Gesellschaft zurechtzufinden. Schon der körperliche Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen begründet ein Lehrer-Schülerverhältnis, wo Junge von den Erwachsenen lernen. Dagegen führt das rasche Wachstum der Affen schnell zu einer körperlichen Rivalität. Sobald der Lernprozess abgeschlossen ist, wächst auch der Körper beim heranwachsenden Menschen sehr rasch. "Menschen werden zu Menschen, indem sie sich in einem intensiven Lernprozeß nicht nur Überlebensfähigkeiten, sondern auch Bräuche und soziale Gewohnheiten, Verwandtschafts- und Gesellschaftsregeln, mit anderen Worten Kultur aneignen. Das soziale Milieu, in dem hilflose Kleinkinder versorgt und ältere Kinder erzogen werden, ist weit eher für Menschen charakteristisch als für Affen." (Richard Leakey, Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München 1997, S. 70.) Soziale Organisation Das Leben in der offenen Savanne mit den in ihr lebenden räuberischen Fleischfressern war eine gefährliche Angelegenheit. Menschen sind keine starken Tiere, und die frühen Hominiden waren zudem noch viel kleiner als der heutige Mensch. Sie hatten keine starken Klauen, kein kräftiges Gebiß, und dazu waren sie weit langsamer als Löwen und andere vierbeinige Jäger. Die einzige erfolgreiche Überlebensstrategie war die Entwicklung einer hochorganisierten und kooperativen Gemeinschaft zur kollektiven Nutzung der raren Nahrungsmittelquellen. Der entscheidende Schritt war aber ohne Zweifel die Herstellung von Artefakten (Schöpfungen von Menschenhand), beginnend mit Faustkeilen, die vielfältig eingesetzt wurden. Entgegen ihrem täuschend einfach aussehenden Äußeren waren das bereits hochentwickelte und vielseitig verwendbare Werkzeuge, in deren Produktion ein nicht zu unterschätzendes Niveau von Organisation, Planung und bereits Elemente von Arbeitsteilung stecken. Dies war der wahre Beginn der menschlichen Gesellschaft. Dazu Engels: "Wie schon gesagt, waren unsre äffischen Vorfahren gesellig; es ist augenscheinlich unmöglich, den Menschen, das geselligste aller Tiere, von einem ungeselligen nächsten Vorfahren abzuleiten. Die mit der Ausbildung der Hand, mit der Arbeit, beginnende Herrschaft über die Natur erweiterte bei jedem neuen Fortschritt den Gesichtskreis des Menschen. An den Naturgegenständen entdeckte er fortwährend neue, bisher unbekannte Eigenschaften. Andrerseits trug die Ausbildung der Arbeit notwendig dazu bei, die Gesellschaftsglieder näher aneinander zuschließen, indem sie die Fälle gegenseitiger Unterstützung, gemeinsamen Zusammenwirkens vermehrte und das Bewußtsein von der Nützlichkeit dieses Zusammenwirkens für jeden einzelnen klärte. Kurz, die werdenden Menschen kamen dahin, daß sie einander etwas zu sagen hatten. Das Bedürfnis schuf sich sein Organ: Der unentwickelte Kehlkopf des Affen bildete sich langsam aber sicher um, durch Modulation für stets gesteigerte Modulation, und die Organe des Mundes lernten allmählich einen artikulierten Buchstaben nach dem andern aussprechen." (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, S. 182.) Die Herstellung von Werkzeugen, die Anfänge der ursprünglich geschlechtspezifisch organisierten Arbeitsteilung, die Entwicklung der Sprache und eine auf Kooperation beruhende Gesellschaft - das sind die Elemente, die den Aufstieg der Menschheit begründen. Auch das war kein langsamer, allmählicher Prozess, sondern ist wiederum ein revolutionärer Sprung - und zwar einer der bedeutsamsten Wendepunkte der Evolution. So sagte der Paläontologe Lewis Binford: “Unsere Art ist nicht als das Ergebnis gradueller, fortschreitender Prozesse, sondern explosionsartig, innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne auf der Bildfläche erschienen.” (Zitiert nach Richard Leakey, Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München 1997, S. 96f.) Engels unterstreicht den Zusammenhang von Arbeit und allen anderen Faktoren: “Arbeit zuerst, nach und dann mit ihr die Sprache - das sind die beiden wesentlichsten Antriebe, unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommnere eines Menschen allmählich übergegangen ist. Mit der Fortbildung des Gehirns aber ging Hand in Hand die Fortbildung seiner nächsten Werkzeuge, der Sinnesorgane. Wie schon die Sprache in ihrer allmählichen Ausbildung notwendig begleitet wird von einer entsprechenden Verfeinerung des Gehörorgans, so die Ausbildung des Gehirns überhaupt von der sämtlichen Sinne. Der Adler sieht viel weiter als der Mensch, aber des Menschen Auge sieht viel mehr an den Dingen des Lebens als das des Adlers. Der Hund hat eine weit feinere Spürnase als der Mensch, aber er unterscheidet nicht den hundertsten Teil der Gerüche, die für diesen bestimmte Merkmale verschiedner Dinge sind. Und der Tastsinn, der beim Affen kaum in seinen rohsten Anfängen existiert, ist erst mit der Menschenhand selbst, durch die Arbeit, herausgebildet worden.” (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, S. 183f.) Die frühen Hominiden nahmen vorwiegend vegetarische Nahrung zu sich. Die Verwendung der einfachsten Werkzeuge wie Grabstöcke, eröffneten ihnen Zugänge zu Nahrungsmittelressourcen, die anderen Affen verschlossen blieben. Gefundenes Aas dürfte die einzige fleischliche Nahrungsmittelquelle gewesen sein. Ein Durchbruch war hier die Produktion von Werkzeugen und Waffen, die es ermöglichten, die Jagd zur primären Nahrungsmittelquelle werden zu lassen. Der Konsum von Fleisch führte zweifellos zu einer Beschleunigung des Wachstums des Gehirns. “Die Fleischkost enthielt in fast fertigem Zustand die wesentlichsten Stoffe, deren der Körper zu seinem Stoffwechsel bedarf; sie kürzte mit der Verdauung die Zeitdauer der übrigen vegetativen, dem Pflanzenleben entsprechenden Vorgänge im Körper ab und gewann damit mehr Zeit, mehr Stoff und mehr Lust für die Betätigung des eigentlich tierischen (animalischen) Lebens. Und je mehr der werdende Mensch sich von der Pflanze entfernte, desto mehr erhob er sich auch über das Tier. Wie die Gewöhnung an Pflanzennahrung neben dem Fleisch die wilden Katzen und Hunde zu Dienern des Menschen gemacht, so hat die Angewöhnung an die Fleischnahrung neben der Pflanzenkost wesentlich dazu beigetragen, dem werdenden Menschen Körperkraft und Selbständigkeit zu geben. Am wesentlichsten aber war die Wirkung der Fleischnahrung auf das Gehirn, dem nun die zu seiner Ernährung und Entwicklung nötigen Stoffe weit reichlicher zuflossen als bisher, und das sich daher von Geschlecht zu Geschlecht rascher und vollkommener ausbilden konnte.” (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, S. 186.) Richard Leakey kommt zum gleichen Ergebnis und bringt den Fleischkonsum auch mit einschneidenden Veränderungen der sozialen Organisation in Verbindung. Bei den meisten anderen Primaten herrscht zwischen den männlichen Tieren eine scharfe Konkurrenz um die Paarung mit den Weibchen. Das zeigt sich auch im beträchtlichen Unterschied in der Körpergröße zwischen männlichen und weiblichen Pavianen in der Savanne. Auch frühe Hominiden, wie der Australopithecus afarensis, zeichnen sich durch diese beträchtliche Ungleichheit der zwei Geschlechter aus. Dies deutet auf eine näher dem Affen als dem Menschen gelegene Sozialstruktur hin. In andere Worte gefasst: Auch wenn physikalische Anpassungen wie etwa die aufrechte Körperhaltung eine Voraussetzung für die menschliche Evolution bilden, so können wir, im Gegensatz zu Richard Leakeys Ansatz, die frühen Hominiden nicht als Menschen bezeichnen. Männliche Paviane (doppelt so groß wie die Weibchen) etwa verlassen sofort nach Erreichen der Geschlechtsreife ihr Rudel und schließen sich einer anderen Gruppe an. Dort treten sie sofort in Konkurrenz zu den etablierten Männchen. Aus darwinistischer Sicht haben diese Männchen keinen (genetischen) Grund untereinander zu kooperieren. Anders bei den Schimpansen. Dort wandern, aus noch unbekannten Gründen, die weiblichen Gruppenmitglieder aus, während die Männchen in jener Sippe bleiben in die sie hineingeboren wurden. Männliche Schimpansen haben aufgrund ihrer genetischen Verwandtschaft einen darwinistischen Grund zur Kooperation. Dies geschieht in Form von Verteidigung der Sippe vor äußeren Feinden und gelegentlich auch in einer gemeinsamen Jagd nach Affen zur Bereicherung ihrer Nahrung. Der kooperative Charakter ihrer Gemeinschaft reflektiert sich auch im Körperbau. Der Größenunterschied zwischen Weibchen und Männchen beträgt nur 15-20 Prozent. Die großen körperlichen Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Skelett des Australopithecus afarensis ließen die Wissenschaftler erst glauben, dass sie es mit zwei verschiedenen Arten zu tun hätten. Der geschlechtsspezifische Größenunterschied bei unseren ersten menschlichen Vorläufern verkleinert sich, wie bei den Schimpansen, unseren nächsten genetischen Verwandten, auf etwa 20 Prozent. Dazu schreibt Leakey: “Wie die beiden Anthropologen Robert Foley und Phyllis Lee von der Universität Cambridge herausgefunden haben, kommt in dieser Änderung der Größenunterschiede zur Zeit der Entstehung des Homo mit Sicherheit auch eine veränderte soziale Organisation zum Ausdruck. Höchstwahrscheinlich blieben die Männchen der frühen Homo mit Brüdern und Halbbrüdern in ihren Geburtsgruppen, während die Weibchen in andere Gruppen abwanderten. Wie bereits gesagt, verstärkt Verwandtschaft eine Kooperation zwischen den Männchen. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was diese Veränderung der sozialen Organisation ausgelöst hat: Eine verstärkte Kooperation unter den Männchen muß aus irgendeinem Grund besonders vorteilhaft gewesen sein. Einige Anthropologen gehen davon aus, dass die Verteidigung gegen Nachbarhorden von Homo habe dabei eine besondere Rolle gespielt habe. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist jedoch ein Wandel im Hinblick auf ökonomische Erfordernisse. Manche Befunde sprechen für eine Änderung der Nahrung von Homo, wobei Fleisch als Energie- und Eiweißlieferant eine wichtige Rolle spielte. Das veränderte Gebiß beim frühen Homo deutet auf Fleischfresser, ebenso die Entwicklung einer Technik zur Herstellung von Steinwerkzeugen. Außerdem hat die Vergrößerung des Gehirns, die ebenfalls zur Evolution von Homo gehört, möglicherweise sogar erfordert, daß die Art eine wesentlich energiereichere Nahrung aufnahm.” (Richard Leakey, Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München 1997, S. 81f.) Es ist allgemein bekannt, dass das Gehirn ein sehr stoffwechselaufwendiges Organ ist. Obwohl es beim modernen Menschen nur etwa zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es etwa 20 Prozent der gesamten Energie. Laut dem australischen Anthropologen Robert Martin konnte die Zunahme der Gehirngröße der frühen Menschen nur auf Basis einer erweiterten Energiezufuhr erreicht werden, die nur Fleisch mit seiner hohen Konzentration an Kalorien, Proteinen und Fetten ausreichend ermöglichte. Ursprünglich griffen die Hominiden hauptsächlich auf vorgefundenes Aas und seltener auf die Jagd (wie es auch bei Schimpansen vorkommt) zurück. Ohne Zweifel nimmt die Jagd eine immer größere Rolle in der Versorgung mit abwechslungs- und nährstoffreicherer Kost ein – mit weitreichenden evolutionären Konsequenzen. Hypothesen zur menschlichen Entwicklung In den letzten Jahren fand eine heftige Auseinandersetzung über die Rolle der Jagd in der frühen menschlichen Gesellschaft statt. Die durchgängige Tendenz dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung war es, die Rolle der Jagd niedriger zu bewerten und demgegenüber die Rolle des Sammelns von Pflanzen und die Verwertung von Aas höher einzuschätzen. Wenn diese Diskussion auch noch nicht eindeutig entschieden ist, so fällt es uns doch nicht schwer, Leakeys´ Einschätzung, dass die Einwände gegen die Rolle der Jagd über das Ziel hinausschießen, nicht zu teilen. Es ist durchaus festzuhalten, dass solche Kontoversen oft entscheidender von Vorurteilen, gesellschaftlichen Wertvorstellungen und modischen Erscheinungen geprägt sind, die nichts mit der eigentlichen Thematik zu tun haben. Bei Anbruch des 20. Jahrhunderts dominierte die idealistische Sichtweise. Dank des Gehirnes wurde der Mensch zum Menschen, und die höhere Denkleistung ist die Triebkraft aller Entwicklung. Später wurde diese Sichtweise unter dem Motto “der Mensch als Werkzeugmacher” wieder aufgewärmt. Es ist ein eher idealisiertes Modell, das Werkzeuge, nicht jedoch Waffen ins Zentrum der menschlichen Evolution stellt. Die schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges leiteten eine Gegenreaktion ein, die in die Theorie “Der Mensch der Killer-Affe” synthetisiert wurde, “eine bequeme Entschuldigung für Gewalttätigkeit und Krieg” (Richard Leakey, Die Suche nach dem Menschen. Wie wir wurden, was wir sind, Frankfurt am Main 1981, S. 242.), wie Leakey gewitzt anmerkt. In den 1960er Jahren richtete sich das große Interesse auf Kung San - den fälschlicherweise als “Buschmann” bezeichneten Bewohner der Wüste Kalahari. Eine menschliche Gruppe, die in scheinbarer Harmonie in und unter Ausnutzung komplexer Strategien von der naturbelassenen Umwelt lebt. Dieses Bild passte gut ins gesteigerte Interesse an Umweltthemen im Westen. Auch werden wir Menschen nicht darin bestärken, sich vegetarisch zu ernähren, wenn wir bestreiten, dass der Fleischkonsum, die Jagd, ja sogar der Kannibalismus eine fundamentale Rolle in der Entwicklung des menschlichen Gehirns spielte. „Mit Verlaub der Herren Vegetarianer, der Mensch ist nicht ohne Fleischnahrung zustande gekommen, und wenn die Fleischnahrung auch bei allen uns bekannten Völkern zu irgendeiner Zeit einmal zur Menschenfresserei geführt hat (die Vorfahren der Berliner, die Weletaben oder Wilzen, aßen ihre Eltern noch im 10. Jahrhundert), so kann uns das heute nichts mehr ausmachen.“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, MEW Bd. 20., S. 449 f.) Ebenso können wir davon ausgehen, dass in den frühen menschlichen Gesellschaften eine Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau existiert hat. Die Arbeitsteilung der frühen menschlichen Gesellschaft, in der es weder Privateigentum noch die Familie im heutigen Sinn gab, darf aber nicht mit der Unterdrückung und dem ungleichen Status der Frau in der modernen Klassengesellschaft verwechselt werden. In der Mehrzahl der den Anthropologen bekannten Jäger- und Sammlergesellschaften existieren Elemente der Arbeitsteilung. Die tierische Nahrung wurde tendenziell von Männern, pflanzliche Nahrung tendenziell von Frauen eingebracht. “Das Lager ist ein Ort intensiver sozialer Kontakte und außerdem ein Zentrum der Verteilung von Nahrung; waren die Jäger erfolgreich, so wird das Fleisch häufig im Rahmen eines komplizierten Rituals verteilt, das strengen sozialen Regeln unterliegt.” (Richard Leakey, Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München 1997, S. 89.) Es gibt relevante Hinweise, dass die frühe menschliche Gesellschaft ähnlich organisiert war. Im Gegensatz zu sozialdarwinistischen Theorien, die versuchen die kapitalistischen Gesetze des Dschungels auf die gesamte menschliche (Ur-)Geschichte anzuwenden, deuten alle vorhandenen Hinweise darauf hin, dass die frühen menschlichen Gesellschaften auf Kooperation, kollektive Aktivität und dem Teilen beruhten. Glynn Issac, Professor der Harvard University veröffentlichte 1978 im “Scientific American” einen anthropologisch bahnbrechenden Artikel. Issacs´ Theorie der Nahrungsmittelteilung betont die sozialen Auswirkungen des kollektiven Nahrungsmittelerwerbs und deren Aufteilung. In einer Rede zum hundertjährigen Todestages von Darwin sagt er: “Das gemeinsame Verteilen der Nahrung wäre der Entwicklung der Sprache, einer sozialen Gegenseitigkeit und des Intellekts zugute gekommen.” (Zitiert nach Richard Leakey, Die ersten Spuren. Über den Ursprung des Menschen, München 1997, S. 92.) In seinem jüngsten Buch “Die ersten Spuren” schreibt Leakey, dass er glaube, “daß die Theorie des Nahrungsteilens die besten Chancen hat, uns eine Erklärung zu liefern, was die frühen Hominiden auf den Weg zum modernen Menschen brachte." (Richard Leakey, Die Suche nach dem Menschen. Wie wir wurden, was wir sind, München 1997, S. 95.) Die letzten zwei Millionen Jahre waren durch einen einzigartigen Klimazyklus charakterisiert. Lange Perioden intensiver Abkühlung und der Vordringend von Gletschern wurden durch kurze Perioden der Erderwärmung und des Rückgangs der Gletscher unterbrochen. Eiszeiten haben in dieser Periode etwa 100.000 Jahre gedauert, interglaziale Wärmeperioden dauern etwa 10.000 Jahre an. Unter diesen extremen Perioden waren die Säuger gezwungen, entweder höher entwickelte Arten hervorzubringen oder wieder auszusterben. Aus einer Gesamtheit von 119 Säugerarten, die vor 2 Millionen Jahren Europa und Asien bevölkerten, überlebten bis in die Jetztzeit nur neun. Der große Rest entwickelte sich entweder in höhere Lebensformen oder starb aus. Einmal mehr sind Geburt und Tod in einen widersprüchlichen bitter-süßen dialektischen Prozess ineinander verwoben. Die letzte Eiszeit wurde von einer neuen interglazialen Periode, in der wir heute leben, abgelöst. Doch die heutige Wärmeperiode wird wieder ihr Ende finden. Homo errectus war der Vorläufer eines höher entwickelten Hominiden, des Homo sapiens, der sich vor etwa 500.000 Jahren auf den Weg machte. Der heutige Mensch (Homo sapiens sapiens) repräsentiert eine evolutionäre Linie, die sich vor etwa 100.000 Jahren vom Homo sapiens abzweigte. Eine andere Verzweigung des Stammbaums der Hominiden zur Zeit des Homo sapiens ist der Homo sapiens neanderthalensis. Diese evolutionäre Linie ist entweder vor 40.000 Jahren ausgestorben, oder wurde vom Homo sapiens sapiens absorbiert. Der heutige Mensch entwickelte sich nun also in einer Periode der intensiven Erdabkühlung. Unter diesen Bedingungen herrschte ein harter Kampf ums Überleben. In Perioden der Erderwärmung kam es zur massiven Vermehrung und Migration des Menschen. Das Zeitalter der Menschheit bricht heran. Engels und der Ursprung des Menschen Welchen Stellenwert haben die Ideen Engels, dargelegt in Der Anteil der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen unter Berücksichtigung der jüngsten Fortschritte in der Erforschung der Evolution? Einer der bedeutensten modernen Paläontologen Stephen J. Gould unterstreicht in seinem Buch “Darwin nach Darwin” die Bedeutung des Engel’schen Aufsatzes: „In der Tat, das 19. Jahrhundert hat eine hervorragende Darstellung hervorgebracht, deren Quelle wird ohne Zweifel die meisten Leser erstaunen – Friedrich Engels. (Eine kurze Reflexion kann die Überraschung rasch klären. Engels war für sein Interesse an den Naturwissenschaften bekannt und suchte seine philosophische Haltung, den dialektischen Materialismus auf ein `positives` Fundament zu stellen. Er konnte seine „Dialektik der Natur“ nicht mehr vollenden, aber er widmete der Wissenschaft lange Erwähnungen in solchen Abhandlungen wie dem Anti-Dühring.) 1876 schrieb Engels das Werk Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen. Es wurde posthum 1896 veröffentlicht und hatte unglücklicherweise keinen sichtbaren Einfluss auf die westliche Wissenschaft.“ „Engels erwägt drei wesentliche Faktoren der menschlichen Evolution: Sprache, großes Gehirn und aufrechte Haltung. Er stellt die These auf, der erste Schritt müsse der Abstieg von den Bäumen gewesen sein, in dessen Folge unsere bereits den Boden bewohnenden Vorfahren die aufrechte Haltung entwickelt hätten. 'Wohl zunächst durch ihre Lebensweise veranlaßt, die beim Klettern den Händen andre Geschäfte zuweist als den Füßen, fingen diese Affen an, auf ebner Erde sich der Beihülfe der Hände beim Gehen zu entwöhnen und einen mehr und mehr aufrechten Gang anzunehmen. Damit war der entscheidende Schritt getan für den Übergang vom Affen zum Menschen.' Die aufrechte Haltung machte die Hände für den Gebrauch von Werkzeug frei (für die Arbeit, in Engels' Terminologie); danach erst kam die Zunahme der Intelligenz und die Sprache.“ (Stephen Jay Gould, Darwin nach Darwin. Naturgeschichtliche Reflexionen, Frankfurt am Main 1984, S. 178; der erste Absatz des Zitates ist eine eigene Übersetzung, da dieser in der deutschsprachigen Ausgabe nicht wiedergegeben ist.) Trotz allem führen idealistische Theorien hartnäckige Rückzugsgefechte gegen die materialistische Weltsicht, dies wird etwa im folgenden Auszug eines 1995 veröffentlichten Buches deutlich: “Der Motor, der wahrscheinlich unsere Evolution vorwärtsgetrieben hat (ist) ... der Prozess der kulturellen Evolution. Wie die menschliche Kultur sich Richtung erhöhter Komplexität entwickelte, so entfalteten sich auch die Gehirne, die wiederum unsere Körper mitzogen und somit in einer Schleife wieder die Möglichkeiten der kulturellen Praxis erweiterten. Größere und intelligentere Gehirne führten zu komplexerer Kultur und der Körperbau fügt sich ein, um aus dem Vollen schöpfen zu können, was wiederum zu noch größeren und intelligenteren Gehirnen führte.” (Christopher Wills, The Runaway Brain, The Evolution of Human Uniqueness, New York 1993; Seite xxii.) Idealisten haben wiederholt versucht als entscheidende Trennlinie zwischen dem Menschen und “niederen” Tieren die höhere Intelligenz zu etablieren. Offensichtlich hat die frühe Menschheit aus unerklärlichen Gründen “Intelligenz erlangt”, begann dann zu sprechen, Werkzeuge zu benützen, Wandbilder anzufertigen usw.. Wenn dies so der Fall gewesen wäre, dann müsste man vom frühesten Hominiden an, eine signifikante Erhöhung des Gehirnvolumens erkennen können. Die fossilen Funde sprechen jedoch eine andere Sprache. Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte sehen wir eine Reihe von weitreichenden Fortschritten in der Paläontologie, ausgelöst durch neue, bemerkenswerte Fossilfunde und neue Wege der Auswertung. Eine dieser neuren Theorien geht davon aus, dass die ersten aufrecht gehenden Affen bereits vor sieben Millionen Jahren Teile der Erde bevölkerten. In einem Prozess, der von BiologInnen “adaptive Radiation” genannt wird, kommt es infolge zu einer Ausbreitung der Zweifüßler-Arten mit der Evolution von vielen verschiedenen, an die jeweiligen Umweltbedingungen angepassten Arten. Vor etwa drei bis zwei Millionen Jahren, entwickelte eine dieser Art ein deutlich größeres Hirn - Homo erectus. Diese Art war die erste, die Feuer benutzte, ein Großteil der Nahrung aus der Jagd bezog, sich auf die selbe Weise wie moderne Menschen fortbewegte und Werkzeuge nach einem bestimmten vorgefassten Plan herstellte. Die sprunghafte Vergrößerung des Gehirnvolumens fällt in die Zeit der Herstellung der ersten Werkzeuge vor etwa 2,5 Millionen Jahren. Über einen Zeitraum von fünf Millionen Jahren sehen wir keine signifikante Ausweitung der Gehirnvolumens, dann eine plötzliche Expansion, die zeitlich eindeutig mit der Herstellung von Werkzeugen zusammenfällt. Die Molekularbiologie datiert die ersten hominiden Arten etwa fünf Millionen Jahre zurück. Hier wird ein bipedaler Affe mit langen Armen und gekrümmten Fingern beschrieben. Der proto-hominide Australopithecus hatte mit einem Volumen von etwa 400 Kubikzentimetern ein kleines Hirn. Homo habilis setzte zum qualitativen Sprung an. Sein Gehirnvolumen vergrößerte sich um erstaunliche 50 Prozent auf mehr als 600 Kubikzentimeter. Homo erectus mit einer Gehirngröße zwischen 850 und 1100 Kubikzentimetern markiert den nächsten großen Fortschritt. Erst mit dem Aufkommen des modernen Menschen vor etwa 100.000 Jahren erreicht das Gehirn mit 1350 ccm seine heutige Größe. Wir sehen - die frühen Hominiden waren nicht mit großen Gehirnen gesegnet. Es war nicht das Hirn, das die menschliche Evolution weitertrieb. Im Gegenteil, die Vergrößerung des Hirnes war das Produkt der menschlichen Evolution, im speziellen der Werkzeugherstellung. Der qualitative Sprung des Gehirnsvolumens findet mit Homo habilis (Handmensch) statt, und läßt sich eindeutig mit der Produktion von Steinwerkzeugen in Verbindung bringen. Ein weiterer qualitativer Sprung kann vom Übergang des Homo erectus zum Homo sapiens nachvollzogen werden. “Der menschliche Verstand tritt mit überraschender Plötzlichkeit auf”, schreibt John McCrone. “Vor erst 70.000 Jahren – ein Wimpernzucken im geologischem Zeitmaßstab – wandeln sich unsere Vorfahren von schlauen Affen zum, sich seiner selbst bewussten, Homo Sapiens. Auf der anderen Seite dieser evolutionären Grenze steht der Homo erectus, ein geschicktes Tier, dessen Gehirn fast so groß wie jenes des heutigen Menschen ist, der eine elementare Werkzeugkultur und die Handhabung des Feuers beherrscht - aber von seinem Verstand her noch etwas hinterher hinkt. Auf unserer Seite steht Homo sapiens mit Ritualen und symbolischer Kunst - Höhlenmalereien, Halsketten und Armschmuck, dekorativen Lichtquellen und einer Gräberkultur – die den Beginn eines sich selbst bewussten Verstandes markieren. Etwas plötzliches und dramatisches muss passiert sein, und dieses Ereignis könnte der Ausgangspunkt für die Herausbildung des menschlichen Bewusstsein sein.” (Mccrone John, in: New Scientist, 29. Januar 1994, S. 28.) Können Affen Werkzeuge herstellen? In den letzten Jahren entwickelte sich der modische Trend, die Unterschiede zwischen der Menschheit und dem Rest des Tierreiches bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen. In gewisser Weise ist dies noch dem idealistischen Nonsens der Vergangenheit vorzuziehen. Menschen sind Tiere und teilen mit anderen Tieren, besonders mit unseren nächsten Verwandten, den Affen, viele Merkmale. Die genetische Differenz zwischen Menschen und Schimpansen beträgt nur etwa zwei Prozent. Doch auch hier kommt es zum Umschlagen von Quantität in Qualität. Diese zwei Prozent bezeichnen einen qualitativen Sprung, der die Menschheit entscheidend von allen andere Spezies unterscheidet. Die Entdeckung der sehr seltenen Bonobo-Schimpansen, die dem Menschen näher stehen als alle anderen Schimpansen, hat großes Interesse wachgerufen. In ihrem Buch “Kanzi, der sprechende Schimpanse” (Fußnote: Anmerkung der Übersetzer: Die deutschen Herausgeber des zitierten Buches wählten einen sehr unsachlichen Titel, der dem Argument des Buches widerspricht. Der wörtlich übersetzte Originaltitel lautet: “Kanzi, der Affe an der Grenze zum menschlichen Verstand”) geben Sue Savage-Rumbaugh und Roger Lewin einen detaillierten Bericht über ihre Untersuchungen der mentalen Kapazitäten des in Gefangenschaft lebenden Bonobos Kanzi. Zweifellos ist die an den Tag gelegte Intelligenz von Kanzi deutlich höher als alles was bei Nicht-Menschen beobachtet werden konnte, in einigen Aspekten sogar dem menschlichen Kind ähnlich. Vor allem konnte auch das vorhandene Potential zur “Werkzeugherstellung” nachgewiesen werden. Diese Ergebnisse sind ein gewichtiges Argument zugunsten der Evolutionstheorie. Entscheidend bei diesen Experimenten war jedoch das vollkommene Scheitern des versuchs, dem Bonobo die Herstellung von Steinwerkzeugen beizubringen. In freier Wildbahn verwenden Schimpansen “Werkzeuge” – wie Stöcke, um Termiten aus ihrem Bau herauszufischen und Steine als “Amboss” zum Knacken von Nüssen. Alle diese Handlungen zeugen von einem hohen Intelligenzniveau und beweisen unzweifelhaft, dass die nächsten Verwandten der Menschheit mentale Voraussetzungen für komplexere Aktivitäten besitzen. Das Potential zur Werkzeugherstellung ist nicht das selbe wie die tatsächliche Produktion, genauso wie die Lottochance auf 10 Millionen Pfund nicht mit dem Gewinn zu vergleichen ist. Überdies erweist sich dieses Potential bei genauerem Hinsehen als äußerst relativ. Heutige Schimpansen jagen gelegentlich kleine Affen. Dazu benutzen sie jedoch keine Waffen oder Werkzeuge, sondern nur ihre Zähne. Frühe Menschen waren fähig, große Kadaver mit scharfen Steinwerkzeugen zu zerlegen. Zweifellos verwendeten die frühen Hominiden von Natur aus geeignet beschaffene Geräte wie z.B. Grabstöcke. Das gleiche können wir bei Schimpansen beobachten. Wenn die Hominiden ihre Nahrung auf vegetarische Kost beschränkt hätten, wäre es nicht notwendig geworden, Steinwerkzeuge herzustellen. Aber die Fähigkeit, Gerätschaften aus Stein zu produzieren, eröffnete neue, bis dahin verschlossene Nahrungsmittelquellen. Dies gilt auch dann, wenn wir davon ausgehen, dass die tierische Nahrung des frühen Menschen vor allem aus Aas bestand. Selbst dazu wurden Steinwerkzeuge gebraucht, um das Fell größerer Tiere zu durchschneiden. Die Proto-Hominiden der Oldowan-Kultur in Ostafrika wandten bereits sehr fortgeschrittene Techniken zur Herstellung von Steingeräten an, wie etwa das Abschlagen von Steinsplittern. Sie verwendeten nur ausgesuchte Steine, setzten die Behauung im geeigneten Winkel an,... .Dies zeugt von einem hohen Niveau an Raffinesse und Sachkenntnis. Diese sind bei der “Arbeit” von Kanzi nicht vorhanden, trotz des aktiven Eingreifens von Menschen, die versuchten, dem Bonobo die Herstellung eines Gerätes beizubringen. Nach wiederholten Versuchen mussten die Biologen ihr Scheitern eingestehen: "Bisher hat Kanzi im Vergleich zu den frühsteinzeitlichen Funden bei allen (vier Kriterien) einen relativ niedrigen technischen Verfeinerungsgrad erreicht." (Sue Savage-Rumgaugh und Roger Lewin, Kanzi, der sprechende Schimpanse. Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, München 1995, S. 247.) Die Autoren resumieren: "Bei der Fähigkeit der Steinbearbeitung gibt es also deutliche Unterschiede zwischen Kanzi und den Herstellern der Oldowan-Werkzeuge." (Sue Savage-Rumgaugh und Roger Lewin, Kanzi, der sprechende Schimpanse. Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, München 1995, S. 247f.) Einer der vielen Unterschiede, die den primitivsten Hominden vom höchstentwickelten Affen abgrenzen, liegt in den wichtigen Veränderungen des Körperbaus in Verbindung mit dem aufrechten Gang. So ist beispielsweise die Struktur der Arme und der Handgelenke eines Bonobo deutlich anders als jene des Menschen. Die langen gewundenen Finger und der kurze Daumen erlauben es nicht einen Stein so kräftig zu halten, um ihn dann gezielt zu behauen. Diese Tatsache wurde bereits von anderen Wissenschaftlern festgehalten. Die Hand des Schimpansen weist zwar einen gut entwickelten und abgesetzten Daumen auf, der ist “aber kurz und kann den Zeigefinger nur an der Seite, aber nicht an der Spitze berühren. Der Daumen an der Hand des Hominiden ist viel länger und liegt neben dem Zeigefinger. Das ist ein Zeichen der Weiterentwicklung zum aufrechten Gang und erhöht die Geschicklichkeit der Hand. Alle Hominiden haben augenscheinlich solche Hände gehabt - auch der älteste heute bekannt, der afarensis. Seine Hand läßt sich von der des heutigen Menschen kaum unterscheiden.” (D.C. Johanson und M.A. Edey, Lucy - Die Anfänge der Menschheit, München 1982, S. 397.) Trotz aller Versuche, die Unterschiede zwischen den entwickeltsten Affen und den primitivsten Hominiden zu verwischen, sind diese ohne jeden Zweifel nachgewiesen. Ironischerweise versuchten alle diese Experimente, die Idee vom Menschen als werkzeugmachenden Tier zu widerlegen, sie bewiesen jedoch genau das Gegenteil. Menschen und Sprache Ähnlich wie versucht wurde nachzuweisen, dass die Werkzeugherstellung keine entscheidende menschliche Besonderheit darstellt, versuchten auch einige Wissenschaftler, die Sprachfähigkeit zu relativieren. Es wurde ursprünglich angenommen, dass das Sprachzentrum im Gehirn, das sogenannte Broca-Zentrum, nur beim Menschen vorhanden sei. Heute wissen wir, dass dies nicht der Fall ist. Die Entdeckung dieser Gehirnregion bei anderen Tieren führte zu einer Infragestellung der Annahme, dass die Aneignung der Sprache auf Menschen beschränkt sei. Dieser Einwand ist leicht zu widerlegen. Außer dem Menschen gibt es keine andere Spezies, deren Arterhaltung schicksalhaft mit der Sprachfähigkeit verbunden ist. Die Sprache ist wesentlich für das Funktionieren der gemeinschaftlich organisierten Produktion, der Grundlage der menschlichen Gesellschaft. Um nachzuweisen, dass andere Tiere bis zu einem gewissen Ausmaß miteinander kommunizieren können, ist es nicht notwendig, das Verhalten der Bonobos zu studieren. Auch viele niederere Arten, nicht nur Säuger, sondern auch Vögel und Insekten, bedienen sich recht ausgeklügelter Kommunikationssystemen. Ameisen und Bienen etwa sind sehr soziale Lebewesen und benützen hochentwickelte Kommunikationsformen. Daraus können wir aber nicht schließen, dass dahinter intelligentes Denken, oder überhaupt eine Form von Gedankenarbeit steckt. Diese Kommunikation ist angeboren, instinktiv und in ihrem Umfang sehr beschränkt. Ohne ihre Effektivität zu bezweifeln, ist es doch so, dass diese Interaktionen in Form von endlosen und mechanischen Wiederholungen stattfinden. Nur wenige würden dies als Sprache in unserem Sinne bezeichnen. Ein Papagei kann durch Übung ganze gesprochene Sätze wiederholen. Bedeutet dies, dass er sich unterhalten kann? Man kann sich leicht überzeugen, dass er Stimmen gut imitieren kann, aber der Vogel hat keine Ahnung was diese Laute bedeuten. Die Übermittlung einer Bedeutung ist aber der Kern von verständlicher Sprache. Bei höheren Säugern liegen die Dinge anders. Engels, ein begeisterter Jäger, äußerte sich einmal skeptisch darüber, ob Hunde und Pferde nicht doch die menschliche Sprache teilweise verstünden und traurig darüber seien, dass sie selbst nicht reden können. Gewiss ist das Niveau des Sprachverständnisses, das bei dem in Gefangenschaft lebenden Bonobo Kanzi beobachtet werden konnte, beachtlich. Trotz alledem bestehen spezifische Gründe dafür, dass unter allen Tieren nur der Mensch eine Sprache besitzt. Nur Menschen haben einen Stimmapparat, der es ermöglicht, konsonantische Laute zu bilden. Einige Arten können Laute schnalzen und zischen. Tatsächlich können Konsonanten nur gemeinsam mit Vokalen (Selbstlauten) gebildet werden, sonst würden sie zu Schnalzern und Zischlauten verkümmern. Wie die Studie über Kanzi zeigt, ist die Fähigkeit, Konsonanten auszusprechen, ein Produkt des aufrechten Ganges: “Einen Stimmapparat, der die Produktion von Konsonanten ermöglicht, besitzt nur der Mensch. Die Unterschiede zwischen unseren Stimmorganen und denen der Menschenaffen sind zwar relativ gering, aber bedeutsam; sie entstanden wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des aufrechten Ganges und der damit verbundenen Notwendigkeit, den Kopf aufrecht und im Gleichgewicht zu halten. Ein Kopf mit einem großen, schweren Unterkiefer würde seinen Besitzer zwingen, vornübergebeugt zu gehen und ihn an schnellem Laufen hindern. Damit eine ausbalancierte, aufrechte Haltung entstehen konnte, mußte sich der Unterkiefer zurückbilden, und dabei wurde der charakteristische schrägstehende Stimmapparat der Affen im rechten Winkel abgeknickt. Mit der Verkleinerung des Kiefers und der Abflachung des Gesichts konnte auch die Zunge nicht mehr in voller Länge im Mund liegen: Sie wanderte ein Stück nach hinten in den Rachen und wurde dort zu einem Teil der oberen Atemwege. Die bewegliche Zunge ermöglicht eine Formveränderung des Rachenraums, die Affen nicht möglich ist, denn bei ihnen liegt die Zunge weiter vorn im Mund. Außerdem hat die scharfe Biegung der Atmenwege oberhalb des Kehlkopfs zur Folge, daß der Abstand zwischen weichem Gaumen und Rachenrückwand sehr gering ist. Durch Anheben des weichen Gaumens können wir den Luftstrom durch die Nase unterbrechen und so die Turbulenzen erzeugen, die zur Entstehung der Konsonanten notwendig sind.” (Sue Savage-Rumgaugh und Roger Lewin, Kanzi, der sprechende Schimpanse. Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, München 1995, S. 255.) Ohne Konsonanten fällt es uns viel schwerer, zwischen dem einen und dem anderen Wort zu unterscheiden - Geheule und Gekreische wäre das Ergebnis. Damit können wir nur eine begrenzte Informationsweitergabe bewerkstelligen: “Sprache ist unendlich vielfältig, und derzeit kann nur das menschliche Ohr in diesen variablen Klangmustern die sinntragenden Einheiten ausmachen. Das Mittel zu diesem Zweck sind die Konsonanten.” (Sue Savage-Rumgaugh und Roger Lewin, Kanzi, der sprechende Schimpanse. Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, München 1995, S. 256.) Menschliche Babies sind schon in ihren frühen Tagen fähig, auf gleiche Weise wie Erwachsene, Konsonanten zu kategorisieren. Wer schon einmal einem Kleinkind genauer zugehört hat, kann dies bestätigen. “Babysprache” besteht aus einer experimentellen Abfolge von konstant wiederholten Silbenkombinationen aus Konsonanten und Vokalen - “ba-ba, pa-pa, ta-ta, ma-ma,...”. Selbst in dieser frühen Entwicklungsstufe bewältigt das menschliche Baby eine Aufgabe, an der alle anderen Tiere scheitern würden. Können wir daraus schließen, dass der Grund für die Sprachunfähigkeit der Tiere rein physiologisch bedingt ist? Das wäre ein schwerer Fehler. Der Aufbau des Sprachapparates und die physikalische Fähigkeit, Vokale und Konsonanten zu kombinieren, sind körperliche Voraussetzungen für die Sprache, aber nicht mehr als das. Erst die Entwicklung der Hand, die untrennbar mit Arbeit und der Notwendigkeit der Herausbildung einer arbeitsteiligen Gesellschaft verbunden ist, ermöglicht die Zunahme des Gehirnvolumens und der Sprache. Es scheint, dass die Gehirnregionen, die den Gebrauch von Werkzeugen und die Sprache steuern, in der Frühentwicklung des kleinkindlichen Nervensystems einen gemeinsamen Ursprung haben und erst im Alter von zwei Jahren getrennt werden, sobald das Broca-Zentrum unterschiedliche Schaltkreise im vorderen Teil des Stirnlappens der Großhirnrinde verbindet. Allein dies ist schon ein wichtiger Hinweis auf die enge Beziehung von Sprache und der Herstellung von Werkzeugen. Sprache und Handfertigkeit entwickelten sich in Abhängigkeit voneinander, diese Evolution reproduziert sich bis zum heutigen Tag in der Entwicklung eines menschlichen Kindes. Selbst die frühesten Hominiden der Oldowan-Kultur hatten gegenüber Affen eine weit fortgeschrittenere Handfertigkeit. Diese Hominiden waren nicht nur “aufrechte Schimpansen”. Die Herstellung eines noch so einfach erscheinenden Faustkeiles ist weit komplexer als es erscheinen mag. Hier ist Planung und Voraussicht gefordert. Der Homo habilis plante seine Zukunft. Er musste wissen, dass er irgendwann in der kommenden Zeit ein Werkzeug benötigen würde, obwohl er dafür in dem Moment, als er das passende Rohmaterial fand, keine Verwendung hatte. Die sorgfältige Auswahl der geeigneten Steinart, die Versuche, den richtigen Schlagwinkel herauszufinden: all dies manifestiert eine intellektuelle Kapazität, die weit über der eines Affen liegt. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass nicht bereits zu jener Zeit eine rudimentäre Sprache verwendet wurde. Es gibt auch weitere Hinweise in diese Richtung. Etwa 90 Prozent der Menschen sind RechtshänderInnen. Eine solche Bevorzugung einer Hand kann bei anderen Primaten nicht beobachtet werden. Ein Affe ist entweder ein Rechtshänder oder ein Linkshänder, die Gesamtheit der Affen wird in etwa zu gleichen Teilen Rechtshänder oder Linkshänder sein. Das Phänomen der Links- und Rechtshändigkeit ist eng mit der Handfertigkeit und der Sprache verbunden: “Die zugehörige Gehirnfunktion liegt in der entgegengesetzten Hirnhälfte. In der linken Gehirnhälfte ist aber bei den (meisten) Rechtshändern nicht nur die manuelle Geschicklichkeit angesiedelt, sondern auch die Sprachfähigkeit. Die rechte Hälfte dagegen hat sich auf die räumliche Orientierung spezialisiert.” (Sue Savage-Rumgaugh und Roger Lewin, Kanzi, der sprechende Schimpanse. Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, München 1995, S. 265.) Dieses Phänomen gibt es beim Australopithecus nicht, konnte aber bereits am Schädel der frühesten Homo habilis, der ersten Werkzeugmacher, nachgewiesen werden. Eine Zufälligkeit ist hier sehr unwahrscheinlich. Zur Zeit des Homo erectus wird die Beweislage erdrückend: “Diese drei anatomischen Beweislinien - Gehirn, Stimmapparat und die Fähigkeit, Werkzeuge zu benutzen - sind die wichtigste Grundlage für die Vorstellung von einer langsamen, allmählichen Veränderung, die schließlich zur Sprache führte. Parallel zu den Veränderungen in Gehirn und Stimmapparat fanden nach und nach auch Umbildungen der Hände statt, die für die Herstellung und Verwendung von Werkzeugen zunehmend geeigneter wurden.” (Sue Savage-Rumgaugh und Roger Lewin, Kanzi, der sprechende Schimpanse. Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, München 1995, S. 266.) Die Entstehung der Menschheit stellt einen qualitativen Sprung in der Evolution dar. Hier wird sich die Materie erstmals ihrer selbst bewusst. An die Stelle der unbewussten Evolution tritt nun die Geschichte. Hierzu schrieb Friedrich Engels: “Mit dem Menschen treten wir ein in die Geschichte. Auch die Tiere haben eine Geschichte, die ihrer Abstammung und allmählichen Entwicklung bis auf ihren heutigen Stand. Aber diese Geschichte wird für sie gemacht, und soweit sie selbst daran teilnehmen, geschieht es ohne ihr Wissen und Wollen. Die Menschen dagegen, je mehr sie sich vom Tier im engeren Sinn entfernen, desto mehr machen sie ihre Geschichte selbst, mit Bewußtsein, desto geringer wird der Einfluß unvorhergesehener Wirkungen, unkontrollierter Kräfte auf diese Geschichte, desto genauer entspricht der geschichtliche Erfolg dem vorher festgestellten Zweck. Legen wir aber diesen Maßstab an die menschliche Geschichte, selbst der entwickeltsten Völker der Gegenwart, so finden wir, daß hier noch immer ein kolossales Mißverhältnis besteht zwischen den vorgesteckten Zielen und den erreichten Resultaten, daß die unvorhergesehenen Wirkungen vorherrschen, daß die unkontrollierten Kräfte weit mächtiger sind als die planmäßig in Bewegung gesetzten. Und dies kann nicht anders sein, solange die wesentlichste geschichtliche Tätigkeit der Menschen, diejenige, die sie aus der Tierheit zur Menschheit emporgehoben hat, die die materielle Grundlage aller ihrer übrigen Tätigkeiten bildet, die Produktion ihrer Lebensbedürfnisse, das heißt heutzutage die gesellschaftliche Produktion, erst recht dem Wechselspiel unbeabsichtigter Einwirkungen von unkontrollierten Kräften unterworfen ist und den gewollten Zweck nur ausnahmsweise, weit häufiger aber sein grades Gegenteil realisiert... Erst eine bewußte Organisation der gesellschaftlichen Produktion, in der planmäßig produziert und verteilt wird, kann die Menschen ebenso in gesellschaftlicher Beziehung aus der übrigen Tierwelt herausheben, wie dies die Produktion überhaupt für die Menschen in spezifischer Beziehung getan hat. Die geschichtliche Entwicklung macht eine solche Organisation täglich unumgänglicher, aber auch täglich möglicher. Von ihr wird eine neue Geschichtsepoche datieren, in der die Menschen selbst, und mit ihnen alle Zweige ihrer Tätigkeit, namentlich die Naturwissenschaft, einen Aufschwung nehmen werden, der alles Bisherige in tiefen Schatten stellt.” (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, S. 22f.) Alan Woods/ Ted Grant: Aufstand der Vernunft. Marxistische Philosophie und moderne Wissenschaft, Promedia Verlag, Wien 2002, ISBN 3-85371-197-9. Das Buch ist im Promedia Verlag erschienen und für 40 Euro bei uns erhältlich unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! 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Zum Buch: Alan Woods und Ted Grant legen mit ihrem Buch "Aufstand der Vernunft" eine kritische Bestandsaufnahme der modernen Naturwissenschaft vor. Die Debatten um die Bedeutung der Gene - sind sie gar für Kriminalität verantwortlich? - oder um den angeblichen Ursprung des Kosmos, wo nicht selten Gott eine triumphale Wiedereinsetzung auf einen Thron aus mathematischen Formeln feiert, beweisen nur: Die Wissenschaft agiert in keinem gesellschaftlichen Vakuum, sie muss vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher, ökonomischer und ideologischer Machtverhältnisse betrachtet werden. Gerade in den letzten 15 Jahren haben sich diese Machtverhältnisse so verändert, dass die Behauptung, die Lebenssituation der Menschen ist keine Folge der gesellschaftlichen, sondern der genetischen Konstellationen, wie gerufen zu kommen scheint. Die (parallel zu Arbeitsteilung in der Ökonomie) enorm gesteigerte Spezialisierung in der Naturwissenschaft leistet dabei der (oft ungewollten) ideologischen Interpretation durch andere Vorschub. In ihrem aktualisierten Vorwort weisen die Autoren darauf hin, dass die jüngsten Erkenntnisse über das menschliche Genom, den Argumenten der englischen Erstausgabe Recht geben und jedem genetischen Determinismus die Grundlage entziehen. Die Analyse der Autoren beschränkt sich jedoch nicht auf die gesellschaftliche Einbettung der Wissenschaft. Ihr zweites Augenmerk gilt deren philosophischen und methodologischen Grundlagen. Sie nehmen dabei Bezug auf jene Ideen, die Friedrich Engels vor über 160 Jahren mit seiner "Dialektik der Natur" präzisierte. In der Dialektik - als Logik der Bewegung, des Prozesses, der Interaktion und des Widerspruchs - fand er dabei den Schlüssel für die Erklärung von Kosmos, Natur und Gesellschaft. Gerade die erst Ende des 20. Jahrhunderts entstandenen Forschungsinteressen der Chaos- und Komplexitätstheorie scheinen eine Renaissance, ja Untermauerung der Grundbehauptungen der Dialektik zu bedeuten. Mit dem Buch "Der Aufstand der Vernunft" wird der detaillierte Versuch unternommen, die Ergebnisse dieser neuen Forschungszweige mit der dialektischen Philosophie in Bezug zu setzen. Weitere Themen und Wissenschaftsbereiche, die auf ihren ideologischen Gehalt und auf die Leistungsfähigkeit der dialektischen Methode hin untersucht werden sind: Kosmologie und Urknalltheroie, Atomphysik und "Kopenhager Interpretation", Genetik, Mathematik, Geologie sowie die Evolutionstheorie. Mit ihrer Arbeit appellieren Alan Woods und Ted Grant dafür, der enormen Spezialisierung in der Wissenschaft eine verstärkte Interdisziplinarität und Universität entgegenzusetzen sowie die modernen Naturwissenschaften mit einer materialistischen und dialektischen Philosophie zu verknüpfen. |