Kategorie: Theorie |
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Individueller Terror – ein (wirkungsloses) Zaubermittel mit fatalen Nebenwirkungen |
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Nitro, Glyzerin, allerlei Kabelmaterial. Des Meister Zaubertrank ist voll- endet! Hokus, Pokus - Puff, Puff- das Böse, es ist verflogen, und des Glückes schönste Seiten breiten sich aus. "Aus" ist das Stichwort- "Aus"der Traum. Der individuelle Terror wird seit Marx' Zeiten als Alternative zur Massenbewegung der Arbeiterklasse, ihren Bewusstseins- bildungen und ihren (oft lang dauernden) Erfahrungsprozessen präsentiert. Genauso gerne stellt er sich als Alternative zur Tätigkeit des einzelnen Revolutionärs und seiner oder ihrer (viel Geduld erfordernden) Überzeugungsarbeit und konkreten Unterstützung der auch noch so "unbedeutenden" Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen Ausbeutung und Unterdrückung. | |||
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Statt dessen - so die Vorkämpfer des individuellen Terrors - sollen die "trägen Massen" durch Bomben und Beseitigung exponierter Vertreter des Systems "wachgerüttelt" und "stimuliert" werden, soll für alle ersichtlich "der Faschismus im System ans Tageslicht gekitzelt werden" (RAF). Statt allzu anstrengender politischer Agitation soll durch politische Sensation ("BUM - BUM Effekt") und Liquidierung von Einzelpersönlichkeiten dem Kapitalismus ernsthafter Schaden zugefügt werden. Der widersprüchlichen und von Brüchen gekennzeichneten Entwicklung der Klassenkämpfe soll die "Propaganda der Tat", der reine Wille entgegengesetzt werden. Abra- Kadabra (besser: "Kadaver"): So soll es sein! Soll, soll, soll - tut es aber nicht! Tatsache ist: der individuelle Terror erreicht das Gegenteil von dem, was er erreichen zu wollen vorgibt: Das kapitalistische System und sein Staat beruhen nicht auf einzelnen Ministern, Generälen und Unternehmern, denn jeder von ihnen ist ersetzbar. Die Probleme, die uns heute betreffen, entstammen nicht den bösen Machenschaften einzelner Menschen, sondern den Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise und ihren Klassengegensätzen. Ein System kann man nicht erschießen, nur eine Massenbewegung der Arbeiter kann es in einer Revolution überwinden. "Die Rechnung, die uns das kapitalistische System begleichen muss, ist zu hoch, als dass man sie irgendeinem Funktionär namens "Minister" präsentieren könnte" (Trotzki, "Die Marxistische Position zum individuellen Terror" 1911). Während also die positiven Wirkungsweisen des individuellen Terrors erklecklich gering bleiben, sind die Nebenwirkungen mehr als fatal: Überall dort, wo sich individuelle Terrorgruppen betätigten, nahm das der Staat zum Anlass, seinen Repressionsapparat massiv zu verstärkten und ihn gleichzeitig auf jede Form des Widerstands, sei es nun ein Streik oder eine Massendemonstration, anzuwenden. Darüber hinaus wirken die Aktionen dieser Gruppe auf die Arbeiterschaft alles andere als "wachrüttelnd" und "stimulierend". So nahmen etwa die im Frühjahr 1991 wieder aufgeflammten Montagsdemonstrationen der Arbeiter in Leipzig - diesmal nicht mehr gegen Modrow und Krenz, sondern gegen Kohl und die "Abwicklungs"-Machenschaften der Treuhandanstalt - nach der Ermordung des Treuhandchefs Rohwedder ein jähes Ende. Die Attentate der RAF gegen führende Repräsentanten von Staat und Wirtschaft (Buback, Ponto, Schleyer) wurden vor 30 Jahren zum Anlass genommen, um Stimmung gegen links zu machen und Strafgesetze zu verschärfen. "Wenn es, um die Ziele zu erreichen, genügt, sich mit einer Pistole zu bewaffnen, warum dann seine Energie in Klassenkämpfen vergeuden? Wenn ein Stück Pulver und ein bisschen Draht genügen, um dem Gegner den Schädel zu perforieren, welche Notwendigkeit gibt es dann noch, die Arbeiterklasse zu organisieren? [...] Für uns ist der individuelle Terror unzumutbar, weil er im Bewusstsein der Massen ihre eigene Rolle schmälert; er führt dazu, dass sie ihre Ohnmacht akzeptieren und den Blick und die Hoffnung auf den großen Rächer und Erlöser, der einer Tages kommen wird, um seine Mission zu erfüllen, lenken." (Trotzki, "Die Marxistische Position zum individuellen Terror", 1901). Das angebliche Potenzmittel wird zur Schlaftablette! Gruppen des individuellen Terrors beschwören in ihren Schriften zwar immer die Arbeiterklasse, sie schreiben, dass sie sie in ihrem Kampf nicht ersetzen wollen, dass sie nicht neben der Bewegung stehen, sondern mit ihr gehen, usw. Doch Trotzki stellt fest: "Das ändert gar nichts. Es liegt in der Natur der terroristischen Arbeit, sich voll auf den "großen Moment" zu konzentrieren, das individuelle Heldentum völlig zu überschätzen, sich so konspirativ abzuschließen, dass nicht so sehr aus psychologischen, sondern aus rein logischen Gründen jegliche organisatorische Arbeit oder Agitation vor den Massen ausgeschlossen ist. Für die Terroristen existieren letztendlich nur zwei zentrale Punkte auf dem politischen Parkett: Die Regierung und die eigene Kampfgruppe." ("Der Kollaps des Terrors und seiner Partei", 1909). Der individuelle Terrorist steht also völlig abseits der Bewegung, er will sie durch die billige Gewalt der Bomben ersetzen, anstatt die kollektive Macht der Arbeiterklasse zu unterstützen. Daher werden sie auch nie verstehen, dass "...100 ermordete Zaren zusammen nie einen so großen stimulierenden und schulenden Effekt mit sich bringen wie die Teilnahme an Massenkonzentration von Dutzenden Tausend Arbeitern. [...] Jeder kleine Schritt der realen Bewegung ist so viel wert wie Dutzende Attentate." (Lenin, "Neue Ereignisse und alte Probleme", 1902). Die Arbeiterinnen und Arbeiter brauchen keine Helden, Retter, Befreier und Zauberer, denn deren Zauber ist in Wirklichkeit ein Spuk. Es bleibt dabei: Individueller Terror ist individueller Schwachsinn. |