Kategorie: Theorie

Eine andere Welt ist möglich: Plädoyer für den Sozialismus

In der Schule oder in den bürgerlichen Medien wird das Konzept des Sozialismus meist in einer einfachen Gleichung dargestellt: Sozialismus = ein totalitäres Regime + Misswirtschaft, das nicht imstande ist, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Im Vergleich sei der Kapitalismus das weit überlegenere Gesellschaftsmodell. Wir liefern den Versuch einer Gegendarstellung.



Der gegenwärtige Kapitalismus zeigt immer häufiger Krisensymptome. Die kapitalistische Welt ist geprägt von Widersprüchen, Krisen und Instabilitäten. Massenarbeitslosigkeit, Armut, Hunger und nicht zuletzt Krieg sind Ausdruck dessen. Vor diesem Hintergrund stellen sich immer mehr Menschen die Frage nach der Möglichkeit einer besseren Welt, einem besseren Gesellschaftsmodell.

Die Marxsche Konzeption von Sozialismus

In seiner Kritik des Gothaer Programm (1875) unterschied Marx zwischen einer niederen und einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft:
„Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt. ...Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück. [...]

In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“

Lenin bezeichnet die niedere Phase später dann in Staat und Revolution (1917) als „Sozialismus“, die höhere Phase als „Kommunismus“. Wir wollen uns in diesem Text der Einfachheit halber an Lenins Begrifflichkeit halten.
Aber zurück zu Marx: Er argumentierte, dass eine Revolution die Menschheit nicht von einem Tag auf den anderen in eine voll entwickelte Form einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft führen kann. Der Kapitalismus hat eine Kultur geschaffen, in der die einzelnen Menschen dazu angehalten werden ihren eigenen Interessen möglichst egoistisch nachzugehen. Ihr Wert bemisst sich in der Menge an materiellen Besitztümern, die sie anzusammeln imstande sind. Wenn sich Menschen organisieren, gemeinsam für ihre Interessen kämpfen, dann entwickeln sich natürlich auch andere Wertvorstellungen. Vor allem im Zuge einer revolutionären Erhebung verlieren die alten Werte an Einfluss. Doch das Erbe der kapitalistischen Gesellschaft ist auch nach einer erfolgreichen Revolution noch lange spürbar. Marx geht vor allem davon aus, dass die Menschen in dieser ersten Phase vor allem entsprechend der von ihnen geleisteten Arbeit entlohnt werden. Dies sei auch ein notwendiger Anreiz, damit die notwendige Arbeit verrichtet wird. Im Kapitalismus hingegen klafft die geleistete Arbeit und das, was man dafür an Lohn erhält, weit auseinander, denn diese Kluft ist schlussendlich die Quelle des Profits. Doch dazu später.

Was jedoch den Sozialismus noch viel weitreichender vom Kapitalismus unterscheidet, ist die Frage, wie die Gesellschaft verwaltet wird. Im Kapitalismus ist die Wirtschaft weitgehend in privater Hand. Diese Privateigentümer an den Produktionsmitteln stellen nur eine kleine Minderheit an der Gesamtbevölkerung, bestimmen jedoch allein über die Wirtschaftspolitik. Sie entscheiden, welche Produkte in welchen Mengen in ihrem Unternehmen hergestellt werden. Sie entscheiden, wer dafür eingestellt wird, um diese Arbeit zu verrichten. Sie bestimmen die Regeln, nach denen gearbeitet wird usw. Bei all diesen Entscheidungen gibt es nur einen Parameter: es muss möglichst kostengünstig produziert werden. Das oberste Gebot lautet nämlich Profitmaximierung.
Im Sozialismus ist die Sache aber genau umgekehrt. Die Arbeiterklasse, welche die absolute Mehrheit der Bevölkerung stellt, wird die Verantwortung übernehmen und entscheiden, nach welchen Kriterien die Wirtschaft funktionieren soll. Solch eine radikale Umwälzung setzt natürlich voraus, dass die ArbeiterInnen ihre eigenen demokratischen Institutionen geschaffen haben, durch die sie in organisierter und effektiver Art und Weise diese Aufgabe erfüllen können. Solche Institutionen entstehen in revolutionären Perioden immer spontan – egal ob sie nun Sowjets, Arbeiterräte oder Fabrikkomitees heißen. In diesen revolutionären Organisationen, in denen die ganze Klasse vereint ist, können die grundlegenden wirtschaftspolitischen Fragen diskutiert und auf der Basis von Mehrheitsentscheidungen beschlossen werden. In anderen Worten, die Wirtschaft wird nicht mehr von einer kleinen Minderheit gelenkt wie im Kapitalismus sondern demokratisch geplant.

Nachdem also die Bevölkerung selbst die Wirtschaft kontrolliert, werden die politischen Entscheidungen auch weitgehend die Interessen der Mehrheit der Mitglieder dieser Gesellschaft widerspiegeln.

Was spricht für den Kapitalismus?

Von klein auf wird uns eingetrichtert, dass der Kapitalismus das einzig vernünftige Wirtschaftssystem darstellt. Die Logik der Befürworter des Kapitalismus geht wie folgt: Wenn ein Metzger verdorbenes Fleisch anbietet während ein zweiter Metzger frisches Fleisch verkauft, werden alle KonsumentInnen zum Zweiten einkaufen gehen.

Wenn beide Waren mit gleich guter Qualität anbieten, dann werden die Menschen dort einkaufen, wo die Preise niedriger sind. Konsequenterweise sind die UnternehmerInnen aufgrund der Konkurrenz gezwungen bestmögliche Qualität zu einem möglichst niedrigen Preis anzubieten. Nur so können sie im Wettbewerb bestehen. Smith schrieb in seinem Werk Der Wohlstand der Nationen, das Zusammenwirken der Menschen (in Märkten) werde „von einer unsichtbaren Hand geleitet“, sodass jeder von ihnen „einen Zweck fördert, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat“.

Dieser Zweck ist das Gemeinwohl im Sinne von gesamtwirtschaftlicher Effizienz der Güterverteilung. Kein einzelner Marktteilnehmer verfolgt die Absicht, dass insgesamt die effiziente Marktmenge gehandelt wird; jeder will nur seinen Güterbedarf decken. Und doch führt der Marktmechanismus durch seine unsichtbare Hand zur Bereitstellung dieser effizienten Menge.
Kurzum, jedes Individuum ist sich selbst am nächsten. Der Kapitalismus anerkennt diese grundlegende Tatsache und macht sie sich zu Nutzen. Und nachdem wir, so Smith, alle am produktivsten sind, wenn wir unseren eigenen Interessen nachgehen, zieht auch die Gesellschaft maximalen Nutzen daraus, weil ja alle ihre Produkte möglichst kostengünstig produziert werden.

Was spricht für den Sozialismus?

Welches System kann einen höheren Lebensstandard für die Mehrheit der Bevölkerung, die Arbeiterklasse, sicherstellen?
Um im Konkurrenzkampf bestehen zu können, versuchen die UnternehmerInnen die Löhne und andere personalbezogene Kosten zu minimieren. Die Einführung von Teilzeitarbeit und anderen prekären Beschäftigungsverhältnissen, Auslagerungen auf gewerkschaftlich unorganisierte Bereiche und die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen zielen alle auf die Senkung der Produktionskosten ab.

Während die ArbeiterInnen einem ständigen Druck auf ihren Lebensstandard ausgesetzt sind, genießen die UnternehmerInnen Rekordgewinne ohne einen Finger zu rühren. Wenn jedoch die Arbeiterklasse selbstorganisiert die Wirtschaft führt, würde sich das rasch ändern. Erstmals würden die Menschen auf der Grundlage der von ihnen tatsächlich geleisteten Arbeit bezahlt. Die Löhne würden dabei so festgesetzt, dass alle ihre wichtigsten Bedürfnisse decken könnten. Damit wäre genügend Anreiz zu arbeiten gegeben.

Doch der Sozialismus bietet mehr als einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Lohn. Er revolutioniert die Art und Weise, wie die Gesellschaft funktioniert. Im Kapitalismus hat eine kleine Minderheit von KapitalistInnen die Macht, alles den eigenen Zielen unterzuordnen. Dieses undemokratische System würde durch eine demokratische Struktur ersetzt werden, in welcher die Arbeiterklasse kollektiv die Wirtschaft auf der Grundlage einer allumfassenden Debatte, wo den Menschen alle relevanten Informationen zur Verfügung stehen, bewusst planen können.

Damit einhergehen würde eine absolut neue Kultur, wobei alle Mitglieder der Gesellschaft dazu befähigt und ermutigt werden an den Entscheidungen über die grundlegende Richtung, welche die Gesellschaft einschlagen soll, teilzuhaben. Eine derartige Umwälzung würde der Menschheit einen gewaltigen Fortschritt hin zu einem qualitativ besseren Leben ermöglichen. An die Stelle der Anarchie des kapitalistischen Marktes, wo jeder seinen individuellen Interessen nachgeht, würde eine demokratische Planwirtschaft treten, deren oberstes Ziel die effiziente Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung wäre.

So wäre z.B. eine qualitativ hochwertige Bildung und Ausbildung für jedes Kind im allgemeinen Interesse. Dies wäre eine Voraussetzung für die Hebung der Produktivität der Gesellschaft. Eine freie, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung wäre ein weiterer zentraler Investitionsbereich. Die Menschen können abgesehen von ihrer persönlichen Beeinträchtigung in der Gesellschaft keine produktive Rolle spielen, wenn sie krank sind. Durch die Förderung der Präventivmedizin könnte sich die Gesellschaft Unsummen für die Behandlung gesundheitlicher Probleme ersparen. Im Sozialismus könnte das Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen garantiert werden. Das Zusammengepfercht sein in überfüllten Stadtvierteln produziert soziale Konflikte, schränkt die Menschen und vor allem die Kinder darin ein, ihr Potential wirklich voll entfalten zu können. Von den menschenunwürdigen Auswirkungen der Obdachlosigkeit ganz zu schweigen. Ein kostenloser, flächendeckender und hochwertiger öffentlicher Verkehr wäre ebenfalls von enormer Bedeutung. Die Menschen würden nicht mehr ihre kostbare Zeit in Staus verschwenden, die Umweltverschmutzung durch den Individualverkehr könnte drastisch reduziert werden und die Familien wären nicht mehr dazu gezwungen irrsinnig viel Geld für die Anschaffung und Erhaltung von mehreren PKW auszugeben. Verstärkt investieren würde eine Gesellschaft in gesunde Lebensmittel, eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung, Altenpflege, in erneuerbare Energie und allgemein in den Umweltschutz.

Auf der anderen Seite wäre die Grundlage dafür gelegt, gewisse Wirtschaftsbereiche gänzlich aufzugeben, weil sie gesellschaftlich nicht mehr notwendig oder wünschenswert sind. Dies gilt zum Beispiel für die ganze Rüstungsproduktion, die jedes Jahr Unsummen verschlingt. Oder die Tabakindustrie wäre ein weiterer Kandidat. Der Werbeindustrie, welche nur dazu da ist, die Menschen zu manipulieren, damit sie Produkte kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen und die die Anschaffung von Waren als höchstes Ziel darstellt, würde ebenfalls der Boden entzogen.

In einer geplanten Wirtschaft könnte auch die Qualität und Lebensdauer der Produkte enorm verbessert werden. Schließlich würde der Lebensstandard der Menschen nicht nur in materiellen Werten gemessen werden. Im Kapitalismus sind die Menschen einem permanenten Stress und Druck ausgeliefert. Sie müssen Angst um ihren Arbeitsplatz und um ihre zukünftige soziale Absicherung haben. Im Sozialismus hätte jeder einen sicheren Job und das Grundrecht auf Arbeit. Der technische Fortschritt würde die Verkürzung der Arbeitszeit ermöglichen. Die Menschen würden technische Erneuerungen nicht als Bedrohung sondern als Erleichterung wahrnehmen und dementsprechend befürworten. Durch die Einbeziehung der Millionen Arbeitslosen in den Produktionsprozess könnte die Arbeitszeit unmittelbar gesenkt werden. Der gesellschaftliche Reichtum würde erstmals im Ausmaß der Freizeit gemessen, die den Menschen zur Verfügung stehen würde. Die Menschen könnten sich endlich um ihre Familien und Freunde kümmern, könnten Aufgaben für die Allgemeinheit übernehmen. Der kapitalistische Albtraum, in dem das Leben auf den Rhythmus „arbeiten-essen-schlafen“ reduziert wird, hätte ein Ende.

Schlussfolgerung

Der Sozialismus würde einen Prozess in Gang setzen, bei dem die Menschen sowohl materiell als auch geistig enorm profitieren könnten. Die Menschheit würde sich auf eine höhere Ebene der Zivilisation heben. Das Ziel dieser Gesellschaft wäre die progressive Verkürzung der Arbeitszeit, die gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die Ersetzung der Diktatur einer kleinen Minderheit von Kapitaleigentümern durch ein System, in dem alle Mitglieder der Gesellschaft demokratisch ihr Schicksal bestimmen können.

Dadurch würde das Bewusstsein des Einzelnen ebenfalls auf eine höhere Ebene gehoben. Der Egoismus und die ausschließliche Ichbezogenheit würden der tatsächlichen Sorge um die Allgemeinheit weichen. Die öffentliche Bildung würde derart revolutioniert, dass anstelle der Vorbereitung auf die eintönige, entfremdete Arbeit die Entwicklung des gesamten menschlichen Potentials treten würde. Dies würde in der Wissenschaft, der Kunst und auch im Sport einen gewaltigen Fortschritt ermöglichen. Die Wissenschaft wiederum würde in den Dienst der Menschheit gestellt werden und darauf hinarbeiten, die Menschen von der Last der Arbeit zu befreien.

All dies wären Voraussetzungen, dass die Menschen dazu ermutigt würden, sich zu kritischen, engagierten und vielseitigen Mitgliedern der Gesellschaft weiterzuentwickeln, die an der Schaffung einer besseren Welt mitwirken wollen. Das wäre die Basis für die Herausbildung einer Gesellschaft, die sich tatsächlich auf ihre Fahne schreiben könnte: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!

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