Kategorie: Theorie

Was bleibt von der Guerrilla? Bewaffneter Kampf und sozial Revolution

Spanien 1808: Die französischen Truppen finden bei ihrem Einmarsch eine desorganisierte spanische Armee vor, die ihnen praktisch keinen Widerstand entgegensetzen kann. Die Zentraljunta, die die Regierungsaufgaben von König Fernando II übernommen hat, ist in sich zerstritten und unpopulär. Aufgrund der Unfähigkeit der Zentralregierung, die Verteidigung zu organisieren, bilden sich aus versprengten Soldaten der spanischen Armee und Bauern spontan auf lokaler und regionaler Ebene bewaffnete Gruppen, die den Franzosen Widerstand leisteten. Was aus einer Notsituation heraus entstanden war, wurde zu einer eigenen Kampfmethode: der Guerrillakrieg. Seine AnhängerInnen im 20. Jahrhundert vergaßen dabei sehr schnell eben diese Notsituation und die daraus resultierenden Vorbedingungen für den Guerrillakrieg und erhoben die Guerrilla zur wichtigsten, wenn nicht einzig möglichen Strategie, um eine soziale Revolution zu erreichen.

 

Das ist auf jeden Fall falsch. Schon das Beispiel Spanien zeigt sehr gut die Schwächen des Guerrillakrieges und auch die wichtigen Vorbedingungen, damit eine Guerrilla überhaupt eine soziale Basis hat. Die Guerrillatruppen waren zu schwach, um der französischen Armee mehr anzutun, als sie ein wenig zu verunsichern. Den Krieg gewann Wellington und die englische Armee und damit der morsche spanische Absolutismus. Die wirtschaftliche und politische Entwicklung Spaniens wurde daher weiterhin von der spanischen Oligarchie bestimmt und damit aufgehalten, eine tiefgreifende bürgerliche Revolution wurde unmöglich.
Die spanische Zentraljunta war nicht fähig, gegenüber der spanischen Oligarchie eine revolutionäre Rolle zu spielen und eine bürgerliche nationale Revolution anzuführen. Das Abbröckeln des Staates, reflektiert in der Armee, führte zu einem Machtvakuum, in dem lokale Anführer die Volksmassen mobilisieren konnten. Auch heute ist es so, dass Guerrillabewegungen dann Zulauf bekommen, wenn das kapitalistische System und der bürgerliche Staat einem Teil der Bevölkerung keine Existenzmöglichkeiten mehr bieten, also vor allem in den sogenannten "3.Welt-Ländern".

Irregularität und Mobilität

Wie läßt sich der Guerrillakampf definieren? Die allgemeinsten Eigenschaften, die diese Kampfmethode von "klassischen" Methoden einer stehenden Armee unterscheiden, ist die Irregularität (keine Gebundenheit an das Kriegsrecht, also keine Uniformen, keine "sichtbare" Zugehörigkeit der Kämpfenden zu einer Armee, daher gelten gefangene Guerrillakämpfer auch nicht als Kriegsgefangene) und die Mobilität der Truppen. Das heißt, Guerrillakampf ist in erster Linie eine "Kriegstechnik". Eine bestimmte politische Überzeugung (Sozialismus, Patriotismus...) oder eine besondere Beziehung zu politischer Arbeit gehören nicht zu seinen Merkmalen. Um die Mobilität überhaupt erst zu ermöglichen, ist der geographische Faktor wichtig: Nur in einem unübersichtlichen, wenig erschlossenen Gebiet, wo der Gegner - ob eine ausländische Armee oder die Truppen der Zentralregierung - fremd ist, hat die Guerrilla die Möglichkeit, relativ frei zu agieren. Dennoch ist es für sie unmöglich, einen Krieg zu gewinnen. Kleine irreguläre Truppen, die schnell auftauchen und in der Bevölkerung wieder verschwinden, die den Feind zwar irritieren und ablenken, aber nicht ernsthaft aufreiben, können für sich alleine - also ohne Aufstände in den Städten, Generalstreiks und Massenmoblisierungen der ArbeiterInnen - das System nicht stürzen.

Stadtguerrilla

In gut erschlossenen Gebieten oder Städten ist es praktisch unmöglich, eine Guerrilla aufzubauen, auch wenn in der Theorie die Verbindung zu den Massen festgelegt wird, handelt es sich in der Praxis um individuellen Terrorismus (siehe Kasten). Die Versuche, den bewaffneten Kampf in Europa oder in den entwickelteren Ländern Lateinamerikas (z.B. Argentinien oder Chile) zu einer gangbaren Möglichkeit zu machen, um das kapitalistische System zu stürzen, zeugten eher von der Verzweiflung und Perspektivenlosigkeit der ProtagonistInnen als von ihren Fähigkeiten, die politische und wirtschaftliche Situation richtig einzuschätzen. Der Linksradikalismus ist der Preis, den die Arbeiterbewegung für den Opportunismus der reformistischen Arbeiterparteien zahlt. Teile der Jugend, - v.a. Studierende und Schüler, aber auch junge Arbeiter - enttäuscht von der Klassenkollaboration der Gewerkschafts- und Parteispitzen, glaubten, mit dem bewaffneten Kampf die Arbeiterklasse aufwecken zu können. Stattdessen "weckten" sie den Repressionsapparat des bürgerlichen Staates, der schließlich nicht nur die bewaffneten Untergrundorganisationen zerschlug, sondern unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung auch die organisierte Arbeiterschaft aufrieb.
Kurz und gut: Dass es in den weniger industrialisierten Ländern unter bestimmten Voraussetzungen immer wieder zu bewaffneten bäuerlichen Massenbewegungen gegen Großgrundbesitz und Kapital kommen kann, damit müssen MarxistInnen rechnen und diese Organisationen mit Massenbasis als potentielle Bündnispartner der städtischen Arbeiterklasse ansehen. Stadtguerrillagruppen, und das sollte jedem klar sein, der für die sozialistische Veränderung der Gesellschaft kämpft, schaden jedoch eher dem Klassenkampf als dass sie ihm nützen.

Bauernschaft als Basis

Wie schon erwähnt: die natürliche soziale Basis der Guerrilla ist die Bauernschaft. Gerade in Lateinamerika ist die Guerrilla zur traditionellen Kampfmethode der Bauernschaft gegen Grundbesitzer und den Staat, der diese beschützt, geworden. Vor allem wenn die politische Alternative einer kämpferischen Arbeiterpartei fehlt, die auch den armen Bauern und Bäuerinnen ein Programm anbieten kann, dann wenden sie sich den Guerrillaorganisationen zu. So war es möglich, dass eine kleine maoistische Studentengruppe, die Anfang der 80er in die Berge von Chiapas in Südmexico ging, sich jetzt zapatistisches Volksheer nennt und eine Massenbasis hat. Die neoliberalen Angriffe der letzten Jahre auf die Landbevölkerung und die Durchkapitalisierung der Landwirtschaft zugunsten des internationalen Großkapitals haben die Bauern und Bäuerinnen in immer mehr lateinamerikanischen Ländern mobilisiert. Diese potentielle Stärke der Bauernschaft ist aber gleichzeitig auch die Schwäche ihrer sozialen Bewegungen. Denn die Bauernschaft, das hat sich in den Klassenkämpfen der letzten zwei Jahrhunderte gezeigt, kann keine eigenständige revolutionäre Rolle spielen, und zwar aus mehreren Gründen: Erstens ist sie keine soziale Klasse, sondern eine äußerst heterogene Gruppe, die sowohl landlose Bauern als auch Großgrundbesitzer mit logischerweise unterschiedlichsten Interessen in sich vereint. Daher kann sie kein unabhängiges politisches Programm haben, sondern unterstützt entweder die Bourgeoisie oder die Arbeiterklasse. Zweitens sind es die Interessen der Kleinbauern und -bäuerinnen und der landlosen Bauernschaft nach einem Stück Land - eine klassische Forderung der bürgerlich-demokratischen Revolution, die aber in den Ländern der „3. Welt“ nicht im Rahmen des kapitalistischen Systems umgesetzt werden kann. Nur wenn die Bauernschaft sich mit dem städtischen Proletariat verbündet, um gemeinsam für die Umsetzung eines sozialistischen Programmes zu kämpfen, können längerfristig auch ihre "bürgerlich-demokratischen" Forderungen verwirklicht werden.
"Die Stadt kann nicht wie das Land sein. Unter den historischen Voraussetzungen unserer Zeit kann das Land nicht wie die Stadt sein. Es ist unvermeidbar, daß die Stadt das Land mit sich reißen wird. Es ist unvermeidbar, daß das Land der Stadt folgt. Es stellt sich nur die Frage, welche der Klassen, die in der Stadt vorherrschen, es vermag, das Land mit sich zu reißen." (Lenin (1919), Bd, XVI, S 442).
Eine Organisation, die sich primär auf die Bauernschaft stützt, kann zwar in einer revolutionären Situation an die Macht kommen, vor allem wenn die politische Alternative des organisierten Proletariats fehlt, kann aber niemals ein sozialistisches System aufbauen. Bestenfalls kann es zu einem „deformierten Arbeiterstaat“ (d.h. nicht-kapitalistischen System der staatlichen Planwirtschaft ohne Arbeiterdemokratie) kommen, wie die Beispiele China und Kuba zeigen. Da in den Revolutionen dieser Länder der Guerrillakampf eine Rolle spielte und die daraus resultierenden Theorien die Rechtfertigungsgrundlage für die "linken" Guerrillaorganisationen dieses Jahrhunders wurden, soll noch kurz auf ihre Guerrillatheorien eingegangen werden.

Maoismus

Der Maoismus ist wahrscheinlich die Theorie, die am offensichtlichsten der Bauernschaft die zentrale Rolle in der sozialen Revolution zuteilt, und darüber das Proletariat vollständig aus den Augen verliert. Verkürzt gesagt geht es darum, dass eine Guerrillagruppe möglichst schnell wächst und in befreiten Zonen die Funktionen einer regulären Armee übernimmt. Schließlich sollen die Städte vom Land her "umkreist" und eingenommen werden. Während am Anfang Propaganda- und Agitationsarbeit unter der Bevölkerung noch eine gewisse Relevanz besitzt, reduziert sich die Machtübernahme in der letzten Phase auf rein militärische Fragen: die Übermacht der Bauernarmee soll (theoretisch) das Problem der Machtübernahme lösen. China ist das beste Beispiel dafür, dass diese Theorie, die im Endeffekt nicht auf der bewußten Aktion der Arbeiterklasse (übrigens auch nicht der Bauernschaft) beruht, sondern auf der zahlenmäßigen und strategischen Übermacht einer Armee, den Keim der Deformation in sich trägt: Nicht die Volksmassen übernehmen die Macht, sondern eine militärische Bürokratenkaste. Das Ergebnis ist ein System, das wir als proletarischen Bonapartismus bezeichnen. Abgesehen davon hat die Theorie auch deshalb jegliche militärische Relevanz verloren, da die kapitalistische Entwicklung neben Bauernsterben eine immer stärkere Urbanisierung mit sich brachte. "Befreite Zonen" nicht nur zu errichten, sondern über längere Zeit zu halten und auszuweiten, ist schwierig geworden und die Zentren des Klassenkampfes sind auch in „3. Welt-Ländern“ (Trikont) die Städte.

Foquismo

Aus seiner kubanischen Erfahrung heraus entwickelte Ernesto Che Guevara eine eigene Guerrillatheorie: "Es ist nicht immer notwendig darauf zu warten, daß alle Voraussetzungen für eine Revolution gegeben sind, ein Guerrillafokus kann sie hervorrufen". Obwohl das persönliche Schicksal Che Guevaras, der in Bolivien ermordet wurde, als er versuchte seine Theorie in die Praxis umzusetzten, jeden normalen Menschen davon abhalten sollte, diesem Beispiel zu folgen, fand sie gerade in Lateinamerika und Europa viele Anhänger. Dem guevaristischen Ansatz kann man nicht nur vorwerfen, dass er versucht, die kubanische Erfahrung zu verallgemeinern, er analysiert sogar die kubanische Revolution falsch. Die Guerrilla Fidels und Che Guevaras war ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, weil die Widersprüche und die soziale Polarisierung im Land schon so zugespitzt waren. Die Batista-Diktatur war bereits so isoliert und geschwächt, dass ein spontaner Generalstreik des kubanischen Proletariats den Diktator vertrieb. Die Fokustheorie besticht v.a. durch die Überhöhung der Rolle des Individuums im revolutionären Prozess, nach dem Motto "wir trotzen der Geschichte die sozialistische Revolution ab". Viele AktivistInnen in Lateinamerika mussten ihre naive und kindliche Beziehung zur Geschichte mit dem Leben bezahlen oder kehrten nach ihrem jugendlichen Radikalismus wieder in den Schoß des bürgerlichen Systems zurück.

Unsere Alternative

Wir sind keine PazifistInnen: Guerrilla als eine bestimmte Methode der Kriegsführung ist nicht von vornherein abzulehnen, v.a. in Ländern des Trikont ist es verständlich, wenn Bauern und Bäuerinnen sich mit der Waffe in der Hand gegen die Angriffe des Großkapitals verteidigen wollen. Der militärische Kampf auf dem Land kann aber nie die wichtigste Strategie einer revolutionären Organisation sein, denn nur die bewußte Aktion der ArbeiterInnen kann, mit Massenmobilisierungen in den Städten und offensivem Generalstreik, die Grundfesten des bürgerlichen Systems schon jetzt zum Erzittern bringen. Damit es nicht beim bloßen Erzittern bleibt, sondern zur erfolgreichen Revolution kommt, ist in erster Linie eine revolutionäre Organisation mit sozialistischem Programm und Verankerung in den Massenorganisationen notwendig - und keine militärischen Spezialisten: "Man sagt: der Partisanenkrieg bringt das klassenbewußte Proletariat den heruntergekommenen Trunkenbolden und Lumpenproletariern nahe. Das ist richtig. Hieraus folgt aber nur, daß die Partei des Proletariats den Partisanenkrieg niemals als einziges oder gar wichtigstes Kampfmittel betrachten darf; das dies Mittel anderen Mitteln untergeordnet werden muß, mit den wichtigsten Kampfmitteln im Einklang stehen und durch den aufklärenden und organisierenden Einfluß des Sozialismus veredelt werden muß." (Lenin, 1906)

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