Die jüngsten US-Bombardements, wie die der US-Präsidenten Bush Senior und Junior als „humanitär“ bezeichnet, werden als Mittel zum Stopp des barbarischen Terrors der fundamentalistischen Milizen präsentiert. Die Bilder des hässlichen Treibens des IS (Islamischer Staat) sind in allen Massenmedien präsent. Sie erzeugen Abscheu und Ekel. Tausende wurden bisher von ihm vertrieben und ermordet. Eine Sache wird dabei deutlich. Für die US-Regierung gibt es wichtige und weniger beachtenswerte Massaker. Während die USA gerade den Nordirak bombardiert, unternahm sie jedoch nichts, um die israelische Militärkampagne in Gaza zu stoppen, der mehr als zweitausend Palästinenser zum Opfer fielen.
Der Aufstieg des IS kommt nicht von ungefähr. Er ist das direkte Resultat der Politik des US-Imperialismus in dieser Region, gemeinsam mit seinen Verbündeten Saddam Husseins Staatsapparat zu zerstören und einen neuen auf dem Reißbrett zu entwickeln. Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass vor 2003 Al-Qaida im Irak eine unbekannte Kraft war. Mit der klassischen imperialistischen Politstrategie des Teilens und Herrschens unterstützte Washington die dortige schiitische Mehrheit, die den Irak regieren sollte. Gleichzeitig ließ die USA den Autonomiebestrebungen der Kurden im Norden freie Bahn. Die Sunniten wurden jedoch systematisch unterdrückt, zuerst durch die militärische Besetzung, dann durch die offene Unterstützung der Regierung Al-Malikis.
Heute sehen wir mit Schrecken die Barbarei des IS. Können jedoch die militärischen Operationen der USA in dieser Region als etwas anderes bezeichnet werden? Zwischen 2003 und 2011, in der Besatzungszeit, starben laut Schätzungen etwa 500.000 Iraker aufgrund der direkten oder indirekten Folgen des „Kriegs gegen den Terrorismus“. Des Weiteren darf der Einsatz von Weißem Phosphor und Uranmunition durch die US-Truppen bei der Schlacht um Falludscha 2004 nicht vergessen werden, was zahlreiche Journalisten berichteten. Die US-Intervention im Irak gilt also weder humanitären Zielen noch dient sie der Verteidigung „demokratischer Werte“. Das einzige Ziel ist die Verteidigung von US-amerikanischen Interessen.
Imperialismus und Fundamentalismus
Religiöser Fundamentalismus ist eine ideologische Waffe der herrschenden Klassen, sowohl im Westen als auch im Osten, besonders seit dem Kollaps des Stalinismus, um die Entwicklung des Klassenkampfes zu bremsen. Er wird in vielen Staaten gefördert, finanziert und praktiziert, um die beherrschten Klassen entlang der Kategorie Religion zu spalten. Heute wendet sich diese Waffe gegen die herrschende Klasse der USA. Im Fall des Islamismus schufen CIA und Pentagon unzählige Frankenstein‘sche Monster, die sie nicht mehr kontrollieren können. Im Irak greift die USA den IS, „die größte Bedrohung für den Westen“, an. In Syrien war er jedoch kein Feind, sondern ein Verbündeter im Kampf gegen das Assad-Regime. So unterstützte die CIA durch die Türkei und die arabischen Verbündeten der USA den Aufbau und die Finanzierung der syrischen Rebellen. Dabei wurden die Rebellen gedrängt, fundamentalistische Milizen in ihre Reihen zu integrieren. Noch heute erhält der IS, der auf der Vereinigung verschiedener dschihadistischer und salafistischer Verbände 2004 basiert, großzügige finanzielle Unterstützung von Saudi Arabien, das damit den schiitischen Einfluss in dieser Region bekämpft. Die Türkei duldet noch immer den Export von Öl durch den IS, das ihm nach der Eroberung der nordirakischen Ölfelder in die Hände fiel. Beide sind Verbündete der USA. Die Türkei ist sogar ein Mitglied der NATO. Obama zeigt jedoch keine Bereitschaft, Sanktionen gegen diese beiden Staaten einzufordern.
Das Schwinden der Macht der USA, vorangetrieben durch die revolutionären Prozesse des Arabischen Frühlings von 2011, eröffnete den historischen Alliierten des Westens, wie z. B. Saudi Arabien, Katar, Türkei, einen Spielraum, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, die nicht notwendigerweise immer mit denen der USA harmonieren, jetzt ihnen sogar zuwiderlaufen. Doch Washington muss das Treiben seiner lokalen Verbündeten tolerieren, um den Einfluss im Nahen und Mittleren Osten nicht total zu verlieren. Durch den unkontrollierbaren Aufstieg des IS entsteht sogar die paradoxe Situation, dass Syrien und der Iran, die alten Erzfeinde der USA, die neuen Verbündeten von heute sind. Wie schon Lord Palmerston, ein britischer Premierminister im 19. Jahrhundert, sagte: „Wir haben keine dauerhaften Verbündeten, wir haben keine dauerhaften Feinde, wir haben nur dauerhafte Interessen.“ Das beschreibt die wahre Politik aller herrschenden Klassen. Eine Politik, die den Irak in den Bürgerkrieg trieb, in dem die involvierten Mächte die lokalen Fraktionen und ethnischen Gruppen wie Schachfiguren benützen, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Das Ergebnis ist, dass die Zersplitterung dieses Staates und der Konflikt selbst sicher noch lange andauern.
Libyen
In Libyen ist der Zerfall des Staates nach der Militärintervention der USA sowie ihrer westlichen und arabischen Verbündeten von 2011 zur Unterstützung der gegen das Gaddafi-Regime kämpfenden Rebellengruppen eine dauerhafte Realität geworden. Im Rahmen dieser Operation beschossen französische Kampfflugzeuge Gaddafis Fluchtkonvoi. Er wurde dann von Rebellen gefangengenommen, gefoltert und ermordet. Das Resultat dieser Intervention ist, dass Libyen heute weitgehend ohne jegliche staatliche Ordnung und von Kämpfen rivalisierender Milizen geprägt ist. Denn die verschiedenen Gruppen begannen, nach einer zeitlich begrenzten und brüchigen Allianz gegeneinander um die Macht im Staat zu kämpfen. Momentan hat Libyen zwei Regierungen und Parlamente. Die eine ist in Tripolis. Geführt wird sie von Omar al-Hassi. Sie ist islamistisch orientiert und wird von der Türkei und Katar unterstützt. Die andere sitzt in Tobruk und hat einen säkularen Charakter. Geführt wird sie von Chalifa Haftar. Ägypten unterstützt sie. In anderen Teilen des Landes haben sich Stammesführer und Milizen für autonom erklärt. Die politische Lage ist äußerst instabil, die weitere Entwicklung nur schwer vorhersehbar. Nur eine Sache ist klar: Washington und Paris sind wie plumpe Zauberlehrlinge. Nur wenig von dem, was in Libyen passiert, ist unter ihrer Kontrolle.
Die Krise der Nationalstaaten
Diese Konflikte im Nahen Osten haben eine neue Qualität: Sie stellen Grenzen und Beziehungen zwischen den lokalen Mächten infrage, die für Jahrzehnte galten. Auf der einen Seite gibt es künstliche Grenzen. Sie sind das Produkt der Teilungen der Interessensgebiete, die Frankreich und Großbritannien nach dem Kollaps des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkriegs mit dem Sykes-Picot-Abkommen fixierten – eine weitere giftige Frucht des Imperialismus. Auf der anderen Seite sehen wir die totale Unfähigkeit der nationalen herrschenden Klassen des Nahen Ostens, die Wirtschaft harmonisch zu entwickeln und die Integrität ihrer Nationalstaaten aufrechtzuhalten. Wie kam es dazu? Die antikolonialen/antiimperialistischen Revolutionen der 1950er und 1960er Jahre brachten in Syrien, Ägypten, Irak und schließlich in Libyen progressive Regierungen an die Macht, die sich nationale Befreiung, Unabhängigkeit und soziale Reformprogramme auf ihre Banner hefteten. Das entfachte die Hoffnung der Massen. Jedoch, nicht bereit die Grenzen des Kapitalismus oder eines deformierten Arbeiterstaates nach Vorbild der Sowjetunion zu sprengen, erschöpfte sich letztendlich die revolutionäre Welle und eine Reihe progressiver Reformen wurde in ihr Gegenteil geändert. Der Zusammenbruch des Stalinismus und die Abwesenheit einer Alternative zu Kapitalismus und Imperialismus beschleunigten diesen reaktionären Prozess. Die Krise des sogenannten „fortschrittlichen“ bürgerlichen Nationalismus führte die arabischen Staaten nicht nur zur Unterwerfung unter die imperialistischen Mächte und regionalen Kräfte, sondern auch zu ihrem Zerfall. Die heutige Krise zeigt sehr deutlich die Unmöglichkeit, einen Weg aus der Sackgasse des Kapitalismus und der Vorherrschaft des Imperialismus auf Basis des Nationalismus zu finden. In diesem Zusammenhang ist im Bezug zum Sykes-Picot-Abkommen das Ziel der IS, einen Staat nach Vorbild des Osmanischen Reiches zu errichten, eine für die westlichen Mächte tragische geschichtliche Strafe. Für all jene – inklusive Teile der Linken – die irgendetwas Fortschrittliches in den westlichen Interventionen in Libyen, Syrien oder im Irak zu finden glaubten, besonders in Verbindung mit dem propagierten Export der „Demokratie“, und die diese Operationen deshalb unterstützten, stellt der dortige Aufstieg des Fundamentalismus ihre endgültige Verurteilung dar. Was die Region tatsächlich braucht, ist eine zweite Arabische Revolution mit einer klaren internationalistischen Position, die die verschiedenen Bewegungen vereinigt und auf Basis des Klassenkampfes nationale, ethnische oder religiöse Teilungen überwindet, um die reaktionären Regime und den Kapitalismus hinter sich zu lassen. Die Jugend und die ArbeiterInnen dürfen weder der imperialistischen noch der arabischen Bourgeoisie Glauben schenken, da sie für die heutige Barbarei hauptsächlich verantwortlich sind. Momentan wirkt das noch utopisch. Jedoch sahen wir, wie sogenannte „realistische“ Positionen zu reaktionären und finsteren Situationen führten. Deshalb kann nur eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens die Probleme der unterdrückten Massen lösen sowie eine Zukunft des Friedens, frei von Barbarei oder Krieg, anbieten.
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