Kategorie: Theorie

Marxistische Klassentheorie und Flüchtlingsfrage

Dies ist eine Einführung in die marxistische Klassentheorie, in der die Beziehungen der verschiedenen Klassen zueinander und ihr tendenzielles Verhalten in der Gesellschaft erklärt wird.


Zwecks einfacher Verständlichkeit greifen wir hier auf Vereinfachungen zurück. Für weiterführende Theorie verweisen wir auf die literarischen Klassiker des Marxismus.

Bourgeoisie und Proletariat

In bürgerlichen Gesellschaften stehen sich zwei unversöhnliche Klassen gegenüber: das Bürgertum und die von ihm regierte ArbeiterInnenklasse. Diese beiden Hauptklassen beheimaten weitere Unterklassen. Diese sollten keineswegs vernachlässigt werden. Nur so können wir uns gegen verzerrte Idealisierungen der gesellschaftlichen Verhältnisse schützen.

Die ArbeiterInnenklasse (das „Proletariat“) ist das revolutionäre Subjekt in der bürgerlichen Gesellschaft. Das Bürgertum (die „Bourgeoisie“) kann hingegen keine revolutionäre Haltung einnehmen, weil der Kapitalismus für das Bürgertum unendliche soziale Vorteile geschaffen hat. Würde der Kapitalismus durch eine sozialistische Revolution beseitigt und die Macht vom Bürgertum zur ArbeiterInnenklasse übergehen, so würden auch die Privilegien des Bürgertums verschwinden. Deswegen verteidigen bürgerliche Parteien wie die CDU/CSU, FDP und andere auch uneingeschränkt die „soziale Marktwirtschaft“, was in Wahrheit nur eine beschönigende Beschreibung für den Kapitalismus ist.

Marxisten begründen den revolutionären Charakter der ArbeiterInnenklasse allerdings nicht moralisch oder romantisch, sondern aufgrund ihrer konkreten Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft. Ihre ökonomische Stellung innerhalb des Produktionsprozesses des Kapitals zwingt die ArbeiterInnenklasse ab einem Punkt X zu revolutionären Handlungen – nicht weil sie dies gerne will, sondern weil sie wirtschaftlich dazu gezwungen ist. Revolutionäre Prozesse sind aus diesem Grund naturgesetzlich, wenn sich Krisen im Kapitalismus bilden – und die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus ist bedingt durch seine wirtschaftliche Systematik. Folglich stellt sich nicht die Frage, ob, sondern wann es zu Revolutionen kommen wird.

Sind die ArbeiterInnenklasse und das Bürgertum nun homogene gesellschaftliche Pole? Gewiss nicht. Die zahlreichen verschiedenen Branchen in der Wirtschaft, Groß-, mittelständische und Kleinbetriebe, diverse Lohngruppen usw. bewirken, dass die ArbeiterInnenklasse durch das Bürgertum ungleichmäßig ausgebeutet wird und dementsprechend ungleich entwickelt ist. Das Bürgertum selbst teilt sich ebenfalls in BesitzerInnen von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben, Geldvermögen und Grund und Boden auf.

Fraktionen im Bürgertum

Das Großbürgertum ist der Teil der Bourgeoisie, der Struktur bestimmendes Großkapital besitzt. Dazu zählen beispielsweise die Großaktionäre und Führungsetagen der Deutschen Bank, von ThyssenKrupp, Siemens, Volkswagen und vielen anderen Konzernen. Im Kapitalismus müssen Unternehmen wachsen, um sich gegen die Konkurrenz behaupten zu können. Der Kapitalismus hat also einen Konzentrations- und Expansionsdrang: Fabriken beherbergen ganze Armeen von ArbeiterInnen und Konzerne drängen ins Ausland, um dort ebenso gigantische Fabriken und neue Absatzmärkte zu errichten. Das Großbürgertum profitiert am stärksten vom Kapitalismus und verteidigt ihn uneingeschränkt.

Das mittelständische und Kleinbürgertum besitzt überwiegend regionales und lokales Kapital. Dazu gehören EigentümerInnen der Pizzeria an der Straßenecke mit wenigen prekär Beschäftigten, eines größeren Handwerksbetriebs oder auch eines Großhandels mit vielleicht 100 Beschäftigten, der die Versorgung von Supermärkten im Umkreis von 100 km sicherstellt. Die meisten Unternehmen sind Mittel- und Kleinbetriebe, allerdings sind sie oftmals von wenigen Großbetrieben stark abhängig, weil diese schlichtweg mehr Macht auf dem Markt besitzen. Die Bauernschaft ist ein besonderer Teil des Kleinbürgertums, weil sie durch elementare Produktion von Nahrungsmitteln das Überleben der Gesellschaft sichert. Aber auch hier gibt es eine große Spannweite. Zum Bauerntum zählen steinreiche Großgrundbesitzer mit namhaftem Adelstitel ebenso wie Großbauern oder kleine Milchbauern mit 50 Kühen, denen durch den Druck der großen Molkereikonzerne und Handelsketten das Wasser bis zum Halse steht.

Soviel zum Bürgertum. Die ArbeiterInnenklasse weist natürlich ebenfalls eine große Bandbreite und verschiedene Kategorien auf. Zu den wichtigsten Untergruppen zählen das Industrieproletariat, die ArbeiterInnenaristokratie, das Lumpenproletariat und die industrielle Reservearmee. Zur Klasse gehören auch Gruppen wie Büroangestellte, die Masse der Beamten, Transportarbeiter, Scheinselbstständige und Leiharbeiter. Doch warum hat die ArbeiterInnenklasse mehr Unterkategorien als das Bürgertum? Weil das Bürgertum die besitzlose ArbeiterInnenklasse bewusst spaltet, um ihre gemeinsamen Interessen zu vernebeln und ihren Klassenzusammenhalt gegen das Bürgertum zu zerstören.

ArbeiterInnenklasse näher betrachtet

Das Industrieproletariat ist traditionell der fortschrittlichste Teil der ArbeiterInnenklasse. Es konzentriert sich in großen Fabriken, in denen hunderte oder tausende ArbeiterInnen unter identischen oder ähnlichen Bedingungen arbeiten. Darum ist das Gemeinschaftsgefühl des Industrieproletariats sehr ausgeprägt. Hier stehen tausende ArbeiterInnen einer handvoll KapitalistInnen gegenüber. Wegen dieser Übermacht müssen die KapitalistInnen auch höhere Zugeständnisse (z.B. deutliche Lohnerhöhungen) an die ArbeiterInnen machen, wenn sich diese organisieren und zur Wehr setzen. Das Industrieproletariat ist traditionell selbstbewusst und hat eine hohe Kampfmoral.

Mit dem unaufhörlichen Wachstum der Produktivkräfte hat der Anteil des Industrieproletariats abgenommen. Immer weniger ArbeiterInnen produzieren immer mehr Waren. Zum Proletariat zählen jedoch nicht nur IndustriearbeiterInnen, sondern auch Arbeiter, Angestellte, prekär Beschäftigte und Scheinselbstständige aller anderen Branchen – Transport und Logistik, Verwaltung, Dienstleistungen, Gesundheitswesen, Verwaltung, Öffentlicher Dienst etc.

Die ArbeiterInnenaristokratie ist der bestbezahlte, relativ privilegierte Teil der ArbeiterInnenklasse. Sie sind ArbeiterInnen in dem Sinne, dass sie ihre Arbeitskraft an die KapitalistInnen verkaufen müssen, aber Aristokraten in dem Sinne, dass sie besondere Privilegien genießen und einen höheren Lebensstandard haben als der Rest der ArbeiterInnenklasse. Die ArbeiterInnenaristokratie verteidigt ihre Errungenschaften sowohl gegen schlechter bezahlte Teile der ArbeiterInnenklasse als auch gegen die KapitalistInnen. Je nach Situation kann sie fortschrittlich und reaktionär zugleich sein.

Als Subproletariat bezeichnet der Marxismus Menschen, die keiner regulären Lohnarbeit nachgehen und materiell, sozial und kulturell der Verarmung preisgegeben sind. Dazu zählen nicht nur diejenigen, aus dem Proletariat abgestiegen sind. Marx nutzt auch den Begriff „Lumpenproletariat“ und spricht von einer „passiven Verfaulung der unteren Schichten der Gesellschaft“ und Menschen, die nicht die für das Proletariat typische Disziplin und das Klassenbewusstein kennen und vielfach auch für reaktionäre Umtriebe käuflich und somit für die Revolution ungeeignet sind. Der Mangel an Klassenbewusstsein drängt das Lumpenproletariat vielfach offen oder verdeckt auf die Seite der Konterreformen und -revolution gegen die ArbeiterInnenklasse. Es ist quasi der „Feind in den eigenen Reihen“.

Als industrielle Reservearmee bezeichnet der Marxismus alle ArbeiterInnen, die den Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen – also Arbeitssuchende. Je länger ArbeiterInnen ohne Arbeit sind, desto frustrierter und demoralisierter werden sie in der Regel. Dies hat Auswirkungen auf ihr Klassenbewusstsein. Langzeitarbeitslose neigen zu Minderwertigkeitskomplexen und Depressionen (was die Kampfmoral dezimiert), oder sie suchen die Schuld bei anderen ArbeiterInnen. Sie können aber auch die kapitalistische Klasse für ihre Situation verantwortlich machen. Die Position der Reservearmee ist stark abhängig von der Entwicklung des Klassenkampfs.

Allgemeines Verhalten in der Flüchtlingsfrage

„Flüchtlinge sind Sozialschmarotzer!“ oder „Die nehmen uns die Arbeitsplätze, Wohnungen und Frauen weg!“, diese beiden Vorurteile werden beliebig gegeneinander ausgetauscht. Während die erste Phrase vorrangig von kleinbürgerlichen Kräften benützt wird, entspringt die zweite eher der Stimmung des Lumpenproletariats und demoralisierter Teile der industriellen Reservearmee. Die sogenannte „Alternative für Deutschland“ (AfD) rekrutiert einen wichtigen Teil ihrer AnhängerInnenschaft aus diesen Klassen. Untersuchen wir unsere These näher.

Menschen auf der Flucht verlieren fast alle ihre Eigen- und Besitztümer. Deshalb werden alle Flüchtlinge, unabhängig von ihrem früheren Status, in den Rang der ArbeiterInnenklasse gedrängt. Im Zielland stehen sie zunächst als Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Sie haben also keine von der deutschen ArbeiterInnenklasse getrennten Interessen: Wohnungen, Nahrungsmittel, medizinische Versorgung, soziale Geborgenheit (d.h. Integration), ein ausreichendes Einkommen und natürlich Sicherheit – der häufigste Grund für ihre Flucht.

Dementsprechend existieren auch keine objektiven Spannungen zwischen den Flüchtlingen und der Mehrheit der ArbeiterInnenklasse. Das Großbürgertum interessiert sich ebenfalls nicht für die Herkunft von ArbeiterInnen, sondern ausschließlich für ihre möglichst preisgünstige Arbeitskraft. Deswegen instrumentalisiert sie die durch die Flüchtlinge deutlich gewachsene Reservearmee als Mittel zur Senkung von Löhnen gegen die einheimische ArbeiterInnenklasse. Die Konkurrenz auf dem Markt wird damit zugunsten des Großbürgertums, aber auch zu Lasten des Kleinbürgertums deutlich verschärft, denn Kleinbetriebe können dem Preiskampf der Großbetriebe nur schwer standhalten.

Die ArbeiterInnen in kleinen und mittelständischen Betrieben sind also eher durch Jobverlust bedroht als das Industrieproletariat der Großbetriebe. Zudem hat die Entlassung einer Arbeitskraft in einem Kleinbetrieb merklich stärkere Auswirkungen auf das Tagesgeschäft als in einem Betrieb mit tausenden ArbeiterInnen. Doch werden ArbeiterInnen in Mittel- und Kleinbetrieben nun gegen Flüchtlinge hetzen? Nein, denn der Kleinbürger tauscht seine routinierten ArbeiterInnen schließlich nicht plötzlich gegen uneingearbeitete ArbeiterInnen aus. Einzig der Konkurrenzdruck veranlasst den Kleinbürger zur Schmälerung seiner Belegschaft.

Der Kleinbürger der Pizzeria „El Capitalista“ steht in Konkurrenz zum Kleinbürger der Pizzeria „Lo Barbaro“. Die ArbeiterInnen der beiden Pizzerien stehen allerdings in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander. Ihnen ist es relativ egal, für welchen Kleinbürger sie schuften müssen, denn der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Kleinbürgern erzeugt ähnlich bescheidene Arbeitskonditionen für die ArbeiterInnen. Während die beiden Kleinbürger also niemals solidarisch miteinander sein werden (bzw. nur gegen die Forderungen der ArbeiterInnen) trifft dies nicht auf ArbeiterInnen zu. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen ArbeiterInnenklasse und Kleinbürgertum.
Die AfD wettert nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen ArbeiterInnenrechte. Gesetzliche Mindestlöhne lehnt sie ebenso wie einen besseren Kündigungsschutz kategorisch ab. In der Sozialpolitik ist sie durchweg rückschrittlich. Das ist vor allem für Kleinbürger unter dem Druck des Großkapitals attraktiv. Die AfD vertritt in keiner Weise die Interessen der ArbeiterInnenklasse, die inzwischen über 95% der Bevölkerung in Deutschland ausmacht. Für den Kapitalismus ist die Nationalität von ArbeiterInnen so relevant wie ein umfallender Sack Reis in China für einen Astronauten im Weltraum.

Das Großbürgertum weiß das und hat kein Interesse an plumpem Rassismus. Es lebt nun in der AfD-Abspaltung „ALFA“ weiter, während das Kleinbürgertum und das Lumpenproletariat nun die gesamte AfD kontrollieren. Das erklärt nicht nur ihre scharfe Rechtsentwicklung. Es erklärt auch, dass die AfD weder für die ArbeiterInnenklasse noch für das Großbürgertum eine Alternative ist. Die Masse der WählerInnen kennt das durch und durch rückschrittliche und unsoziale AfD-Programm nicht. Tiefe Krisen und Spaltungen der AfD und letztlich ihr Untergang sind damit nur eine Frage der Zeit.

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