Kategorie: Theorie |
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Das Kapital verstehen - Teil 5: Der tendenzielle Fall der Profitrate |
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Nachdem im letzten Teil unserer Reihe die Profitrate eingeführt wurde, wollen wir uns nun damit beschäftigen, warum diese tendenziell fällt und was das für die jetzige Krise des Kapitalismus bedeutet.
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Wer in einer Fabrik arbeitet, weiß aus seiner täglichen Erfahrung, dass in einem modernen Betrieb längst ein Großteil des investierten Kapitals für Anlagen und Maschinen aufgewandt wird, während immer weniger ArbeiterInnen zur Produktion von immer mehr Waren eingesetzt werden. Diesen Prozess nennt man Automatisierung, und er ist seit Jahrhunderten einer der zentralen Faktoren, die Arbeitslosigkeit verursachen. Die KapitalistInnen tun das, weil eine Maschine auf Dauer immer billiger ist, als einE ArbeiterIn. Eine Maschine ist eine einmalige Ausgabe und rentiert sich schnell, einE ArbeiterIn hingegen bedeutet ständige Ausgaben, kann krank werden oder in Streik treten und ist aus Sicht der Kapitalisten überhaupt weniger zuverlässig. Die Kapitalisten versuchen also, den Anteil ihres Kapitals, den sie für Löhne ausgeben, gegenüber dem Teil des Kapitals, den sie für Produktionsmittel ausgeben, zu senken. In marxistischen Begriffen heißt das, sie wollen den Anteil des variablen Kapitals gegenüber dem konstanten Kapital senken, um so ihre Profitrate zu erhöhen. Ein einzelner Kapitalist kann also beispielsweise eine Anzahl Arbeiter entlassen, die etwa Maschinenteile zusammenschrauben und diese Arbeit von einem Roboter erledigen lassen. Dadurch hat seine Ware im Vergleich zur Ware seiner Konkurrenten einen geringeren Produktionspreis (siehe Teil 4 dieser Reihe). Er kann also seine Ware billiger verkaufen als seine Konkurrenten, diese vom Markt verdrängen und den ganzen Profit an sich reißen. Wenn aber die Konkurrenten seinem Beispiel folgen – was sie früher oder später zwangsläufig tun müssen – kehrt sich der Prozess auf einmal um und die Durchschnittsprofitrate in der Branche beginnt, zu sinken. Wie das? Im letzten Teil dieser Reihe wurde die Profitrate definiert als m/c+v, also Mehrwert im Verhältnis zum Gesamtkapital, das in konstantes Kapital (c), Produktionsmittel, und in variables Kapital (v), Löhne, zerfällt. Da der Mehrwert, wie in Teil 2 dieser Reihe erklärt, aus dem variablen Kapital, der gekauften Arbeitskraft entspringt, kann die Profitrate demzufolge fallen, wenn der Anteil von konstantem Kapital am Gesamtkapital wächst. Je moderner und automatisierter also die Fabriken werden, je mehr die KapitalistInnen im Verhältnis zu Arbeit in Produktionsanlagen und Rohstoffe investieren, desto geringer wird die allgemeine Profitrate. Für den Fall der Profitrate, den die Automatisierung auslöst, gibt Marx im 3. Band des „Kapitals“ folgendes Beispiel. Dabei steht p‘ für die Profitrate. „Wenn c = 50, v = 100, so ist p´ = 100/150 = 66 2/3%.
Bei einem Fallen der Profitrate kann trotzdem ein Steigen des Gesamtprofits stattfinden. Denn mit dem Sinken des Anteils des variablen Kapitals am Gesamtkapital sinkt nicht automatisch die Masse der in der Gesellschaft ausgebeuteten Arbeit. Es werden nicht weniger Menschen ausgebeutet, sondern es steigt nur der Wert der Produktionsmittel in der Gesellschaft stärker als der Wert der Arbeitskraft. Tatsächlich werden sogar mehr Menschen ausgebeutet, indem immer mehr Menschen in der Gesellschaft Teil der Arbeiterklasse werden, und so steigt der Gesamtprofit trotz des tendenziellen Falls der Profitrate. Im globalen Kontext bedeutet das die Proletarisierung von Milliarden ehemaliger KleinproduzentInnen in Fabriken, die von westlichem, imperialistischem Kapital kontrolliert werden, wie ebenfalls im letzten Teil schon angesprochen wurde. Tendenzielle Fall der Profitrate und Krise Der tendenzielle Fall der Profitrate wird oftmals von „marxistischen“ AkademikerInnen als eine Art Zauberschlüssel dargestellt, mit dem die Entwicklung der kapitalistischen Produktion erschöpfend zu erklären sei. So wird er unter anderem auch als Ursache für die Krise von 2008 dargestellt. Doch ebenso wie der Profit selbst nicht die Ursache der Produktion, sondern ihr Zweck und Ergebnis ist, ist auch der Fall der Profitrate ab 2008 nicht die Ursache, sondern das Resultat eines Einbruchs der Produktion (die sich, wie gesagt, bis heute nicht erholt hat). In der Periode vor der Krise ist der Wert der Elemente des konstanten Kapitals dramatisch gefallen. Ein bedeutendes Beispiel dafür ist der fallende Preis für Informationstechnologie mit dem Aufkommen von Computer und Internet. So erreichte die Profitrate in den USA, nachdem sie 1983 auf einem Tiefpunkt von 10% gestanden hatte, 2006 einen Höhepunkt von 25%. Als dann 2007 die Finanzkrise einsetzte, fiel sie 2008 infolge des weltweiten Produktionseinbruchs auf 17,9% und hat sich inzwischen wieder erholt. Warum aber diese „Erholung“ nur die Vorbereitung für einen stärkeren Einbruch in der Zukunft ist, besprechen wir in einem späteren Teil. Es sei nur vorweggenommen, dass die „Erholung“ der Profite sich nicht auf eine Erholung der Produktion stützt. Massive Überproduktion in den Jahren vor der Krise, die die Nachfrage bei weitem überstieg, führte, wie schon im ersten Teil dieser Reihe umrissen, zum Bankrott zahlreicher Unternehmen. Industriegiganten weltweit begannen, ihre „Überkapazität“ abzubauen und Fabriken stillzulegen. Schon in den Jahren 2005-6 begann das Angebot die Nachfrage zu übersteigen. 2008 führte das zu fallenden Profitraten und im letzten Quartal des Jahres schließlich zu einem Fallen des Gesamtprofits, das in der weltweiten Rezession von 2009 mündete. Nach Statistiken von Eurostat ging die Industrieproduktion in der Eurozone von ihrem Höhepunkt im Frühjahr 2008 bis zum Frühjahr 2009 um mehr als 20% zurück. Und nun bleibt die Krise bestehen: Als Finanzkrise, als Staatsschuldenkrise, als Massenarbeitslosigkeit, als politische Krise. Die Profite, und darüber in geringerem Ausmaß das BIP-Wachstum, haben sich indessen durch eine massive Verlagerung der Investitionen von der „Realwirtschaft“ hin zu den Aktienmärkten wieder erhöht. Hätte der tendenzielle Fall der Profitrate die Krise verursacht, müsste sie nun also vorbei sein, was sie aber offensichtlich nicht ist. So lagen die Profite der größten Unternehmen in den USA, nachdem sie von 2007 bis 2009 um ca. 30% gefallen waren, 2015 schließlich 20% über dem Stand von 2007. Die Löhne hingegen lagen 2015 ca. 5% unter ihrem Stand von 2007. Entgegenwirkende Ursachen Bis zur Krise von 2008 stiegen die Profitraten auf der ganzen Welt etwa dreißig Jahre lang konstant an. In dieser Periode waren einige Tendenzen aktiv, die dem Fall der Profitrate entgegenwirkten. „Es müssen gegenwirkende Einflüsse im Spiel sein, welche die Wirkung des allgemeinen Gesetzes durchkreuzen und aufheben, und ihm nur den Charakter einer Tendenz geben, weshalb wir auch den Fall der allgemeinen Profitrate als einen tendenziellen Fall bezeichnet haben“, schreibt Marx und listet im 14. Kapitel des 3. Bandes des „Kapitals“ einige davon auf. Die erste entgegenwirkende Ursache, die Marx erwähnt, ist eine Erhöhung des Ausbeutungsgrades der Arbeit, und zwar „namentlich durch Verlängerung des Arbeitstags und Intensifikation der Arbeit. Es gibt viele Momente der Intensifikation der Arbeit, die ein Wachstum des konstanten Kapitals gegen das variable, also Fall der Profitrate einschließen, wie wenn ein Arbeiter größere Masse von Maschinerie zu überwachen hat.“ In den USA stieg die Produktivität der Arbeit von 1973-2007 um 83% an, doch die Reallöhne stiegen nur um 5%. Leiharbeit, Just-In-Time-Produktion, befristete Verträge und andere Maßnahmen werden genutzt, um mehr unbezahlte Arbeit aus den ArbeiterInnen zu pressen. Die zweite entgegenwirkende Ursache ist das Herunterdrücken des Arbeitslohns unter seinen Wert, also auf ein Niveau, das nicht auf Dauer ausreicht, um den ArbeiterInnen ein Überleben zu sichern. Die ArbeiterInnenklasse wird teilweise gezwungen, sich zu verschulden, oder der Staat verschuldet sich zum Nutzen des Kapitals, um mit Sozialleistungen fehlender Löhme aufzufangen. ArbeiterInnen gehen darüber hinaus an Überbelastung zugrunde und erkrankt massenweise etwa an Herz-Kreislauf-Krankheiten und psychischen Störungen, was durch die massive Arbeitslosigkeit aufgefangen wird – hinter dir steht der nächste Verzweifelte! Die dritte entgegenwirkende Ursache ist die Verbilligung von Maschinen und Rohstoffen. Diese Verbilligung, die aus einer Wertminderung der Elemente des konstanten Kapitals hervorgeht, ergibt sich aus denselben Ursachen, die auch den tendenziellen Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate bewirken. Denn indem der Anteil des konstanten Kapitals am Gesamtkapital wächst, sinkt der Wert der einzelnen Waren. Dazu gehören aber auch die Produktionsmittel, insbesondere die Rohstoffe, selbst. „Z. B. Die Baumwollmasse“, schreibt Marx, „die ein einzelner europäischer Baumwollarbeiter heute in einer modernen Fabrik verarbeitet, ist gewachsen im kolossalsten Verhältnis zu dem, was ein europäischer Spinner früher mit dem Spinnrad verarbeitete. Aber der Wert der verarbeiteten Baumwolle ist nicht in demselben Verhältnis gewachsen wie ihre Masse. Ebenso mit den Maschinen...“ So lassen sich viele ökonomische Erscheinungen in unserem Alltag besser verstehen, wenn man in ihnen den Kampf der KapitalistInnen untereinander um Profite sowie miteinander gegen den tendenziellen Fall der Profitrate erkennt. Im letzten Teil dieser Reihe schrieben wir: „Anstelle einer vernünftigen Planung ist der blinde Wettkampf der Bourgeois die zentrale Instanz, von der die ganze Entwicklung der Gesellschaft abhängt.“ Nun können wir hinzufügen: Es ist nicht nur der blinde Kampf der Bourgeois gegeneinander, sondern auch ihr gemeinsamer Kampf gegen den Fall der Profitrate durch die oben umrissenen Strategien, der die Lebensrealität der Menschen in dieser Gesellschaft verschlechtert. Teil 1 - Ware und Geld |