Kategorie: Theorie |
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Marxismus vs. Identitätspolitik |
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Der Zweck dieses 2018 beschlossenen Dokuments ist es, eine klare Trennlinie zwischen einer Reihe idealistischer und postmoderner Ideen und dem Marxismus zu ziehen. Beschluss der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT) (2018) |
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Die Krise des Kapitalismus hat viele tiefliegende, oppositionelle Strömungen gegen die herrschende Gesellschaft, ihre Werte, ihre Moral und ihre unerträgliche Ungerechtigkeit und Unterdrückung sichtbar gemacht. Der wesentliche Widerspruch in der Gesellschaft bleibt der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital. Doch die Unterdrückung nimmt viele verschiedene Formen an, von deren einige bedeutend älter und tiefer verwurzelt sind als die Lohnsklaverei. Zu den universellsten und härtesten Unterdrückungsformen gehört die Unterdrückung der Frau in einer von Männern beherrschten Welt. Der Aufstand der Frauen gegen diese ungeheuerliche Unterdrückung im Kampf für die sozialistische Revolution ist von grundlegender Bedeutung, denn diese kann ohne die volle Teilhabe der Frauen am Kampf gegen den Kapitalismus nicht erreicht werden. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich die Stabilität der Klassengesellschaft in der Familie eine solide Basis geschaffen – also dadurch, dass die Frauen den Männern als Sklavinnen unterworfen wurden. Diese Form der Sklaverei ist viel älter als der Kapitalismus. Wie Engels erklärte, war die Entwicklung der patriarchalen Familie „die welthistorische Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung.“ (Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, S. 61.) Diese männliche Herrschaft und die untertänige Stellung der Frauen in Gesellschaft und Familie werden jetzt in Frage gestellt, ebenso wie all die anderen barbarischen Institutionen, die wir aus der Vergangenheit ererbt haben. Warum sollten Frauen es sich weiterhin gefallen lassen, Menschen zweiter Klasse zu sein? Dass die Rolle der Frauen in Gesellschaft und Familie hinterfragt wird, hat ernsthafte revolutionäre Auswirkungen und kann dazu führen, dass die kapitalistische Gesellschaft selbst in revolutionärer Weise hinterfragt wird. Der Verfall des senilen Kapitalismus führt zu einer wahrhaften Zerstörung der Lebensbedingungen aller Arbeiter. Doch Frauen und junge Menschen werden davon besonders hart getroffen. Vielen wird der Zugang zu angemessener Arbeit und Wohnraum einfach verwehrt. Alleinerziehende und ihre Kinder werden zu Armut und einem Leben in Not verdammt. Auch nur ein Dach über dem Kopf zu haben, wird für viele Menschen schwierig oder gar unmöglich. Am Arbeitsplatz leiden Frauen unter ungleicher Bezahlung ebenso wie an allen möglichen Arten von Belästigung und Missbrauch. Die Situation ist absolut unerträglich geworden. Die Degeneration der kapitalistischen Gesellschaft entblößt sich in krasser Weise durch die Epidemie von Gewalt gegen Frauen. In Indien, Pakistan, Argentinien, Mexiko und weiteren Ländern hat sich das in einer beispiellosen Anzahl von Entführungen, Vergewaltigungen und Morden ausgedrückt. Doch auch in Gesellschaften, die sich selbst gern als zivilisiert beschreiben, werden ähnliche Widerwärtigkeiten gegen Frauen und Kinder verübt. Das sind abstoßende Anzeichen dafür, wie krank und überreif für den Sturz unsere Gesellschaft ist. Das wachsende Gefühl von Entfremdung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung befeuert unter Frauen eine allgemeine Widerstandsbewegung gegen die herrschenden Verhältnisse. Millionen von Frauen erwachen. Insbesondere die jüngere Generation verspürt eine glühende Empörung über die Diskriminierung, Unterdrückung und Demütigung, die ihnen in diesem ungerechten System zugemutet wird. Das ist eine zutiefst fortschrittliche und revolutionäre Erscheinung, die wir begrüßen und mit dem größten Enthusiasmus unterstützen sollten. Selbstverständlich sind Marxisten hundertprozentige Unterstützer der vollständigen Befreiung der Frau. In dieser Frage kann es nicht das geringste Zögern, nicht die geringste Zweideutigkeit, nicht den geringsten Zweifel geben. Wir müssen auf allen Ebenen die Unterdrückung der Frau bekämpfen; nicht nur in Worten, sondern in Taten. Unter keinen Umständen können wir zulassen, dass der Eindruck entsteht, das wäre irgendwie eine zweitrangige Angelegenheit, die man unter die allgemeine Kategorie „Klassenkampf“ subsumieren könne. Es wäre fatal für die Sache des Marxismus, wenn Frauen glaubten, die Marxisten seien bereit, den Kampf um ihre Rechte auf nach dem Sieg des Sozialismus zu verschieben. Das ist völlig falsch und eine bösartige Karikatur des revolutionären Marxismus. Es stimmt zwar, dass die völlige Befreiung der Frau (und des Mannes) erst in einer klassenlosen Gesellschaft erreicht werden kann und es stimmt ebenso sehr, dass eine solche Gesellschaft nur durch den revolutionären Sturz des Kapitalismus erreicht werden kann. Man kann Frauen nicht abverlangen, ihre unmittelbaren, drängenden Forderungen beiseite zu legen und auf die Ankunft des Sozialismus zu warten. Der Sieg der sozialistischen Revolution ist ohne den täglichen Kampf um Fortschritte im Kapitalismus undenkbar. Marxisten müssen auch für die kleinsten Reformen kämpfen, die die Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse im Kapitalismus verbessern könnten. Das hat zwei Gründe. Erstens kämpfen wir, um die Arbeiter gegen die Ausbeutung zu verteidigen, um Kultur und um Zivilisation gegen Barbarei zu verteidigen. Zweitens, und wichtiger: Nur durch die Erfahrung des täglichen Kampfes kann die Klasse ihre eigene Macht spüren lernen, ihre organisatorische Macht entwickeln und ihr kollektives Bewusstsein auf die Ebene heben, die geschichtlich gefordert ist. Wie die Sektierer und Dogmatiker zu verlangen, dass die Arbeiter ihre täglichen Forderungen „im Interesse der Revolution“ verleugnen, ist der Gipfel der Dummheit. Das würde uns zu kompletter Sterilität und Isolation verdammen. Auf diesem Weg würde die sozialistische Revolution für immer eine unmögliche Illusion bleiben. Ebenso ist es eine grundlegende Pflicht aller echten revolutionären Marxisten, für den Fortschritt der Frau, gegen reaktionären männlichen Chauvinismus, für fortschrittliche Reformen und völlige Gleichheit auf gesellschaftlichem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet zu kämpfen. Am 8. März 2018 haben wir einen deutlichen Hinweis auf das revolutionäre Potential der Frauenbewegung in Spanien sehen können. 5,3 Millionen Menschen beiderlei Geschlechts folgten dem Aufruf zum Streik. Hunderttausende nahmen in ganz Spanien an Demonstrationen teil. Diese hervorragende Mobilisierung wurde unter dem Banner des Feminismus durchgeführt, drückte aber auch eine ungeheure Stimmung der Unzufriedenheit aus, die sich in der spanischen Gesellschaft anhand einer ganzen Reihe von Themen aufgebaut hat. So führten auch die Pensionisten um diese Zeit Massendemonstrationen durch. Im Mittelpunkt standen aber spezifische Themen der Frauenunterdrückung: Die ungleiche Bezahlung; Gewalt und Belästigung von Frauen in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Bildung; die Last der Hausarbeit usw. Das wurde beispielhaft durch den Fall einer Gruppenvergewaltigung in Pamplona und das empörende Verhalten der rechten Richter aufgezeigt, was einen klaren Beleg für die Fäulnis und den reaktionären Charakter des ganzen spanischen Staatsapparates, der Polizei und der Justiz lieferte. All diese Institutionen wurden direkt von der Franco-Diktatur ererbt, weil der sogenannte „demokratische Übergang“ verraten wurde. Es ist ein Grundsatz des Marxismus, dass man in jeder Massenbewegung sorgfältig die reaktionären und fortschrittlichen Elemente voneinander unterscheiden muss. Dass es in dieser außerordentlichen Bewegung ein gewaltiges fortschrittliches Element gegeben hat, steht völlig außer Frage. Das haben wir nicht nur halbherzig, sondern energisch und enthusiastisch unterstützt. Es wäre aber völlig falsch und einseitig, wollte man nur diesen Aspekt der Bewegung betonen und die andere Seite außer Acht lassen. Welche Rolle spielten die Führerinnen dieser Bewegung? Sie forderten für die Demonstration Reihen und ganze Blocks, die nur für Frauen zugelassen wären und wollten nur lila Fahnen erlauben. Dem Streik sollten nur Frauen folgen, während Männer deren Arbeiten am Arbeitsplatz übernehmen, also als Streikbrecher handeln sollten! Das hätte den Umfang der Bewegung am 8. März bedeutend verringert und einen Generalstreik völlig unmöglich gemacht. Das widersprach den Interessen der Bewegung vollkommen und drückte offensichtlich den engen Horizont sowie die reaktionäre und spalterische Politik der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feministen aus. Unsere spanischen Genossen haben in dieser Massenbewegung energisch interveniert und ihre Ideen stießen auf viel Sympathie. Obwohl wir uns nicht als Feministen bezeichnen, machen wir sehr deutlich, dass wir rückhaltlos den Kampf um Frauenbefreiung unterstützen und mit denen, die gegen die Unterdrückung kämpfen, Schulter an Schulter stehen. In keiner der Demonstrationen und Meetings gab es uns gegenüber Vorurteile, wenigstens nicht von Seiten der großen Mehrheit der Frauen, die sich als Feministinnen betrachten. Stimmt es, dass der Feminismus keine Denkschule oder Theorie ist? Das hängt davon ab, wie man ihn betrachtet. Es stimmt vollkommen, dass die Millionen, die am 8. März unter dem Banner des Feminismus an den Streiks und Demonstrationen teilnahmen, mit den feministischen Vorurteilen der Führung nicht das Geringste zu tun hatten. Sie kämpften instinktiv gegen reaktionäre Erscheinungen, die sie mit gerechtem Zorn erfüllten. Das ist der Ausgangspunkt für revolutionäre Entwicklungen. Doch die Führung der Bewegung lag in den Händen der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feministen, die ohne Frage eine Denkschule und eine bestimmte Ideologie repräsentieren, die nicht nur dem Marxismus, sondern wesentlich auch den Interessen des Kampfes um Frauenbefreiung selbst fundamental entgegengesetzt sind. Heutzutage ist der Begriff des Feminismus so weit gefasst, dass er so gut wie bedeutungslos geworden ist. Plötzlich ist jeder „Feminist“. Selbst die reaktionären Politiker der PP (Partido Popular, Volkspartei) nennen sich feministisch, weil zu ihnen nämlich, wie man sieht, auch Ministerinnen gehören – deren jede genauso reaktionär und korrupt ist wie ihre männlichen Pendants. Selbst unter den fortschrittlichsten Teilen gibt es alle möglichen Verwirrungen und Illusionen, die von den bürgerlichen und kleinbürgerlichen „Theoretikern“ des Feminismus mit Absicht genährt werden. Ein solcher Gedanke ist der „transversale“ Charakter der Bewegung – sie soll alle Frauen einschließen, ohne Rücksicht auf ihre Klassenzugehörigkeit, politische Ideologie usw. Mit einer freundlichen und geduldigen Herangehensweise können wir diese Vorurteile bekämpfen und die Verwirrung entwirren. Doch wir dürfen nicht zulassen, dass die Banner vermischt werden. Um die besten Elemente zu gewinnen, ist es notwendig, zu jedem Zeitpunkt eine feste und klare marxistische Haltung zu bewahren. Ist es für uns notwendig, uns als Feministen zu bezeichnen, um eine Verbindung zu dieser wichtigen Schicht aufzubauen? Alle unsere Erfahrungen deuten darauf hin, dass das nicht der Fall ist. Folgendes Beispiel ist von großem Interesse: In Antequera (Málaga) organisierten wir eine Veranstaltung zum feministischen Streik am 8. März, auf der einige Frauen aus linken und gewerkschaftlichen Organisationen sprachen. Eine unserer Genossinnen sprach auf der Veranstaltung und erklärte, dass sie Gewerkschafterin und revolutionäre Marxistin ist, sowie die Grundzüge unseres Programms. Am Ende der Veranstaltung kam sofort eine Gruppe junger Frauen zu unserem Infotisch und wollten bei uns mitmachen. Diese jungen Frauen betrachteten sich offensichtlich als Feministinnen, hatten aber kein Problem damit, sich mit dem Programm des Marxismus zu identifizieren. Hätten unsere Genossen der Bewegung gegenüber eine sektiererische und dogmatische Haltung eingenommen, hätten sie sich von solchen Frauen unzweifelhaft entfremdet. Es kommt nicht in Frage, dass Marxisten eine so dumme Herangehensweise wählen. Gleichzeitig müssen wir aber eine prinzipienfeste Haltung einnehmen und unmissverständlich klarstellen, dass wir Marxisten sind, die für Frauenrechte kämpfen und dass wir davon ausgehen, dass dieser wichtige Kampf nur erfolgreich geführt werden kann, wenn er Teil eines allgemeinen revolutionären Klassenkampfes für eine vollständige Veränderung der Gesellschaft ist. Hier haben wir eine sehr deutliche Analogie, nämlich die Haltung der Marxisten zur nationalen Frage. Unterstützen wir die Forderung nach Unabhängigkeit Kataloniens vom spanischen Staat? Ja. Gleichzeitig erklären wir aber, dass auf Basis des Kapitalismus die Unabhängigkeit nichts besser machen wird. Wir stehen für die katalanische Arbeiterrepublik, die in der Zukunft Teil einer sozialistischen Föderation der iberischen Völker sein kann. Nennen wir uns deshalb marxistische Nationalisten? Gewiss nicht! Wir sind keine Nationalisten, sondern proletarische Internationalisten. Es ist eben gerade Teil unseres revolutionär-internationalistischen Programms, den Kampf des katalanischen Volkes um Befreiung von der Bevormundung des reaktionären spanischen Staats, der verwesenden PP-Regierung und der undemokratischen Monarchie, die von Franco ererbt wurde, zu unterstützen. Doch die Phrase „marxistisch-nationalistisch“ wäre ein Widerspruch in sich. Noch einmal: Unsere Erfahrung in Katalonien legt nahe, dass ein derart verwirrender Sprachgebrauch nicht nötig ist, um die besten und revolutionärsten Elemente der Arbeiter und Jugend zu überzeugen, deren viele bereits begonnen haben, das beschränkte und reaktionäre Wesen des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalismus zu erkennen und nach einer radikaleren, revolutionären und klassenorientierten Alternative suchen. Letztendlich haben all diese Fragen – die Frage der nationalen Unterdrückung, der Kampf um Frauenbefreiung, der Kampf gegen den Rassismus – einen Klassencharakter. Das ist die grundsätzliche Trennlinie zwischen dem Marxismus und dem Nationalismus, Feminismus sowie weiteren Erscheinungsformen des Kampfes gegen die Unterdrückung. Die Bewegung vom 8. März unterstreicht diese Punkte. Die Massenbewegung gegen die Unterdrückung der Frau hat ein gigantisches revolutionäres Potential. Doch dieses Potential kann nur zur Gänze realisiert werden, wenn die Bewegung die engen Grenzen des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feminismus überschreitet und sich mit der allgemeinen Bewegung der Arbeiterklasse zur Veränderung der Gesellschaft verbindet. Unsere Aufgabe ist es, ihr bei diesem Übergang zu helfen. Bei unserer aktiven Teilnahme an solchen Bewegungen und beim Versuch, die besten Elemente zu gewinnen, müssen wir stets scharf die Klassengegensätze hervorheben, die in all diesen Bewegungen existieren. Wir müssen uns auf das stützen, was darin fortschrittlich ist, und die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Elemente in der Führung entlarven und kritisieren. Die Bedeutung der TheorieEngels betonte die Bedeutung der Theorie für die revolutionäre Bewegung. Er zeigte auf, dass es nicht nur zwei Kampfformen (politisch und ökonomisch) gibt, sondern drei, wobei er dem theoretischen Kampf dieselbe Bedeutung beimaß wie den zwei anderen Formen. In Was Tun stimmt Lenin ihm darin überschwänglich zu:
Die Vorbedingung für den Aufbau einer wirklich marxistischen Internationalen ist die Verteidigung der Grundsätze des Marxismus. Unversöhnlicher Kampf gegen revisionistische Ideen aller Art gehört dazu. Solche Ideen sind im Wesentlichen Widerspiegelungen des Drucks fremder Klassen auf die Arbeiterbewegung. Marx und Engels führten einen unermüdlichen Kampf gegen jeden Versuch, die Ideen der Bewegung zu verwässern, wobei sie die falschen Theorien unerbittlich entlarvten, die erst von den utopischen Sozialisten, dann von den Anhängern Proudhons und Bakunins und schließlich von opportunistischen Kathedersozialisten wie Dühring vertreten wurden – „kluge“ Universitätsprofessoren, die unter dem Vorwand, den Marxismus „auf die Höhe der Zeit zu bringen“ versuchten, den Marxismus von seinem revolutionären Wesen zu trennen. Von Beginn seiner revolutionären Tätigkeit an hatte Lenin solchen „jungen“ Leuten, die wie Dühring behaupteten, Marxens Ideen seien veraltet und müssten aufgefrischt werden und dabei die „Freiheit der Kritik“ einforderten, den Krieg erklärt. Er zeigte auf, dass diese sogenannte „undogmatische Haltung“ lediglich ein Vorwand war, um den revolutionären Inhalt des Marxismus durch eine opportunistische Politik der „kleinen Schritte“ zu ersetzen. Diese Strömung kristallisierte sich später als Menschewismus heraus. Später, in den Jahren der Reaktion, die auf die Niederlage der 1905er Revolution folgten, erklang innerhalb des Bolschewismus das Echo der verzweifelten Stimmung, die Teile der Mittelschichtsintelligenz ergriffen hatte. Ein Teil der Führung (Bogdanow und Lunatscharski) begann die Modephilosophie des subjektiven Idealismus (Neokantianismus) und Mystizismus zu vertreten. Nicht zufällig schrieb Lenin eines seiner wichtigsten philosophischen Werke, Materialismus und Empiriokritizismus, um diese Ideen zu bekämpfen. Wir weisen auch darauf hin, dass er bereit war, wegen dieser philosophischen Fragen, die mit einer ultralinken Politik zusammenhingen, mit der Mehrheit der bolschewistischen Führung zu brechen. Vor seinem Tode führte Trotzki einen heftigen Kampf gegen eine kleinbürgerliche Strömung in der amerikanischen SWP (Burnham und Shachtman) über die Frage des Klassencharakters der Sowjetunion. Trotzki erklärte, dass ihre falsche Position, die die Verteidigung der UdSSR zurückwies, einerseits den Druck fremder Klassen (der kleinbürgerlichen Intellektuellen) und andererseits eine Ablehnung der marxistischen Philosophie (Dialektik) ausdrücken würde. Aus diesen wenigen Beispielen geht hervor, welch wichtige Rolle der Kampf um die Theorie in unserer Bewegung immer gespielt hat. Was die IMT von all den anderen Strömungen unterscheidet, ist vor allem unsere penible Haltung zur Theorie. Im Verlauf von anderthalb Jahrhunderten hat der Marxismus ein wissenschaftliches Programm auf Grundlage der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Wirtschaft errichtet. Das ist eine gewaltige Errungenschaft, die wir gegen jeden Angriff verteidigen müssen, ob er von rechts oder von „links“ kommen möge. Die IMT hat in dieser Hinsicht eine stolze Tradition. Zu einer Zeit, in der viele, auch viele „Kommunisten“, den Ideen des Marxismus den Rücken zuwandten, verteidigten wir unablässig die grundsätzlichen Ideen von Marx, Engels, Lenin und Trotzki. marxist.com genießt für seine theoretische Klarheit einen glänzenden Ruf. Das unterscheidet uns deutlich von anderen Strömungen in der Arbeiterbewegung. Wir haben es immer verweigert, den Revisionisten, die den Druck der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie widerspiegeln, Zugeständnisse zu machen. Wir bleiben immun gegen den ohrenbetäubenden Refrain, der „neue Ideen“ anstelle von Marxens „veralteten“ Ideen verlangt, die in Wirklichkeit die modernsten, die einzigen Ideen sind, die die derzeitige Krise erklären und einen Ausweg aufzeigen können. Der Verfall der KulturEs gibt in der Geschichte Perioden, die von Pessimismus, Zweifeln und Hoffnungslosigkeit geprägt sind. Dann suchen die Menschen, die den Glauben an die bestehende Gesellschaft und ihre Ideologie verloren haben, nach einer möglichen Alternative, die notwendig revolutionär sein muss. Doch die zerfallende, alte Gesellschaft übt weiterhin einen immensen Einfluss aus. Sie findet keinen Halt mehr und strahlt deshalb negative Stimmungen aus, so wie eine Leiche ihren Gestank. In ihren Jugendtagen glaubte die Bourgeoisie an den Fortschritt, weil der Kapitalismus trotz aller seiner brutalen und ausbeuterischen Eigenschaften eine sehr fortschrittliche Rolle in der Entwicklung der Produktivkräfte spielte und so die materielle Basis für eine höhere Entwicklungsstufe der menschlichen Gesellschaft, den Sozialismus, schuf. Als die Bourgeoisie noch fähig war, eine fortschrittliche Rolle zu spielen, hatte sie eine revolutionäre Ideologie. Sie brachte große, originelle Denker hervor: Locke und Hobbes, Rousseau und Diderot, Kant und Hegel, Adam Smith und David Ricardo, Newton und Darwin. Doch die geistige Produktion der Bourgeoisie in der Periode ihres Niedergangs weist alle Merkmale fortgeschrittener Altersschwäche auf. Die postmoderne Verwirrung, die heutzutage als Philosophie durchgeht, ist ein Eingeständnis des allererbärmlichsten geistigen Bankrotts. Die hochnäsigen Intellektuellen, die über die Uni-Campusse stolzieren und ihre vermeintliche Überlegenheit zur Schau stellen, behandeln die früheren Philosophen mit Verachtung. Doch die Inhaltsleere dieser sogenannten Philosophie ist derart grell, dass die postmodernen Erbsenzähler sofort auf die Größe unbedeutender Zwerge zusammenschrumpfen, wenn man sie mit einem dieser großen Denker vergleicht. Der Postmodernismus lehnt die Möglichkeit geschichtlichen Fortschritts generell ab, aus dem einfachen Grund, dass die Gesellschaft, die ihn hervorgebracht hat, keines Fortschritts mehr fähig ist. Dass dieses postmoderne „Narrativ“ als neue Philosophie ernst genommen werden konnte, ist für sich genommen schon ein vernichtendes Urteil über den theoretischen Bankrott des Kapitalismus und der bürgerlichen Intelligenz in der Epoche des imperialistischen Niedergangs. Hegel drückte das so aus:
Das ist kein Zufall. Die derzeitige Epoche ist von ideologischer Verwirrung, Verrat, Zerfall und Zerstreutheit gekennzeichnet. Unter diesen Bedingungen wird die Intelligenz von einer pessimistischen Stimmung ergriffen. Für sie war der Kapitalismus gestern noch eine niemals versiegende Quelle von Karrieremöglichkeiten und garantierte einen komfortablen Lebensstandard. In der Mittelschicht findet eine allgemeine Gärung statt, die ihren deutlichsten Ausdruck in der Intelligenz findet. Dieser Klasse ist ihre prekäre Lage deutlich bewusst, in der sie zwischen den Großkapitalisten und der Arbeiterklasse aufgerieben wird. Während sich einige Elemente darin nach links radikalisieren, wird die Mehrheit, speziell die Akademiker, von Pessimismus und Unsicherheit beherrscht. Wenn sie sagen: „Es gibt keinen Fortschritt“, dann meinen sie: „Die derzeitige Gesellschaft kann überhaupt nicht dafür garantieren, dass morgen nicht schlimmer sein wird als heute.“ Damit haben sie ganz Recht. Anstatt aber den Schluss zu ziehen, dass es nötig ist, für den Sturz dieses Systems zu kämpfen, das die Menschheit in eine ideologische Sackgasse geführt hat und die Fortexistenz von Zivilisation und Kultur massiv bedroht, kauern sie sich in einer Ecke zusammen, ziehen sich in ihr Inneres zurück und beruhigen ihr schlechtes Gewissen mit dem Gedanken: „Es gibt ja sowieso keinen Fortschritt!“ Aus diesem engstirnigen Vorurteil, dieser fehlenden Weitsicht und intellektuellen Feigheit ergeben sich zwangsläufig weitere praktische Schlussfolgerungen: Die Revolution wird zugunsten „kleiner Schritte“ (dazu zählen dann stumpfsinnige Streitereien über Wörter und „Narrative“) aufgegeben, man zieht sich in die Subjektivität zurück, man verneint den Klassenkampf, erhebt „meine“ besondere Unterdrückung über „deine“ und gelangt so schließlich zu einer fortschreitenden Zerteilung der Bewegung bis hin zu ihrer Atomisierung. Natürlich gibt es gewisse Unterschiede zwischen der jetzigen Situation und den Ideen, die Lenin 1908 so leidenschaftlich bekämpfte. Doch die Unterschiede beschränken sich auf die Form. Der Inhalt ist ähnlich bis identisch und die praktischen Konsequenzen sind restlos reaktionär. Ein Zeitalter des AbfallsLenin war immer ehrlich, wenn es um Probleme und Schwierigkeiten ging. Seine Losung war: Sagen, was ist. Manchmal schmeckt die Wahrheit nicht sehr gut, aber wir müssen sie trotzdem immer sagen. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass die revolutionäre Bewegung durch eine Kombination objektiver und subjektiver Umstände weit zurückgeworfen worden ist und die Kräfte des unverfälschten Marxismus zu einer kleinen Minderheit zusammengeschrumpft sind. Das ist die Wahrheit. Wer sie leugnet, betrügt nur sich und andere. Das laute Geschrei nach einer Revision der Grundsätze des Marxismus ist in den letzten Jahrzehnten ohrenbetäubend geworden. Man sagt uns, der Marxismus sei gleichbedeutend mit „Dogmatismus“ und Stalinismus. Diese verzweifelte Suche nach „modernen Ideen“, die angeblich die „diskreditierten, alten Ideen“ des Marxismus ablösen könnten, ist alles andere als zufällig. Die Arbeiterklasse lebt nicht abgetrennt von anderen Klassen und gerät unweigerlich unter den Einfluss fremder Klassen und ihrer Ideologien. Auch wir leben und arbeiten in der Gesellschaft und erleben ständig diese Stimmungen und diesen Druck. Die allgemeinen Stimmungen der Gesellschaft können auch in die Arbeiterklasse und ihre Organisationen eindringen. Wenn es keine allgemeine Bewegung der Klasse gibt, intensiviert sich der Druck der Bourgeoisie und insbesondere des Kleinbürgertums. Nach der langen Periode, in der die Arbeiter vorübergehend inaktiv geworden waren, drängten sich die kleinbürgerlichen Elemente in den Vordergrund und stießen die Arbeiter beiseite. Der Refrain der „Klugen“, die selbst jeden Kampfeswillen verloren haben und den Arbeiter mit drängender Sorge erklären, dass die Revolution nur Tränen und Enttäuschungen bringt, übertönte die Stimmen der Arbeiter. Nach dem Untergang des Stalinismus kam es zu einer allgemeinen Stimmung der Verwirrung und der ideologischen Kapitulationen. Viele Menschen verließen die kommunistische Bewegung. Zynismus und Skeptizismus kamen in Mode. Die linken Intellektuellen reagierten auf den Verrat der sozialistischen und kommunistischen Parteien nicht, indem sie mit dem Stalinismus und Reformismus brachen, sondern indem sie sich völlig von den Ideen des Marxismus und des revolutionären Sozialismus abwandten. Viele, besonders die ehemaligen Stalinisten, verließen den Marxismus und den Kampf für den Sozialismus und zogen aus, gegen Windmühlen und für „neue Methoden“ zu kämpfen, die bislang ebenso unauffindbar sind wie der Topf voll Gold am Ende des Regenbogens. Diese alternden Zyniker halten all ihre Jugendträume von der Revolution für Dummheiten („Jugendsünden“ nennt sie der Erzrevisionist Heinz Dieterich). Man will mit der eigenen Vergangenheit abschließen, wieder gutmachen, was man angerichtet hat und der jungen Generation davon abraten, dem Weg der Sünde zu folgen. Die Organisationen der Arbeiterbewegung bewegten sich schrittweise nach rechts. Die Mittelschichtskarrieristen ergriffen die Führung und stießen die Arbeiter beiseite. Das trieb viele Arbeiter in die Inaktivität, wodurch sich das kleinbürgerliche Element noch weiter vergrößerte. In solchen Perioden wird die Stimme des Arbeiters und der Arbeiterin vom reformistischen Refrain übertönt: „Erneuerung!“, „Neuer Realismus!“ und so fort. Die Ideen des Kleinbürgertums wurden vorherrschend. Klassenpolitik und revolutionärer Sozialismus galten als „altmodisch“. Anstelle des „dogmatischen“ Marxismus haben wir mannigfaltige Ideen: Pazifismus, Feminismus, Umweltschutz – jede beliebige Ideologie außer dem Sozialismus und Marxismus. Im Übergangsprogramm beschäftigte sich Trotzki 1938 mit einem ähnlichen Phänomen:
Mit den ultralinken Sekten, die elend am Rande der Arbeiterbewegung dahinvegetieren, steht es nicht viel besser. Sie beschwören in jedem zweiten Satz Marx, Engels und Trotzki, scheren sich aber nicht einmal darum, deren Werke herauszugeben! „Moderne“ (gar „postmoderne“) Ideen, die sie unkritisch von der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum übernehmen, sind ihnen lieber. Die Sekte der Mandelisten (das sogenannte Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale) ist das deutlichste Beispiel dafür. Auf der anderen Seite fallen Sekten wie die Taaffisten (CWI) und die SWP in Großbritannien und die Lutte Ouvrière in Frankreich zurück in den Sumpf des „Ökonomismus“, den Lenin scharf angriff. Die demagogische Marke des Workerismus, die grundsätzliche Ablehnung von Studenten und Intellektuellen ist bloß eine Fassade, hinter der sie ihre Verachtung für die Theorie verstecken, sowie die Ersetzung der revolutionären Politik durch praktische „Politik“ und „Tageskämpfe“. Es ist schwer zu sagen, welche Abweichung schlimmer ist. „Tausche alte Ideen gegen Neue“Im Märchen von Aladdin verkleidet sich ein böser Zauberer als Straßenhändler und bietet glänzende neue Lampen im Tausch für alte. Aladdins Prinzessin nimmt das Angebot leichtsinnigerweise an und verliert so die Macht des Flaschengeistes. Eine unterhaltsame Geschichte, die uns lehrt: Es ist dumm, Wertvolles gegen glitzernden Plunder einzutauschen. Es ist ironisch, dass gerade jetzt, wo die Krise des Kapitalismus den Marxismus völlig bestätigt hat, die Linken ein regelrechtes Wettrennen darum veranstalten, die marxistische Theorie über Bord zu werfen, als handle es sich nur um eine Menge Ballast. Die ehemaligen „Kommunisten“ sprechen nicht einmal mehr vom Sozialismus und haben die Schriften von Marx und Engels auf den Müll geworfen. Die Ideen des revolutionären Marxismus werden als altmodisch und irrelevant hingestellt. Die Mittelschichtsintellektuellen und „fortschrittlich Orientierten“ stolpern beim Versuch den Marxismus zu blamieren, über ihre eigenen Füße. Die allgemeine Stimmung der ideologischen Verwirrung, des Hinterfragens marxistischer „Orthodoxie“ und der Ablehnung von Theorie können sich auch auf uns schädlich auswirken. Wir sehen so etwas nicht zum ersten Mal. Diese gegenrevolutionären, reformistischen Strömungen waren immer schon in der Bewegung vertreten. Wir haben gesehen, dass Marx, Engels, Lenin und Trotzki sich alle schon mit demselben Feldzug für „neue Ideen“ auseinandersetzen mussten. Das war seit jeher der Schlachtruf aller Revisionisten seit Dühring und Bernstein. Wir haben uns mit einigen dieser „aktuellen Alternativen“ im Buch von Alan Woods Reformism or Revolution: Socialism of the 21st Century. Reply to Heinz Dieterich beschäftigt. Dieses unablässige Bemühen, den Marxismus zu revidieren, widerspiegelt die Verzagtheit der älteren Generationen in der Bewegung, die vor lauter Niedergeschlagenheit wegen vergangener Niederlagen und Fehlschläge ihr schlechtes Gewissen beruhigen wollen, indem sie sich als Marxisten geben, die „älter und klüger“ geworden seien, da sie verstanden hätten, dass die „alten“ Ideen am Ende doch nur utopische Träume waren, die mit der heutigen Welt praktisch nichts zu tun haben. Der einzige Zweck solcher Argumente besteht darin, die Jugend abzulenken, so viel Verwirrung wie möglich zu erzeugen und so eine Barrikade zu bilden, die der neuen Generation den Zugang zum Marxismus erschweren soll. Es handelt sich nur um das Spiegelbild der Kampagne, die die Bourgeoisie gegen Kommunismus und Sozialismus führt. Sie ist allerdings weit gefährlicher und schädlicher als jene, weil sie ihren Kampf unter falscher Flagge führt. Ihre Vertreter sind radikale Gegner der Revolution und des Sozialismus, wagen aber nicht, das einzugestehen – möglicherweise nicht einmal sich selbst (inwiefern sie den Unsinn, den sie schreiben, selbst glauben, mögen wohl nur Experten der Psychologie beurteilen). Sie verschleiern ihre reaktionäre, gegenrevolutionäre Botschaft unter einer dicken Schicht aus „linken“ oder „radikalen“ Phrasen, die sie für die meisten Leute unkenntlich macht. Die Ideen des Sozialismus werden verwässert, revidiert oder einfach fallen gelassen. Die marxistische Strömung ist gegenüber dem Druck des Kapitalismus nicht immun. Die verwirrt-pessimistischen Stimmungen der Mittelschichtsintellektuellen können unter Umständen ein Echo in der marxistischen Bewegung auslösen und sich dort als ständiger Angriff gegen „orthodoxe Beschränktheit“ und ständiger Ruf nach „etwas Neuem“ manifestieren, was uns stark an den Sirenengesang von Aladdins Zauberer erinnert. Die Gefahren der Uni- und JugendarbeitRevolutionäre Sozialisten sind die wütenden Angriffe gegen den Sozialismus und Kommunismus gewohnt – nicht nur von Seiten der Verteidiger des Kapitalismus und Imperialismus, sondern auch der Reformisten (der Linken wie der Rechten) und auch von Seiten der sogenannten radikalen kleinbürgerlichen Intelligenz, von der ein Teil den Kapitalismus bekämpfen möchte, aber nicht die leiseste Ahnung hat, wie das gehen soll. Wir haben die Wichtigkeit der Uni- und Jugendarbeit stark betont und dies liefert uns sehr bedeutende Ergebnisse- nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Kanada und den USA. Wir müssen diese Orientierung auf absehbare Zeit beibehalten, aber wir müssen uns die Art und Weise ihrer Umsetzung genau überlegen. Es stimmt, dass die Uniarbeit uns enorme Möglichkeiten eröffnet. Doch sie birgt ebenso Risiken und Gefahren. Wir müssen unsere Augen vor dieser Gefahr stets offen halten, um sehr ernsthafte Konsequenzen zu vermeiden. Wir müssen im Kopf behalten, dass die Universitäten eine fremde Umgebung voller klassenfremder Menschen sind und stark von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideen beeinflusst werden. Das studentische Milieu bleibt überwiegend bürgerlich und kleinbürgerlich, was auch Studierende aus der Arbeiterklasse beeinflusst. In vielen Fällen eifern sie nur danach, auf der sozialen Leiter aufzusteigen, sie dann wegzutreten und ihre Klasse weit zurückzulassen, während sie einer Laufbahn als Ärzte, Anwälte oder Politiker entgegenstürmen. Vielleicht ist das nicht immer der Fall, aber es kommt nur allzu oft vor. Die Universitäten sind ein Transmissionsriemen für die Verbreitung reaktionärer, bürgerlicher Ideen in der Gesellschaft. Sie sind regelrechte Treibhäuser, in denen die Bourgeoisie alle möglichen seltsamen und wundersamen Ideen entwickelt, um die Jugend in die Irre zu führen, zu verwirren und von der Revolution wegzulenken. Die Universitäten sind nicht „Tempel des Lernens,“ sondern Fabriken für die Massenproduktion ideologischer Verfechter des Kapitalismus. In der Periode der Altersschwäche des Kapitalismus sind die Universitäten zu einem giftigen Sumpf geworden, in denen reaktionäre Ideen erblühen und keiner den Mut hat, sie zu konfrontieren. Oberste Pflicht studierender Marxisten ist die Bekämpfung dieser Ideen – nicht nur der offen bürgerlichen Ideen, sondern auch der zehntausend verwirrten Konzepte der „radikalen“ und „fortschrittlichen“ kleinbürgerlichen Elemente, die vorgeben, gegen das System zu sein, sich aber in der Praxis auf ohnmächtige Wutausbrüche gegen dieses oder jenes Symptom beschränken. Eine ideologische Waffe der ReaktionEs ist auch kein Zufall, dass die Vertreter dieser Ideen in den späten 1980ern und 1990ern tonangebend wurden. Mit dem Rückgang des Klassenkampfes entfaltete sich eine weitläufige antimarxistische Kampagne in den Universitäten. Personen, welche in den revolutionären Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre aktiv gewesen waren, wurden aufgenommen und zu dem Zweck, den Marxismus anzugreifen, an bequeme Stellen gesetzt. Teilweise waren diese Ideen von der groben, offen prokapitalistischen Sorte – andere waren versteckter und hinterlistiger. Intersektionalität und Identitätspolitik waren für die „Links“intellektuellen eine bequeme Möglichkeit zur Fahnenflucht aus dem Klassenkampf und zur Abwendung vom Sozialismus, während sie weiterhin Lippenbekenntnisse über „fortschrittliche Anliegen“ abgaben. Nicht aus Zufall werden diese Ideen heutzutage von der herrschenden Klasse im Bildungssystem gefördert. Die Queertheorie etwa lässt sich auf die Welle idealistischer und subjektivistischer Ideen (darunter der Postmodernismus) zurückführen, die sich in den letzten Jahrzehnten als Reaktion gegen den Marxismus entwickelten. Ein kürzlich veröffentlichtes CIA-Dokument namens France: Defection of the Left Intellectuals enthüllt das Entzücken des Geheimdienstes über den Rechtsschwenk der Akademiker:
Der Bericht fährt fort:
In ähnlicher Weise unterstützte die CIA im Geheimen eine Reihe „antitotalitärer“ Publikationen, darunter Partisan Review, den Monat (in dem unter anderem Artikel von Adorno und Arendt erschienen), Mundo Nuevo und dergleichen. Diese Zeitschriften einigte der rote Faden der Verteidigung des „Intellektuellen“ gegenüber dem Klassenkampf. Aus den Händen eben dieser Intellektuellen erwuchsen die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideen, die heute auf den Universitäten vorherrschend sind. Foucault gilt als Vater der Queer Theorie. Als der Klassenkampf zum Erliegen kam, nachdem ihn die Führung unzählige Male verraten hatten, schlossen diese Damen und Herren daraus, der Fehler liege im Klassenkampf und der Arbeiterklasse, nicht in deren Führung. Sie passten ihre „Philosophie“ einfach den Interessen der Bourgeoisie und der Bürokratie der Arbeiterbewegung an. In ihren Köpfen wurde der Klassenkampf in eine unendliche Menge individueller Kämpfe ohne gemeinsame Eigenschafen aufgelöst. Wenn sie den Klassenkampf anerkannten, dann maßregelten sie die Arbeiterklasse für ihre angebliche „Rückständigkeit“ und forderten eine Änderung des „Diskurses“ anstelle einer mutigen Initiative der feigen Führung an der Spitze der Bewegung. Im CIA-Bericht sehen wir, dass die herrschende Klasse weit davon entfernt war, sich von irgendeiner dieser Ideen bedroht zu fühlen, sondern sie stattdessen aus ganzem Herzen begrüßte, weil sie in ihnen wertvolle Werkzeuge im ideologischen Kampf gegen den Marxismus sah. Die „Intersektionalität“ und „Identitätspolitik“Zu den Spielarten der Identitätspolitik, die das radikale Kleinbürgertum in der allerletzten Zeit beschäftigt haben, gehört das Konzept der „Intersektionalität“. Das ist nicht bloß eine geringfügige Abweichung oder Verwirrung wohlmeinender Leute, sondern eine komplett rückwärtsgewandte, reaktionäre und konterrevolutionäre Ideologie, die wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen müssen. Die herrschende Klasse hat immer versucht, in der Arbeiterklasse für Spaltungen zu sorgen. Damit folgt sie der uralten Taktik: „Teile und herrsche“. Sie nutzt jede Möglichkeit, die Arbeiter gegeneinander aufzuhetzen: Rassismus, die nationale Frage, die Sprache, das Geschlecht, die Religion: Alle sind sie verwendet worden; und werden es immer noch, um die Arbeiterklasse zu spalten und sie vom Klassenkampf zwischen Arm und Reich, zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten abzulenken. Das ist in der Linken fast jedem klar. Im Kampf gegen Rassismus, Sexismus und andere Unterdrückungsformen, die es in der Gesellschaft gibt, ist es möglich, in das entgegengesetzte Extrem zu verfallen, den Klassenstandpunkt zu verlassen und das Spiel der herrschenden Klasse mitzuspielen, indem man das, was uns unterscheidet, über alles andere stellt, die Wurzeln der Unterdrückung ignoriert und die spezifischen Interessen dieser oder jener Gruppe in einer Form verficht, die dem vereinten Klassenkampf schadet. Die meisten Leute, die sich auf spezifische Unterdrückungsformen konzentrieren, neigen dazu, die wirkliche Grundlage der Unterdrückung zu ignorieren: Die Klassengesellschaft selbst. Sie sind gegen jeden Versuch, die Arbeiterklasse im revolutionären Kampf gegen das Kapital zu vereinen und bestehen darauf, sich auf dieses oder jenes Thema zu konzentrieren. Das führt zu extrem negativen Resultaten. In einer steigenden Anzahl von Fällen verstecken sich Universitätsdirektionen und Studentenorganisationen hinter der „politischen Korrektheit“ und dem vorgeblichen Wunsch, auf die Befindlichkeiten gewisser Menschen einzugehen und niemanden zu verletzen, um in Wirklichkeit eine frappierende Diskriminierung und Zensur zu betreiben und gewissen Menschen das Wort zu verbieten – nicht nur Rassisten und Faschisten, sondern auch immer öfter Linken. Folgendes Beispiel aus Kanada reicht aus, um die konterrevolutionäre Aktivität dieser Gruppen offenzulegen. Nach den Wahlen in den USA versuchten einige Jugendliche in Toronto spontan über Facebook eine Anti-Trump-Demo zu organisieren. Diese jungen Leute wurden daraufhin sofort einem Sturm von Beleidigungen von Seiten der Identitätspolitik-Anhänger ausgesetzt, die sie in den übelsten Begriffen anklagten, weil auf ihrer Bühne keine schwarze Person sprach usw. usf. Im Ergebnis dessen fühlten sich die jungen Leute eingeschüchtert, wurden demoralisiert und aus der Bewegung vertrieben. Das ist kein Einzelfall, sondern vollkommen typisch für die reaktionäre Taktik dieser Strömung. Es ist an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen und klar zu sagen, dass die Identitätspolitik und aller damit verwandter Unsinn, der in den letzten Jahren den Kopf erhoben hat, eine offensichtlich reaktionäre Strömung repräsentiert, die mit äußerstem Elan bekämpft werden muss. Die nationale FrageIn gewisser Hinsicht lässt sich die sogenannte Identitätspolitik mit der nationalen Frage vergleichen. Natürlich hat jeder Vergleich seine Grenzen. Hier aber drängt er sich auf und lässt sich einfach formulieren. Marxisten sind gegen und bekämpfen jede Form der Unterdrückung und Diskriminierung, ob auf Basis der Nationalität, des Geschlechts, der Volkszugehörigkeit, Sprache, Religion oder sonst irgendetwas. Und das reicht völlig aus. Marxisten verteidigen unterdrückte Nationen gegen mächtige und räuberische imperialistische Staaten. Wir sind gegen jede Form der Unterdrückung. Das ist unser Ausgangspunkt. Doch mit diesen Elementarsätzen ist man der nationalen Frage noch keineswegs auf den Grund gegangen. Nach A, B und C folgen weitere Buchstaben im Alphabet. Marx erklärte, dass die Frage der Arbeit immer die wichtigste Frage ist und dass die nationale Frage ihr immer untergeordnet ist. Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen ist kein absolutes Recht, das außerhalb von Raum und Zeit bestünde. Es ist dem allgemeinen Interesse der internationalen proletarischen Revolution immer untergeordnet. Lenin betonte diesen Gedanken oftmals. Der Kampf der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus verlangt die völlige Solidarität und die größtmögliche Einheit der Arbeiter aller Nationen. Im Kampf gegen jede Ausdrucksform der nationalen Unterdrückung oder Diskriminierung ist es notwendig, den Versuchen der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalisten entgegenzutreten, die Arbeiter ihren spezifischen Interessen und ihrer spezifischen Politik unterzuordnen. In Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen schrieb Lenin 1914:
Es ist allgemein bekannt, dass Lenin konsequent für das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung eintrat. Das ist aber nur eine Seite der Gleichung. Lenin verteidigte auch die Einheit der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen und stellte sich jedem Vorschlag, Arbeiterorganisationen für bestimmte Nationen (oder sollten wir sagen nach den Vorstellungen der Identitätspolitik) entgegen. In seinen Schriften zur nationalen Frage bestand Lenin nicht nur auf das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung. Er betonte auch, dass die Marxisten zwischen sich selbst und den kleinbürgerlichen Nationalisten und Demokraten einen klaren Trennungsstrich ziehen müssen:
Wir werden immer die Rechte der unterdrückten Nationen gegen ihre Unterdrücker verteidigen. Das heißt aber nicht, dass wir die Zumutungen der Bourgeoisie unterdrückter Nationen akzeptieren, oder die Interessen der Arbeiterklasse ihren Forderungen unterordnen müssen – im Gegenteil. Die Arbeiterklasse in einer unterdrückten Nation hat vor allem die Pflicht, unversöhnlich gegen ihre eigene Bourgeoisie zu kämpfen, ihre Demagogie zu entlarven und sich allen Versuchen zu widersetzen, die Arbeiter der unterdrückten Nationen „ihrer“ Bourgeoisie unterzuordnen. Im Selbstbestimmungsrecht der Nationen (geschrieben Februar-Mai 1914) schrieb Lenin
Im zaristischen Russland litten jüdische Menschen unter der allerempörendsten Unterdrückung. Die jüdischen Arbeiter waren doppelt unterdrückt – als Arbeiter und als Juden. Die Bolschewiki forderten volle Rechte für die Juden und kämpften mit der Waffe in der Hand gegen antisemitische Pogromstifter. Doch mit aller Deutlichkeit bekämpfte Lenin die Versuche des jüdischen Bundes, in der SDAPR einen Sonderstatus zu erlangen. Er bestritt ihr Recht, allein für die jüdischen Arbeiter zu sprechen. Er sagte, solche Behauptungen zu akzeptieren, komme einer Abweichung von der proletarischen Politik und einer Unterordnung der Arbeiter unter die Politik der Bourgeoisie gleich. Die Bundisten waren empört und griffen Lenin für seine angebliche Rücksichtslosigkeit gegenüber den Problemen des jüdischen Volkes an, doch Lenin zuckte nur mit den Schultern. Die Prinzipien der proletarischen Klasseneinheit und des Internationalismus waren wichtiger als die nationale Frage. Ziehen wir einen Vergleich zwischen Lenins Haltung zur nationalen Unterdrückung und der Frage der Identitätspolitik im Allgemeinen und dem Feminismus im Besonderen. Wie die bürgerlichen Nationalisten verlangen die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feministen kategorisch, die Geschlechterfrage müsse allem anderen gegenüber überwiegen und Frauen der Arbeiterklasse müssten sich vor allen Dingen mit allen anderen Frauen identifizieren – vor allem mit den „klugen“ bürgerlichen und kleinbürgerlichen, intellektuellen Frauen, die die feministische Bewegung unter Kontrolle haben. Wir beantworten diese unablässige Forderung folgendermaßen: Wir werden kämpfen, um die Frauenrechte zu verteidigen. Doch wir sind nicht bereit, uns der Führung bürgerlicher und kleinbürgerlicher Frauen zu unterwerfen, die unter dem Vorwand, für die Rechte „aller Frauen“ zu kämpfen, lediglich ihr eigenes Interesse verfolgen. Die Interessen der Frauen der Arbeiterklasse sind grundsätzlich dieselben wie jene der Männer der Arbeiterklasse. Alle werden sie von den Bankern und Kapitalisten unterdrückt, und es macht für sie keinen Unterschied, ob diese Banker und Kapitalisten Männer oder Frauen sind. Frauen der Arbeiterklasse sind nicht nur als Arbeiterinnen, sondern auch als Frauen unterdrückt und sind mit besonderen Fragen konfrontiert, die in unseren programmatischen Forderungen zur Sprache kommen müssen. Doch wir können es bürgerlichen und kleinbürgerlichen Elementen nicht zutrauen, für die Forderungen von Frauen der Arbeiterklasse zu kämpfen, weil ihre Interessen letzten Endes nicht zusammenfallen und sich gegenseitig ausschließen. Im Fall der nationalen Frage drückte sich der Gegensatz zwischen Arbeitern und Bauern und der nationalen Bourgeoisie oft als Bürgerkrieg aus. Wie verhielten sich die Bolschewiki zu solchen Fällen? Nehmen wir ein spezifisches Beispiel aus der russischen Revolution. War die nationale Bewegung in Finnland fortschrittlich oder reaktionär? Die Bolschewiki gaben den unterdrückten Nationalitäten, die Finnen und Polen mit eingeschlossen, das Recht auf Selbstbestimmung. Das ist aber nur die halbe Geschichte. In Finnland gab es einen Bürgerkrieg zwischen Bolschewiki und Weißen, deren letztere unter dem Banner der finnischen Unabhängigkeit kämpften. Es unterliegt überhaupt keinem Zweifel, dass die Bolschewiki – hätten sie über ausreichende militärische Kräfte verfügt – in Finnland interveniert hätten, um die bürgerlichen Nationalisten niederzuschlagen und die Arbeiter zu unterstützen. Der Sieg der finnischen Arbeiter hätte nicht zur Unabhängigkeit, sondern zum Beitritt Finnlands zur Republik der Sowjets geführt. Trotzki schrieb einmal, der Nationalismus der Unterdrückten könne „die äußere Hülle eines unreifen Bolschewismus“ sein. Das ist völlig zutreffend – unter gewissen Umständen! Doch es trifft nicht immer zu. Der Nationalismus der unterdrückten Nationalitäten kann die äußere Hülle eines unreifen Bolschewismus sein – doch ebenso gut auch die äußere Hülle eines beginnenden Faschismus. Es hängt von den konkreten Bedingungen ab. Die Politik der SpaltungEs besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Rassismus in der kapitalistischen Gesellschaft ein wichtiges Thema ist. Die herrschende Klasse hat ihn immer genutzt, um die Arbeiterklasse zu spalten und zu schwächen und eine gesellschaftliche Gruppe auf Grundlage von Abstammung, Hautfarbe, Sprache und so weiter gegen die andere aufzuhetzen. Der Kampf gegen alle Spielarten des Rassismus ist für Marxisten, die immer nach der größtmöglichen Einheit der Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen das Kapital streben, deshalb eine Priorität. In keinem fortgeschrittenen kapitalistischen Land ist der Kampf gegen den Rassismus so wichtig wie in den USA. Die Black-Lives-Matter-Bewegung drückt den Wunsch von Millionen schwarzer Menschen aus, sich gegen Polizeigewalt, Diskriminierung und Rassismus zu wehren. Das ist absolut fortschrittlich und muss unterstützt werden. Die Tendenz aber, dieses Phänomen zu „theoretisieren“, hat zu Übertreibungen geführt, die negative Konsequenzen haben können, insbesondere für den Kampf schwarzer Amerikaner für deren Rechte. Marxisten kämpfen gegen Rassismus und Polizeigewalt, doch wir sind keinesfalls verpflichtet, eine einseitige und falsche Ideologie zu akzeptieren, die diesen Kampf nicht nur in keiner Weise voranbringt, sondern alles tut, um ihn zu behindern und zu schwächen. Zweifellos gibt es zahlreiche Arten der Unterdrückung neben der Klassenausbeutung, darunter Rassismus, Sexismus, Homophobie und dergleichen. Als Marxisten nehmen wir jede Form von Unterdrückung zur Kenntnis und kämpfen dagegen. Das Problem an der Intersektionalität ist, dass sie betont, was uns trennt und nicht, was uns verbindet. Sie konzentriert sich auf die unendlichen Kombinationen verschiedener Formen der Unterdrückung und sogenannter „Privilegien“, die jede einzelne Person erleben mag, und argumentiert deshalb, wir hätten alle verschiedene Interessen. Das hetzt verschiedene unterdrückte Gruppen und Schichten der Arbeiterklasse gegeneinander auf, anstatt den kollektiven, radikalen Klassenkampf voranzubringen, der notwendig ist, um Unterdrückung zu bekämpfen und Klassenausbeutung zu beenden. Laut der prominenten intersektionalen Feministin Patricia Hill Collins, besitzen
Sie bedient sich des Beispiels von weißen Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts bestraft werden, aber durch ihre Ethnie bevorzugt sind. Das Problem dieser Ansicht liegt darin, dass sie suggeriert, dass wenn eine Person keine Form von Unterdrückung erfährt, sie stattdessen Unterdrücker ist und Interesse an der Beibehaltung der Unterdrückung von anderen hat. Dieser Fokus auf das Individuum als hauptsächlicher Verursacher von Unterdrückung hilft lediglich, die Kämpfe der Unterdrückten weiter zu zersplittern. Zudem hat keine Schicht der Arbeiterklasse ein Interesse daran, die Unterdrückung eines anderen beizubehalten - Ganz im Gegenteil. Anstatt alle Unterdrückten im gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus und den bürgerlichen Staat zu vereinen, wollen die „Intersektionalisten“ den Kampf in seine kleinsten Einzelteile aufspalten: schwarze Frauen gegen schwarze Männer, schwarze behinderte Frauen gegen schwarze nichtbehinderte Frauen usw. Indem sie auf diese Weise alles auflösen und abspalten, spalten sie die Bewegung, lenken von den hauptsächlichen Fragen ab und hetzen verschiedene unterdrückte Gruppen gegeneinander auf. So wird jeder abgetrennte Teil aufgefordert, unsere Rechte gegen eure durchzusetzen. Die Bewegung zerfällt so in immer kleinere Teile. Währenddessen reiben sich die wahren Unterdrücker, die Banker und Kapitalisten, die Medienmogule und Polizeichefs, die Reaktionäre und Rassisten die Hände und sehen mit Entzücken zu, wie die Bewegung ihre Energie auf zehntausende sinnlose Streitereien und Konflikte verschwendet. So attackieren einige Aktivisten andere Aktivisten wegen deren angeblicher Stellung in der „Privilegienhierarchie“. Schwarze Männer sind also schwarzen Frauen gegenüber „privilegiert“ usw. Die Liste ist endlos und das zwangsläufige Ergebnis ist die Atomisierung der Bewegung in tausend Teile. Anstatt den gemeinsamen Feind zu bekämpfen, soll jeder Teil der Unterdrückten sich auf die eigene Unterdrückung konzentrieren und gegen jeden anderen Teil der Unterdrückten argumentieren. Wäre das Kräfteverhältnis anders gewesen, wäre das Recht der Finnen auf Selbstbestimmung völlig den Interessen der proletarischen Weltrevolution untergeordnet gewesen. Leider verfügte die Sowjetrepublik noch nicht über die Rote Armee und so wurde die finnische Revolution von den Weißen besiegt. In diesem Fall wäre es äußerst reaktionär zu behaupten, der finnische Nationalismus sei die äußere Hülle eines unreifen Bolschewismus gewesen. Man könnte viele ähnliche Beispiele anführen. Rassismus und IdentitätspolitikDie USA sind ein unglaublich vielfältiges Land, was sie teilweise ihrer langen und brutalen Geschichte von Kriegen, Eroberungen und Sklaverei verdanken. Als der junge amerikanische Kapitalismus noch an sich und seine Zukunft glaubte, ließ er auf die Freiheitsstatue gravieren: „Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure bedrängten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen.“ Das hat sich in sein Gegenteil verwandelt. Die Altersschwäche des amerikanischen Kapitalismus findet in der reaktionären, engstirnigen und fremdenfeindlichen Politik Donald Trumps ihren deutlichen Ausdruck. Die America First-Politik bedeutet einen Versuch, zu einer Zeit, in der es den USA unmöglich ist, sich von der übrigen Welt und damit von der weltweiten Krise des Kapitalismus zu lösen, zur alten Politik des Isolationismus zurückzukehren. Trumps reaktionäre Demagogie soll die Arbeiter verwirren, indem sie Arbeitslosigkeit und Armut Migranten und Ausländern anlastet. Der Rassismus verstärkt sich ebenso wie die Angst der Migranten und Nichtweißen. In diesen Schichten kann die Identitätspolitik auf Sympathie stoßen. Das ist ganz verständlich. Doch wie immer wird auch hier eine richtige Idee in ihr Gegenteil verwandelt, wenn man sie zu weit treibt. In den USA hat die „Identität“ eine lange Geschichte – länger als die Identitätspolitik. Der Begriff der Identität in dem Sinne, dass man sich als irisch-amerikanisch, italienisch-amerikanisch, jüdisch-amerikanisch und dergleichen versteht, wurde verwendet, um die irisch-amerikanischen Arbeiter dazu zu bringen, sich mit den irisch-amerikanischen Bossen zu solidarisieren, die italienisch-amerikanischen Arbeiter mit den italienisch-amerikanischen Bossen, die jüdisch-amerikanischen Arbeiter mit den jüdisch-amerikanischen Bossen und neuerdings auch schwarze und Latino-Amerikaner mit schwarzen und Latino-Bossen. So wurden Arbeiter auf reaktionäre Weise nach ihrer ethnischen Herkunft gespalten und die Arbeiterklasse als Ganze geschwächt. Dennoch ist es verständlich und gerechtfertigt, wenn eine junge schwarze Person – angesichts des institutionellen Rassismus, der schwarze Menschen über Generationen verachtet und ihnen im Land ihrer Geburt jegliche Teilhabe an Geschichte und Kultur verwehrt hat – ihre Identität verteidigen und stolz darauf sein möchte. Ebenso sind einige indigene Gruppen in Lateinamerika stolz darauf, indigen zu sein und wollen ihre Sprache und Kultur verteidigen, weil sie die Ausbeutung und Unterdrückung leid sind. Selbstverständlich müssen Marxisten jeder Diskriminierung und Unterdrückung von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung, Abstammung oder Geschlechtsidentität aktiv entgegentreten und für die Abschaffung aller reaktionären Ehegesetze und dergleichen kämpfen. Das ist untrennbar mit dem allgemeinen Kampf gegen die Rechten und die Kapitalistenklasse verbunden. Die Marxisten entlarven jede Unterdrückung und Ungerechtigkeit, die der Kapitalismus hervorbringt, egal wer darunter leidet. Alle Übel des Kapitalismus, von der Frauenunterdrückung über Umweltkatastrophen bis hin zur Unterdrückung kleiner Nationalitäten erfüllen uns mit Zorn auf dieses System. Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle. Der Marxismus ist eine allumfassende Theorie zur Befreiung der Menschheit. Er stellt die Arbeiterklasse an die Spitze dieses Kampfes, weil sie die revolutionärste unterdrückte Klasse der Gesellschaft ist, eine besondere Rolle in Produktion und Gesellschaft hat und weil sie ein direktes Produkt des kapitalistischen Systems ist. Die führende Rolle der Arbeiterklasse im Kampf gegen alle Arten der Unterdrückung ergibt sich auch aus ihren eigenen Lebensbedingungen, die in embryonaler Form die zukünftigen Elemente einer sozialistischen Gesellschaft enthalten, die die Spaltung der Gesellschaft in Klassen, die Unterdrückung eines Volks durch ein anderes und natürlich die Unterdrückung der Frauen durch Männer beseitigt. Diese aktive Solidarität ist völlig unvereinbar mit der Vorstellung von „Bündnisarbeit“ (allyship), welche der Beharrung der Identitätspolitik auf das Primat der subjektiven Erfahrung entspringt. Weil argumentiert wird, dass nur jene, die eine Form der Unterdrückung erlebt haben, diese verstehen und bekämpfen können, werden diejenigen, die für die Lage der Unterdrückten und marginalisierten Gruppen Mitgefühl empfinden, in eine zweitrangige Position als passive Unterstützer verbannt. Doch die sogenannte Identitätspolitik schadet der Sache der Frauen, Schwarzen, Migranten, Indigenen und LGBT-Personen. Sie vertieft die rassistischen Spaltungen, die sie zu überbrücken vorgibt, sabotiert die Redefreiheit und macht eine vernünftige Debatte unmöglich. Politische Demagogen und kleinbürgerliche Fanatiker, die Argumente durch schrille Anklagen ersetzen, schreien jeden nieder, der ihre „politische Korrektheit“ in Frage zu stellen wagt. Eine hysterische Atmosphäre entsteht. Diese Leute unterstellen, dass politische und gesellschaftliche Probleme sich auf die Probleme unterdrückter Gruppen herunterbrechen lassen. Sie scheinen zu glauben, dass Forderungen nach ethnischer und Geschlechtergerechtigkeit alle Probleme lösen werden. In Wirklichkeit sind die Probleme unterdrückter Minderheiten ein Ausdruck der tiefen Widersprüche des Kapitalismus und nicht deren Ursache. So lenken diese Forderungen die Aufmerksamkeit von den realen Problemen ab und endlose Verwirrungen und Spaltungen werden hervorgerufen. Diese Leute beschuldigen die Marxisten, den Kampf der Unterdrückten zu ignorieren. Sie sagen, wir warten auf eine Revolution, die alle Probleme lösen wird, und haben für hier und jetzt keine Antworten. Nichts könnte falscher sein. Wir schlagen zur Bekämpfung der Unterdrückung Klassenkampfmethoden vor. Wir sind für eine Taktik der Massenaktion gegen jede Ungerechtigkeit. Es sind die Vertreter der reformistischen Identitätspolitik, die mit Quoten und Gesetzesfragen herumalbern, ohne die Struktur des Kapitalismus anzugreifen. Sie stiften Verwirrung und zerteilen die Menschen in immer kleinere Gruppen, die machtlos sind, sich gegen die wirkliche Quelle der Ausbeutung und Unterdrückung zur Wehr zu setzen. Wir erklären einfach nur, dass die Probleme der Unterdrückten die tiefen Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft ausdrücken und, dass es absolut utopisch ist, zu glauben, man könne diese Probleme völlig lösen, während die Klassensklaverei bestehen bleibt. Nur die allumfassende Einheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten kann gegen die Unterdrückung kämpfen und den Weg zum Sturz des kapitalistischen Systems freimachen. Anstatt eines Massenkampfes sehen wir kleine Aktivistengrüppchen, die ihre eigenen isolierten Kämpfe über spezifische Fragen führen - Doch damit nicht genug. Führt man den Gedanken zu seinem logischen Ende, ist jede Organisation unmöglich, weil selbstverständlich jedes Individuum einzigartig ist und den Kapitalismus auf seine eigene, einzigartige Weise erlebt. Dabei von „Allies“ [Verbündeten] und Zusammenarbeit zu reden, ist nur eine Tarnung für den spalterischen Ansatz, den sie vertreten. Ein Beispiel für die absurden Extreme, zu denen diese Ideen führen, ist der Aufruhr, der neuerdings über die Transphobie radikaler Feministinnen wie Julie Bindel, Germaine Greer und andere veranstaltet wird. Diese Feministinnen haben eine Reihe provokanter Aussagen über Transfrauen getätigt, in denen sie ihnen im Grunde genommen vorwerfen, „keine richtigen Frauen“ zu sein. Das ist ein Ausdruck der Besessenheit der Identitätspolitik davon, unbedingt definieren zu wollen, in welche Kategorie jemand gehört. Anstatt Ideen, mit denen sie nicht übereinstimmen, politisch herauszufordern, antworten außerdem beide Seiten mit Boykott, dem Verbieten von ‚Plattformen‘ für die Ideen, Protesten und Hooligan-Methoden, die Veranstaltungen verhindern und Debatten verhindern. Wenn es stimmt, dass jeder Teil der Unterdrückten die Unterdrückung in unterschiedlicher Weise erlebt, dann kann man genauso gut sagen, dass jedes einzelne Individuum die Welt unterschiedlich erlebt und dass deshalb niemand sonst meine Probleme verstehen kann, die mein persönliches Eigentum sind. Und so führt uns dieses Argument gleich wieder zurück in den philosophischen Sumpf des subjektiven Idealismus, den Lenin in Materialismus und Empiriokritizismus so vollumfänglich zerschlagen hat. Der subjektive Idealismus, der der Intersektionalität innewohnt, zeigt sich in seiner stumpfesten Form in folgender Aussage von Patricia Hill Collins: „Die übergreifende Herrschaftsmatrix umfasst mehrere Gruppen mit unterschiedlichen Erfahrungen von Bestrafungen und Privilegien, die entsprechende Teilperspektiven hervorbringen ... Keine Gruppe hat dabei, auf sich gestellt, klare Sicht. Keine Gruppe besitzt an sich die Theorie oder Methode, die ihr gestatten würde, die absolute ‚Wahrheit‘ zu entdecken.“[1]
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