Kategorie: Theorie

Das revolutionäre Werkzeug der Arbeiterklasse

Lenins Aussage „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben“, ist allgemein bekannt. Jede Theorie hat einen philosophischen Standpunkt zu ihrer Grundlage. Das macht die Auseinandersetzung mit Philosophie für jeden notwendig, der die Welt wirklich verstehen möchte.

wikimedia commons / Wolfgang Sauber


Warum Philosphie?

Man kann behaupten, es sei eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen, unsere Energie in die Diskussion über marxistische Theorien zu stecken. Oder, dass die Arbeiterklasse sich nicht für Philosophie interessiert, wenn es um politische Fragen geht. Diese Vorurteile scheinen nachvollziehbar, denn die meisten philosophischen Abhandlungen und Nachschlagewerke sind voll von abstrakten Begriffen ohne erkennbaren Nutzen (und die meisten haben überhaupt keinen Nutzen). Die bürgerlichen Akademiker und die so genannten akademischen „Marxisten“ scheinen sich besonders darum zu bemühen, ihre Ideen auf unverständliche Weise zu verpacken. Sie verstecken sich in Seminarräumen und besetzen Lehrstühle an Universitäten für ihr eigenes elitäres Prestige. Die marxistische Philosophie hat jedoch nichts mit diesen verkommenen akademischen Einrichtungen zu tun. Die Ideen von Marx und Engels vermitteln der Arbeiterklasse ein echtes Verständnis der Realität, der materiellen Welt und wie wir als Menschen die Welt sowie die Gesellschaft für unsere eigenen Bedürfnisse verändern können. Deshalb müssen wir ein klares Verständnis unserer Weltanschauung haben und diese konsequent verfolgen.

Jeder Mensch hat eine Philosophie und einige Ideen, auf die er sein Weltbild stützt. Menschen, die behaupten, dass sie keine Philosophie haben oder sie nicht brauchen, wiederholen im Allgemeinen die Ideen und Vorurteile der Gesellschaft, in der sie leben. Marx und Engels erklären: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“

So sind in unserer heutigen Gesellschaft die herrschenden Ideen jene der Kapitalistenklasse: der Bourgeoisie. Der Kapitalismus ist in einer tiefen Krise und im Niedergang begriffen. Das ist auch der Grund für die pessimistischen, konservativen und phantasielosen Ideen, die in den bürgerlichen Institutionen (z. B. Medien, Schule, Unterhaltungsbranchen, Universität) vertreten werden. Die Bourgeoisie glaubt heute fast gar nicht mehr an eine Zukunft für die Menschheit. Deshalb bietet die bürgerliche Philosophie keine inspirierenden Gedanken. Stattdessen tischt sie den Menschen die immer gleichen Vorurteile auf: „Es gibt keinen Fortschritt“, „der Mensch ist von Natur aus egoistisch“, „die Gesellschaft, in der wir leben, ist das Beste, das wir erwarten können“.

In der Welt versuchen jedoch Millionen von Arbeitern und Jugendlichen, einen Ausweg aus diesem zerfallenden System zu finden. Marx wies in seinen „Thesen über Feuerbach“ darauf hin, dass die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert haben, es aber darauf ankommt, sie zu verändern. Es ist also eine theoretische Grundlage und ein Rahmen notwendig, der uns hilft, die Welt zu verstehen, um sie zu verändern. Die marxistische Philosophie – der dialektische Materialismus – leistet genau das. Nur sie kann den Arbeitern die richtigen Werkzeuge an die Hand geben, um die Welt von Ausbeutung, Unterdrückung und Barbarei zu befreien. Um den dialektischen Materialismus zu verstehen, muss man zunächst seine Bestandteile verstehen: Materialismus und Dialektik.
 

Die revolutionäre Rolle des Materialismus

Die materialistische Philosophie sieht die Welt der Materie als das Ursprüngliche an, das unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung, Empfindung und dem Denken existiert. Ein Materialist versteht, dass unsere Ideen aus der materiellen Welt stammen und dass das Bewusstsein nichts anderes als Materie ist, die so organisiert ist, dass sie sich ihrer selbst bewusst wird. Im Gegensatz zum philosophischen Materialismus gibt es den philosophischen Idealismus, der annimmt, dass Ideen und Gedanken unabhängig von der materiellen Welt existieren. In diesem Sinne behaupten manche Idealisten, dass die Realität nicht existieren kann, ohne dass jemand sie wahrnimmt oder spürt. Das bedeutet, dass die Materie unseren Gedanken unterworfen oder sogar nur deren Projektion sei.

Der Kampf zwischen Materialismus und Idealismus ist älter als der Marxismus und lässt sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen. Interessanterweise war der Idealismus lange Zeit die vorherrschende Philosophie. Das lässt sich anhand der Ursprünge der Philosophie innerhalb der Klassengesellschaft erklären. Nach der Teilung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit war die herrschende Klasse, die von der Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung lebte, im Allgemeinen gebildeter, denn sie hatte Zeit, sich mit der Welt der Ideen zu befassen. Um ihre überlegene Stellung in der Gesellschaft zu rechtfertigen und zu begründen, stellten die Philosophen die Welt der Ideen über die materielle Welt. Die Welt der Ideen wurde als vollkommener angesehen als die Welt der Arbeit.

Auch im Feudalismus wurden der Gesellschaft während des Mittelalters die religiös-idealistischen Vorstellungen der Adligen und des Klerus aufgezwungen. Dennoch erhob sich im 18. Jahrhundert in Frankreich und England eine neue, aufstrebende Klasse, das Bürgertum, gegen die verstaubten idealistischen Ideen der alten herrschenden Klasse und der Kirche. Das revolutionäre Bürgertum bildete sich heraus, das eine eigene materialistische und revolutionäre Philosophie vertrat, die keine externe Autorität (wie Gott) akzeptierte und deren einziger Maßstab die Vernunft war.

Marx und Engels kritisierten jedoch die materialistische Sichtweise jener Zeit und bezeichneten sie als mechanischen Materialismus, da sie die Gesellschaft und die (menschliche) Natur als statisch und keinen Veränderungen unterworfen ansah. Ein mechanischer Materialist versteht, dass der Mensch und das Denken den materiellen Kräften und der Gesellschaft, in der er lebt, unterworfen sind. Aber er behandelt das menschliche Bewusstsein als etwas Träges und Passives. Marx wies darauf hin, dass der Prozess der Interaktion zwischen dem Menschen und der materiellen Welt das ist, was den Menschen diese Welt bewusst macht. Die Menschen werden also vor allem durch die Empfindungen, die sie im Prozess der Interaktion mit der Außenwelt erleben, zum Denken angeregt. Für die Marxisten beginnt die Lösung der Frage nach der Natur des Menschen also darin, dass er, indem er auf die äußere Welt einwirkt und sie verändert, gleichzeitig auch seine eigene Natur verändert. Diese Philosophie, die sich auf voneinander abhängige Prozesse stützt und sie nicht als isoliert und statisch, sondern in ständiger Wechselwirkung zu verstehen sucht, wird als Dialektik bezeichnet.

Dialektik und (R)Evolution

Der mechanische Materialismus war als philosophischer Rahmen für die Bourgeoisie zu der Zeit, als sie eine fortschrittliche Rolle in der Gesellschaft spielte, äußerst wichtig. Anders als der dialektische Ansatz von Marx und Engels bedient sich der mechanische Materialismus jedoch der formalen Logik. Diese Logik geht von der Annahme aus, dass „A gleich A“ ist, unabhängig von Zeit und Raum. Wenn wir beispielsweise 1 kg Salz kaufen, nehmen wir an, dass die Salzmenge in dem Sack 1 kg Salz entspricht, und dass sich dies nicht ändert. Der dialektische Ansatz erkennt jedoch an, dass alles in ständiger Veränderung begriffen ist und dass 1 kg Salz nicht genau 1 kg Salz entspricht, da sich beispielsweise im Laufe der Zeit Feuchtigkeit im Salz ansammeln und seine Zusammensetzung und Gewicht verändern kann usw. Natürlich ist es uns im Alltag egal, ob auf molekularer Ebene 1 kg Salz genau dem entspricht, denn solche kleinen Abweichungen ändern nichts an der alltäglichen Verwendung von 1 kg Salz. Auf diese Weise hat die formale Logik einen praktischen Nutzen, indem sie die Elemente der Natur in Teile und Kategorien unterteilt und eine große Menge an Wissen und Daten erzeugt. Dennoch hat diese Art von Logik ihre Grenzen, denn feste Kategorien helfen weniger, die Dynamik und die Veränderungen in Natur und Gesellschaft zu verstehen.

Anders, als es sich anhört, steht die Dialektik nicht in völligem Gegensatz zur formalen Logik, aber sie ermöglicht eine bessere Einschätzung der Realität. Trotzki verwendete eine gute Parallele zwischen Dialektik und formaler Logik, indem er einen Film mit einer Fotografie verglich. Ein Film setzt sich aus mehreren Bildern zusammen, die dem Betrachter das Element der Bewegung vermitteln, aber um einen Film zu produzieren, muss der Fotograf ein anderes Werkzeug wählen, um die Realität zu erfassen. Die Dialektik bringt die Logik auf eine höhere Ebene und ermöglicht ein besseres Verständnis von Natur und Gesellschaft in ihrer Dynamik.

Die Dialektik beschreibt, dass eine Anhäufung von kleinen Veränderungen, die für sich genommen keinen offensichtlichen Einfluss auf ein System haben, plötzlich zu einer schnellen und qualitativen Veränderung führt. Der deutsche Philosoph Hegel beschreibt dies als das dialektische Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität. Die Evolution der Arten oder auch eine neue Variante eines Virus sind Beispiele für einen dialektischen Prozess, bei dem kleine und konstante molekulare Veränderungen in der genetischen Information einer Population zu einer qualitativen Veränderung eines Merkmals eines lebenden Organismus führen. Auf diese Weise führen kleine Veränderungen im Laufe der Zeit (Evolution) unter bestimmten Bedingungen (Selektionsdruck) zu einem radikalen Qualitätssprung (Revolution).

Der gleiche dialektische Prozess findet in der Gesellschaft statt. Deshalb ist es ist wichtig, ihn für unseren politischen Aktivismus und unsere Analysen zu verstehen. Nehmen wir zum Beispiel einen Streik: Jeder einzelne Arbeiter wird von seinen Chefs wie Dreck behandelt, und die Arbeiter neigen dazu, diese Aggressionen zu schlucken und sie sogar als richtig und natürlich zu akzeptieren. Man kann aus dieser Momentaufnahme ableiten, dass die Arbeiter rückständig, reaktionär und „verbürgerlicht“ sind. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass wir einen neuen Akteur brauchen, um die Gesellschaft zu verändern. Die Dialektik lehrt uns jedoch, dass wir hinter die Oberfläche dieser scheinbaren Ruhe blicken müssen. Jede Lohnkürzung, jede schlechte Bedingung, die von den Managern gestellt wird, und der Niedergang der Lebensbedingungen lassen in den Arbeitern Wut und Groll aufkeimen, die nur einen Funken brauchen, um einen Bewusstseinswandel auszulösen.

Die revolutionäre Aufgabe der Arbeiterklasse

Obwohl er Idealist war, gelang es Hegel, die Gesetze der Dialektik zu beschreiben und sie unserem Denken nutzbar zu machen. Er wies darauf hin, dass der Hauptmotor von Veränderungen die Widersprüche innerhalb eines Systems sind. Dies gilt nicht nur für physikalische Prozesse wie die Umwandlung von Wasser in Gas, sondern auch für die Geschichte und die Entwicklung der Gesellschaften. Marx und Engels schrieben: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Das bedeutet, dass die Kämpfe zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten um das produzierte Mehrprodukt die Entwicklung der Gesellschaft bestimmen. Auf diese Weise sind im Kapitalismus die Arbeiterklasse und die Kapitalistenklasse die beiden wichtigsten gegensätzlichen Kräfte, wobei der Profit der Bosse aus der direkten Ausbeutung der Arbeiter stammt. Dies gibt der Arbeiterklasse die historische Aufgabe, die kapitalistische Ausbeutung zu beenden und sich die politische Macht zu nehmen. Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse in der Gesellschaft, die die Macht hat, für ihre Rechte zu kämpfen und die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Ein Generalstreik ist effektiver als Millionen von braven kleinbürgerlichen Aktivisten.

Aber warum finden diese Bewegungen der Arbeiter nicht die ganze Zeit statt? Hier kommt das Werkzeug des dialektischen Materialismus ins Spiel. Wie oben schon erklärt, ist die Veränderung des Bewusstseins der Massen ein aktiver Prozess. Das ist auch eine praktische Frage. So wie Menschen ganz allgemein damit beginnen, sich der materiellen Welt bewusster zu werden, indem sie mit ihr interagieren und sie verändern, so beginnt die Arbeiterklasse während des Kampfes für ihre Interessen, sich ihrer Klassenposition und der Notwendigkeit ihrer Einheit im Klassenkampf und der sozialistischen Revolution bewusster zu werden.

Das dialektische Verhalten des Bewusstseins der Massen lässt sich anhand mehrerer Beispiele belegen. Während der Russischen Revolution machte die aktive Teilnahme der Frauen am Kampf den männlichen Arbeitern die Klassenposition der Arbeiterinnen bewusst. Es ist kein Zufall, dass die Gesetze zur Abtreibung und Scheidung nach der Revolution von der Arbeiterklasse weitgehend akzeptiert wurden. Dies zeigt das fortschrittliche Wesen der Arbeiterklasse in der sozialistischen Revolution.

Solange die Arbeiterklasse aber passiv ist, werden die bürgerlichen Ideologien wie Sexismus, Rassismus und andere Formen der Unterdrückung auch von ihr reproduziert. Vor allem die konservative Rolle der Reformisten in den Arbeiterparteien und der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsspitzen bremst die Arbeiterklasse aus und behindert sie, sich schnell ihrer selbst bewusst zu werden, sich zu vereinigen und die materielle Grundlage aller Unterdrückungen zu beseitigen.

Doch der Niedergang des Kapitalismus zwingt die Arbeiterklasse weltweit zunehmend, sich zu bewegen, zu organisieren und das ganze System in Frage zu stellen. Das eröffnet marxistischen Ideen einen großen Nährboden. Die objektiven Bedingungen für eine Revolution sind längst vorhanden und Massenbewegungen entstehen überall auf der Welt. Aber all dieses revolutionäre Potenzial wird noch nicht in eine revolutionäre Veränderung umgesetzt. Diese potenzielle Kraft der Arbeiterklasse kann man mit Dampf vergleichen, der ein starkes Potential hat, um in einem Motor Energie zu erzeugen, aber nutzlos ist, wenn er sich in der Luft verflüchtigt. Es fehlt der Arbeiterklasse also noch etwas, um ihr revolutionäres Potenzial in die Tat umzusetzen. Dieser Faktor ist eine revolutionäre Partei, die sich auf die marxistischen Ideen und den dialektischen Materialismus beruft, für ein revolutionäres sozialistisches Programm einsteht und den Klassenkampf vorantreibt, um den Kapitalismus zu überwinden. Mit einer solchen Partei kann sich die potenzielle Kraft der Arbeiterklasse in einer sozialistischen Revolution verwirklichen. Mit anderen Worten: Für Marxisten ist es eine drängende Aufgabe, die revolutionäre Führung aufzubauen, damit die Arbeiterklasse den Sozialismus verwirklichen kann. 

 

 

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