Kategorie: Wirtschaft

Gefahr einer weltweiten Rezession

Der Internationale Währungsfond sah sich gezwungen, nicht nur zum wiederholten Male seine Wachstumsprogosen zu senken, sondern, erstmalig nach 2009, auch den weltweiten Rückgang des Bruttoinlandproduktes (BIP) auf Dollar-Basis vorherzusagen. Dies ist ein Ausdruck der krisengeschüttelten Welt, in der wir uns befinden.


 Die IWF-Ökonomen sahen sich mehrmals veranlasst, ihre Vorhersagen zu revidieren, weil die Weltwirtschaft, sich angeblich im siebten Jahr ihrer „Erholung“, von Krise zu Krise hangelt. Die weltweite Rezession von 2008-9 war ein entscheidender Moment. Sie war der Beginn einer langwierigen Krise, die vom früheren US-Finanzminister Lawrence Summers als „säkulare Stagnation“ (lange Zeit ohne Wachstum) beschrieben wird.

MarxistInnen haben diese Entwicklung als organische Krise des kapitalistischen Systems bezeichnet. Die Produktivkräfte, besonders Industrie, Technik und Naturwissenschaften, sind über den Nationalstaat und das Privateigentum hinausgewachsen. Der Kapitalismus hat jetzt seine Grenzen erreicht. Er hat Überkapazitäten, zu viel Industrie und zu viel Technologie auf kapitalistischer Basis. Sie übersteigen die Bedürfnisse des Marktes. Das erklärt die derzeitige Krise. Jetzt prophezeien zwei der weltweit größten Banken für das nächste Jahr einen tiefen Einbruch.

Lawrence Summers hat eine starke Warnung ausgesprochen: „ Die Gefahren, die der Weltwirtschaft bevorstehen, sind schlimmer als jemals seit dem Bankrott von Lehman Brothers 2008.“ Dem stimmen wir vollkommen zu.
Mit der Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft, die für 30% des weltweiten Wachstums und 20% der weltweiten Produktion verantwortlich ist, und gleichzeitig der Wirtschaft der so genannten Märkte der Schwellenländer, ist die Grundlage für eine neue weltweite Rezession gelegt. Die chinesischen Im- und Exporte sind in den vergangenen Monaten zurückgegangen und haben als Reaktion auf die gesunkene Nachfrage zu einem Rückgang der Rohstoffpreise geführt. Die ist symptomatisch für eine Überproduktionskrise oder einer „Überkapazität“, wie sie von bürgerlichen Ökonomen bezeichnet wird. Wenn die chinesische Wirtschaft ins Stocken gerät, stockt auch die Weltwirtschaft. Aber während sie stockt, kann daraus auch eine Rezession werden.

In der Vergangenheit rettete China das kapitalistische System vor einer tiefen Depression, indem es seine Wirtschaft ankurbelte und für die westlichen Industriestaaten einen Markt schuf. Chinas Wachstum gab den Schwellenmärkten Impulse, weil es Waren und Rohstoffe aufsaugte. Die Rezession von 2008 wurde durch die enormen chinesischen Produktionsinvestitionen gemildert. China wurde zu einer auf Export ausgerichteten Wirtschaft, welche einen großen Anteil zum weltweiten Wachstum beitrug. Das ist jetzt vorbei. Das chinesische Wachstum ist offiziell auf 6,9% zurückgegangen. Aber offizielle Zahlen sind größtenteils fingiert.

Der chinesische Premierminister Li Keqiang erklärte dem US-Botschafter, dass er auf drei Dinge vertraue, wenn er Wirtschaftswachstum beurteile: den Verbrauch an Elektrizität, das Frachtaufkommen und die Kreditvergabe der Banken.

Auf dieser Grundlage haben Ökonomen des Analysehauses Fathom aus diesem Zahlenmaterial einen „Momentumindikator“ für China entwickelt. Dieser Indikator zeigt, dass die gegenwärtige Wachstumsgeschwindigkeit bei nur 3,1% liegt. Das Frachtaufkommen geht zurück und der Stromverbrauch stagniert nahezu. China geht den gleichen Weg wie Japan, den Weg der langanhaltenden Stagnation.

Der Rückgang des chinesischen Wachstums hat all die getroffen, die stark von China abhängig sind. Südkorea, das Waren im Gesamtumfang von 11% des BIP nach China exportiert, ist am meisten davon betroffen. Malaysia exportierte 9,8% seines BIP dorthin und Thailand 6,9%. Australien, dessen Rohstoffe das chinesische Wachstum jahrelang in Gang gehalten hat, verkaufte China 2013 Waren im Wert von mehr als 6% seiner Wirtschaftsleistung. Das ist jetzt vorbei und hat weltweit erhebliche Auswirkungen. So auch für die USA; wenn China schnieft, bekommt der Rest der Welt eine Erkältung.

In diesem Jahr fiel der Handel bei den Schwellenländern, die Exporte gingen im Juni um 8,9% und im Juli um 13,5% zurück. Man geht davon aus, dass laut Zahlen des IWF Brasiliens BIP auf Dollarbasis um 19,1 schrumpft, das russische gar um 36%.
“Waren exportierende und Schulden belastete Schwellenländer müssen sich jetzt einschränken, genauso wie krisengeschüttelte Eurozonen-Länder vor einigen Jahren,“ erklärte Martin Wolf in der Financial Times. Diese Einschränkungen werden die wachsende Abwärtsspirale nur vergrößern.

Die US-Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal 2015 um 3,9%, aber größtenteils aufgrund des Aufbaus von Lagerbeständen (unverkaufte Bestände). Im dritten Quartal erreichte das Wachstum 1,5%, das ist weniger, als von den meisten Ökonomen prognostiziert wurde und 60% weniger als im vorherigen Quartal. Das Wirtschaftswachstum geht in den USA zurück, wie es bereits in Japan und der EU geschehen ist. Die USA haben damit geprahlt, dass die Arbeitslosigkeit auf eine Quote von 5% gefallen ist. Wenn man aber die Beschäftigtenzahl von 2008 als Vergleich nimmt, läge die Quote bei über 10%.

All diese Widersprüche nehmen zu und führen zu einem ernsten Abschwung. „Es besteht das Risiko, dass die Weltwirtschaft in eine Falle geraten wird, die ähnlich der in Japan sein könnte, wo das Wachstum seit 25 Jahren stagniert, aber es kann nur wenig unternommen werden, um es wieder in Ordnung zu bringen,“ bemerkt Martin Wolf.
Wolf beschreibt die Lage als “verwaltete Depression”. Es existiert ein „langanhaltender Abwärtstrend der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage“, auf den man nicht reagieren kann. Das offenbart die ganze Ohnmacht der Kapitalstrategen.

Während die Börsen weltweit zunehmend geschwankt haben, sind sie, besonders in den USA tendenziell gestiegen. Der Kursanstieg der Aktien zeigt, wie weit sich die Aktienmärkte von der realen Wirtschaft, die sich auf dem absteigenden Ast befindet, entfernt haben.
US-Banken haben wiederholt ein düsteres Bild gezeichnet, da die Gewinne weiterhin wegbrechen, bei Goldman Sachs ging der Umsatz um 40% und bei JPMorgan Chase um 23% zurück.

Trotzdem steigen die Schulden überall. Die Verschuldung im privaten Sektor bleibt besonders hoch. In den USA erreichte sie 160% des BIP von 2007, in Britannien 200%, aber China hat dieses Niveau bereits übertroffen. Europa steht vor einem langanhaltenden langsamen Wachstum und einer Deflation. Laut Wolfgang Münchau, befindet sich Europa „unter einer ständigen Bedrohung durch Zahlungsunfähigkeit und politischen Aufständen.“ (Financial Times, 15.06.2014). Der Versuch in dieser Situation, Schulden zu verringern, wird „härter und grausamer“ als je zuvor.

2016 werden in der EU Verschärfungen zur Beschleunigung der steuerlichen Konsolidierung (Austerität) in Kraft treten. „Unter dem Strich wird dabei herauskommen, dass die Anpassungen nach der Krise viel brutaler ausfallen werden als in Japan vor 20 Jahren", sagte Münchau. „In einer solchen Situation würde ich eine ernstere politische Gegenreaktion erwarten … Selbst wenn der Schuldenabbau funktioniert – was nicht klar ist – könnte er politisch nicht funktionieren … Wenn die politische Stabilität abnimmt, wird es am Ende zu einer steigenden finanziellen Instabilität kommen.“

Unternehmen haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Die US-Ex- und Importe sind zurückgegangen, da die Nachfrage überall schwächelt. Dabei ist es zu Einnahmeeinbrüchen gekommen. Weniger verkaufte Waren bedeuten weniger Einnahmen. Es ist beinahe unglaublich, dass die Konzernprofite nicht gesunken, sondern tatsächlich gestiegen sind. Ursache dafür sind Kostensenkungen und billige Kredite. Die Schere zwischen Einnahmen und Profite hat sich weit geöffnet, was nicht von langer Dauer sein kann. Es ist wie bei einem Comic-Helden, der über eine Klippe geht und ständig der Schwerkraft trotzt. Sie haben den Weg für Profite frei gemacht, aber das hat seine Grenzen. Letztendlich werden die Profite zurückgehen.
Dieses Szenario ist sicherlich nicht der Weg zu einer prosperierenden Wirtschaft. Aber kurzfristig ist es der Weg einen prosperierenden Aktienmarkt zu erzeugen.

Der Markt steht nicht mehr im Einklang mit der realen Krise, welche die Wirtschaft beeinflusst. Diese basiert auf eine Situation, in der die Konzerneinnahmen zurückgehen, die Zahl der Unternehmen schrumpft, aber der Markt zunimmt. Das wird früher oder später zu einem Börsencrash („Korrektur“) führen.

Die Realwirtschaft bewegt sich nach unten, weil die Nachfrage und die Investitionen zurückgehen. „Im Zeitraum bis 2007 wurde die benötigte Nachfrage in großen Teilen durch Kreditexpansion und Wohnungsbau, besonders in den USA und Spanien, erzeugt", schreibt Martin Wolf. „Dieser Maschine ging in den westlichen Krisen von 2007-9 und in der Eurozone von 2010-2013 der Treibstoff aus. Dies schuf unsere Welt der nominalen kurzfristigen und langfristigen Zinssätze, die bei null liegen. Nachfrage, Potential und tatsächliche Produktion sind in diesen Ökonomien seit her gedämpft geblieben.“

Man hat dies als „Zombie-Kapitalismus“ beschrieben, wo historisch niedrige Zinssätze ums Überleben kämpfende Unternehmen liquide gemacht haben. Im kapitalistischen System hat eine Rezession die Aufgabe, den Markt durch „schöpferische Zerstörung“ zu bereinigen. Aber große Mengen an Überkapazitäten bleiben bestehen, die das Profitsystem belasten.

„Insgesamt scheint sich der weltweite Überschuss an potentiellen Angeboten sicherlich zu verschlechtern. Deshalb wird er Disinflationsdruck (Verringerung des Preisniveauanstiegs) wahrscheinlich steigen.“ (Martin Wolf, FT, 13.10.15). Mit anderen Worten, es gibt weltweit Überproduktion. Wir haben geringes Wachstum, eine niedrige Inflation und Nullzinsen, das alles zusammen bedeutet eine säkulare Stagnation (lange Zeit ohne Wachstum) und Depression.

Marx erklärte das folgendermaßen: „In dem Wesen der kapitalistischen Produktion liegt also Produktion ohne Rücksicht auf die Schranke des Markts. (…) Der Markt erweitert sich langsamer als die Produktion, oder im Zyklus, den das Kapital während seiner Reproduktion durchläuft - ein Zyklus, in dem es sich nicht einfach reproduziert, sondern auf erweiterter Stufenleiter, nicht einen Zirkel beschreibt, sondern eine Spirale - , tritt ein Augenblick ein, wo der Markt zu eng für die Produktion erscheint. Dies ist am Schluß des Zyklus. D.h. aber bloß: Der Markt ist glutted[überfüllt]. Die Überproduktion ist manifest.“ (Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, Bd.2, S. 522 und 524)

Die Kapitalisten haben kein Vertrauen in ihr System. Anstatt zu investieren, sitzen sie auf Geldhaufen, die einen Wert von mehreren hundert Milliarden haben. Warum investieren, wenn keine Nachfrage besteht? Als Alternative bunkern sie ihr Geld in Staatsanleihen, ein sicherer Hafen im Sturm.
In der Vergangenheit war der Welthandel die bewegende Lokomotive für die weltweite Produktion. Diese hat jetzt an Dampf verloren.

Vor 2008 wuchs das Welthandelsvolumen, laut WTO, jährlich um 6%. In den letzten drei Jahren hat sich der Anstieg auf 2,4% verlangsamt. In den ersten sechs Monaten diesen Jahres erfuhr er seine schlechteste Bilanz seit 2009. China versucht seine Ökonomie wieder ins „Gleichgewicht“ zu bringen und versucht von seiner Abhängigkeit von massiven Investitionen und Exporten wegzukommen. Höhere Löhne in China zwingen Länder wie Japan und die USA ihre Versorgungsketten neu abzustützen.
2015 ist das fünfte Jahr in Folge, in dem das durchschnittliche Wachstum in den Schwellenländern zurückgeht und dabei das weltweite Wachstum bremst.

Die Globalisierung verlangsamt sich. Der Welthandel wird abgewürgt. Das Welthandelsvolumen fiel im Mai 2015 um 1,2%. Es ist in vier der ersten fünf Monate 2015 gefallen. Die Doha-Runde für weltweite Handelsgespräche tagt seit 14 Jahren und ist jetzt zu einem Stillstand gekommen. Wir erleben jetzt den Aufstieg regionaler Blöcke. Der neueste ist das TPP (Trans-Pacific Partnership Abkommen), das 40% der Weltwirtschaft umfasst, aber viele offene Fragen aufwirft und von einer Unzahl Länder, einschließlich den USA, ratifiziert werden muss. Aber nichts ist sicher. Obama könnte schon längst nicht mehr im Amt sein, bevor etwas ratifiziert wird, besonders bei einem derart feindseligen Kongress.

Die globalen Investitionen – der Schlüssel für jede Hochkonjunktur – fallen weiter. Die Schwellenländer haben mehrere Jahr lang kräftig investiert, auch hier wurde wegen der Überkapazitäten, welche sich auf ihre Volkswirtschaften auswirken, zurückgefahren. Das Handelswachstum verlangsamt sich, weil Investitionsgüter handelsintensiver sind. Geringere Investitionen bedeuten auch eine geringere Arbeitsproduktivität. Die Produktivität steigt in den USA um enttäuschende 0,6%. Das heißt auch einen niedrigeren Lebensstandard. Der IWF warnt, dass der Lebensstandard langsamer wächst als vor 2008, eine bittere Realität für die arbeitenden Menschen.

Alle stimmen darüber ein, dass die Krise von 2008 die Wachstumsrate gesenkt hat. Diese hat zu einer neuen Epoche kapitalistischer Krisen geführt. Das bedeutet säkulare Stagnation. Das Potenzialwachstum (langfristige Veränderung des BIP) in den entwickelten kapitalistischen Staaten wird nach aktuellen Prognosen zwischen heute und 2020 um 1,6% wachsen, wesentlich weniger als das Potenzialwachstum von 2,25% vor der Rezession von 2008.

Die IWF-Berichte sind pessimistisch. Die Prognosen wurden wiederholt herabgestuft, sodass man in diesem Jahr das langsamste Wachstum der Weltwirtschaft seit 2008 erwartet. In diesem Jahr sind die Im- und Exporte der USA zurückgegangen und widerspiegeln somit die allgemeine Schwäche der Weltwirtschaft. Das hat sich auf das Jobwachstum in den USA ausgewirkt, das sich ebenfalls verlangsamt. „Seit Juli stehen bei allen IWF-Vorhersagen Minuszeichen“, bemerkt die Financial Times.

Das reflektiert die reale Notlage des Weltkapitalismus zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Diese Flaute wird zu einer neuen weltweiten Rezession führen. Dieses Mal jedoch hat die herrschende Klasse nicht mehr viel Munition im Magazin, um zu verhindern, dass aus dem Abschwung eine Depression wird. Solange der Kapitalismus existiert, sind Krisen und Austeritätspolitik auf der Tagesordnung. Es ist an der Zeit, diesen Albtraum zu beenden.

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