Rohstoffmangel und Lieferengpässe, die gibt es nicht nur bei Autoteilen, Computerchips und Baumaterialien. Knapp ist auch das Altpapier, was verheerende Auswirkungen auf den Zeitungsmarkt hat. Der digitale Umbruch macht der Branche schon lange zu schaffen, hinzukommen nun die wirtschaftlichen Turbulenzen der Coronakrise.
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Für die Zeit nach den Lockdowns setzten die Strategen der Bourgeoisie auf die „unsichtbare Hand“ des Marktes und wurden bitter enttäuscht. Über ein Jahr lang war die Produktion wegen der Corona-Pandemie heruntergefahren, die Nachfrage bei vielen Waren und Dienstleistungen im Keller. Dann ging das öffentliche Leben wieder los. Auch die Wirtschaft wurde geöffnet. Doch die Aufbruchsstimmung der Herrschenden war schnell vorbei: Anstatt dass steigende Nachfrage und die wieder anlaufende Produktion auf wundersame Weise zusammenfinden, haben Rohstoffmangel und Lieferengpässe die Weltwirtschaft fest im Griff. Nicht nur Autoteile, Computerchips und Baumaterialien fehlen. Mangel herrscht auch beim Altpapier, was verheerende Auswirkungen auf den Zeitungsmarkt hat.
Denn Zeitungen werden komplett aus Altpapier hergestellt. Das ist aktuell aus mehreren Gründen knapp. Zum einen wurde in der Corona-Zeit weniger Papier verbraucht, das zu Altpapier recycelt werden könnte. Flyer für Veranstaltungen fielen weg, in den Büros wurde weniger gedruckt, weil die Beschäftigten im Homeoffice arbeiteten. Zum anderen stellten viele Papierfabriken ihre Produktion auf Verpackungsmaterial um. In der Zeitungsbranche sank während den Lockdowns die Nachfrage nach Altpapier, da das öffentliche Leben kaum stattfand und so die Zeitungen weniger zu berichten hatten. Gleichzeitig boomt der Versandhandel, der enorme Mengen Verpackungsmaterial benötigt. Und das kann man ebenfalls aus Altpapier herstellen. Die Fabriken steckten ihre Produktionskapazitäten also in diesen Bereich. Als das öffentliche Leben wieder hochfuhr und die Zeitungen wieder etwas zu schreiben hatten, fehlte das Altpapier, das nun für Verpackungen verwendet wird.
Anarchie der Produktion
Warum finden Angebot und Nachfrage hier nicht zusammen? Im Kapitalismus geht es nicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern um die Verwertung von Kapital. Das bedeutet, dass das vom Kapitalisten für die Produktion seiner Waren eingesetzte Geld möglichst schnell Profit abwerfen muss. Seine Waren müssen rasch einen Abnehmer finden, denn nichts ist für den Kapitalisten schlimmer als brachliegendes Kapital. Deswegen stellten die Papierfabriken auf Verpackungsmaterial um, obwohl zu erwarten war, dass die Nachfrage in der Zeitungsbranche wieder steigen wird und sie diese dann nicht mehr bedienen können. Aufgrund dieser Anarchie der Produktion können die Lieferketten der Weltwirtschaft schnell zusammenbrechen, was zu Rohstoffmangel und Lieferengpässen führt.
Durch die Knappheit werden die betroffenen Waren enorm teuer – so auch das Altpapier. Wie das Handelsblatt berichtet, stiegen die Preise im Vergleich zum Jahresanfang um über 70 Prozent. Verlage rechnen mit Mehrkosten für das kommende Jahr im Millionenbereich. Auf diesen wollen sie natürlich nicht sitzen bleiben. Viele Zeitungen haben die Umfänge ihrer Produkte bereits reduziert und kündigten Preiserhöhungen für die Leser an. Die Branche ist ohnehin stark angeschlagen: Seit Jahren sinken die Auflagen und die Online-Angebote der Zeitungen schaffen es nicht, den Rückgang an Print-Abos auszugleichen. Die Folgen: Entlassungen in den Redaktionen und prekäre Arbeitsverhältnisse für die, die bleiben dürfen. Die Mehrkosten durch den Papiermangel könnten diesen Strukturwandel noch beschleunigen.
Versorgungsengpässe gehören zum Kapitalismus
Im Kapitalismus entscheidet die herrschende Klasse über ihr Privateigentum an den Produktionsmitteln darüber, was und wie viel produziert wird. Die Nachfrage nach einer bestimmten Ware ist dabei nur Mittel zum Zweck, über das sich das eigentliche Motiv der Produktion realisieren lässt: die Verwertung von Kapital. Wer genau am Ende eine Ware abnimmt oder ob jemand leer ausgeht, spielt keine Rolle. Am deutlichsten wird das an all den Menschen auf dieser Welt, die verhungern oder an behandelbaren Krankheiten sterben, nur weil sie arm sind. Versorgungsengpässe sind die Regel im Kapitalismus – nicht die Ausnahme.
Aber eine menschenwürdige Gesellschaft ist möglich. Diese können wir schaffen, wenn wir die Anarchie des Kapitalismus beseitigen – also nicht mehr Profite, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen. Gegen das Chaos braucht es eine rationale und demokratisch geplante Wirtschaft.
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