Kategorie: Wirtschaft

Die Weltwirtschaft am Rande der Krise: What goes up - must come down

In den vergangenen Wochen wurden die internationalen Finanz- märkte von schlechten Nachrichten aus dem US-Immobiliensektor erschüttert. Es war das Vorbeben zum vielleicht größten Wirt- schaftseinbruch in der Geschichte des Kapitalismus. Marx schrieb im „Kapital“, dass der Kredit den Markt über seine natürlichen Grenzen hinaus erweitern kann. In der Krise würde der Kredit aber alle Widersprüche, die er zunächst zu überdecken half, verschärfen. Sobald ein Wirtschaftssektor in Schwierigkeiten kommt, breiten sich diese schneller auf andere aus. Firmen oder Haushalte können auf einmal ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen.


Die Entwicklungen am Kreditmarkt zeigen heute deutlich, dass das Risiko nicht mehr allein auf die Investmentfonds, Kreditunternehmen und Banken beschränkt bleibt. Versiegen die Flüsse am Geldmarkt, treten die zugrunde liegenden Widersprüche zu Tage. Deshalb ist es irreführend, die Entwicklungen an den Börsen abseits der „realen“ Wirtschaft zu analysieren, wie dies in den Finanzspalten der bürgerlichen Presse zumeist geschieht. Denn die Turbulenzen auf den Finanzmärkten sind nur Ausdruck der extremen Widersprüche, die sich in der Weltwirtschaft aufgestaut haben. Die Kette kann überall brechen – eben auch auf den Finanzmärkten.

Die globale Lage des Kapitalismus

Die heutigen Fieberschübe auf den internationalen Finanzmärkten kann man nur verstehen, wenn man sich das größere Bild der Weltwirtschaft vor Augen führt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die USA zur einzigen Supermacht aufgestiegen – militärisch wie ökonomisch. Alle großen Wirtschaftsräume – China, Japan und die EU – wurden von der US-Konjunktur abhängig. Diese einstige Stärke der US-Wirtschaft macht jetzt, am Vorabend ihres Niedergangs, die internationale politische und wirtschaftliche Situation umso instabiler. Sehen wir uns das Verhältnis der USA zu den großen Wirtschaftsblöcken an.

Das bestimmende Verhältnis in der Weltwirtschaft von heute ist die Beziehung zwischen den USA und China. Einerseits ist das starke Wachstum Chinas (durchschnittlich 10 % pro Jahr im letzten Jahrzehnt) vom Konsum der USA und Europas abhängig. Die Exporte des Landes machen rund 40 % des Bruttoinlandsprodukts aus. Obwohl das Wachstum in den letzten Jahren auch auf die Binnennachfrage zurückzuführen war, würde eine Krise in den USA die chinesische Wirtschaft (und den gesamten asiatischen Raum) dennoch hart treffen. Nur ein Beispiel: 70 Prozent aller Waren, die die Handelskette Wal-Mart in den USA vertreibt, werden in China hergestellt.

Andererseits haben gerade diese Exporte in die USA dazu beigetragen, dass die USA viel mehr importieren als sie exportieren. Wer mehr kauft als er verkauft, muss sich verschulden. Und er muss einen Gläubiger finden. Weil die chinesische Bürokratie ihr strategisches Projekt der kapitalistischen Restauration nur auf der Grundlage eines ununterbrochenen Wirtschaftsaufschwungs umsetzen kann, hat sie die Dollar-Devisenreserven, die sich durch ihre positive Handelsbilanz mit den USA angehäuft haben, systematisch in Dollar-notierte Wertpapiere veranlagt, um eine Aufwertung der eigenen Währung zu verhindern. Neben der chinesischen Zentralbank haben auch andere Notenbanken weltweit diese Strategie verfolgt. Sie befürchten nun, dass im Falle einer Abwertung des Dollars der Wert dieser Schuldpapiere drastisch sinken könnte.

In dem Maße, wie das Vertrauen in die US-Konjunktur schwindet, wird der Dollar unter Druck kommen. Die ausländischen Zentralbanken könnten in großem Stil diese Wertpapiere verkaufen – dann droht aber der Dollar noch stärker abzuwerten. Einerseits könnte dadurch das ganze Finanzsystem empfindlich zerrüttet werden. Und andererseits muss China fürchten, dass die Exportgüter auf dem US-Markt immer teurer werden, und dadurch ihre eigene Konjunktur abgewürgt werden würde. Pikantes „Detail“: Allein 200 Millionen WanderarbeiterInnen und deren Familien auf dem Land sind auf ihren Arbeitsplatz angewiesen. Kommt eine Krise in den USA, dann wird eine nie da gewesene Welle des Klassenkampfs über China rollen.


Hintergrund: It’s profitability, stupid!

Für die breite Masse der arbeitenden Menschen wird das zwar verwunderlich klingen, aber wir befinden uns in mitten eines Aufschwungs. Dass dieser Boom nicht so wie vorangegangene sich durch ein starkes Zurückgehen der Arbeitslosigkeit und einem Steigen der Löhne auszeichnet, zeigt die einzigartige Lage. Es war ein Aufschwung, der nur auf Kosten höherer Arbeitsintensität möglich war.

Klassische Aufschwünge, wie wir sie in der Nachkriegszeit oder in den Anfängen des Kapitalismus beobachten konnten, zeichneten sich durch einen starken Anstieg der Investitionen aus, mit denen neue Technologien in den Produktionsprozess eingeführt werden. Natürlich wird auch heute investiert, aber nicht in dem Maße, um wegrationalisierte Arbeitsplätze im selben Umfang durch neue zu ersetzen. „Strukturelle Arbeitslosigkeit“ nennt das die bürgerliche Ökonomie und schlägt Maßnahmen à la Hartz IV vor. MarxistInnen nennen es schlicht: Krise des Kapitalismus.


Aber noch scheint alles zu funktionieren. Die Teilnahme dieses gigantischen Marktes am Weltmarkt gab dem internationalen Kapital etwas frischen Sauerstoff zum Atmen. Durch die extrem billigen Produktionskosten in China konnte etwa die Inflation, die vor allem von den Energie- und Rohstoffpreisen angeheizt wird, in den USA und in Europa in den vergangenen Jahren etwas gebremst werden. Gleichzeitig herrscht auf den asiatischen Märkten Goldgräberstimmung. Allein im letzten halben Jahr trieben massive Kapitalzuflüsse die Aktienwerte um 100 % nach oben. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Viele Investoren sind einfach auf den fahrenden Zug aufgesprungen und investierten wie blind in chinesische Unternehmen. Dieses Verhalten wurde zunehmend irrational. Der Ökonom unter den chinesischen Bürokraten, der Vizevorsitzende des Volkskongresses Cheng Siwei, warnte bereits vergangenen März die Anleger: Nur bei ca. 400 der 1.344 in China gehandelten Aktien lohne sich überhaupt eine Investition. Noch werden diese Warnungen ignoriert. Was aber, wenn der Exportmarkt einbricht?

Auch Europa ist völlig an die Entwicklung der Weltkonjunktur gefesselt – und damit an die USA und China. Das Kapital verfolgt hier seit Jahrzehnten eine Politik der Lohnzurückhaltung und des Sozialabbaus, um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Unterm Strich geht eine solche Strategie auf Kosten der Kaufkraft. Nicht Binnennachfrage kann für das europäische Kapital der Wachstumsmotor sein, sondern der Export. Osteuropa alleine wird hier kein Rettungsanker sein - zu sehr ist dessen Wirtschaft wiederum vom Export in die USA abhängig.

Und auch Japan wird die USA nicht als Zugpferd der Weltwirtschaft ablösen können. Das Land hat sich bis heute nicht von einer massiven Überkapazitätskrise erholt, die bereits Anfang der 1990er ausbrach. Nie da gewesene Zinssenkungsprogramme, um die Wirtschaft anzukurbeln, blieben erfolglos. Die Niedrigzinskredite wurden dafür verwendet, im Ausland gutes Geld zu machen, anstatt eine industrielle Basis auszubauen, die ohnehin an chronischer Überkapazität litt. Alle klassisch keynesianischen Rezepte (dass niedrige Zinsen und Erhöhung der Staatsausgaben den Weg aus der Krise bieten) erwiesen sich als völlig wirkungslos.

Profitabilitätskrise

Der Schlüssel zum Verständnis der heutigen Krisensituation liegt aber in den USA selbst. Die Strategie der herrschenden Klasse war in den 1990er Jahren gewesen, das Vermögen der Bevölkerung anzuzapfen. Ein beispielloser Aktienhype erfasste große Teile der Bevölkerung. Das Internet würde alle Probleme lösen, Rezessionen würden der Vergangenheit angehören, hieß es. Die US-Haushalte fühlten sich subjektiv reicher und erhöhten seit Mitte der 1990er denjenigen Anteil ihres Einkommens, den sie für den Konsum ausgeben. Seit Ende der 1990er ist die sogenannte Sparquote sogar negativ – Jahr für Jahr wird mehr Geld ausgegeben als die Haushalte verdienen.

Bis zum Jahr 2000 stiegen die Aktienkurse in ungeahnte Höhen – bis die „dotcom“-Aktienblase schließlich platzte. Millionen von kleinen Anlegern bangten um ihr Geld und verkauften zum schlecht möglichsten Zeitpunkt. Profiteure waren wie immer die großen Anleger, die solche Einbrüche aussitzen können – und sich dadurch am Vermögen der Kleinanleger bereichern.

Damals waren sich die meisten Ökonomen einig, dass eine „weiche Landung“ schwer möglich sein würde. Die privaten Haushalte würden angesichts der schlechteren Wirtschaftslage ihre Ausgaben wieder reduzieren. Dadurch würden die USA in eine tiefe Rezession schlittern, und mit ihr würden alle exportorientierten Staaten nach unten gezogen werden.

Die Rezession kam tatsächlich, die Industrieproduktion litt, die Investitionen in die Realwirtschaft gingen zurück. Aber die Rezession war nicht so verheerend wie erwartet. Was war geschehen? Einerseits hatte die Bush-Regierung die Militärausgaben in ungeahntem Umfang erhöht und so die Nachfrageseite auf Pump gestärkt. Und andererseits hatte die US-Zentralbank (Fed) die realen Zinsen praktisch unter Null gesenkt. Kredite für die Privatwirtschaft und für private Haushalte waren so billig wie noch nie.

Dadurch wurde ein künstlicher, ungesunder Aufschwung geschaffen, der die Krise von damals hinauszögern sollte. Ungesund deshalb, weil die Unternehmen ihre Investitionen in die Realwirtschaft aufgrund schlechter Profitaussichten nicht ausweiteten. Das billige Geld strömte daher in andere Kanäle. Einerseits flossen Milliarden von Dollar in die berüchtigten „Private Equity Funds“ (Münteferings „Heuschrecken“). Diese kaufen Firmen auf, „sanieren“ sie (Stellenabbau, Arbeitsintensivierung, etc.) – meist, um sie dann profitabel wieder abzustoßen. Gesellschaftlich werden dabei aber keine neuen Werte geschaffen. Ihre „Schlankheitskuren“ laufen auf eine Erhöhung der Arbeitsintensität und die Schließung von (vom Standpunkt des schnellen Profits betrachtet) unrentablen Produktionssparten hinaus.

Immobilienblase

Andererseits führte die Niedrigzinspolitik zu einer weiteren Ausweitung des privaten Konsums: Dieser schnellte in die Höhe, als ob es kein Kreditkartenlimit gäbe. All dies (musste und muss weiterhin) durch ausländisches Kapital finanziert werden. Kein anderes Land hätte von den Finanzmärkten erwarten können, dass kurz vor der Rezession weiter ungebrochen Kapital ins Land strömt und so die Krise abgefedert wird. Die USA als Wirtschaftsmacht Nummer 1 bilden die große Ausnahme. Lenin schrieb einst, dass sich das imperialistische Stadium des Kapitalismus durch Kapitalexport auszeichnet. In der Phase des Niedergangs der USA kehrt sich diese Beziehung um: Heute sind es in erster Linie die ausländischen Regierungen, die Kapital in die USA exportieren, um den Niedergang ihres Herrn und Gebieters aufzuhalten.

Bis vor kurzem war die US-Konsumfreudigkeit durch steigende Immobilienpreise „gedeckt“. Beinahe in der ganzen Welt war es in den letzten Jahren auf dem Immobilienmarkt zu erheblichen Preissteigerungen gekommen, allen voran in China, in Großbritannien und eben auch in den USA. Das ständige Steigen der Immobilienpreise und die niedrigen Zinsen veranlassten viele Familien, einen Kredit aufzunehmen und ein neues Haus zu kaufen. Durch die Preissteigerungen könnte das Haus bald weit mehr wert sein als die Hypothek darauf.

Da allerdings der Kreditmarkt für zahlungsfähige Kreditnehmer bereits im Jahr 2004 gesättigt war, suchten sich die Banken und Finanzinvestoren am Immobilienmarkt neue Investitionsmöglichkeiten – den sog. Subprime-Mortgage-Sektor. Dabei handelt es sich um Kredite für Personen bzw. Familien mit schlechter Bonität. An sie wurden Kredite vergeben, um ein Haus zu finanzieren oder mittels einer Hypothek auf das scheinbar so wertvolle Haus einen nicht ihrem (oft extrem niedrigen) Einkommen entsprechenden Konsum zu finanzieren. Viele taten dies in der Hoffnung, die vermeintliche Wertsteigerung würde ihnen einen extrem günstigen Kredit bescheren – ohne jegliche Risiken. Und dasselbe dachten auch die Banken: Die teuren Häuser konnten ja notfalls gepfändet und versteigert werden.

Und nicht nur Häuser wurden erworben. Vor allen Dingen konnte auch die Autoindustrie auf Kredit weiter hohe Stückzahlen absetzen. Die Profitabilität dieser Konzerne blieb aber dennoch aufgrund der Überkapazitäten im Keller. Die großen Auto-Konzerne liefern sich einen selbstzerfleischenden Wettbewerb um Kunden, die ohnehin das Auto nur auf Pump zu kaufen bereit sind. Dieser ruinöse Wettbewerb hat stark an den verschiedenen US-Autokonzernen gezehrt. Eine fällige Krise werden höchstwahrscheinlich nicht alle Marktteilnehmer überleben – Massenentlassungen wären die Folge. Der große Automobilzulieferer Delphi hat bereits Konkurs anmelden müssen.

Unproduktive Konsumausgaben auf Kredit zu finanzieren – das heißt, das Haus auf Sand zu bauen. Wehe nur, die Situation würde sich in ihr Gegenteil verkehren. Allen Warnungen von Ökonomen zum Trotz vergaben am Höhepunkt des Booms viele Banken und Kreditunternehmen allzu leichtfertig Kredite. Es konnte jeder einen Kredit aufnehmen; niemand hatte auch nur die geringsten Sicherheiten vorzuweisen. So wurden zum Beispiel so genannte Ninja-Kredite (no income, no job or asset) vergeben, und es wurde mit niedrigen Einstiegszinsen gelockt. Die meisten dieser Kredite wurden zusätzlich noch ohne fixen Zinssatz vergeben, sondern variabel, was viele Kreditnehmer bei steigenden Zinsen in Schwierigkeiten bringen könnte.

Diese Leichtfertigkeit wurde noch dadurch bestärkt, dass die Banken das Risiko dieser Kredite nicht selbst zu tragen haben, wenn sie die Verbindlichkeiten an Dritte weiterverkaufen. Denn so wie im Kapitalismus alles zur Ware gemacht wird, so auch die Subprime-Kredite: Die Kreditunternehmen verkauften sie weiter, andere Unternehmen kauften sie auf, bündelten sie, legten noch ein paar Kredite mit guter Bonitätsbewertung drauf und drängten sog. Rating-Agenturen, diese Kredite gut zu bewerten.

Viele Banken, Investoren, Hedge Fonds und Pensionsfonds erwarben deshalb die damals noch als sicher geltenden Kreditobligationen. So verteilten sich diese „tickenden Zeitbomben“ (The Economist) in der gesamten Weltwirtschaft. Über Umwege sind aber dennoch die Banken von diesen weiterverkauften Kreditrisiken betroffen: Viele Investmentfonds, in die sie ihr Kapital gesteckt haben, spekulieren mit Wertpapieren, die auf die eine oder andere Weise wieder mit dem Subprime-Mortage-Sektor verbunden sind.

Turbulenzen an den Börsen

Die meisten Anleger vertrauten aber blind auf den Markt und ignorierten alle Warnungen, wie sie etwa vom Economist ausgesprochen worden waren. Nicht zum ersten Mal machte sich irrationales Verhalten an den Börsen breit.

Im Februar und März 2007 war es bereits zu den ersten Erschütterungen an den Finanzmärkten gekommen. Nach einer Erholungsphase erreichte der US-amerikanische Dow Jones Index am 19. Juli den Rekordstand von über 14.000 Punkten: Ungetrübte Börsenstimmung aller Orten. Doch schon am 8. August sollte es ernst werden. Hedge Fonds und Kreditunternehmen hatten Probleme angekündigt, so z.B. auch renommierte Investmentbanken von der New Yorker Wall Street. Plötzlich war das Problem auf dem Tisch: „Faule Kredite“, also jene Kredite, die nicht zurückgezahlt werden können. Nun wurden die Finanzmärkte nervös. Investoren wollen aus den betroffenen Märkten heraus, bevor offensichtlich werden würde, welche Finanztitel mit solch faulen Krediten besichert sind.


Kapitalismus: Unbegrenzte Möglichkeiten

Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, Profit zu scheffeln, greifen Investoren nach immer ausgefalleneren Möglichkeiten. So wird etwa mit exotischen Derivaten gehandelt, die z.B. an den Schneefall in einer Saison oder an Naturkatastrophen gebunden sind.

Oder man kauft sich groß in einen Zweitliga-Fußballklub ein, um bei dessen Erfolg groß mitzukassieren. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt...


Niemand wusste und weiß so recht, welche Institute in die Probleme am Kreditmarkt verwickelt sind. Dies zeigte sich besonders deutlich am sog. Interbanking Markt – jenem Markt, auf dem sich Banken gegenseitig Geld borgen. Dieses Misstrauen schlug sich in höheren Gebühren bei kurzfristigen Krediten nieder. Nachdem Anfang August einige bedeutende Institute sowohl in den USA als auch in Europa mögliche Verluste durch Beteiligungen und Spekulationen am Subprime Markt bekannt gaben, zuckten die Börsen erneut zusammen. Wie Jochen Sanio, Chef der Deutschen Finanzdienstleistungsaufsicht meinte, stand Deutschland nach dem de-facto-Zusammenbruch der Düsseldorfer IKB-Bank am Rande der tiefsten Bankenkrise seit 70 Jahren. Eine Reihe von Banken musste einspringen und aus eigener Tasche die offenen Forderungen in Milliarden-Euro-Höhe begleichen. Wenige Tage später erwischte es eine weitere Landesbank, die sich über eine eigene Investmentagentur am US-amerikanischen Hypothekenmarkt verspekuliert hatte. Wie die Financial Times berichtet, waren eine ganze Reihe weiterer deutscher Landesbanken auf der Suche nach dem schnellen Geld ins Subprime-Geschäft eingestiegen und haben ebenfalls viele Hypotheken-Leichen im Keller angesammelt.

Zentralbanken auf der ganzen Welt erkannten die Gefahr. Der Interbank-Markt funktioniert als internationales Schmiermittel zwischen den verschiedenen Sektoren. Über ihn wird das Kapital dorthin geschickt wird, wo es benötigt wird. Stockt dieser Mechanismus bzw. kommt es zu einer Kreditverknappung, kann das gigantische Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft haben. Deswegen stellten die Zentralbanken sofort Milliarden an Dollar, Euro und Yen zur Verfügung, um sicher zu gehen, dass die Zahlungsfähigkeit aufrecht erhalten bleibt. Allein am 9. und 10. August wurden so von den Zentralbanken dieser Welt insgesamt 323 Milliarden Euro (!) auf den Markt geworfen. In den folgenden Tagen wurden weitere Geldspritzen verabreicht und zusätzliche geldpolitische Maßnahmen getroffen.

Dennoch gehen solche Aktionen am Kern des Problems vorbei: Es handelt sich eher um ein Schmerzmittel, dass die Finanzmärkte die Sorgen vergessen lassen soll. Die Probleme am Kreditmarkt bleiben ungelöst. Weder die Fed noch die Europäische Zentralbank besitzen einen Zauberstab, um diese Probleme verschwinden lassen zu können.

In den letzten Jahren haben sich enorme Widersprüche in der Weltwirtschaft angesammelt, die nun an die Oberfläche treten müssen. Die Krise ist unausweichlich. Ein Platzen der Immobilienblase kann dafür leicht einen Auslöser darstellen. Über die Kreditverflechtungen kann sie die gesamte Weltwirtschaft nach unten reißen.

Interessant ist, dass die Kursverluste von Anfang August kaum auf konkrete Verlustmeldungen aus dem Subprime Markt zurückzuführen sind, sondern nur die Nervosität und das Misstrauen der Anleger ausdrücken. Das letzte Wort am US-Kreditmarkt ist noch nicht gesprochen: Der Anteil an faulen Krediten steigt weiter, viele vermeintlich günstige Kredite mit anfänglich günstigen Zahlungskonditionen werden immer höhere monatliche Zahlungsverpflichtungen mit sich bringen. Die Auswirkungen der Blase sind noch bei weitem nicht klar ersichtlich: Erst im Oktober werden die Finanzinstitute ihre Quartalszahlen bekannt geben. Außerdem bewegen sich die Preise auf den Immobilienmärkten wieder bergab.

So kann es dann leicht sein, dass eine Familie, die erst relativ spät in den Markt einstieg, sich um 300.000 Dollar ein Haus kaufte und dieses fast vollständig auf Kredit finanzierte, nun mit steigenden Rückzahlungen und einem Haus, das nur mehr einen Wert von 250.000 Dollar hat, da steht.

Auch für die pfändende Bank ist die Situation nicht unproblematisch: Bei einer steigenden Zahl an Zwangsversteigerungen würden automatisch die Preise unter Druck geraten, schon jetzt ist das Angebot an Häusern in den USA auf einem 15-Jahreshoch angelangt und bereits größer als die Nachfrage. Die Baubranche ist unmittelbar davon betroffen. Kein Zweifel: Es wird also nicht mehr so schnell ruhig werden an den Finanzmärkten.

Schon jetzt werden kaum mehr Kredite vergeben. Das Wachstum der letzten Jahre basierte aber gerade auf dem enormen kreditfinanzierten Konsum. Das Platzen der Blase mit all seinen Konsequenzen wird dem gesamten US-Konsum einen enormen Dämpfer geben. Ende August meldeten bereits die großen US-Einzelhandelsketten Gewinnrückgänge und pessimistische Aussichten für das zweite Halbjahr.

Die Krise kommt

In den letzten Jahren haben sich schwarze Wolken über der Weltwirtschaft zusammengebraut. Ein Platzen der Immobilienblase kann nun leicht der Auslöser für eine Rezession in den USA sein. Über die Kreditverflechtungen kann sie die gesamte Weltwirtschaft nach unten reißen. Was im Aufschwung der Weltwirtschaft neuen Antrieb verleiht, verkehrt sich in der Krise ins Gegenteil: Die wechselseitige Abhängigkeit von China und den USA würde bei sinkender Nachfrage auch China mit seinem riesigen Proletariat in die Krise ziehen. Und auch Europa wird nicht verschont bleiben, wie die ersten Erschütterungen der deutschen Bankenlandschaft zeigen.

Die vergangene Rezession war um den Preis abgefedert worden, dass die nächste umso tiefer sein wird. Diese Krise wird weitreichende politische Auswirkungen haben, kein Winkel der Welt wird davon verschont bleiben. Eines ist gewiss: Die Kapitalisten werden versuchen, die Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Auf diese Kämpfe gilt es, sich vorzubereiten.

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