Kategorie: Wirtschaft

Jenseits von Hayek und Keynes - Eine marxistische Interpretation der wirtschaftlichen Entwicklung

Angesichts der zunehmenden Turbulenzen der Weltwirtschaft veröffentlichen wir eine Analyse der weltwirtschaftlichen Entwicklung seit 1945. Es geht darum darzulegen, wie der allgemeine Gang der ökonomischen Gesetze von bisher unberücksichtigten Phänomenen, wie des Kampfes zwischen Arbeit und Kapital, des Welthandels, der Weltpolitik und des Einflusses des Staates auf die Wirtschaft verändert und mitgestaltet wird.




  • Vorwort
  • Einleitung
  • Die Situation nach 1945
  • Die Last der Weltherrschaft: Die USA fallen zurück – Die 1950er Jahre
  • Europa und Japan holen auf
  • Japan, Deutschland und die USA kämpfen um den Profitkuchen
  • Das Bretton-Woods-Abkommen zerfällt
  • Der Mythos Bretton Woods
  • Die Entwicklung der organischen Zusammensetzung des Kapitals und die Weltwirtschaftskrise von 1974
  • 1970 bis 1982: Das Jahrzehnt der keynesianischen Krise
  • Der neoliberale Turn
  • Die Krise des Neoliberalismus
  • Die Entwicklung der "Peripherie"
  • Die Ökonomie der Barbarei
  • Keynesianismus und Neoliberalismus: Zwei Kehrseiten einer Medaille
  • Der Mythos des Keynesianismus
  • Mythos Unterkonsumptionismus
  • Mythos Neoliberalismus
  • Keynesianismus und Neoliberalismus: zwei Formen des Staatsinterventionismus
  • Die Krise der Regierung Mitterrand 1981
  • Die japanische Krise 1990 – 2007
  • Die Krise der 1990er Jahre
  • Die Deutsche Krise 1990 – 2007
  • Die Weltwirtschaft in den 1990ern und die Weltwirtschaftskrise von 2001
  • Das „Skandinavische Modell“
  • Die Krise des klassischen Schwedischen Modells 1970-1990
  • Das Neue Schwedische Modell und seine Perspektiven
  • Der lange Boom in China und seine Rolle in der Weltwirtschaft
  • Die globalen Ungleichgewichte und die Perspektiven einer kommenden Krise
  • Jenseits von Hayek und Keynes: Perspektiven einer neuen sozialistischen Wirtschaftspolitik
  • Arbeiterkontrolle + IT = Sozialismus des 21. Jahrhunderts


Vorwort

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Krisentendenzen des Kapitalismus. In den letzten Wochen gelangen auch die anerkannten Institutionen bürgerlicher Wirtschaftsforschung zusehends zu der Einschätzung, dass eine Rezession zumindest in den USA bevorstehen könnte. Die OECD schätzt, dass die Verluste der aktuellen Kreditkontraktion 300 Mrd. US-Dollar betragen werden, was im Vergleich zu anderen Instituten eine vorsichtige Schätzung ist. Dies wären nahe zu 1 % des jährlichen Bruttoinlandsproduktes der Welt.

Nach dem Einbruch der Weltbörsen im August konnten ein Zusammenbruch der Weltbörsen, eine Rezession und ein "Bank Run" nur durch einen massiven Eingriff der Notenbanken, Zinssenkungen und der finanziellen Rettung ganzer Banken wie der britischen "Northern Rock" durch die Regierung gerade noch einmal abgewehrt werden.

Daraufhin brach unter den Banker sofort wieder grenzenloser Optimismus aus. Die faulen Kredite seien abgeschrieben, der Aufschwung könne ungebrochen weitergehen. Selbst eine Rezession in den USA würde sich nicht auf Europa und Asien übertragen, weil diese bereits viel zu unabhängig von den USA seien. In jedem Fall würde China die Weltwirtschaft vor einer Rezession bewahren.

Die Argumente sind alle falsch. Gerade der Eingriff der Notenbanken verhinderte, dass der wirkliche Schuldenstand bei den Banken in seiner Totalität zum Vorschein trat. Die undurchsichtige Verwicklung wechselseitiger Verschuldung ist um nichts besser geworden. Sie wurde durch die Zinssenkungen nur wieder zugedeckt – nachdem sie ein bisschen von ihrem Grauen gezeigt hatte. Jeder neue Einbruch muss sie erneut und dieses Mal in ihrer ganzen Schrecklichkeit zum Vorschein bringen.

Nun hat die US Notenbank Fed schon wieder eine Zinssenkung angekündigt. Das kann allerdings nicht ewig so weitergehen. Zu schlimm ist das Gespenst der Inflation, das nicht nur durch die Erhöhung der Geldmenge bei gleichzeitiger Unwilligkeit oder Unfähigkeit der Betriebe, das Angebot zu erhöhen, getrieben wird, sondern auch durch ein historisch einmaliges Anziehen der Erdölpreise. Zinssenkungen machen es zudem für die USA immer gefährlicher, dass ein Einbruch des Dollars und eine Kapitalabflussspirale einsetzt. Gleichzeitig erhöht China die Zinsen, wertet seine Währung auf und wird dadurch für Anleger attraktiver. Es hört durch seine Aufwertung der Währung mehr und mehr auf, den Inflationsdruck in den USA zu mindern. Statt Deflation wird zusehends Inflation in die USA exportiert.

Kuwait, einer der loyalsten Verbündeten der USA, hat seine Währung bereits von der Bindung an den Dollar losgelöst, was den Wertverfall des Dollars weiter ankurbelt. Je mehr die Fed mit der Zinsschraube spielt, desto stärker wird die Gefahr einer universellen Kapitalflucht aus den USA.

Wir dürfen nicht vergessen, dass gleichzeitig die Immobilienblase geplatzt ist und der Verfall der Immobilienpreise ungebrochen weitergeht. Die grundsätzliche Unsicherheit der Investoren und Konsumenten kann also nicht beseitigt werden. Eine Geldmengenerhöhung in so einer Situation – am Ende eines Booms, an dem die Fabriken auf Hochtouren laufen und die Kapazitäten ausgelastet sind – ist in Bezug auf die Inflation ein Spiel mit dem Feuer.

Ein weiteres nicht stichhaltiges Argument ist die relative Unabhängigkeit der USA von der Weltwirtschaft. Schaut man lediglich auf die Handelsbilanzen, stimmt es, dass sich die Abhängigkeit von den USA vermindert hat. Das Problem ist aber, dass die gegenseitige Abhängigkeit von Wirtschaftsstrukturen kein quantitatives Problem ist, sondern ein qualitatives. Wir müssen die Handelsströme der Leitsektoren der nationalen Volkswirtschaften verstehen, um wirklich das Ausmaß der Abhängigkeit feststellen zu können. In diesem Zusammenhang ist es so, dass die Leitsektoren der deutschen, japanischen und chinesischen Wirtschaft, nämlich die exportorientierten Hochtechnologiesektoren der Industrie, in einem enormen Ausmaß vom US-Binnenmarkt abhängen. Es ist wahr, dass Japan seit Mitte der 1990er Jahre in steigendem Ausmaß nach China exportiert und Deutschland nach Osteuropa. Aber dies ist nur deshalb der Fall, weil China und Osteuropa als verlängerte Werkbank für eine Industrieproduktion benutzt werden, die schließlich ihren Absatz wieder in den USA finden muss. Krisen in den Exportsektoren ziehen dann auch den Binnenmarkt nach unten - und sei dieser auch noch so groß wie in China.

Wir dürfen nicht glauben, dass die Milde der letzten Rezessionen 2001 und 1992 darauf schließen lässt, dass die nächste Weltwirtschaftskrise schwach wird. Es ist genau die relative Schwäche der letzten Rezessionen, vor allem der Rezession von 2001, die die kommende Rezession so gefährlich macht. Die Fed hat es 2001–2003 durch ihre expansive Geldpolitik, die durch eine expansive Fiskalpolitik im Rahmen des Irakkrieges ergänzt wurde, nicht zugelassen, dass die Weltwirtschaft und die US-Wirtschaft ihre Ungleichgewichte bereinigen konnten. Die Handelsbilanz der USA ist noch negativer geworden, der Abwertungsdruck auf den Dollar verbunden mit der Gefahr einer Kapitalflucht aus den USA ist gestiegen, die Spekulation und die Expansion des Kredites sind ins unermessliche Höhen geklettert. Die wechselseitige Verschuldung ist intransparenter und riesenhafter denn je geworden.

Zudem sind die Spielräume für keynesianistische Politik durch die Staatsverschuldung und die extreme Überspannung des Kredits gering geworden. Auch die Spielräume für einen neoliberalen Ausweg aus der Krise sind in den letzten 20 Jahren weitgehend ausgeschöpft worden.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit ist Teil einer größeren Arbeit mit dem Namen "Die marxistische Theorie über Zyklus und Trend". Sie wird deshalb getrennt veröffentlicht, weil sie auch für die LeserInnen interessant ist, die sich ohne die Mühe eines ausführlichen Studiums der marxistischen Krisentheorie in Kauf nehmen zu wollen, direkt dafür interessieren, was der Marxismus zur wirtschaftlichen Realität seit 1945, zum Neoliberalismus und zum Keynesianismus zu sagen hat.

In der Arbeit "Die marxistische Theorie über Zyklus und Trend" werden die allgemeine Krisentendenzen des kapitalistischen Wirtschaftssystems dargestellt: Die periodischen Überproduktionskrisen und der tendenzielle Fall der Profitrate. Als Ursache für den tendenziellen Fall der Profitrate werden die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals einerseits und die steigende Bedeutung der unproduktiven Sektoren der Wirtschaft andererseits analysiert.

In der folgenden Schrift handelt es sich darum zu zeigen, wie sich diese allgemeinen Krisentendenzen in der konkreten Realität entfalten. Es geht darum darzulegen, wie der allgemeine Gang der ökonomischen Gesetze von bisher unberücksichtigten Phänomenen, wie des Kampfes zwischen Arbeit und Kapital, des Welthandels, der Weltpolitik und des Einflusses des Staates auf die Wirtschaft verändert und mitgestaltet wird.

Wir werden zu diesem Zweck eine Untersuchung der Weltwirtschaft nach 1945 vornehmen und in diesem Kontext nicht nur die konkrete Wirksamkeit allgemeiner Gesetze überprüfen, sondern auch die Rolle wirtschaftspolitischer Paradigmen.

Gerade in der Linken, in globalisierungskritischen Kreisen, sowie in den wirtschafttheoretischen und –politischen Abteilungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie ist die Ansicht weitverbreitet, dass der wirtschaftspolitische Paradigmenwechsel der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung sei. Hauptursache für die Stabilität der 1950er und 1960er Jahre sei der Keynesianismus in Zusammenhang mit dem Bretton-Woods-Abkommen der fixen Wechselkurse. Hauptursache der Krise seit den 1970er und 1980er Jahren seien zum einen ein Verlassen der Politik der fixen Wechselkurse und zum anderen ein Übergehen zu neoliberaler Wirtschaftspolitik. Ein Hauptziel der vorliegenden Arbeit ist es, dieser These auf den Grund zu gehen.

In meiner Darstellung der Nachkriegsökonomie verwende ich sehr wenig Literatur, sondern hauptsächlich Zahlen, die ich einerseits direkt aus den National Accounts übernehme oder aus den Büchern von Robert Brenner "Boom & Bubble" (Brenner, 2003) und "Economics of Global Turbulance" (Brenner, 2006), die wie die vorliegende Arbeit eine Interpretation der Nachkriegsökonomie zum Gegenstand haben.

In weiten Teilen komme ich zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Brenner, es gibt aber auch wichtige Unterschiede: Erstens unterscheidet sich die Analyse von Brenner fundamental von meiner, auch wenn die Schlüsse ähnlich sind. Brenner sieht den Hauptgrund für den tendenziellen Fall der Profitrate in der Überproduktion, ich hingegen in der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals, das heißt in der steigenden Kapitalintensität der Produktion.

Dieser Unterschied ist wichtig, da in dem Fall, dass die Krisen reine Überproduktionskrisen wären, eine staatliche Ankurbelung der Nachfrage sehr wohl bedeutende Erfolge zeitigen könnte. Meiner Meinung nach ist aus diesem Grund die Brennersche Kritik am Keynesianismus etwas holprig.

Der zweite Unterschied, der sich aus dem ersten ergibt, ist der, dass in meiner Arbeit die Kritik am Keynesianismus und am Neoliberalismus und die Grenzen kapitalistischer Wirtschaftspolitik umfassender und allgemeiner behandelt werden.
Klar ist aber, dass diese Arbeit der Arbeit von Brenner sehr viel verdankt und in vieler Hinsicht auf der Analyse und den Forschungsergebnissen von Brenner aufbaut.

Die Situation nach 1945

Schon die Situation nach 1945 ist der beste Beweis, warum eine orthodoxe Interpretation des Marxismus als mechanischen, ökonomischen Determinismus für die Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung völlig unbrauchbar ist. Bestimmend für die Entwicklung der Weltwirtschaft und auch der Wirtschaftspolitik der kapitalistischen Staaten nach 1945 ist ein zutiefst politisches Faktum: Die UdSSR ging ungeheuer gestärkt aus dem 2 Weltkrieg hervor. Niemand erkannte das so gut wie der undogmatische Marxist Ted Grant, der bereits in seiner Schrift "Economic Perspectives" durch eine dialektische Kombination politischer Perspektiven und marxistischer ökonomischer Theorie den Nachkriegsboom voraussah. (Vgl. Grant, 1946).

Nach der chinesischen Revolution 1949 ist der Kapitalismus auf einem Drittel der Erdoberfläche beseitigt, eine Situation die man sich heute im Jahr 2007 gar nicht mehr vorstellen kann. Die Existenz eines immer weiter vordringenden nicht-kapitalistischen Blocks hat den maßgeblichsten Einfluss auf die Politik der kapitalistischen Länder.

Und hier kommen wir bereits zum zweiten Ergebnis des Zweiten Weltkrieges. Die traditionellen kapitalistischen Großmächte Deutschland, England, Frankreich sowie das aufstrebende Japan sind durch den Zweiten Weltkrieg massiv geschwächt und der überwiegende Reichtum der kapitalistischen Welt, sowohl an Goldreserven, wie an intaktem Maschinenpark ist in der neuen Supermacht USA konzentriert.

Die Perspektive der revolutionären MarxistInnen vor dem Zweiten Weltkrieg scheint sich nicht bewahrheitet zu haben: Aus dem Zweiten Weltkrieg, der Todeskrise des kapitalistischen Weltsystems, erhebt sich eine kapitalistische Supermacht von bisher nicht da gewesener Produktivkraft und Reichtum.

Es scheint, rein empirisch betrachtet, als käme es zur Existenz eines Systems, wie es Lenin und Trotzki nie für möglich gehalten haben – zur Existenz eines Ultraimperialismus, daher eines Weltkapitalismus, dominiert und organisiert von einer einzigen politischen Supermacht: den USA.

Gleichzeitig ist die Situation damals für die USA viel schwieriger als sie oberflächlich aussieht. Die USA sind in Wirklichkeit bereits 1945 ein Koloss auf tönernen Füßen. Sie tragen bereits alle Keime einer späteren Krise in sich.

Der Hauptgrund für die eigentliche Schwäche der USA liegt darin, dass sie angesichts der Existenz eines riesenhaften nicht-kapitalistischen Blocks die Verantwortung für die Verteidigung der gesamten kapitalistischen Welt in die Hand nehmen müssen und nicht einfach ihre egoistischen nationalen Interessen verfolgen können. Sie können nicht, wie ursprünglich im sogenannten "Morgentau"-Plan geplant, Deutschland und Japan deindustrialisieren und Frankreich und England in Sattelitenstaaten verwandeln, um sich selbst an der Ausbeutung der ganzen Welt zu bereichern, wie es vor ihnen England im 19. Jahrhundert getan hatte.

Bereits 1944 wird die Politik des "Containments" zur zentralen Achse der Politik der USA – sprich: die "Eindämmung" des Kommunismus. Diese Politik zwingt die USA dazu, die Wiedererrichtung eines deutschen, britischen, französischen und japanischen Kapitalismus nicht nur zu tolerieren, sondern sogar aktiv zu unterstützen.

Die Politik der Eindämmung richtet sich nicht so sehr gegen eine militärische Bedrohung der UdSSR. Die USA haben vor allem Angst vor den Bevölkerungsmassen in Europa und Japan, die einen Systemwechsel fordern: In Österreich, Deutschland, Italien und Japan sind tausende von Betrieben von den Belegschaften besetzt worden, in Großbritannien gewinnt Labour die Wahlen mit dem Slogan des Sozialismus. Auch die USA haben Angst vor ihrer eigenen Bevölkerung: In den ersten fünf Jahren nach dem Krieg befindet sich die US-amerikanische Gewerkschaftsbewegung auf dem Vormarsch: Sie setzt Reallohnerhöhungen von historischem Ausmaß durch und droht die gefährliche Tradition der Betriebsbesetzungen der 1930er Jahre wiederzuentdecken.

Die USA können die kapitalistische Ordnung nur verteidigen, indem sie gegen die übliche imperialistische Praxis den Aufbau funktionierender kapitalistischer Konkurrenzstaaten zulassen. Zu Westeuropa und Japan werden später noch Südkorea und Taiwan kommen.

Die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung hat nicht nur eine ökonomische, sondern eine politische Seite. Sie verlangt auch eine politische und wirtschaftliche Einbindung der Organisationen der Arbeiterschaft von bisher nie da gewesenen Ausmaß, sowohl in Westeuropa und Japan, als auch in den USA selbst.

Das dritte Element der Errichtung einer stabilen Nachkriegsordnung ist der Staatsinterventionismus. Die USA sind gezwungen, um sowohl innenpolitisch als auch in Japan und Westeuropa Stabilität zu generieren, auf ein System von massivem staatlichen Eingreifen zu setzen: Der Anteil des Staates in den USA selbst wird auf bisher nicht gesehene Höhen getrieben, in Westeuropa und Japan wird dieser Anteil noch übertroffen. Ob Lenin, als er in der Mitte des Ersten Weltkrieg den Begriff des "Sozialimperialismus" erdachte, ahnte, wie Recht er haben sollte, als er ihn als Zukunft des Kapitalismus der Industrieländer bezeichnete? Unter "Sozialimperialismus" verstand er ein System, das seine politische und ökonomische Dominanz in der Welt zur Einbindung der Organisationen der Arbeiterschaft in den Staat benutzt.

Der Grund für diesen Staatsinterventionismus liegt darin, dass sich zum einen die USA in den 1940er Jahren keine Wirtschaftskrise in Form von 1929 leisten können, und dass sie zum zweiten durch ihre militärischen Interventionen zuerst in Korea und dann in Vietnam gezwungen sind, die Kriegsproduktion anzuheizen. Außerdem bietet der Staatsinterventionismus die notwendige Bedingung für eine erfolgreiche dauerhafte Einbindung der Führung der Arbeiterorganisationen in die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen.

Der Anteil des Staates an der Wirtschaftsaktivität geht in den 1950er Jahren noch einmal drastisch über das Level des New Deals hinaus. Die Politik des Staatsinterventionismus ist dabei gar nichts Neues: Sie ist die Fortsetzung der Politik der Kriegswirtschaft, die die USA im Ersten und im besonders im Zweiten Weltkrieg betrieben. Während des Zweiten Weltkrieges befand sich die Hälfte der wirtschaftlichen Aktivität der USA unter der Leitung des Staates. Was Anfang der 1950er Jahre passiert, ist einfach eine teilweise Übertragung der Kriegswirtschaft auf Friedenszeiten: Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Lenin dieses System, dass nunmehr in den USA und noch mehr in Japan und Deutschland entstand, mit dem Begriff "Staatskapitalismus" tituliert hätte – ein Begriff der ursprünglich die kapitalistische Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges bezeichnen sollte.

Als viertes Element der Stabilitätspolitik der USA muss noch die Politik des offenen Handels genannt werden. Sie ist eng mit den Bretton-Woods-Abkommen verbunden. Wenn auch am Beginn das Bretton-Woods-Abkommen den USA entgegenkam, beispielsweise, indem es den Dollar als Weltwährung verankerte, so widersprachen in der Praxis die fixen Wechselkurse immer mehr den Interessen der USA, wie wir in der Folge noch sehen werden. Dass die USA zu ihrem eigenen Schaden so lange an der Politik der fixen Wechselkurse festhielten, muss auch als Teil ihrer breiteren Eindämmungsstrategie gesehen werden, Stabilität in den Zentren der kapitalistischen Welt aufzubauen. Wir dürfen bei dieser Betrachtung nicht vergessen, dass diese Politik der Spendierhosen für die USA nur möglich war, weil sie durch ihren Sieg im Zweiten Weltkrieg auch tatsächlich viel zum Spendieren in den Hosen hatten.

Die Last der Weltherrschaft: Die USA fallen zurück – Die 1950er Jahre

Bereits Mitte der 1950er Jahre machen sich die Früchte der Politik der USA nach dem Krieg bemerkbar: Die USA fallen in eine Periode der Stagnation. Wir müssen uns, wenn wir von der Stagnation der US-Wirtschaft in den 1950er Jahren sprechen, im Klaren darüber sein, dass das Level dieser Stagnation außerordentlich hoch ist. Die USA sind der größte Gläubiger der Welt, mit über 50% der weltweiten Goldreserven in Fort Knox. Es herrscht Vollbeschäftigung und der Wohlstand der US-amerikanischen ArbeiterInnen erreicht ein nie da gewesenes Ausmaß. Trotzdem beginnen sich ernstzunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten abzuzeichnen.

Zum einen ist der intakte Kapitalstock, den die USA aus dem Krieg mitgenommen haben, veraltet und nicht auf dem neuesten Stand. Ganz im Gegensatz dazu wird der deutsche Kapitalstock mit den modernsten Maschinen erneuert. Die Löhne sind in den USA um ein vielfaches höher als in Westeuropa und Japan. In diesem Zusammenhang liegt die Profitrate in Deutschland und in Japan höher als in den USA.

Die massiven Rüstungsausgaben rund um den Koreakrieg können die US-Wirtschaft nur kurze Zeit ankurbeln. Sie führen eher zu einer Befruchtung der Konjunktur in Europa und in Japan als in den USA selbst, wo nach einem Jahr schnellen Wachstums eine Stagnationsperiode beginnt, die für die ganze Nachkriegszeit bis zu den 1970er Jahren einzigartig ist.

Nach Kriegsende 1945, als der Staat aufgrund des Endes der Kriegswirtschaft begann, sich aus der Wirtschaft zurückzuziehen, droht überhaupt ein erneuter Absturz in die Depression. Der Anteil der Staatsausgaben an der Wirtschaft geht 1944-1947 von 47,9 % auf 14,9 % zurück. In der Zeit von 1945 bis 1947 schrumpfte in der Folge die US-Wirtschaft jedes Jahr um 4,33 %, im Jahr 1946 alleine sogar um -11%.

Durch einen nachfrageseitigen, staatlichen Impuls und einer neuerlichen Erhöhung der Staatsausgaben auf 17,5 % im Jahr 1949 kann gerade noch verhindert werden, dass die US- Wirtschaft nach 1945 in eine neuerliche Depression abstürzen.

Gleichzeitig brachte man aber die periodischen Überproduktionskrisen nicht zum Verschwinden. Nach 1949 kam die nächste Rezession 1954, gefolgt von der Rezession von 1958. Der Zyklus 1954-58 war dabei um einiges schwächer als der Zyklus von 1949-54. Auch der Zyklus 1958-62 schien nach dem selben Muster zu verlaufen und sich weiter abzuschwächen. Erst 1962 begann sich das Muster des Zyklus zu verändern.

Zwischen 1950 und 1952 fand die größte Expansion des Staates in der US-amerikanischen Geschichte statt. Die staatlichen Ausgaben stiegen von einem Anteil von 15,9 % am BIP im Jahr 1950 auf 23,3 % im Jahr 1952. Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass die US-Wirtschaft zwischen 1952 und 1961 in einen Zustand der Stagnation verfiel: Das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum betrugt in diesen Jahren 2,96 %. Lediglich in den Jahren der staatlichen Expansion selbst, also 1950 und 1951 kam es zu hohen Wachstumsraten (8,7 bzw. 7,7 %).

Was ist die Grundlage dieser Stagnation? Zum einen haben sich die USA durch ihre Eindämmungspolitik gegen den Kommunismus mächtige Konkurrenten in Form von Deutschland und Japan hochgezüchtet, die vor allem in den 1950er Jahren beginnen, den US-amerikanischen Markt zu bearbeiten.

Zum anderen generieren die hohen Staats- und Rüstungsausgaben zwar Nachfrage, sie verbessern aber die Profitsituation der USA nicht. Auf diese Weise liegen die Profite in Prozent des Kapitalstocks 1951 bei 4,2 % und 1958 bei 3 % – sie gehen also bei gleichzeitiger massiver Expansion der Staatsausgaben um über 25% zurück. Wenn man die Profitrate der Rezession 1954 mit der Rezession 1958 vergleicht, kommt man immer noch auf einen Fall der Profitrate von 3,4% auf 3% und daher von - 9,1 %.

Aufgrund der schlechten Profitsituation führen die erhöhten Staatsausgaben nicht zu einer Ankurbelung der Investitionen. Von der erhöhten Nachfrage profitieren hingegen jene Länder, in denen die Profitsituation besser ist – nämlich Deutschland und Japan.

Was wir in der Phase 1945 bis 1961/62 in den USA beobachten können ist das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate und die Fortexistenz des Konjunkturzyklus. Die massive Erhöhung der Staatsausgaben kann nicht nur die Profitsituation nicht verbessern, sie verschlechtert sie sogar. Denn die erhöhten Steuern, die die Staatsausgaben finanzieren sollen, drücken weiter auf die Profitrate.

Bereits 1960 analysierte Ted Grant in seiner Broschüre "Will there be a slump?", warum die gesteigerte Aktivität des Staates schließlich nicht verhindern könne, dass der Nachkriegsboom in einer Krise enden würde. Er greift dabei insbesondere die Unterkonsumptionstheoretiker an, die zu dieser Zeit interessanterweise viele bürgerlichen Institutionen vor allem in den USA und auf der Eben der UNO dominieren. (Vgl. Grant, 1960)

Europa und Japan holen auf

Allgemein betrachtet ist die Weltwirtschaft zwischen 1950 und 1973 in sehr guter Verfassung. Die Dynamik, die in den 1950er Jahren in den USA zu fehlen scheint, hat sich lediglich Richtung Westeuropa und Japan verschoben, wo ein ungeheurer Aufholprozess stattfindet.

Dieser Aufholprozess kann stattfinden, weil einerseits die Löhne in Deutschland und in Japan unglaublich niedrig sind und andererseits, weil vor allem Deutschland, zu einem gewissen Grad aber auch Japan, durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges die neueste und effizienteste Maschinerie in Gang setzen können.

Auf diese Weise beginnt Deutschland in den 1950er seinen Aufschwung mit den welthöchsten Profitraten. Japans Profitrate steigt bis in die 1960er Jahre dramatisch an, weil seine Exportprodukte in der internationalen Wertschöpfungskette nach oben schnellen. Ein immer größerer Teil der Weltprofite wird von Japan und Deutschland erobert.

Um die Situation in Deutschland 1951 zu verstehen, muss man sich veranschaulichen, dass das Lohnniveau 80 % von 1938 betrug und die Produktivität bereits wieder 95% von 1938. Damit standen die Arbeitskosten in Deutschland bei 64 % des Niveaus der USA. Wenn zwischen 1948 und 1950 die Produktivität um 50 % stieg, erhöhten sich im gleichen Zeitraum die Löhne lediglich um 0,25 %. (Brenner, 2006, S.63ff)

Zu dieser Zeit war der Keynesianismus die unumstritten vorherrschende Wirtschaftsdoktrin. Es ist hier klar ersichtlich, dass diese Art von Keynesianismus, entgegen der landläufigen Ansicht, auf einer Einschränkung des Massenkonsums beruhte. Der Staatsinterventionismus war massiv, aber gemäß den Empfehlungen von Keynes auf den Investitionssektor konzentriert. Über die Banken und die verstaatlichte Industrie wurde bewusst eine Exportindustrie hochgezüchtet, um Profite auf dem Weltmarkt zu erringen. Auch Vollbeschäftigung war niemals primäres Ziel des deutschen oder japanischen Keynesianismus: Zwischen 1948 und 1950 stieg die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland von 4,5 % auf 12 %.(Brenner, a.a.O.) Die Idee war die folgende: Löhne drücken, Investitionen ankurbeln, Profite steigern, Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt erringen und dadurch Lohnerhöhungen und Vollbeschäftigung möglich machen. Nicht umgekehrt, wie es uns heute so mancher nostalgischer konsumentennachfrageorientierter Keynesianer weiß machen möchte.

Der Exportindustrie, allen voran der Autoindustrie, wurden Rohstoffe und Arbeitskräfte billig zur Verfügung gestellt. Die Banken kombinierten eine allgemeine Hochzinspolitik mit einer Niedrigzinspolitik für die exportorientierten großen Monopole. Die Kapitalströme wurden vom Staat in strategisch wichtige Sektoren gelenkt. Auch der japanische und deutsche Staatsinterventionismus ist ein Resultat der Kriegswirtschaft. Die selben Konzerne, die vorher staatlich unterstützt wurden, um im Blitzkrieg die Steppen Russlands und die Urwälder Südostasiens zu erobern, sollten jetzt im Exportkrieg den USA Marktanteile abluchsen.

In den 1950er Jahren stieg der Anteil Deutschlands an den verarbeiteten Exporten der Industrieländer von 7,3 % auf 19 % (Brenner, a.a.O.). In Japan wuchsen die Exporte zwischen 1951 und 1965 auf einer jährlichen Rate von 15%. (Brenner, 2006, S.89)

Japan, Deutschland und die USA kämpfen um den Profitkuchen

In den 1960er Jahren können die USA wieder an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Japan und Deutschland gewinnen. Durch die Rezession von 1958 kann das Wachstum der Reallöhne eingedämmt werden. Robert Brenner sieht zwischen 1958 und 1961 in einer Reihe von Streikniederlagen einen fundamentalen Wandel im Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital (Brenner, 2006, S.58ff). Die Offensive der US-Arbeiterklasse der 1950er Jahre wurde gestoppt. Gleichzeitig begann während dieses Jahrzehnts bereits die deutsche Profitrate zu sinken. Durch die massiven Investitionsraten verschlechterte sich die Effizienz des Kapitalstocks, der tendenzielle Fall der Profitrate machte sich sichtbar. Hinzu kam, dass Deutschland gezwungen war, die Mark aufzuwerten, da der US-Dollar durch ein steigendes Außenhandelsdefizit der USA und durch eine Zinssenkung in den USA 1960 unter Druck kam. Die USA begannen das System der fixen Wechselkurse in Frage zu stellen, weil es ihre wirtschaftliche Überlegenheit unterminieren musste.

Wenn zwischen 1960 und 1965 die USA besser dastanden, so holten Japan und Deutschland zwischen 1965 und Anfang der 1970er Jahre wieder auf. Am Ende dieses Kampfes um die Wettbewerbsfähigkeit stand aber die simultane Krise aller Industrieländer im Jahr 1974.

Die Krise von 1974 ist als der erste Ölpreis-Schock in die Geschichte eingegangen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass der Preis des Erdöls nicht die Ursache der allgemeinen Profitkrise war, sondern nur der Transmissionsriemen, der die allgemeine Profitkrise in eine allgemeine Weltwirtschaftskrise verwandelte.

In den USA ist bereits 1970 ein erster Tiefstand der Profitrate erreicht, die seit 1965 von 4,55 % auf 2,93 % um 35, 6% gefallen ist. Vor 1970 bestimmt scheinbar hauptsächlich die aktuelle Wettbewerbssituation den Zustand der nationalen Profitrate. 1974 wird offenbar, dass die Profitsituation insgesamt schlechter geworden ist, dass der Kuchen, um den gerangelt wird, in seiner Gesamtheit gehörig geschrumpft ist. Das Problem, das bisher zwischen der Akteuren der Weltwirtschaft hin und hergeschoben wurde, entwickelt sich jetzt zu einem allgemeinen Krisenzustand der Weltwirtschaft. Zwischen 1960 und 1965 steigt beispielsweise die US-Profitrate ganz ansehnlich – nur um dann bis 1970 umso dramatischer zu sinken. Der kurze Boom der US-Wirtschaft zwischen 1960 und 1965 ist nur auf einen kurzfristigen Wettbewerbsvorteil gegen Deutschland zurückzuführen und verschleiert auf diese Weise einen Prozess, der die ganze Zeit unter der Oberfläche seine Wirkung entfaltet hat: den tendenziellen Fall der Profitrate. Die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals hat nicht nur in den USA, sondern auch in Japan und Deutschland zu einem dramatischen Fall der Profitrate geführt. Japan und Deutschland, die Wirtschaftwunderländer der 1950er und 1960er Jahre werden sogar noch größere Schwierigkeiten als die USA haben, diese strukturelle Krise ab 1974 zu überwinden.

Das Bretton-Woods-Abkommen zerfällt

Der Aufholprozess von Japan und Deutschland gegenüber der USA macht es immer unvorteilhafter für die USA, das System der fixen Wechselkurse aufrechtzuerhalten. Unter normalen Bedingungen erzeugt ein steigendes Außenhandelsdefizit der USA und ein Außenhandelsüberschuss von Deutschland und Japan eine Abwertung der US-Währung und eine Aufwertung der deutschen Mark und des japanischen Yens. Eine Abwertung des Dollars würde die Wettbewerbsfähigkeit der USA gegenüber Japan und Deutschland verbessern und deren Exportoffensive zumindest teilweise zum Erliegen bringen.

Unter den Bedingung des fixen Wechselkurses kann eine erhöhte Nachfrage nach D-Mark dessen Wert nicht steigern. Die Notenbank muss in diesem Fall die Geldmenge erhöhen, um den Wert der D-Mark konstant zu halten. Dies bringt Vorteile für die Exportnation, die ungehindert durch Aufwertungsprozesse in den feindlichen Markt eindringen kann.

Ist die Währung einer Exportnation durch einen fixen Wechselkurs an die Währung eines Importlandes gebunden, ist die Währung des Importlandes aufgrund eines steigenden Außenhandelsdefizit überbewertet (und vielleicht aufgrund einer Niedrigzinspolitik zusätzlich mit Inflation behaftet), dann kann dies aber auch zu einem Problem für das Exportland werden. Es kommt in diesem Fall zum Problem der "importierten Inflation". Mehr und mehr Dollars fließen in Yen und D-Mark. Die Notenbanken müssen statt den Preis von D-Mark und Yen die Geldmenge erhöhen, um die Wechselkurse fix zu halten. Es kommt nun auch im Inland zu Inflation. Bereits 1960 und 1969 musste Deutschland aufwerten, Japan entschied sich dafür, Inflation zu importieren.

Nun war es durchaus nicht der Fall, dass die USA bewusst Inflation exportieren wollten. Immer wieder, so auch 1968/69, versuchten sie durch hohe Zinsen und Nachfrageeindämmung die Flucht aus dem Dollar und das Außenhandelsdefizit einzuschränken. Aber die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation – und schließlich die Rezession von 1970 – zwangen sie zu einer keynesianischen Wirtschaftspolitik. Die expansive Fiskal- und Geldpolitik musste das Außenhandelsdefizit weiter erhöhen und die Inflation anheizen, was eine direkte Herausforderung des Systems der fixen Wechselkurse bedeutete.

Mit dem Schlachtruf "We are all Keynesians now" signalisierte US-Präsident Nixon, dass er keine Verantwortung für exportierte Inflation mehr übernehmen würde. Deutschland und Japan sollten zur Aufwertung gezwungen werden, und auf diese Weise würde die USA seine Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten seiner Handelspartner zumindest teilweise wieder herstellen können. 1971 nachdem Nixon die Goldbindung des Dollar aufgab und neue fiskalische Konjunkturankurbelungspakete schnürte, wurden Japan und Deutschland zur Aufwertung gezwungen.

Trotz dieser Aufwertung führten die USA ihre Politik der exportierten Inflation und der keynesianischen Konjunkturpakete fort. Zwischen 1969 und 1972 verdoppelten sich die Geldreserven der Welt und stiegen damit in drei Jahren – soviel wie noch nie in der gesamten bekannten Wirtschaftsgeschichte. 1973 beschloss man eine weitere Abwertung des Dollars, aber dieses Mal gaben die USA von vornherein bekannt, dass sie sich zu nichts verpflichtet fühlen würden, um den fixen Wechselkurs zu halten. Damit zwangen sie Deutschland und Japan endgültig vom fixen Wechselkurs abzuweichen.

Der Mythos Bretton Woods

Rund um das fixe Wechselkursabkommen von Bretton Woods ranken sich vor allem in der "globalisierungskritischen" Linken viele Mythen. Erst durch das Abweichen vom fixen Wechselkursregime sei der Neoliberalismus entfesselt worden. Die Kapitalströme seien von da an auf den Finanzmarkt gelenkt worden und die Spekulation hätte seither freie Bahn. Diese Sicht wurde vor allem dadurch genährt, dass immer wieder Krisen in Volkswirtschaften durch Währungsspekulationen ausgelöst wurden, wie in Mexiko 1993 und während der Asienkrise 1997. Die selben Ökonomen, die das Zeitalter der fixen Wechselkurse als "goldenes Zeitalter" verehren, sind meist auch Anhänger des Keynesianismus.

An dieser Stelle müssen wir darauf hinweisen, dass diese Sichtweise von Widersprüchen nur so strotzt. In Wirklichkeit sind die fixen Wechselkurse immer dann gefährdet worden, wenn die USA eine Politik der fiskalischen und monetären Staatsintervention einschlugen: nach der Rezession von 1958 und 1970 und nach der Konjunkturflaute von 1967. Den fixen Wechselkurs zu stabilisieren, bedeutete für die USA jedes Mal, eine Sparpolitik und eine Hochzinspolitik einzuschlagen. Dies war nach der Rezession von 1970 schlichtweg nicht mehr möglich. Das System der fixen Wechselkurse hätte sich nur retten lassen, wenn die USA 1973 auf eine Hochzinspolitik gesetzt, eine tiefe Rezession in Kauf genommen und die Nachfrage (und damit die Importe und das Außenhandelsdefizit) gedrosselt hätten. In Wirklichkeit war gerade der Keynesianismus, den die USA besonders zwischen 1970 und 1981/82 einschlugen, der Grund für das Scheitern des fixen Wechselkurssystems. Das Deregulieren der Finanzmärkte und die Abkehr von der investitionssteigernden Orientierung in der Wirtschaftspolitik hin zu einer Profitratenorientierung passierte erst nahezu zehn Jahre nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods und hatte damit wenig zu tun.

Es ist auch sicherlich nicht wahr, dass Spekulanten auf den Währungsmärkten schuld am Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften sind. Hinter den Krisen dieser Volkswirtschaften, beispielsweise der Krise der asiatischen „Tigerstaaten“, lag immer eine Krise der realen Ökonomie. Selbst die intelligentesten bürgerlichen Ökonomen wie Paul Krugmann haben erkannt, dass im Fall der Tigerstaaten die hohen Investitionen bei gleichzeitig schlechter Kapitalproduktivität Schuld an der Krise hatten – was nur ein anderer Ausdruck für den tendenziellen Fall der Profitrate ist.

Der Einbruch der Profitrate brachte die Dollarflüsse nach Asien zum Versiegen, die Währungen mussten abwerten, Kredite wurden durch die Kreditkrise untilgbar und die Dollarschulden konnten nicht mehr zurückbezahlt werden.

Spekulation kann immer nur Auslöser einer Krise sein. Ohne eine Krise der realen Ökonomie und eine bereits angeschlagene Währung kann eine einzelne Spekulationsattacke nicht zum Ziel führen. Nichtsdestotrotz war der Zusammenbruch des fixen Wechselkurssystems ein Symptom für eine tieferliegende allgemeine Krise der Volkswirtschaft. Er drückte sich vor allem darin aus, dass die USA nicht mehr wie bisher in der Lage waren, den Aufbau der westlichen Welt mitzufinanzieren. Sie mussten ihre eigenen Interessen wieder in den Vordergrund rücken. Damit wurde aber zum einen die Krise der US-Volkswirtschaft nur hinausgeschoben, Japan und Deutschland, und damit ganz Westeuropa wurden in eine tiefe Krise geworfen, aus der sie sich lange nicht erholen sollten. Den Zusammenbruch von Bretton Woods für die Krise verantwortlich zu machen, bedeutet einen Ausdruck der Krise mit ihrer Ursache zu verwechseln.

Die Entwicklung der organischen Zusammensetzung des Kapitals und die Weltwirtschaftskrise von 1974

Die marxistische Wirtschaftstheorie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die wirtschaftliche Dynamik aus der Entwicklung der Profitrate erklärt, das heißt aus dem Verhältnis des Kapitalstocks zu den Profiten. Zeichnen wir die Entwicklungstendenzen seit 1929 kurz nach.

In den „Goldenen Zwanziger Jahren“ führte der Investitionsboom in den USA zu einer massiven Expansion des Kapitalstocks und zu einem Einbruch der Profitrate 1929. Die Depression zwischen 1929 und 1934, in der ein massiver Teil des Kapitalstocks vernichtet wurde, stellte die Profitrate wieder her. Nach dem Aufschwung ab 1934 folgte 1938 wieder eine Rezession. Die Kriegskonjunktur zwischen 1939 und 1944 führte wieder zu einer Verschlechterung der Profitrate. Auf diese Weise war die Profitsituation in den USA in den 1950er Jahren gar nicht so rosig. Die Rezession von 1958, die schwachen Investitionen in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, der Angriff auf den Lebensstandard der Lohnabhängigen, etc. bereiteten gemeinsam mit einer sich verändernden Handelspolitik der USA und mit dem Vietnamkrieg noch einmal eine Erholung der Profitrate vor, die die Grundlage für einen profitgetriebenen Boom zwischen 1961 und 1970 bilden sollte. Wiederum expandierte der Kapitalstock massiv. Nach diesem massiven Boom war die Profitrate entgültig am Boden.

Deutschland beginnt die 1950er Jahre mit einer unglaublich hohen Profitrate, die jedoch langsam, fast linear, absinkt und in den 1970er Jahren ebenfalls am Boden anlangt. Der Grund ist wiederum die massive Expansion des Kapitalstocks. Das dramatischste Beispiel ist jedoch Japan. Dort ist die Profitsituation in den 1950er und 1960er Jahren konstant enorm gut, bis es in den 1970er Jahren zu einem massiven Einbruch der Profitrate kommt, wiederum gerieben von der vorangehenden Expansion des Kapitalstocks.

Das besondere Kennzeichen der 1970er Jahre und der Krise von 1974 ist, dass jetzt alle industriellen Kernländer parallel in der Krise gezogen werden. Es ist nicht mehr so, wie in den 1950er oder 1960er Jahren, dass ein Land auf Kosten eines anderen expandiert, Deutschland auf Kosten von den USA oder umgekehrt – nein, die Weltprofitrate in ihrer Gesamtheit gerät in eine Krise.

Dass dabei der Ölschock der Auslöser ist, darf nicht verwundern. Ein Anstieg des Kapitalstocks führt vor allem auch zu einem gesteigerten Rohstoffverbrauch. Während die Verbilligung der Maschinerie der Erhöhung der Maschinenanzahl entgegenwirken kann, sind Rohstoffe wie Öl natürlich begrenzt vorhanden. Auf diese Weise nennt Marx bereits im dritten Band des „Kapitals“ die Knappheit der Rohstoffe als einen Hauptgrund, warum der tendenzielle Fall der Profitrate durch die Verbilligung der Maschinerie verzögert, aber nicht aufgehalten werden kann. In den 1970er Jahren schlagen die meisten Regierungen eine Politik des deficit spending und des billigen Geldes ein, die verhindert, dass sich die Rezession voll entfalten kann. Auf diese Weise bleibt der Kapitalstock ineffizient, weil überakkumuliert, und die Profitrate sinkt weiter ab. Erst in den 1980ern setzten sich die Kapitalisten wieder das Ziel, die Profitrate massiv zu erhöhen. Dies konnten sie aber nur tun, indem sie den Lebensstandard der Arbeiterklasse herausfordern und die soziale Stabilität im In- und Ausland in Frage stellen.

1970 bis 1982: Das Jahrzehnt der keynesianischen Krise

Nach der langen Zeit positiven Wachstums ab 1958 stürzen die USA erst 1970 wieder in eine Rezession. Jetzt beginnt die Phase, in der die USA versuchen, durch keynesianische Politik einen Ausweg herbeizuführen. Deficit spending wird verknüpft mit einer Niedrigzinspolitik. Zwischen 1971 und 1982 beträgt der Budgetsaldo durchschnittlich -1,23% des BIP – im Vergleich dazu lag es im Zeitraum von 1950 bis 1970 bei durchschnittlich +1,32 %. Zwischen 1971 und 1982 ist der Budgetüberschuss nur zweimal positiv – in den 20 Jahren davor war er nur zweimal negativ.

Die Politik des Keynesianismus konnte zwar immer wieder die Wirtschaft ankurbeln, nach ein paar Boomjahren stellte sich jedoch sofort die Rezession wieder her und zwar tiefer und länger als in der Vergangenheit. So kommt es nach der Konjunkturankurbelung 1971 zu einem dreijährigen Wachstum, das aber gleich wieder in einer zweijährigen Rezession 1974/75 mündet. Ein neues Konjunkturpaket, dass das Budgetdefizit auf 4,07 % des BIP anwachsen lässt, verhilft der Wirtschaft wieder für vier Jahre auf die Beine. Doch 1980 bis 1982 folgt eine neuerliche dreijährige Krise. Dazu muss gesagt werden, dass 1981 bereits der Monetarismus einsetzt und die Zinssätze scharf angehoben werden, um die ausufernde Inflation in den Griff zu bekommen.

Die Krise der Profitrate konnte durch keynesianische Politik einfach nicht gelöst werden - das haben die 1970er Jahre eindrücklich bewiesen. Wenn wir die Profitrate in Rezessionszeiten vergleichen, haben wir eine Profitrate von 2,9 % im Jahre 1970, fünf Jahre später 2,6 %, und nur 1,9 % im Jahre 1982. Das bedeutet während der keynesianischen Expansion einen Profitratenfall von 34%.

Die andauernde lockere Geld- und Fiskalpolitik simuliert selbst während der Rezessionen die Rahmenbedingungen eines Wirtschaftsbooms. Auf diese Weise ist die Rate der Firmenpleiten sehr niedrig, die ineffizientesten Teile des Kapitalstocks scheiden nicht aus, das Kapital entwertet sich kaum, oft zählt auch bei Neuinvestitionen mehr die Quantität als die Qualität. Dies trug zu einer ganz schlechten Entwicklung der Produktivität bei und führte zudem dazu, dass die negative Wirkung der Investitionen auf Kapitalstock und Profitrate verstärkt wurden. Deshalb haben wir in den 1970er Jahren nachfrageinduziert teilweise kurzfristig ganz hohe Investitions- und Wachstumsraten, die jedoch sehr schnell versiegen und zu einer neuen Rezession führen. Wenn das durchschnittliche Wirtschaftswachstum der 1970er sogar höher als das der 1980er, 1990er und 2000er ist, so ist die Profitrate und die Produktivitätswachstumsrate einzigartig niedrig.

Das bedeutet, dass die staatlich induzierte Nachfrage, verbunden mit der Niedrigzinspolitik, wiederholt zu keiner nachhaltigen Ankurbelung der Konjunktur führte. Die Investitionswelle erfolgte zwar regelmäßig, brach aber ebenso relativ schnell wieder in sich zusammen. Die Folge war jedes Mal ein drohendes Ausufern der Inflation.

Die expansive Geld- und Fiskalpolitik erhöhte die Nachfrage, aufgrund der schlechten Profitsituation brachen aber die Investitionen immer wieder schnell in sich zusammen. Das bedeutet, dass der Erhöhung der Nachfrage keine Erhöhung des Angebots im selben Ausmaß nachfolgte, was in einer Preissteigerung resultieren muss. Das gleiche Phänomen kann auch so interpretiert werden, dass Unternehmer auf die steigende Nachfrage lieber mit Preissteigerungen reagierten als mit Investitionen, da die Profitratensituation so schlecht war.

Der zweite Grund für die explodierende Inflation lag in der Geldmengensteigerung, die aber nicht zu einer notwendigen Steigerung des BIP führte. Dadurch erhöhte sich die Geldmenge im Vergleich zu den zirkulierenden Warenwerten. Wiederum ist das Resultat eine Preissteigerung, also Inflation.

Weil also der gewünschte Effekt der Konjunkturankurbelung ausbleibt, kommt es sowohl durch die expansive Geldpolitik als auch durch die expansive Fiskalpolitik zu Inflation.

Regelmäßig explodiert gerade in der Rezession die Inflation auf 9 % und mehr (1980, 1975 und 1974). Der Grund liegt darin, dass gerade in Rezessionen das Angebot und die Zirkulation der Waren eingeschränkt werden, während aber bei expansiver Geld- und Fiskalpolitik die Nachfrage und der Geldumlauf hochgehalten wird.

Der Grund, warum die Investitionen von 1970 bis 1982 zu so einem rapiden Absinken der Profitrate führten, liegt darin, dass der Kapitalstock wuchs, ohne dass sich die Produktivität dementsprechend verbesserte. Normalerweise führen Rezessionen dazu, dass die unproduktivsten Elemente des Kapitalstocks abgeschrieben werden, beispielsweise durch Pleiten. Durch die Politik des billigen Geldes und der künstlich hochgehaltenen Nachfrage können auch die unproduktivsten Teile des Kapitalstocks auf dem Markt bleiben. Rezessionen werden auf diese Weise einfach übergangen. Ein neuer Aufschwung wird eingeleitet, ohne dass die Rezession gegenüber dem überakkumulierten Kapitalstock ihre reinigenden Kräfte entfalten konnte. Unter solchen keynesianischen Rahmenbedingungen werden die unproduktivsten Teile des Kapitalstocks in Rezessionen nicht nur nicht aus dem Markt gedrängt, sie werden in Boomzeiten sogar dazu gedrängt, weiter zu expandieren. Auf diese Weise endet jeder Aufschwung in einer Krise, die tiefer ist als die vorangegangene. Wäre die Politik über 1981 hinaus fortgesetzt worden, dann hätte dies unweigerlich in eine totale Profitkrise münden müssen. Ohne Profite kann der Kapitalismus nicht weiterexistieren. Eine Weiterführung dieser Politik hätte den Kapitalismus selbst gefährdet.

Neben dieser Profitkrise war ein weiteres Problem die ausufernde Inflation. Die Inflation ist zum einen ein Problem für das Finanzkapital, da gespartes Vermögen entwertet wird. Zum anderen birgt die Inflation ab einer gewissen Änderungsrate und Höhe immer die Gefahr in sich, zu explodieren. Dies deshalb, weil Firmen ihre Preissetzung von der generellen Inflationserwartung, also der Preissetzung aller anderen Firmen, abhängig machen. Auf diese Weise können sich die Preise gegenseitig hochschaukeln. Eine explodierende Inflationsrate führt aber zu einer Zerrüttung der wirtschaftlichen Beziehungen. Wie hoch die Gefahr einer explodierenden Inflation tatsächlich war, sieht man daran, dass die Inflation von 1980 bis 1981 noch einmal von 9,1 % auf 9,4% anstieg, obwohl die nominalen Zinsen im selben Zeitraum von 8,5% auf 12,8% erhöht wurden und damit auf den mit Abstand höchsten Stand der Nachkriegszeit. Man kann daraus fast schließen, dass es ohne diese Hochzinspolitik zur Hyperinflation in den USA gekommen wäre, in Zusammenhang mit der schlechten Profitsituation möglicherweise zu einer Depression.

Es gab also drei Gründe, warum 1982 eine Abkehr von der keynesianischen Politik passierte:
1. Die Krise der Profitrate
2. Das Finanzkapital begann gegen die hohe Inflation zu rebellieren
3. eine allgemeine berechtigte Angst vor einer explodierenden Inflation

Der neoliberale Turn

In den 1980er Jahren kam es zu einem Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik: Der "Neoliberalismus" begann sich durchzusetzen. Wenn man von aller Ideologie absieht, die in der Praxis nicht viel wert ist, handelt es sich beim Neoliberalismus im Kern nur um eines: Um die Wiederherstellung der Profitrate mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Wiederum sind politische Gründe ausschlaggebend für den Paradigmenwechsel: Die neoliberale Offensive konnte beispielsweise Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre, als sich die Krise das erstemal offenbarte, nicht gestartet werden, weil das erste Resultat der Krise in einer weltweiten politischen revolutionären Welle lag: Revolution in Frankreich 1968, in Italien 1969, darauf in Griechenland, Spanien und Portugal, sowie starke Gewerkschaften in den USA und Großbritannien verunmöglichten den Kapitalisten diesen Ausweg aus der Krise. Deshalb musste der keynesianische Weg eingeschlagen werden: Erst nach der Niederlage des Bergarbeiterstreiks in Großbritannien, des Fluglotsenstreiks in den USA und der Fiat-ArbeiterInnen in Italien konnte die neoliberale Offensive wirklich beginnen. Wirklich intensivieren konnte sich die kapitalistische Offensive aber erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre.

Die Wiederherstellung der Profitrate sollte dabei durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
1. Ausdehnung und Intensivierung der Arbeitszeit
2. Senkung der Löhne und Sozialleistungen
3. Privatisierung von bislang nicht-profitbringenden Sektoren der Wirtschaft (Renten, Versicherungen, Staatsbetriebe, Gesundheit, Grundversorgung, Bildung, Infrastruktur)
4. Senkung der Investitionsrate zur Steigerung und Erhaltung der Effizienz des Kapitalstocks. Das Absinken der Profitrate in der Akkumulationsphase soll verhindert werden.
5. Liberalisierung des Welthandels zur Senkung der Rohstoffpreise und zur Schaffung von Absatzmärkten und neuen Privatisierungsmöglichkeiten
6. Steuersenkungen: Vor allem Senken der Steuern für Profite, aber auch Senken der „Lohnnebenkosten“ (das sind Lohnbestandteile).
7. Zulassen einer gewissen Mindestarbeitslosigkeit, um die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen.
8. Massive Ausdehnung der Subventionen der Kapitalbesitzer durch den Staat.
9. Erhöhung der Zinsen und damit der Profite des Finanzkapitals.
10. Deregulierung der Finanzmärkte, um der Schwemme an überschüssigem Kapital Anlagemöglichkeiten in Form von Spekulationsblasen zu bieten. Generelle Förderung des Industriekapitals in die Sphäre des Finanzkapitals.

Keinesfalls darf man glauben, dass in dieser Phase expansive Fiskal- oder Geldpolitik gar nicht mehr vorkommen. Das Budgetdefizit erreicht seinen Höchststand erst im Jahr 1984 mit 4,75 % des BIP. Auch 1993 ist das Budgetdefizit mit 4,68 % höher als zu irgendeinem Zeitpunkt in den 1970er Jahren. 2004 steigt das Defizit auf 3,58 %, ein Wert der in den 1950er und 1960er undenkbar war und in den 1970er Jahren nur 1976 einmal überschritten wurde. Allgemein muss festgehalten werden, dass das Budgetdefizit in der neoliberalen Phase von 1983 bis 2007 im Durchschnitt höher ist als in den 1950er und in den 1960er oder sogar in den 1970er Jahren. Auch die Zinsen sind – abgesehen von kurzen Phasen der Hochzinspolitik mit den Höhepunkten 1984, 1989/90, und 1995 und 2000 in den USA – im Allgemeinen eher niedrig. Es wird jedoch immer darauf geachtet, dass die Inflation nicht über 3% steigt.

Interessant ist, dass in der "neoliberalen" Phase der USA die Erhöhung der Geldmenge sowie die expansive Fiskalpolitik in der Wirtschaft nicht mehr im selben Ausmaß wie in vergangenen Zeiten zu einer Ankurbelung der Investitionen führen. Nicht nur das: Auch die sich wiederherstellende Profitrate führt nicht zu Investitionswellen wie in der Vergangenheit.

Der Grund dürfte darin liegen, dass der Sektor des Finanzkapitals anfängt, auf ungeheurer Art und Weise zu expandieren. Auf diese Weise entsteht ein Sog, der einen Großteil der Profite in Richtung Finanzmärkte zieht und dadurch von produktiven Investitionen weglenkt.

Deshalb führt ein Senken der Zinsen oder ein Steigen der Profite nicht mehr im selben Ausmaß wie in der Vergangenheit zu Investitionsbooms, das überschüssige Kapital sucht auf der "schiefen Bahn der Spekulation" nach Anlageformen.

Warum sind die Finanzmärkte plötzlich so lukrativ geworden? Zum einen, weil bis Mitte der 1990er Jahre die Profitsituation im Produktionssektor trotz leichter Besserungen noch immer miserabel ist, und weil selbst in der absoluten Boomspitze 1997 die Profitrate von 3,8% nicht überschritten werden kann, ein Wert der 18,4% unter der Profitrate des Spitzenjahres 1966 liegt.

Zum anderen, weil der Staat bewusst die Finanzmärkte profitabel gestaltet, um zu erreichen dass das Kapital aus den unprofitabel gewordenen Sektoren der "old economy" einen Ausweg auf dem Finanzweg findet. Im Fall von Thatcher und Reagan war es auch ein bewusstes Ziel durch eine Schrumpfung des Industriesektors eine höhere Arbeitslosigkeit zu schaffen, um die gewerkschaftlich gut organisierten Industriearbeiter zu schwächen.

Es ist in dieser Phase ein Ziel des Staates die Akkumulation zu bremsen, um dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenzuwirken und die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen. Die Investitionen im Finanzsektor wurden dabei durch Liberalisierungen, Deregulierungen und vor allem durch steuerliche Vorteile erleichtert.

Schließlich führt die Expansion im Finanzsektor zu immer neuen Expansionswellen im Sinne der „Blasenökonomie“. Entsteht einmal eine Blase am Immobilien-, Aktien-, Kredit- oder Rohstoffmarkt, dann zieht das immer mehr Kapital nach sich. Es ist zwar wahr, dass die Blasen immer wieder platzen, wie 2001 die Aktienmärkte und 2007 der Immobilienmarkt, bisher ist es jedoch durch massive staatliche Intervention in Form von expansiver Geld- und Fiskalpolitik immer wieder gelungen, die Spekulationsblasen nach einem Platzen neu anzuheizen und sogar noch zu steigern. Brenner spricht in diesem Zusammenhang von Börsenkeynesianismus.

Auf diese Weise fließt ein riesiger Teil der Profite in einen Sektor der Wirtschaft ab, der wie ein Kasino funktioniert und die wirtschaftliche Entwicklung hemmt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Blasen immer wieder hochgezüchtet werden können. Die Spielräume für expansive Geld- und Fiskalpolitik sind nicht unendlich groß.

Ein weiterer Grund für die niedrigen Investitionsraten im produktiven Bereich trotz hoher Profite, ist die allgemeine Unsicherheit aufgrund der ständig sich vergrößernden weltweiten Ungleichgewichte, zu denen wir noch kommen werden.

Hinzu kommt, dass die nominalen Zinsen in der Epoche des Neoliberalismus zwar niedrig sind, dass aber aufgrund der ebenfalls niedrigen Inflationsraten die Realzinsen aber relativ hoch sind. Auch das bremst die Investitionen.

Ein zusätzliches Kennzeichen des neoliberalen Paradigmas ist auch, dass Konsolidierungsaktivitäten, die normalerweise typisch für Rezessionen sind, wie Firmenaufkäufe, Übernahmen und Restrukturierungen, Aktivitäten, die den Kapitalstock entwerten und damit die Profitrate steigern, auch während der Boomzeiten dominieren. Gerade das Private-Equity-Geschäft hat genau solche Aktivitäten zum Hauptziel.

Durch Private-Equity-Fonds und Investitionen auf den Finanzmärkten lässt sich kurzfristiger (und zumindest für Großinvestoren sicherer) Gewinn machen, während Investitionen in die produktive Wirtschaft mit höherem Risiko verbunden sind.

Das bedeutet jedoch nicht, dass sich ein Land einfach den Finanzmärkten entziehen könnte. Ein Abfließen von Kapital, auch wenn dieses in der Sphäre des Kasinokapitalismus veranlagt ist, kann den produktiven Bereich eines Landes in den Abgrund reißen. Das Finanzkapital wirkt zwar heute oft wie ein parasitäres Krebsgeschwür, es darf aber nicht getrennt vom industriellen Kapital gesehen werden. Gerade Globalisierungsgegner neigen dazu, die Finanzmärkte abgekoppelt von der Sphäre des produktiven Kapitals zu sehen und zu verkennen, dass ein Umlenken und Regulieren der Finanzströme massive Auswirkungen auf die "produktive Wirtschaft" hat.

Beispielsweise könnte ein Abfließen von Finanzkapital aus den USA, den Dollar entgültig zum Zusammenbruch bringen und das Außenhandelsdefizit unfinanzierbar machen. Wenn aufgrund einer stärkeren Belastung des Finanzkapitals in den USA, arabisches Kapital abfließen würde, wäre die Folge, dass die USA, um den totalen Bankrott zu vermeiden, die Zinsen massiv erhöhen und damit erst recht jede industrielle Konjunktur abwürgen müssten. Hier soll nicht einem wirtschaftspolitischen Fatalismus im Sinne der Neoliberalen das Wort geredet werden, sondern einem revolutionären Realismus jenseits reformistischer Utopien: Wer immer gegen das Krebsgeschwür des Finanzkapitals zu Felde ziehen möchte, der muss einem Abfließen durch eine Verstaatlichung des Bank- und Finanzsystems zuvorkommen. Nicht Kosmetik, sondern eine tiefgreifende Operation ist hier notwendig.

Die Krise des Neoliberalismus

Durch die kapitalistische Offensive konnte die Profitrate zum Teil wieder hergestellt werden, auch wenn sie die Höhen der Nachkriegszeit nicht mehr erreichte. Die Wiederherstellung der Profitrate gelang aber nicht dauerhaft. Denn auch unter dem neoliberalen Paradigma stellten sich zwei alte Bekannte ein, die auch der Keynesianismus nicht beseitigen konnte: Die periodischen Überproduktionskrisen und der tendenziellen Fall der Profitrate.

Auf diese Weise kommt es 1991 und 2001 zu Rezessionen. Nach dem im Vergleich zu den 1970er Jahren kolossalen Profitboom der 1990er Jahre fällt die Profitrate zwischen 1997 bis 2001 um 29 % - von 3,8 % auf 2,7 %. 2001 ist die Profitrate mit 2,7 % auf dem selben Level wie im Weltwirtschaftskrisenjahr 1974. Der Neoliberalismus konnte also die Krise nicht lösen, im Gegenteil: Ein Grund für den Fall der Profitrate besteht weiterhin im wachsenden Kapitalstock. Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch in neoliberalen Booms zumindest in den USA in den 1990er Jahren zu ansehnlichen Investitionen gekommen ist. Der Hauptgrund besteht aber in der Abnahme des industriellen Sektors und der Expansion der unproduktiven Sektoren, vor allem des Finanz-, Immobilien- und Versicherungssektors und der Marketingindustrie. Der entscheidende Punkt ist, dass der unproduktive Sektor aufgrund seiner Beschränkung auf die Zirkulationssphäre nicht zur Vergrößerung des gesamtwirtschaftlichen Mehrprodukts beiträgt. Er ist zwar hoch profitabel, bringt jedoch selbst keinen Profit hervor, sondern saugt diesen aus der produktiven Sphäre ab. Dieses Absaugen alleine kann den gesamtwirtschaftlichen Profitkuchen nicht verringern, weil es nur zu einer Neuverteilung des Profitkuchen führt. Was aber den Profitkuchen tatsächlich verringert, sind die Ausgaben für die Löhne der Beschäftigten in den unproduktiven Sektoren. Diese Löhne müssen, makroökonomisch betrachtet, aus den Profiten der produktiven Sektoren bezahlt werden. Dies ist der Hauptgrund für das Absacken der Profitrate in der Ära des Neoliberalismus. Immer wieder wird die Expansion des Dienstleistungssektors gegenüber dem industriellen Sektor als Reifungsprozess hingestellt. Es würde sich tatsächlich um einen Reifungsprozess handeln, wenn die Vergrößerung des Dienstleistungssektors tatsächlich im Gesundheitswesen, im Bildungswesen und im Sozialbereich stattfinden würde. Leider handelt es sich bei der Vergrößerung des Dienstleistungssektor oft um Arbeitsplätze im Handel und im finanzkapitalistischen Bereich, wo einfach keine zusätzlichen Gebrauchswerte geschaffen werden.

Der Rückgang des industriellen Sektors ist keinesfalls ein Reifungsprozess. Gerade vom Standpunkt des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung muss auf eine massive Beschleunigung der industriellen Entwicklung hingearbeitet werden.

Leute, die sich aus ökologischen Motiven generell gegen den Ausbau der Industrie stellen, verstehen nicht, dass gerade die Ökologisierung der Industrie massive umwelttechnische Investitionen in die Industrie und vor allem in die industrielle Forschung und Entwicklung notwendig macht. Das Ziel, einerseits den Wohlstand für alle zu ermöglichen und gleichzeitig die Produktion dieses Wohlstands umweltfreundlich und rohstoffsparend zu gestalten, erfordert ein Mehr an Arbeitskräften und Kapital – und nicht ein Weniger von beiden.

Das Hauptproblem beim Rückgang des industriellen Sektors besteht darin, dass genau dort die Produktivitätssteigerungen erfolgen. Im Dienstleistungssektor sind Produktivitätssteigerungen fast nicht möglich. Das ist der Hauptgrund für die niedrigen Produktivitätszuwächse in den letzten 20 Jahren.

Der heutige tendenzielle Fall der Profitraten hat viel schlimmere Auswirkungen als in den 1970er Jahre. Dies deshalb, weil heute die Reserven weitgehend erschöpft sind, die Profitraten zu steigern. Die Staatsverschuldung ist heute auf einem Rekordniveau. Die Lebensbedingungen der Menschen können in weiten Teilen kaum weiter verschlechtert werden. Es ist fast alles privatisiert, was privatisiert werden kann. Die Ausbeutung der Dritten Welt kann nicht mehr viel weiter intensiviert werden. Die Steuern können nicht mehr viel weiter gesenkt werden. Die Ausdehnung der Profite stößt auf gewisse natürliche Grenzen; gleichzeitig fängt der sich ausdehnende Kapitalstock wieder an, die Profitrate zu senken, und die ständig steigenden Gehaltskosten der unproduktiven Sektoren Handel, Finanzmärkte, Immobilien, Versicherungen usw. fressen mehr und mehr in den Profitkuchen hinein. Diese Sektoren sind unproduktiv im doppelten Sinn. Die Arbeitsproduktivität stagniert zum einen und zum anderen tragen diese Sektoren nicht zur Erzeugung eines Mehrproduktes bei.

Die Entwicklung der "Peripherie"

Die Peripherie der industriellen Zentren, also der gesamte Rest der Welt, gehört grundsätzlich zu den Verlierern der wirtschaftlichen Entwicklung seit 1945. War sie vorher militärisch-politisch von ihren jeweiligen Kolonialmächten kontrolliert, wurde diese militärisch-politische Unterdrückung ersetzt durch die direkte Abhängigkeit vom Weltmarkt und die Ausbeutung durch die ungleichen Handelsbeziehungen.

Im überwiegenden Teil der kolonialen Welt, wenn man von den Bereichen absieht, wo der Kapitalismus beseitigt wurde, verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Menschen durch die Entkolonialisierung der 1950er und 1960er Jahre.

Trotzdem gibt es auch in der Peripherie einen Paradigmenwechsel zwischen den „prosperierenden“ 1960er und 1970er Jahre und der „neoliberalen“ Wende der 1980er und 1990er Jahre. Die Existenz der Sowjetunion und die Chinesische Revolution 1950 zwang die Westmächte dazu, manchen Ländern der ex-kolonialen Welt eine gewisse Unabhängigkeit zuzugestehen. Länder wie Indien, Brasilien, Pakistan, Algerien, Irak, Mexiko, um nur ein paar Beispiele zu geben, schafften es in dieser Zeit mit billigen Dollarkrediten und Schutzzöllen eine teilweise eigenständige Industrie aufzubauen. Das grundsätzliche Problem der feudalen Rückständigkeit, des Großgrundbesitzes, der Abhängigkeit vom Auslandskapital und vom Weltmarkt konnte zwar nicht gelöst werden, doch eine gewisse wenn auch sehr beschränkte ökonomische Entwicklung fand statt.

In den 1980er und 1990er Jahre wurde diese Entwicklung ins Gegenteil verkehrt. Die „Hartgeldpolitik“ der 1980er führte die Peripherie in eine Schuldenkrise. Durch die Schuldenkrise konnten die ex-kolonialen Länder gezwungen werden, sog. Strukturanpassungsprogramme durchzuführen. Die Privatisierung der Staatsindustrien und Infrastruktur, Sozialabbau, eine Öffnung der Märkte durch Abbau der Zölle, eine Öffnung der Industrien für Auslandsinvestitionen usw. waren die Folge – alles, um einen größeren Anteil am Budget dem Schuldendienst zur Verfügung zu stellen.

Diese Reaktion war möglich vor allem durch die Marktorientierung Chinas auf der einen Seite, und durch das Scheitern der sozialen Revolutionen im Iran 1979, in der Türkei und Pakistan 1968, in Bangladesch 1971, in Chile 1973, in Indonesien 1966 usw. auf der anderen.

Was Lateinamerika betrifft, so ist es allgemein anerkannt, dass die 1980er und 1990er Jahre als eine einzige wirtschaftliche und soziale Katastrophe eingestuft werden müssen. In manchen Ländern wie Mexiko geht der wirtschaftliche Verfall ungebrochen weiter. Andere, wie Argentinien und Brasilien, erleben einen wirtschaftlichen Aufschwung. Dabei muss aber verstanden werden, dass in Argentinien der Boom nach einer Depression im Jahr 2001 erfolgt.

Ebenso außer Frage stehen dürfte, dass in Afrika die neokoloniale Offensive zu einem Versinken in der Barbarei führte – dem gegenüber selbst die Politik prowestlicher Militärdiktatoren der 1970er und 1980er Jahren wie Mobutu oder Idi Amin als geradezu philanthropische Aufklärung erscheinen mögen.

Durch die hohen Wachstumszahlen des BIP einiger Schwellenländer und durch das hohe Wachstum des Welt-Bruttosozialprodukts entstand teilweise die Mär eines Aufschwung der Weltwirtschaft und vor allem der Wirtschaft der Peripherie. Auch der britische „Economist“ wird nicht müde, diesen Aufschwung herbeizuschreiben.

Hier muss gesagt werden, dass zum einen China gesondert behandelt werden muss, weil dort eben eine Revolution 1950 die Haupthemmnisse der Entwicklung, den Großgrundbesitz und die Abhängigkeit vom Auslandskapital beseitigt hat. Das Wachstum in China trägt sicherlich hauptsächlich zu den hohen Weltwirtschaftswachstumsraten bei.

Auch das Wirtschaftswachstum, das durch die hohen Erdöl- und Erdgaspreise ausgelöst wird, kann uns hier nicht wirklich interessieren, da es sich um einen Sonderfall der wirtschaftlichen Entwicklung handelt – es ist weder nachhaltig, noch kommt es den Massen zu Gute. Es bleiben Schwellenländer wie Indien, Pakistan, Indonesien, die Türkei, sowie die mittel- und osteuropäischen Staaten zu untersuchen. Das teilweise außerordentlich hohe Wirtschaftswachstum in diesen Ländern kommt durch ausländische Direktinvestitionen zustande. Westliche Konzerne bauen Produktionsstätten in diesen Ländern auf, die auf westlichem Niveau Güter oder Dienstleistungen produzieren, die wiederum hauptsächlich in die Industrieländer exportiert werden. Es handelt sich bei diesen Gütern und Dienstleistungen um international handelbare Produkte, die auf dem Weltmarkt sehr hohe Preise erzielen. Diese Produkte werden viel höher von den Statistiken bewertet als die Produkte der heimischen traditionellen Industrien der betrachteten Länder. Dadurch kann es sein, dass die behandelten Länder in Wirklichkeit eine Deindustrialisierung erleben, weil ihre ursprüngliche Industrie, wie beispielsweise die Stahlindustrie, oder Infrastruktur, wie das Eisenbahnnetz, abgebaut werden. Sie verzeichnen trotzdem ein hohes Wirtschaftswachstum, weil die entstehende Exportindustrie, die durch Auslandsinvestitionen getrieben wird, viel höher bewertet wird. Da die Produkte dieser Industrie ans Ausland gehen und auch die Gewinne ins Ausland abfließen, kann es sein, dass das Land trotz höchster Wirtschaftswachstumsraten in der Entwicklung zurückfällt. Pakistan ist das beste Beispiel eines Landes, das mit rekordverdächtigen Wachstumsraten rückwärts in die Barbarei rast. Dasselbe gilt für Indien, Bangladesch und zahlreiche afrikanische Staaten mit hohen Wirtschaftswachstumsraten.

Es stimmt, dass eine kleine Mittelschicht von Technikern, Programmierern, Finanzdienstleistern, usw. von dieser Entwicklung profitieren. Die Löhne von Fachkräften können durch diese Entwicklung mitunter stark ansteigen. Die Gesamtwirtschaft dieser Länder sowie der Lebensstandard der Massen wird jedoch durch die Entwicklung mitunter sogar stark zurückgeworfen. Indien und Pakistan fallen in diese Kategorie des wirtschaftlichen und sozialen Zerfalls.

In Ländern, in denen durch eine solche Entwicklung unzweifelhaft eine Industrialisierung stattgefunden hat, wie Indonesien oder Malaysien, und wo auch die Gehälter der IndustriearbeiterInnen in den letzten 20 Jahren angestiegen sind, wird trotzdem die Instabilität weiter erhöht. Traditionelle Strukturen werden durch die Marktöffnung zerstört, gleichzeitig reicht aber der industrielle Boom nicht aus, um die feudalen Strukturen der Rückständigkeit aufzubrechen und um die in die Städte strömenden Massen aufzusaugen. Die Industrialisierung kann in solchen Ländern mit der Industrialisierung des russischen Zarenreiches zwischen 1880 und 1914 verglichen werden, die trotz hoher Wirtschaftswachstumsraten die sozialen und wirtschaftlichen Widersprüche auf die Spitze trieb.

Betrachten wir die Staaten des ehemaligen Ostblocks, sehen wir auch dort hohe Wirtschaftswachstumsraten, die jedoch die Realität verdecken. Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion wachsen teilweise aufgrund der hohen Rohstoffpreise. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in den letzten 15 Jahren einen wirtschaftlichen, industriellen und sozialen Verfall ohne Beispiel erlebten, der besonders grausam in den Staaten von Turkestan (Turkmenistan, Kasachstan, Kirgisien,...) vonstatten geht, wo eine moderne Industrielandschaft und Sozialstruktur zu einem Borat’schen Absurdistan verkommt.

Ausnahmen von dieser Entwicklung sind die ganz westlichen Staaten des ehemaligen Ostblocks: Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien. In diesen Ländern gab es tatsächlich eine Industrialisierung, auch die Löhne steigen dort in letzter Zeit relativ stark an. Trotzdem erreichten auch diese Länder im Wesentlichen erst durch diesen Entwicklungsschub seit 2000 das wirtschaftliche Niveau von 1990: Von der sozialen Entwicklung her liegen sie weit hinter dem Jahr 1990 zurück. Die mittel- und osteuropäischen Länder weisen starke Außenhandelsdefizite auf, die durch Kapitalimporte kompensiert werden. Ein Versiegen der Kapitalströme nach Mittel- und Osteuropa aufgrund fallender Kapitalproduktivität oder einer platzenden Immobilienblase könnte eine Wiederholung der Asienkrise 1997 hervorrufen. Der Aufschwung in Mittel- und Osteuropa hat in der Tat viele Parallelen zum "Asiatischen Wunder" vor 1997.

Die Ökonomie der Barbarei

Die Marktöffnung seit den 1980er Jahren führte zu einer massiven Zerstörung der Industrien in den Entwicklungsländern, die dem Druck des Weltmarktes nicht standhalten konnten. Auf diese Weise wurden Massen von Wirtschaftstreibenden der Peripherie mit ihrem Kapital auf den Schwarzmarkt getrieben. Dies ist die Haupttriebkraft hinter einer besonderen Ökonomie der Barbarei, bestehend aus Drogen-, Frauen- und Waffenhandel, die sich seit den 1980er Jahren besonders explosiv entwickelt und anfängt, ganze Staaten und Erdteile zu beherrschen. Diese Ökonomie der Barbarei drückt sich auch im Ansteigen des islamischen Fundamentalismus und ethnischer Konflikte aus. Hinter den zahlreichen ethnischen Konflikten in Afrika, in Zentralasien und in Südostasien stehen in Wirklichkeit Kämpfe um Bodenschätze und Rohstoffe, die nicht selten der offiziellen Staatlichkeit längst außer Kontrolle geraten und der Ökonomie der Barbarei verfallen sind. Auch die Bürgerkriegsparteien in Jugoslawien waren und sind eng mit dem Schwarzmarkt verknüpft, der sich vor allem in den 1980er Jahren entwickelte, als die jugoslawische Wirtschaft durch die Schuldenkrise und damit verbundene Strukturanpassungsprogramme in eine tiefe Krise schlitterte.

Keynesianismus und Neoliberalismus: Zwei Kehrseiten einer Medaille

Nach dem wir die wirtschaftliche Entwicklung von 1945 bis 2001 einer kurzen Betrachtung unterzogen haben, können wir uns die Frage stellen, ob die Paradigmen Neoliberalismus und Keynesianismus tatsächlich existierten. Was stimmt ist, dass bis ca. 1979 Keynes als der führende Ideologe der bürgerlichen Ökonomen galt und ihm danach Milton Friedman und Friedrich August von Hayek den Rang abspenstig machten.

In der Praxis der Wirtschaftspolitik ist der Unterschied sehr schwer auszumachen. Am ehesten kann man noch feststellen, dass 1950 bis 1980 eher das Wachstum der Wirtschaft und die damit verbundene soziale Stabilität im Vordergrund der Wirtschaftspolitik stand und ab 1980 die Profitrate. Dies hat aber weniger ideologische Gründe als ganz handfest materielle. 1980 war die Profitrate so niedrig, dass eine Fortsetzung des Wachstumskurses zur Unmöglichkeit wurde. Um das verloren gegangene ökonomische Gleichgewicht wiederherzustellen, war man ab einem gewissen Punkt bereit, das soziale Gleichgewicht aufzubrechen. Die Krise begann aber nicht mit der "neoliberalen Wende", die neoliberale Wende war vielmehr ein Ausdruck der Krise, die sich keynesianisch nicht mehr bewältige ließ. Hinter den Begriffen des Neoliberalismus und des Keynesianismus stecken aber zahlreiche Mythen.

Der Mythos des Keynesianismus

Der größte Mythos des Keynesianismus ist, dass er jemals im Sinn hatte, den Konsum für die Massen zu erhöhen. Keynes selbst hatte hauptsächlich im Sinn, die Investitionen anzukurbeln und damit die Nachfrage durch Investitionen anzukurbeln, die Erhöhung der Konsumentennachfrage sah er höchstens als Folge. Keynes selbst machte sich immer wieder Gedanken darüber, wie die Löhne im Vergleich zu den Profiten zurückgehalten werden konnten. Hauptinstrument einer ständigen Reallohnsenkung sollte nach Keynes die Inflation sein. Das wichtigste Instrument der staatlichen Nachfrageschaffung war immer die Rüstungsindustrie. Das ist auch kein Zufall, denn die steigende Rolle des Staates in der Wirtschaft, die Lenin mit dem Namen "Staatskapitalismus" bezeichnete, war ein Phänomen, das sich vor allem in Kriegszeiten entwickelte, namentlich im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Während des Zweiten Weltkriegs stieg beispielsweise der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt auf 47,9 % im Jahre 1944. Wenn nach dem Ersten Weltkrieg die Kriegswirtschaft wieder rückgängig gemacht wurde, so zeichnete sich die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg dadurch aus, das vor allem die USA zum Teil einfach die staatskapitalistische Kriegswirtschaft aufrechterhielten.

Seit 1929 gab es vor allem zwei große Expansionswellen der staatlichen Aktivität. Das erste Mal in der Zeit von 1930 bis 1934, als der Anteil der Staatausgaben am BIP von 9 % auf 16 % anstieg und das zweite Mal zwischen 1950 und 1953, als er einen Anstieg von 16 % auf 24 % verzeichnete. Der erste Anstieg war vor allem einem Ausbau der Infrastruktur geschuldet – an erster Stelle mit dem berühmten Hoover-Damm. Schon im New Deal ging es gemäß der keynesianischen Originaltheorie darum, durch Förderungen der Unternehmen in Form von staatlichen Aufträgen und staatlicher Unternehmensinfrastruktur die Investitionsquote anzukurbeln – und nicht etwa darum den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen.

In der Zeit von 1950 bis 1953 spielten überhaupt von vornherein die Militärausgaben die treibende Rolle, die 1939 noch 1,6 % betragen hatten, 1950 auf 6,7 % und 1953 auf 14,7 % des BIP anstiegen und damit stolze 61,25 % der Staatsausgaben betrugen.

Die Dominanz der Militärausgaben bei den Staatsausgaben ist auch deshalb so zentral, weil der Staat nirgends in Konkurrenz zur privaten kapitalistischen Industrie tritt. Der Staat darf also, nach der kapitalistischen Logik, zum einen keine eigene Produktion aufbauen. Was gibt es da besseres als Rüstungsgüter, die regelmäßig veralten oder in Kriegen verbraucht werden? Gleichzeitig darf nach der kapitalistischen Logik der Sozialstaat nicht zu sehr ausgebaut werden. Erstens werden dann die ArbeiterInnen weniger abhängig vom Zwang zur Lohnarbeit. Zweitens könnten sich die ArbeiterInnen an den Sozialstaat gewöhnen und der Staat kann sich dann nicht mehr so leicht zurückziehen wie aus der Rüstung. Gemäß der Idee, dass die Staatsausgaben nur so etwas wie eine Konjunkturspritze sein sollten, ist es verständlich, dass man zu keiner Zeit gerne die Staatsausgaben in Form von Sozialausgaben nachhaltig erhöhen wollte. Eine Erhöhung der Sozialausgaben ist historisch nie die Folge wirtschaftspolitischer Überlegungen gewesen, sondern immer nur Folge drohender sozialer Instabilität aufgrund sozialer Klassenauseinandersetzungen gewesen, wie in den 1950er und 1970er Jahren.

In Deutschland, Österreich und Japan hat die staatliche Aktivität in der Wirtschaft in den 1950er und 1960er gar nichts mit Keynesianismus zu tun. Der Staat spielte zwar eine außerordentlich wichtige Rolle in der Wirtschaft – aber lediglich in Hinblick auf die Angebotsseite. Seine Aufgabe lag darin, durch billige Rohstoffe und Kredite den Aufbau der kapitalistischen Industrie zu subventionieren. Besonders der exportorientierten Industrie, wie der Autoindustrie, sollte billiger Stahl geliefert werden. Dazu wurden ihr extra günstige Sonderkredite ermöglicht. Gleichzeitig wurden die Löhne niedrig gehalten und der ganzen restlichen Industrie die Bremsen angelegt. In Japan und Deutschland war es durchaus üblich, eine Hochzinspolitik mit nahezu zinslosen Krediten an die Exportindustrie zu verbinden.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Staatsinterventionismus in Deutschland und Japan nichts mit Keynesianismus zu tun hatte – genauso wenig wie der Keynesianismus in den USA auf eine Steigerung der Konsumentennachfrage abzielte.

Mythos Unterkonsumptionismus

Unter Keynesianismus wird in weiten Teilen der Linken etwas verstanden, was mit den Ideen von Keynes nicht viel zu tun hat, nämlich eine Ankurbelung der Konjunktur durch Steigerung des Massenkonsums. Diese Theorie ist in Wirklichkeit kein Keynesianismus, sondern Unterkonsumptionismus. Keynes selbst ging in seinen Theorien nicht von einer Ankurbelung des Konsums aus, sondern von einer staatlichen Intervention in die Investitionen. Ein damit verbundener Aufschwung sollte die Reallöhne, über fixe Nominallöhne und steigende Preise weiter senken. Lediglich der Zuwachs des Konsums sollte über den Beschäftigungszuwachs erfolgen. Keynes war mit den Neoliberalen gemeinsam ein enthusiastischer Verfechter der Lohnzurückhaltung.

Der Unterkonsumptionismus war eine Theorie, die als erstes von dem französischen Theoretiker Sismondi entwickelt wurde und später von Rosa Luxemburg weitergeführt wurde. Einige postkeynesianische Theoretiker, wie Michał Kalecki oder Joan Robinson, haben teilweise zu diesem Theorieansatz tendiert. An dieser Stelle muss aber eindeutig festgestellt werden, dass auch sämtliche Postkeynesianer darin übereinstimmen, dass für die Ankurbelung der Nachfrage den Investitionen gegenüber dem Konsum eine entscheidendere Rolle zukommt.

Eine Politik der Steigerung der Sozialausgaben und der Löhne zur Ankurbelung der Wirtschaft hat es in der Praxis nur äußerst selten gegeben. Diese Politik war meist mit einer revolutionären Krise verbunden und stieß sofort auf den erbittertsten Widerstand der Unternehmer und des Beamtenapparats. Als Beispiel finden wir 1980 die ersten hundert Tage der Regierung Mitterand, 1936 die Volksfrontregierung in Frankreich oder seit 1998 die Regierung Chávez in Venezuela. Folgen dieser Politik waren immer Abfluss des Kapitals ins Ausland, Investitionsstreiks, politisch motivierte Fabrikschließungen oder Einschränken der Produktion und massive Preissteigerungen zur Entgegenwirkung gegen die Lohnerhöhungen.

Es gibt kein einziges historisches Beispiel, wo in einem kapitalistischen Land eine Erhöhung des Massenkonsums als primäre Maßnahme der Wirtschaftspolitik in der Rezessionsbekämpfung zu einer Ankurbelung der Konjunktur geführt hätte. In der Praxis gab es eine sozialstaatliche Expansion und Reallohnerhöhungen im „keynesianischen Paradigma“ – aber nicht in Krisenzeiten, sondern als Begleiterscheinung einer guten wirtschaftlichen Situation, in der die Profitraten stimmten, wie etwa in den 1950er und 1960er Jahren oder in Deutschland und Österreich von 1965 bis zur Krise von 1973. Es wurde immer peinlich darauf geachtet, dass die Konsumerhöhung nicht zur Umverteilung führt. Konsumerhöhungen passierten fast immer in einer Zeit, in der die Profite schneller wuchsen als Reallöhne und Sozialausgaben.

Die Folge einer reinen Umverteilungspolitik im unterkonsumptionistischen Sinn ist, dass das Kapital dagegen rebelliert und eine Destabilisierung der Wirtschaft einleitet, auf die die Politik nur auf zwei Arten reagieren kann: Entweder sie schreitet fort zu staatlichen Preiskontrollen, zur Verstaatlichung der Banken und anderer kapitalistischer Unternehmen, die unter den gegebenen politischen Unsicherheiten schließen oder ihre Produktion einstellen. Oder die Politik kehrt zurück zu einer unternehmerfreundlichen Politik, um das Vertrauen des Kapitals wiederzugewinnen.

Mythos Neoliberalismus

Der Mythos des Neoliberalismus besteht in der Annahme, dass es sich dabei um einen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft handeln würde. In Wirklichkeit blieb die Aktivität des Staates in der Wirtschaft gerade nach 1980 außerordentlich hoch und ging nie mehr wesentlich unter das durchschnittliche Nachkriegsniveau zurück. Das Budgetdefizit erreichte sogar erst seinen Höhenflug. Es ist zwar wahr, dass sich der Staat durch Privatisierungen und Sozialabbau aus einem Teil der staatlichen Kernaufgaben zurückzieht. Sein Engagement steigt jedoch sogar noch, wenn man die reine Privatwirtschaft betrachtet: Und zwar in Form von Subventionen an private Unternehmen, die erst im neoliberalen Paradigma massiv expandieren. Die andere Seite der neoliberalen Staatsintervention ist die bewusste Förderung des Finanzsektors in Form von Gesetzgebung in diese Richtung. Die Wirtschaftspolitik der USA versucht mit Hilfe der Zinspolitik und mit Hilfe von verdeckten Interventionen am Aktienmarkt und am Immobilienmarkt auch Einfluss auf die Konjunktur zu nehmen und eine „harte Landung“ zu verhindern.

Im neoliberalen Paradigma muss, weil es auf einem Aufbrechen der innen- und außenpolitischen Stabilität beruht, der Staat nach innen und nach außen massiv aufrüsten. Es ist kein Zufall, dass die Ausgaben für innere und äußere Sicherheit explodieren und dass gerade im Zeitalter des Neoliberalismus, also des angeblichen Rückzugs des Staates aus der Wirtschaft, die Wirtschaftsmacht USA in eine imperiale Überdehnung hineingezogen wird. Es ist kein Zufall, dass gerade in der Zeit des Neoliberalismus die Schuldenstände der Staaten USA, Deutschland und Japan ihren absoluten Höchststand erreichen.

Ein weiterer Mythos des Neoliberalismus ist der Freihandel. Der Eintritt der USA für Freihandel ist sehr einseitig, da gleichzeitig die Agrarsubventionen nicht abgebaut werden und die EU und die USA zahlreiche protektionistische Maßnahmen gegen Agrarprodukte der Entwicklungsländer getroffen haben. Auch zwischen den Industrieländern hat sich die Blockbildung in den letzten 20 Jahren des „neoliberalen“ Paradigmas eher verschärft als abgeschwächt. Heute stehen sich vier Blöcke – die EU, die USA, China und Japan – unversöhnlich gegenüber. Teilweise treffen sie Zollmaßnahmen gegeneinander, teilweise versuchen sie sich durch Währungspolitik eins auszuwischen. Sie befindet sich in einem Handelskrieg wie es ihn seit der Zwischenkriegszeit nicht mehr gegeben hat. Noch nie seit 1945 hing das Damoklesschwert der Protektionismusspirale so bedrohlich über der Weltwirtschaft wie heute im Zeitalter des „neoliberalen“ Paradigmas.

Keynesianismus und Neoliberalismus: zwei Formen des Staatsinterventionismus

Nach unserer Betrachtung über die Mythen zum Thema Neoliberalismus und Keynesianismus müssen wir uns die Frage stellen, ob diese Paradigmen jemals in reiner Form existierten. Die Antwort darauf ist ein klares Nein.

Zum einen gab es im „keynesianischen Paradigma“ Politikstrategien, die wir eher dem Neoliberalismus zuordnen müssten, wie die Lohnzurückhaltung, die Hochzinspolitik und die Sparpolitik, die Japan und Deutschland ab 1945 verbunden mit einer absichtlichen Zurückhaltung des Binnenkonsums an den Tag legten.

Umgekehrt gab es im Neoliberalismus „keynesianische“ Politikstrategien, wie das gewaltige „deficit spending“ der Reagan-Administration in den 1980er Jahren, die Politik der George W. Bush- Administration nach dem Jahr 2000, in der es zu einer Zinssenkung, einer Expansion des Defizits und einer Abwertung des Dollars in jeweils gewaltigem Ausmaß kam. Dazu müssen wir auch die Politik von Japan in den 1990er Jahren rechnen.

Tatsächlich handelt es sich bei Keynesianismus und Neoliberalismus um die Kehrseiten ein und der selben Medaille, nämlich um kapitalistischen Staatsinterventionismus. Der Staat verfolgt mit seiner Wirtschaftspolitik das Ziel, die Kapitalakkumulation bestmöglich zu garantieren. Er versucht einerseits die Schranken zu überwinden, die der tendenziell Fall der Profitrate mit sich bringt, andererseits versucht er Nachfrageprobleme zu überwinden.

Wenn es beim Neoliberalismus eher darum geht die Profitraten zu heben, so zielt der Keynesianismus darauf ab, die Kapitalakkumulation in Gang zu halten und Depressionen wie 1929 zu verhindern. Der moderne Kapitalismus braucht zum Überleben beide Politikstrategien mit wechselnder Bedeutung. Er kann in einer Krise wie 2001 in den USA oder in den 1990er Jahren in Japan nicht einfach auf die selbstheilenden Kräfte des Marktes vertrauen, weil das die Wirtschaft in einen Zusammenbruch treiben könnte. Gleichzeitig führt aber jede Art von intensiverer Kapitalakkumulation zu einem Absinken der Profitrate, was den Neoliberalismus auf den Plan ruft.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass in der Nachkriegsepoche bis 1980 die Kapitalakkumulation im Vordergrund der Wirtschaftspolitik stand - vor allem in Hinblick auf die damit verbundene soziale Stabilität. Als es jedoch zu einer schwerwiegenden Profitkrise kam, wurde die Wiederherstellung der Profitrate zum Primat der Wirtschaftspolitik. Hier ist es interessant festzuhalten, dass auch die keynesianischen Ankurbelungsversuche in Japan in den 1990er und in den USA 2001 nie etwas an der strategischen Grundorientierung änderten, die Profitrate wiederherzustellen. Massenarbeitslosigkeit wurde zugelassen und die Hauptorientierung bestand auf jeden Fall darin, auf dem Rücken der Beschäftigten einen Ausweg aus der Krise zu finden. In diesem Sinn können meiner Meinung nach innerhalb gewisser Grenzen schon zwei verschiedene Paradigmen bis 1980 und ab 1980 unterschieden werden.

Die Krise der Regierung Mitterrand 1981

Die Krise der Regierung Mitterrand 1981 ist für uns ein gutes Lehrstück, wie das Kapital auf eine linke Politik im Rahmen des Kapitalismus reagiert. Die sozialistische Regierung startete damals ein ehrgeiziges Programm der Arbeitsbeschaffung und der Nachfragesteigerung.

Diese Politik der Steigerung der Nachfrage und der Beschäftigten förderten das Außenhandelsdefizit – was in Kombination mit der Unzufriedenheit des Finanzkapitals über die linke Politik zu spekulativen Attacken auf den Francs und einer Kapitalflucht führte. Die Folge war ein Zahlungsbilanzdefizit, das von 0,6 % 1980 auf 2,2 % des BIP im Jahre 1982 stieg. Um einen weiteren Anstieg dieses Defizits, eine weitere Abwertung der Währung und weitere Kapitalflucht zu verhindern, musste die Regierung Mitterrand 1983 auf eine restriktive Fiskal- und Geldpolitik einschwenken. Im Prinzip wiederholte sich die Geschichte der französischen Volksfront von 1936 im Kleinen noch einmal. Kapitalflucht und Investitionsstreiks waren schon immer ein Instrument des Kapitals linke Regierungen, die nicht mit dem Kapitalismus an sich brechen wollten, in die Knie zu zwingen.

Die japanische Krise 1990 – 2007

Japan erlebte in den 1990ern die wohl schwerste zeitgenössische Krise eines Industrielandes und verdient deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit. Tatsächlich manifestierte sich hier, trotz aller oberflächlichen Besonderheiten, nur die allgemeine Krisentendenz der Weltwirtschaft seit Anfang der 1970er Jahre. Wenn wir die japanische Krise der 1990er verstehen wollen, müssen wir in die 1970er Jahre zurückgehen.

Die riesenhafte Akkumulation von Kapital, die in Japan während der 1950er und 1960er Jahre stattfand, musste in unaufhaltsamer Logik ab einem gewissen Zeitpunkt zu einem Sinken der Profitrate führen. Der Auslöser war schließlich das Hereinbrechen der allgemeinen Weltwirtschaftskrise, das Zerbrechen des Abkommens von Bretton Woods und die damit verbundene Abwertung des Dollars 1971 und 1973. Das Scheitern von Bretton Woods verursachte jedoch die japanische Krise nicht, sondern machte sie nur offensichtlich. Das Sinken der japanischen Profitrate wurde vorher nur verdeckt durch die Subvention des japanischen Exportmotors – durch die USA, die ihren Wechselkurs künstlich hoch hielten.

Zwischen 1969 und 1975 fiel die japanische Profitrate um 60% (Brenner, 2003, S.131). 1973 kam die japanische Wirtschaft zum Stillstand. Nach einer kurzen Erholung, angetrieben durch die keynesianischen Konjunkturbelebungsversuche in den USA, schlitterte Japan bereits 1979 in die nächste Rezession.

Die US-amerikanische Hochzinspolitik der frühen 1980er Jahre ermöglichte der japanischen Wirtschaft eine weitere kurzlebige Erholung, durch die Aufwertung des Dollars und die damit verbundene Abwertung des Yen, aber als im sog. Plaza-Abkommen Japan von den USA zu einer Aufwertung gezwungen wurde, erlebte 1986 die japanische Wirtschaft die schwerste Krise der Nachkriegszeit. Der Yen wertete zwischen 1985 und 1988 um 93% gegenüber dem Dollar auf. (a.a.O., S.134)

Auf diese Situation reagierte Japan mit einem riesenhaften keynesianischen Konjunkturprogramm. Die Zinsen wurden 1987 massiv gesenkt und billige Kredite an Makler und Immobiliengesellschaften vergeben, wobei es in Kauf genommen wurde, dass eine Blase am Aktienmarkt und am Immobilienmarkt entstand. Die Wohlstandseffekte dieser Blase sollten zu einer Gesundung der Wirtschaft beitragen. Zwischen 1986 und 1989 verdoppelten sich die Immobilienpreise, die japanische Börse hatte in zwei Jahren ihr Volumen verdoppelt, als sie 1989 ihren Höchststand erreichte. Diese Blase führte tatsächlich anfangs zu Vermögenseffekten, die Konsum und Investitionen ankurbelten.

An dieser Stelle muss betont werden, dass die Banken und Monopole Japans seit 1973 gezielt daran arbeiteten, die japanische Wirtschaft vom normalen Industrie- und Konsumgütersegment in Richtung Hochtechnologiesegment und Investitionsgütersegment umzuorientieren. Während der Blasenökonomie gelangen dieser Umstrukturierungspolitik sogar spektakuläre Erfolge. Die jährliche Arbeitsproduktivität wuchs 1985 bis 1991 mit einer jährlichen Rate von 5,4 %. Der Anteil der Hochtechnologieprodukte stieg auf 85 %. Diese laufende planmäßige Umstrukturierung seit 1973 war immer wieder die Basis für die kurzlebigen Erholungen der japanischen Wirtschaft.

Gleichzeitig wuchs jedoch der Bruttokapitalstock 1985 bis 1991 mit einer Jahresrate von 6,7 % – also schneller als die Arbeitsproduktivität. Wie jeder andere Akkumulationsprozess führte auch dieser wieder zu einem Absinken der Profitrate. Wenn die Unternehmen in die Krise kommen, beginnen sie ihre Aktien und Immobilien in Geld zu verwandeln, was die Grundlage des Platzens der Blase bildet. Die Kreditklemme, herbeigeführt durch die verschlechterte Situation des verarbeitenden Gewerbes in Kombination mit einer bereits vorhandenen völlige Überdehnung des Kredits, führte zu einer Anhebung der Zinsen, was das Platzen der Immobilien- und Aktienblase auslöste. Am Schluss dieser Entwicklung schlitterte Japan in eine Rezession, die von 1991 bis 1993 andauern sollte.

Die Krise der 1990er Jahre

Die Krise war besonders schwer, weil eine Krise des japanischen Bankensektors hinzukam, die wiederum eine Folge der Kapitalakkumulation der Vergangenheit war. Die Bankenkrise wurde unmittelbar dadurch ausgelöst, dass viele Aktien und Immobilien auf Basis von Krediten gekauft worden waren, die nach dem Platzen der Blase uneinbringlich wurden. Das tiefer liegende Problem lag jedoch darin, dass das gesamte japanische Akkumulationsmodell darauf basierte, dass Banken Billigst- bis Gratiskredite in den Kapitalstock des Produktionssektors jagten. Nachdem der Produktionssektor eben durch den steigenden Kapitalstock in eine Profitkrise schlitterte, waren auch viele dieser "industriellen" Kredite uneinbringlich. Die sog. "bad loans" verpufften einerseits durch das Platzen der Immobilienblase, andererseits war eine völlig überakkumulierte Industriestruktur unfähig, sie zurückzuzahlen. Am meisten wird die unausweichliche Tragik der kapitalistischen Krise dadurch veranschaulicht, dass diese Überakkumulation zustande kam, obwohl die japanische Wirtschaft seit 1973 die ganze Zeit mit Erfolg daran arbeitete, sich zu restrukturieren. Die Hayek’sche These, dass Fehlinvestitionen in unproduktive Technologien die Ursache der Krisen seien, wird hier von einer Entwicklung konterkariert, die nur durch das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate erklärt werden kann.

Die Antwort der Regierung war das ehrgeizigste keynesianische Konjunkturprogramm, das es jemals in einem Industrieland gegeben hat. Die Zinsen wurden bis ins Negative gesenkt, das Budgetdefizit 1998 bis auf über 6 % ausgeweitet. Die Staatsausgaben flossen in ein immenses Programm öffentlicher Arbeiten zum Ausbau der Infrastruktur, welches von 17,7 % Anteil am Budget auf über 32 % im Jahr 1993 anstieg. Aufgrund der herrschenden Deflation, des allgemeinen Pessimismus und der Entlassungswellen in der Industrie stieg das Konsumvertrauen jedoch nicht an. Die Banken wollten den Kredit nicht ausweiten und die überakkumulierte Industrie weigerte sich zu investieren. „Die Pferde saufen nicht“, hätte Keynes dazu bemerkt. Nachdem die Wirtschaft mit einem mageren Wachstum von 1 % dahin dümpelte, folgte 1998 wieder eine tiefe Rezession.

Der Staatsinterventionismus zeigte erst Wirkung, nachdem sich die Regierung dazu entschloss, durch massive Geldspritzen das Finanzsystem zu sanieren. Dazu muss noch bemerkt werden, dass ohne die Expansion des Budgetdefizits und ohne die niedrigen Zinsen, möglicherweise noch Schlimmeres passiert wäre, zum Beispiel eine Depression wie 1929 in den USA.

Auslöser der japanischen Rezession von 1998, nicht aber ihr Verursacher, war die Asienkrise. 2001 wurde wiederum eine Rezession durch den Konjunktureinbruch in den USA ausgelöst. Es sollte bis 2006 dauern, bis die japanische Wirtschaft wieder erste Erholungszeichen von sich gibt, die jedoch äußerst prekär sind, da sich bereits 2006 eine Verlangsamung der US-Konjunktur abzeichnet, die seit jeher den Motor der japanischen Konjunktur gebildet hat.

2006 beträgt als Folge der Konjunkturprogramme der 1990er Jahre die Staatsverschuldung 176 % des BIP, die bei weiten höchste Staatsverschuldung der Welt (abgesehen vom Bürgerkriegsland Libanon). Bis 1993 blieb die Staatsverschuldung unter 80 % des BIP. Japan hat jetzt keinen finanziellen Spielraum mehr, ein keynesianisches Konjunkturprogramm zu starten. Im Gegenteil: Jeder Boom muss dazu benutzt werden, die Staatsverschuldung auf Kosten der Konsumenten wieder abzubauen, was dramatische Folgen für das Konsumvertrauen haben könnte.

Dieses Konsumvertrauen ist ohnehin erschüttert, da in den 1990er Jahren bis heute eine völlige Umstrukturierung der Arbeitsbeziehungen im Gange ist, die sich vom feudal geprägten System der lebenslangen Bindung an das Unternehmen besonders bei den jüngeren ArbeitnehmerInnen zu einer extremen Form der flexiblen Politik des "hire and fire" transformieren. Eine weitere Folge der Umstrukturierung der japanischen Wirtschaft ist zudem das erste Mal das Auftreten von struktureller Massenarbeitslosigkeit.

Heute hat Japan alle neoliberalen und keynesianischen Methoden der Krisenbekämpfung ausgeschöpft. Trotzdem hat die Profitrate keinesfalls das Niveau der frühen 1970er Jahre erreicht. Alle Hoffnung liegt in einem prekären Boom, der bereits in seinem Anfang durch eine Verlangsamung der US-Wirtschaft erstickt zu werden droht.

Die Deutsche Krise 1990 - 2007

In Deutschland erlebte der Produktionssektor 1990 genauso eine schwere Krise wie in Japan, obwohl eine Blasenwirtschaft wie Japan in den 1980er Jahren nicht vorhanden war. Die Profitrate, die bereits zuvor niedriger als in Japan und den USA lag, fiel zwischen 1990 und 1994 um 75 % auf ein katastrophales Niveau (Brenner, 2003, S.154). In dieser Phase war eine keynesianische Politik, wie sie zum Beispiel Oskar Lafontaine für diese Phase vorschlug, ausgeschlossen. Jede weitere Akkumulation hätte die Profitrate noch weiter gesenkt. Der Produktionssektor hatte seinen Todespunkt bereits erreicht. Das BIP-Wachstum blieb zwischen 1990 und 1995 auf einer durchschnittlichen Wachstumsrate von nur 0,9 %. Die Regierung musste eine Hochzinspolitik fahren, um zu verhindern, dass Inflation – produziert durch die hohen Staatsausgaben zum Aufbau des Ostens – der exportorientierten Industrie am Weltmarkt das Genick brechen würde. Preissteigerungen in Zusammenhang mit Inflation würden die Konkurrenzfähigkeit des Produktionssektor auf dem Weltmarkt vermindern, so die berechtigte Kalkulation.

Die Strategie, die eingeschlagen wurde, lief daraus hinaus, durch eine qualvolle Umstrukturierung, die Exportindustrie wieder in die Offensive zu bringen und damit die Wirtschaft aus der Rezession zu reißen. 2001 zog die Rezession in den USA die Wirtschaft erneut nach unten, die Abwertung des Dollars in den Jahren darauf verhinderte wiederum eine Erholung. Erst 2006 zog die deutsche Konjunktur an, herbeigeführt durch eine partielle Wiederherstellung der Profitrate – genau in dem Jahr, indem sich bereits eine Abschwächung der US-Konjunktur abzuzeichnen begann.

Es ist ein neoliberaler Mythos, dass es in Deutschland in den 1990er Jahren eine allgemeine Politik des „schlanken Staates“ gab. Diese gab es nur in Hinblick auf Sozialleistungen. Durch die hohen Subventionen an Wirtschaftstreibende stieg die deutsche Staatsverschuldung von unter 600 Mrd. Euro im Jahr 1991 auf über 1300 Mrd. Euro im Jahr 2003 an. Wie in Japan haben wir es mit einer Verdoppelung der Staatsschulden zu tun. Mittlerweile gibt es wie in Japan keinen Spielraum für „deficit spending“ mehr. Gleichzeitig wurden mit einer Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, dem Entstehen von Massenarbeitslosigkeit wie zur Zeit der Machtergreifung der Nazis 1933 und dem Zurückstutzen des Sozialstaates und des Gesundheitssystems nahezu alle Spielräume neoliberaler Krisenbekämpfung ausgeschöpft.

Anhänger einer keynesianischen Wirtschaftstheorie sahen vor allem in der Periode zwischen 2003 und 2006, als die Profitraten explodierten und die Investitionen aber noch nicht anzogen, in einer Steigerung der Binnennachfrage die Lösung für die mangelnde Investitionsdynamik.

Aus der Logik des Kapitalismus ist das aber eine falsche Analyse. Das Herz der deutschen Wirtschaft und der Sektor, von dem alle anderen abhängig sind, war und ist – wie auch in Japan – der exportorientierte Produktionssektor. Interessant ist, dass im Laufe der Nachkriegszeit auch in den USA der exportorientierte Produktionssektor zum Herz der Wirtschaft wurde. Die Ursache dafür ist, dass aufgrund steigender Skalenerträge die Massenproduktion vor allem im Hochtechnologiebereich nur im Weltmaßstab genügend Absatz findet. Die einzelnen Länder spezialisieren sich auf gewisse Industrien und versuchen, dort den Weltmarkt zu bedienen. Wenn diese Industriezweige nicht prosperieren, dann kann die Wirtschaft keinen wirklichen Investitionsboom zustande bringen. Eine Steigerung der Binnennachfrage würde zwar vielleicht einige Jobs in der Dienstleistungsbranche schaffen, gleichzeitig durch höhere Löhne und auch durch Preissteigerungen die Situation im Produktionssektor verschlechtern.

Bereits Marx meinte, dass die Gesamtwirtschaft von einem oder mehreren Schlüsselsektoren abhängig sei. Diese Schlüsselsektoren sind heute in fast jedem Industrieland die exportorientierten Produktionsbereiche.

Die Weltwirtschaft in den 1990ern und die Weltwirtschaftskrise von 2001

Wenn man die Krisen einzelner großer Industriestaaten analysiert, ohne die Weltwirtschaft in ihrer Gesamtheit zu betrachten, verliert man leicht den Überblick für die Gesamtbewegung. Während ein Land in eine Krise schlittert, kann in einem anderen Land ein Boom stattfinden. Abkommen über Wechselkurse und Veränderungen der Wechselkurse erscheinen als die Verursacher von Krisen. Jedes Mal, wenn ein Land in einen Aufschwung kommt, ist die Rede vom Erfolgsmodell, während die Krisen des anderen Landes auf die spezifisch negativen Umstände, „bad gonvernance“ oder "crony capitalism" zurückgeführt werden.

In den 1980er Jahren erscheint Japan als Erfolgsmodell, während in den 1990ern die US-Wirtschaft diesen Titel bekommt. Tatsächlich handelt es sich bei beiden nationalen Booms, nur um kurzfristige instabile Wachstumsphasen, die in schweren Krisen mündeten. Wenn wir die Wachstumsraten der OECD-Länder betrachten, bekommen wir einen besseren Blick für die Wirtschaft der 1990er Jahre: Zwischen 1960 und 1973 betrug das Wachstum des BIP in den OECD Ländern 4,9 %, zwischen 1973 und 1979 2,8 %, zwischen 1979 und 1990 2,6 % und zwischen 1997 und 2000 2,4 %. (Brenner, 2003, S.80). Wir sehen hier die Verlangsamung des Wachstumspfades – und das, obwohl die Rezession 2001 gar nicht mit einbezogen ist.

In den 1990er Jahren ist die Situation in Wirklichkeit noch schlimmer als 1974. In Japan und Deutschland hat die Profitkrise erst jetzt die Talsohle erreicht. Die wirkliche Situation der Weltwirtschaft wird jetzt einzig und alleine verdeckt durch den Aufschwung in den USA und in Südostasien.

In Südostasien erlebte die Wirtschaft eine klassische Überakkumulationskrise, die durch zwei Phänomene zusätzlich angeheizt wurde: Erstens durch die Bindung der Währungen an den niedrigen Dollar, während der Yen einen Höhenflug erlebte. Zweitens durch massive Kapitalflüsse aus dem Ausland. Als der Dollar aufzuwerten begann, brachte dies in Zusammenhang mit der einbrechenden Profitrate der südostasiatischen Länder die Wirtschaften ins Trudeln, das Kapital flüchtete wieder ins Ausland und die Dollarschulden der Firmen wogen durch die Dollaraufwertung schwerer als in der Vergangenheit. Die Folge war die Asienkrise von 1997.

Auch die ernsthaftesten Wirtschaftswissenschafter wie Paul Krugman teilen die Analyse, dass die Finanzkrise der Tigerstaaten nur der Ausdruck einer Industriekrise war. Der einzige Unterschied ist der, dass Krugmann dabei die sinkende „total factor productivity“ der Industrie als Indikator heranzieht, während wir die sinkende Profitrate heranziehen. (Vg. Krugman, 1999)

In den USA gelang es durch die Hochzinspolitik der 1980er Jahre und eine massive Sparpolitik am Anfang der Clinton-Ära den Produktionssektor wieder fit zu machen, was jedoch mit einer totalen Verkleinerung des Produktionssektors gegenüber anderen Ländern einherging. 2006 macht der Industriesektor nur noch 20,4 % des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Explosion des Dienstleistungssektors drückt keinesfalls eine Reifung der Wirtschaft aus, da sie lediglich auf einer extrem unproduktiven Arbeitskräfteakkumulation beruht, herbeigeführt durch die Entwicklung eines für Industrieländer extremen Niedriglohnsektors.

Die Versorgung der Masse der Bevölkerung durch hochwertige Dienstleistungen, Ausdruck eines wirklichen Reifungsprozesses, wird tendenziell gleichzeitig sogar schlechter. Sogar das CIA Fact Book schreibt, dass die Einkommenszuwächse seit 1975 in den USA lediglich den obersten 20 % zugute gekommen sind. Die Akkumulation wurde massiv beschränkt, der Produktionssektor verkleinert und die Profitrate restauriert, was zum Aufschwung der 1990er Jahre führte und vor allem im Bereich der Informationstechnologie einen wirklichen Investitionsboom auslöste. Bereits 1996 erreichte die Profitrate aber schon ihre Spitze und begann wieder zu sinken. Jetzt führten Zinssenkungen, ähnlich wie in Japan in den 1980er Jahren, zur Bildung einer riesigen Aktienblase. Während die realen Profite sanken, erzeugte diese Blase einen Vermögenseffekt, der den Konsum und die Investitionen der Binnenwirtschaft weiter antrieb und den Boom am Leben hielt. Die US-Wirtschaft konnte auch die Asienkrise überstehen und den Boom weitertreiben. Akkumulation bedeutete aber weiter Senkung der Profitrate, die ab einem gewissen Moment zum Platzen der Aktienblase führen musste.

2001 zeigt sich dann der wahre Zustand der Weltwirtschaft: Die Profitrate der USA fällt auf das Niveau von 1974 zurück, rund 2 Mio. Jobs, die im Boom geschaffen wurden, werden vernichtet, der Lebensstandard der Masse der Bevölkerung ist niedriger als 1990. Gleichzeitig haben wir 2001 zeitgleich eine Rezession in Japan, Deutschland und den USA.

Das „Skandinavische Modell“

In der wirtschaftspolitischen Diskussion ist immer wieder die Rede vom „Neuen Skandinavischen Modell“. Dieser Begriff ist meiner Meinung irreführend, da sich alle skandinavischen Länder massiv von einander unterscheiden. Norwegen muss auf Grund seines Ölreichtums gesondert diskutiert werden. In Dänemark erleben wir zur Zeit einen der schärfsten neoliberalen Angriffe in Europa, wobei nicht klar ist, was nach diesem Angriff vom Wohlfahrtstaat noch übrig bleibt. Finnland und Schweden weisen mit ihrer Orientierung auf großindustrielle Exportcluster im Hochtechnologiebereich noch die meisten Ähnlichkeiten auf, wobei Finnland mit seiner Totalabhängigkeit von einem einzigen Unternehmen, dem Nokia-Konzern, wieder einen Sonderfall bildet. Ich möchte daher auf das schwedische Modell eingehen. Das ist gegenüber den Fans des „Skandinavischen Modells“ durchaus fair, da Schweden sicherlich (abgesehen vom Öl-Emirat Norwegen) am besten aufgestellt ist.

Die Krise des klassischen Schwedischen Modells 1970-1990

Das Schwedische Modell erlebte wie alle anderen keynesianischen Modelle in den 1970er Jahren eine Stagnationskrise. Von 1976 bis 1993 sank Schweden bezüglich des Pro-Kopf-Bruttosozialproduktes vom Platz zwei der Weltrangliste auf Platz 19. Zuerst versuchte die Regierung, ähnlich wie in Japan in den 1980er Jahren, die Wirtschaft durch niedrige Zinsen anzukurbeln. Die Folge war jedoch aufgrund der niedrigen Profitrate ein riesiges Anwachsen der Spekulation mit Immobilien, Aktien und Krediten.

Interessant ist, dass in den 1980er Jahren die außergewöhnlich hohen Forschungsausgaben und die Exportorientierung der schwedischen Wirtschaft die schlechte wirtschaftliche Situation nicht ändern konnten. Die OECD stellte 1986 fest, die Forschungsausgaben seien zwar hoch, aber ineffizient. (Blomstrom/Kokko, 2002) Was hier zum Ausdruck kommt, ist dass selbst hohe Forschungsausgaben ab einem gewissen Zeitpunkt die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals und die damit verbundene fallende Profitrate nicht mehr aufhalten können.

Von 1991 bis 1994 stürzte Schweden in eine schwere Finanzkrise, in der die Arbeitslosigkeit von 1,1 % auf 9 % stieg. Drei von fünf Banken gingen Bankrott; das Budgetdefizit lag bei gigantischen 12 %. (ebenda)

Erst die Vernichtung von Kapital in dieser schweren Rezession in Verbindung mit der unterdurchschnittlichen Kapitalakkumulation der 1980er Jahre machten durch die damit einhergehende Bereinigung des Kapitalstocks das schwedische Wachstumswunder seit Mitte der 1990er Jahre möglich.

Noch tiefer war die Rezession in Finnland. Die Arbeitslosigkeit stieg von 1990 bis 1994 von 3,4 % auf 20 %, und das BIP fiel zwischen 1991 und 1993 um 10,7 %. In Finnland hing die Rezession auch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zusammen. Dennoch sehen wir auch hier, dass die Leistungsfähigkeit von Finnland in den späten 1990er Jahren mit der radikalen Erneuerung des Kapitalstocks in der Rezession 1990 bis 1994 zusammenhängt. (Vgl. Blomström, Kokko, 2002)

Das neue Schwedische Modell und seine Perspektiven

Das Schwedische Modell beruhte immer schon auf einem engen Bündnis zwischen dem Staat und der exportorientierten Großindustrie. Es ist kein Zufall, dass der Eigentümer von Ikea, Ingvar Kamprad, Bill Gates als reichsten Mann der Welt überholt hat. Neu war nur, dass man die schwedische Wirtschaft nach der Rezession noch stärker als bisher auf Export-Cluster im High Tech-Bereich der internationalen Arbeitsteilung aufbaute.

Der Staat unterstützte diesen Aufbau vor allem durch ein ausgezeichnetes Bildungssystem, hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie einer hohen Beschäftigungsquote – möglich gemacht durch gute öffentliche Altenpflege und Kinderbetreuung.

Nicht unwichtig für das Schwedische Modell, das vergangene wie das gegenwärtige, ist die eigenständige schwedische Rüstungsindustrie. Diese erlaubt es, staatliche Aufträge zu vergeben und eine eigenständige nationale High-Tech-Forschung und Entwicklung aufzubauen. Das Schwedische Modell entspricht mit seiner Monopol-Orientierung und seiner Abhängigkeit von einer starken Rüstungsindustrie ganz dem Leninschen Theoriekonzept des Sozialimperialismus.

Das schwedische Wirtschaftsmodell zielt darauf ab, innerhalb der Weltproduktion eine High-Tech-Nische zu besetzen und seine ganze Produktion auf den Export in diesem Bereich auszurichten. Dadurch kann zum einen eine höhere Beschäftigungsquote erreicht werden und zum anderen eine höhere Quote an sehr gut ausgebildeten Arbeitskräften.

Die schwedische Wirtschaftspolitik ist zudem immer schon auf eine Unterstützung der Großindustrie und auf eine stärkere Belastung der Klein- und Mittelbetriebe ausgerichtet gewesen, was sich sowohl im Steuersystem, als auch im Lohnsystem widerspiegelt. Zum einen führt die Orientierung auf Lohngleichheit zu vergleichsweise niedrigen Löhnen in der Großindustrie, während in Klein- und Mittelbetrieben und dem untersten Einkommenssegment die Löhne vergleichsweise hoch sind. Die Unternehmenssteuern sind relativ hoch, aber die Großindustrie bekommt durch Staatsaufträge, Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie das gute Bildungssystem diese Steuergelder mehrfach vom Staat zurück.

Man kann allerdings nicht behaupten, dass das Schwedische Modell ausschließlich dem Kapitalinteresse dient. Teile davon, wie die hohe Beschäftigungsquote, die hohe Qualität bei Bildung, Pflege und Kinderbetreuung sind sicherlich eine Errungenschaft der schwedischen Arbeiterklasse.

Zwei Fragen ergeben sich aus der Betrachtung des Schwedischen Modells: Ist es übertragbar? Und wie lange wird es noch aufrecht zu halten sein? Die erste Frage muss tendenziell verneint werden. Ein großes Land kann das schwedische Modell nicht kopieren, weil es sich nicht ausschließlich auf ein Segment der Produktpalette spezialisieren kann. In Schweden gibt es eine historisch gewachsene Industriestruktur. Das Herausstampfen neuer Export-Cluster aus dieser Industriestruktur erfordert nicht nur eine Rezession, sondern auch die Möglichkeit, in eine neue Nische des Weltmarkts vorzustoßen. Solche Nischen tun sich nicht jeden Tag auf.

In Finnland ist das "Skandinavische Modell" weit weniger erfolgreich als in Schweden. Die einseitige Orientierung auf die „New Economy“ und den Nokia-Konzern hat das Land 2001 nach dem Platzen der „Dot-com“-Blase erneut in eine krisenhafte Situation zurückgeworfen.
Eine Industriestruktur wie in Schweden, die auf mehrere äußerst erfolgreiche Export-Cluster verteilt ist, muss sich über mehrere Jahrzehnte hinweg unter sehr spezifischen Umständen entwickeln. Die historische Situation von Schweden – mit seiner Neutralität im Zweiten Weltkrieg, den reichhaltigen Bodenschätzen und der eigenständigen Währungspolitik – ist fast ebenso einzigartig wie die historische Rolle der Schweiz als internationaler Finanzplatz.

Nachdem wir uns mit der Übertragbarkeit des Schwedischen Modells beschäftigt haben, bleibt die Frage nach seiner Lebensdauer. Eine These, die immer wieder in den Zeitungen zu lesen war, ist die, dass auch die konservativen Kräfte in Schweden das Konzept des Wohlfahrtsstaates akzeptiert haben. Diese These ist mittlerweile durch die Ereignisse überholt worden: Die neue konservative Regierung in Schweden plant nicht nur eine Liberalisierung des Wohnungsmarktes, sondern auch die Privatisierung des Bildungs- und des Gesundheitssystems. Die Tatsache alleine, dass die sozialdemokratische Regierung abgewählt wurde, zeigt, dass ein Teil der Schweden unzufrieden mit der Situation ist und das schwedische Modell seine Grenzen hat. Eine Seite ist sicherlich die, dass trotz hoher Beschäftigungsquote die Arbeitslosigkeit höher ist als in anderen vergleichbaren Ländern, eine andere, dass das Lohnniveau gemessen an Kaufkraftparitäten in Schweden niedriger ist als etwa in Österreich, Großbritannien, Dänemark oder Finnland. Die Arbeitslosigkeit in Schweden betrug im Jahr 2006 5,6 %. Die Jugendarbeitslosigkeit in Schweden beträgt 16,4.
Ein hoher Staatsanteil wird von den Bürgerlichen traditionell als rotes Tuch gesehen, weil der staatliche Sektor oft jenseits der Profitmacherei funktioniert. Zudem kommt, dass Schweden sehr krisenanfällig ist, da ein Cluster, im Falle einer Krise dieses Clusters, einen überproportional großen Teil der Volkswirtschaft hinunterziehen kann. In der heutigen turbulenten Weltwirtschaft ist keine Nischentechnologie-Industrie vor einer Krise gefeit. Dies hat sich beispielsweise bereits anhand der japanischen Ökonomie gezeigt, der auch die Entwicklung ins absolute Hightech-Segment nicht half, die Krise zu vermeiden Auf diese Weise wurde Schweden hart von der Krise der US-Ökonomie 2001 getroffen.

Der lange Boom in China und seine Rolle in der Weltwirtschaft

Der Aufschwung der chinesischen Wirtschaft 1979 bis 2007 findet im 20. Jahrhundert nur eine einzige Parallele in der Geschichte des Kapitalismus, nämlich den Aufschwung der japanischen Wirtschaft 1950 bis 1974. Bevor wir den chinesischen Aufschwung analysieren, müssen wir hervorheben, dass dieser Aufschwung auf einzigartigen Voraussetzungen beruht und nicht beliebig in anderen Entwicklungsländern wiederholt werden kann. Sowohl in Japan als auch in China wurden die feudalen Strukturen, sowie die Strukturen der Auslandsabhängigkeit beseitigt, die für beide das Haupthindernis der Entwicklung bildeten. In China vollzog sich dies durch eine soziale Revolution 1945-1948. Im Japan der Nachkriegszeit griff die US-Armee aus Angst vor einer Revolution in die sozialen Beziehungen ein und bereitete so den Boden für den kolossalen Wirtschaftsaufschwung.

Die chinesische stalinistische Elite war, als sie sich auf den Weg zur kapitalistischen Umgestaltung machte, klüger als die russische. Sie zog seit 1979 an einem Strang und arbeitete – relativ bewusst – an einer Wiederholung des japanischen Aufschwungs in China, an einer Kopie des japanischen Modells. Das japanische Modell kann als das Modell des Staatskapitalismus par excellence bezeichnet werden: Ein starker Staat, der gemeinsam mit den Banken planmäßig Exportindustrien aufbaut, um die Führungsrolle in der Weltwirtschaft zu erobern. Die Exportorientierung ist deshalb so wichtig, weil es für Hochtechnologieprodukte keine Inlandsnachfrage gibt. Gewisse Industriebranchen bekommen quasi zinslose Kredite und gelangen mit Hilfe des niedrigen Lohnniveaus in eine „Pole Position“ auf dem Weltmarkt: Das ist das Geheimnis des asiatischen Staatskapitalismus.

Genauso wie der japanische Aufschwung fast 20 Jahre nahezu den Konjunkturzyklus zum Verwinden brachte, sehen wir auch in China einen einzigen kontinuierlichen Aufschwung. Der Grund dafür ist der, dass beide Länder ausgehend von derart niedrigen Niveaus ihre Aufholjagd begannen und solch massive Wettbewerbsvorteile genossen, dass jeglicher Konjunkturzyklus oder jegliche Strukturschwäche der Weltwirtschaft durch ständiges Erobern von neuen Marktanteilen ausgeglichen wurde. In China funktioniert dieser Mechanismus bis heute.

Dennoch: Jeder Investitionsboom ist irgendwann zu Ende. Je massiver er war, desto tiefer die Krise, die zu erwarten ist. Die japanische Wirtschaft fiel 1974 in eine Krise, von der sie sich im Wesentlichen bis heute nicht mehr erholt hat. Der Grund dafür ist die massive Expansion des japanischen Kapitalstocks über 20 Jahre hinweg, der die Profitrate auf ein erbärmliches Niveau herabdrückte.

In China bereitet sich eine riesenhafte Überakkumulationskrise vor. Diese Überakkumulation wird sich kurzfristig in einer Überproduktionskrise äußern, wahrscheinlich verbunden mit einem Einbruch oder einer Verlangsamung des Exportwachstums, mittelfristig wird erst durch die Überproduktionskrise die chronische Verschlechterung der Profitsituation zu Tage treten, die sich ähnlich wie in Japan 30 Jahre zuvor unter der Oberfläche durch die massiv steigende Kapitalintensität der chinesischen Produktion vorbereitet.

Weniger klar ist, wer der unmittelbar größte Leidtragende der Überproduktionskrise in China sein wird. In einigen Sparten wie Zementproduktion könnte China innerhalb von kürzester Zeit vom weltgrößten Importeur zum weltgrößten Exporteur werden und die innerchinesischen Produktschwemme auf den Weltmarkt umlenken. Hinzu kommt, dass ein Abschwung in China zu einem massiven Abfluss von chinesischem Kapital aus den USA führen muss, was einen Zusammenbruch der US-Wirtschaft auslösen kann. Jedes Abflauen der Weltkonjunktur wird sich negativ auf das Wachstum in China auswirken. Und umgekehrt wird ein Einbruch die Welt mit sich nach unten reißen.

Die globalen Ungleichgewichte und die Perspektiven einer kommenden Krise

Nach 2001 schlug die US-Regierung einen Kurs der Zinssenkung, der Ausweitung des Budgetdefizits und der kontrollierten Abwertung des Dollars ein, um die Wirtschaft aus der Rezession zu führen. Auf diese Weise konnte die Rezession beendet und ein weiterer Einbruch im Produktionssektor verhindert werden, ein wirklicher Akkumulationsboom blieb jedoch aus. Die Jobs, die 2001 in der Informationstechnologie verloren gingen, wurden in Form von Billigjobs im Dienstleistungssektor neu geschaffen. Aufgrund der niedrigen Zinsen entwickelte sich neuerdings eine Blase, diesmal zusätzlich zum Aktienmarkt auch auf dem Immobilienmarkt. Die Umverteilung von unten nach oben ging nach der Rezession 2001 ungebremst weiter, was den Profitraten wieder Auftrieb verlieh. Der Boom, der sich ab 2004 wieder zu entwickeln begann, beruhte auf der expandierenden Verschuldung der privaten Haushalte.

Im Unterschied zum Anfang der 1990er Jahre erreichte er nicht den exportorientierten Produktionssektor, der auch in den USA das Herzstück der Ökonomie ausmacht. Die Verschuldung der privaten Haushalte beruht – ebenso wie die Investitionen im Dienstleistungssektor – auf dem Vermögenseffekt der Blasenwirtschaft. Schon 2006/2007 begann sich der Boom abzuschwächen und die Blase am Immobilienmarkt erreichte ihren Zenit. Die Profitrate begann wieder zu sinken.

Für die Masse der Bevölkerung unterschied sich dieser Boom, ähnlich auch wie in Deutschland und Japan zu selben Zeit, nicht mehr von einer Rezession. Interessant ist, dass auch während der so genannten Boomphase Prozesse die Wirtschaft dominieren, die normalerweise Rezessionen kennzeichnen – insbesondere Fusionen und Übernahmen in Kombination mit Private-Equity-Geschäften.

Die Tätigkeit der so genannten „Heuschrecken“, die mit Hilfe billiger Kredite Firmen aufkaufen und restrukturiert weiterverkaufen, um kurzfristige Profite herauszuschlagen, ging auch im Aufschwung ungebremst weiter. Es handelt sich dabei um eine Situation, in der auch bei hohen Gewinnen nicht oder wenig investiert wird.

Darin drückt sich die ungeheure Verlagerung des Kräfteverhältnis in Richtung Finanzkapital aus, das sich nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern auch in den Managementetagen niederschlägt. Durch die astronomischen Managergehälter, die direkt an den finanzmarkttechnischen Erfolg des Managements gebunden sind, wird der Manager vom traditionellen Produktionsleiter zum Agenten des Finanzkapitals. Statt einen hohen Umsatz oder eine langfristige Erringung von Marktanteilen anzustreben, geht es beim zeitgenössischen Management hauptsächlich um eine kurzfristig hohe Profitrate.

Diese Verlagerung, die durch die Krise der industriellen Profitrate ab 1980 in den USA und ab 1990 in Deutschland und Japan aus kapitalistischer Sicht notwendig wurde, hat eine solche Eigendynamik entwickelt, dass auch eine Erholung der industriellen Profitrate nur sehr verzögert zu Investitionen führt.

Der Vorteil dieser Entwicklung aus kapitalistischer Sicht liegt darin, dass die Überakkumulation gebremst wird. Gleichzeitig wüten aber das Finanzkapital und die Prozesse der so genannten „schöpferischen Zerstörung“ dermaßen ungebremst, dass die Deindustrialisierung und die Kapitalvernichtung den Bestand der Industrie und der Wirtschaft gefährden.

Die Dominanz der hochverschuldeten Hedgefonds wird vor allem dann zu einem Problem, wenn diese in Folge einer Kreditklemme ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können und Tausende ihnen gehörende Industriebetriebe mit sich in den Abgrund reißen. Hier wird zum Problem, dass Hedgefonds im Gegenzug zu Banken keinen nationalen Vorschriften unterstehen und der Staat keine Haftung übernimmt, da sie ihren Sitz meist in Steuerparadiesen haben.

Das eigentliche Problem der kapitalistischen Krise am Anfang des 21. Jahrhunderts ist aber nicht der kapitalistische Wirtschaftszyklus, sondern die globalen Ungleichgewichte, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten herausgebildet haben. Die USA wahren nur fähig ihre Rezession aufzuhalten indem sie eine riesenhafte private Haushaltsverschuldung und ein riesiges Außenhandelsdefizit zuließen.

Das Außenhandelsdefizit wird finanziert vor allem durch chinesisches, japanisches, deutsches und arabisches Kapital. Die beständigen Kapitalflüsse auf den US-amerikanischen Markt aus dem Ausland verbunden mit der Blase auf dem Immobilienmarkt und den niedrigen Zinsen in den USA 2001 bis 2006 sind die Grundlage für die Überliquidität, die alle Poren der Gesellschaft, private Haushalte, den Staat, die Hedgefonds und Unternehmen mit billigen Krediten überflutet. Wir wissen aber schon von Beispielen aus der Vergangenheit, dass so eine Kreditschwemme unter gewissen Umständen, wie im Fall der Asienkrise 1997 zu einer Kreditklemme werden kann. Kommt im Verlauf des Zyklus die Profitrate zum Sinken muss sich über kurz oder lang die Kreditschwemme sogar in eine Kreditklemme verwandeln, da sinkende Profite vermehrte Geldentnahmen notwendig machen.

Eigentlich müsste der Punkt, an dem das ökonomische Gleichgewicht der Welt zusammenbricht, schon längst erreicht sein, da der niedrige Dollarkurs die Kapitalbewegungen in die USA lange schon nicht mehr rechtfertigt. Der Grund, warum das fragile Gleichgewicht weiter existiert ist der, dass China, Japan, Deutschland und Erdöl exportierende Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate aus politischen und makroökonomischen Überlegungen das US-Außenhandelsdefizit künstlich finanzieren. Sie wissen, dass ein Zusammenbruch des US-Marktes ihre Exportchancen verringert und ihre eigenen Wirtschaften zum Zusammenbruch führen muss. Heute hängt das gesamte Wachstum der Weltwirtschaft von dem Boom in China und der privaten Haushaltsverschuldung der USA ab.

Welche Ereignisse können den Zusammenbruch der Gleichgewichte auslösen? Ein Platzen der Immobilienblase oder des Aktienmarktes in den USA könnte einen Zusammenbruch des Konsums und eine Kapitalflucht bewirken. Ein Crash in China könnte zu einer Flucht von chinesischen Kapital aus den USA führen. Beides würde einen wirtschaftlichen Kollaps der USA ähnlich wie 1929 einleiten, der die gesamte Welt hineinreißen könnte. Am Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Kapitalismus in seiner größten Krise seit 1914 – 1945. Heute gibt es keine Volkswirtschaft, die ähnlich wie die USA nach dem Zweiten Weltkrieg das ökonomische Potential hat, die Weltwirtschaft auf eine stabile Grundlage zu stellen. Die USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg der größte Gläubiger der Welt waren, sind heute ihr größter Schuldner eines der schwächsten Glieder der Weltwirtschaft.

Jenseits von Hayek und Keynes: Perspektiven einer neuen sozialistischen Wirtschaftspolitik

Das unmittelbare Hauptziel sozialistischer Wirtschaftspolitik muss darin liegen, den Lebensstandard der Massen zu verteidigen und auszubauen: Vollbeschäftigung, Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhungen, die sich am Produktivitätsfortschritt orientieren, Mindestlöhne, gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen, ein Ausbau von Gesundheits- und Bildungssystem, der Pflege, der Altersversorgung, Förderung von Forschung und Entwicklung, der Einstieg in neue umweltschonende und arbeitssparende Technologien. Das waren seit jeher die Ziele aller SozialistInnen. Hier braucht es keine Neudefinition. Spannend wird die Frage erst wie diese Reformen am Beginn des 21. Jahrhunderts durchsetzbar sind und in dieser Diskussion beginnt sich der Unterschied zwischen Keynesianer, Globalisierungskritiker, Reformisten auf der einen Seite und Marxisten auf der anderen Seite herauszubilden. Marxisten verweisen darauf, dass heute diese Ziele der kapitalistischen Profitlogik unversöhnlich gegenüber stehen. Es ist unter den Bedingungen der Krise der industriellen Profitrate nicht mehr möglich durch Fiskalpolitik, Geldpolitik, oder einer Regulation der Kapitalströme die Kapitalakkumulation anzukurbeln, um damit die Sozialpolitik zu finanzieren. Jeder Versuch muss spätestens seit den 1970er Jahren dazu führen, dass das Kapital einen unversöhnlichen Kampf gegen eine solche Politik führen würde. Die Kapitalisten würden alles unternehmen, diese Politik mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wie Kapitalflucht, Preissteigerungen oder Investitionsstreik zu paralysieren.

Was heute notwendig ist, ist ein direkter Angriff auf die Profitlogik und ihre Ersetzung durch eine Produktion für die Bedürfnisse der Menschen. Das bedeutet, dass die Banken und großen Unternehmen unter der demokratischen Kontrolle der Bevölkerung verstaatlicht werden müssen. Nur unter diesen Bedingungen können Preissteigerungen, Kapitalflucht und Investitionsstreiks verhindert werden.

Nur unter diesen Bedingungen kann sich die industrielle Akkumulation über das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate hinwegsetzen, denn der Profit im Verhältnis zum eingesetzten Kapitalstock ist dann nicht mehr der Gradmesser der Investitionsentscheidung. Diese wird ausschließlich davon abhängig gemacht, ob der gesellschaftliche Nutzen der Investitionsentscheidung in Hinblick auf die Bedürfnisse der Bevölkerung, die Umwelt und die technologischen Effizienzen die gesellschaftlichen Kosten übersteigt oder nicht.

Im Kapitalismus besteht das Haupthemmnis der technologischen Entwicklung darin, dass viele Investitionen, die eine massive Produktivitätssteigerung für die gesamte Gesellschaft bringen, nicht durchgeführt werden können, weil die Profitrate des privaten Investors eine Durchführung der Investition nicht erlaubt.

Im Kapitalismus wird nicht jede Investition getätigt, die den gesamtgesellschaftlichen Einsatz der notwendigen Arbeit, der natürlichen Ressourcen und der Umweltschäden relativ zum Output verringert. Viele Investitionen, die diese "sozialistischen" Investitionsbedingungen erfüllen würden, können im Kapitalismus nicht getätigt werden, weil die wichtigste "kapitalistische" Investitionsbedingung nicht erfüllt ist: die Profitmaximierung des individuellen privaten Investors.

Arbeiterkontrolle + IT = Sozialismus des 21. Jahrhunderts

Als der Chef der US-amerikanischen Notenbank Alan Greenspan Ende der 1980er Jahre in Moskau dem Leiter der staatlichen Planungskommission GOSPLAN einen Besuch abstattete, war er überrascht über die Planlosigkeit und Anarchie der sowjetischen Wirtschaft. Die Planungskommission hätte zwar beeindruckende mathematische Modelle zur Verfügung, die Wirtschaftsdaten, die sie von den einzelnen Betriebsleitern bekäme, seien aber alle falsch. Alan Greenspan behauptet, dass er als Chef der Fed mehr Einblick in die wirklichen Prozesse der US-Wirtschaft habe als seinerzeit der GOSPLAN in die sowjetische Wirtschaft.

Greenspan ist hier dem Kern des Problems der stalinistischen Wirtschaft auf der Spur. Die dezentralen Betriebsleiter übergaben dem GOSPLAN falsche Daten, weil sie Nutzen daraus zogen. Sie schlugen Kosten zu hoch an, schätzten die Produktionskapazitäten zu niedrig ein und machten sich der Korruption schuldig. Gleichzeitig gab es in der sowjetischen Wirtschaft keine Qualitätskontrolle durch die Konsumenten und Produzenten und keine demokratische Ermittlung der tatsächlichen Nachfrage der Konsumenten.

Der Markt als Vermittler von Angebot und Nachfrage und Koordinator der Bedürfnisse und Produktivkräfte wurde beseitigt. Er wurde jedoch nicht durch ein anderes Informationssystem ersetzt, sondern durch eine bürokratische Wirtschaftsdiktatur.

Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss aus diesen Fehlern lernen. Die Betriebsleitungen müssen der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten und der Konsumenten unterworfen werden. Es müssen Informationssysteme errichtet werden, die durch direkte Anbindung der Konsumenten und Produzenten den wirklichen Bedarf ermitteln, Qualitätskontrolle möglich und jede Korruption und jede Verbesserungsmöglichkeit transparent und sichtbar machen. Das Internet und die Open-Source-Technik der Produktion ist hierbei ein zentrales Instrument der Planung.

Frei nach Lenin können wir abschließen: ArbeiterInnenkontrolle plus Informations- und Kommunikationstechnologie ist Sozialismus des 21 Jahrhunderts.



Datenquellen:

US National Accounts
BRENNER, Robert (2006): Economics of Global turbulance; London; Verso
BRENNER, Robert (2003):Boom & Bubble, Hamburg, VSA- Verlag
BLOMSTRÖM, KOKKO (2002): Growth and Innovation Policies for a knowledge economy: Experiences from Finland, Sweden and Singapore. Working Paper 156. (
CIA Factbook
KRUGMAN, PAUL (1999): Die große Rezession. Frankfurt/Main, Campus-Verlag
THE ECONOMIST (27. Sept. 2007): How fit is the panda?

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