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Griechenland, der Euro und die soziale Frage |
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Die Wahlen in Griechenland am kommenden Sonntag sind ein Knotenpunkt in der sozialen und politischen Entwicklung in Europa. Mit SYRIZA findet der massenhafte Widerstand gegen das harte Sparregime erstmals einen politischen Ausdruck. |
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Die Wahlen in Griechenland am kommenden Sonntag sind ein Knotenpunkt in der sozialen und politischen Entwicklung in Europa. Mit SYRIZA findet der massenhafte Widerstand gegen das harte Sparregime erstmals einen politischen Ausdruck.
Das erste Mal seit einer Generation könnte somit eine Partei gewinnen, die sich dazu verpflichtet, bereits am Tag nach seinem Wahlsieg mit dem Spardiktat zu brechen und eine Serie von sozialen Reformen umzusetzen. Es ist unsere fundamentale Pflicht, jeden ernsthaften Schritt, der das Leben der von der Sparpolitik ausgeplünderten Bevölkerung erleichtert, in Wort und Tat vollen Herzens zu unterstützen. Eine erste Voraussetzung dafür ist ein vollständiger und möglichst absoluter Wahlsieg von SYRIZA am Sonntag.
Gleichzeitig erscheint es unbedingt notwendig das Programm, mit dem dieses Ziel erreicht werden soll, zu kritisieren, und zwar wegen seines utopischen Charakters. Warum glauben wir, dass Tsipras ein utopisches Programm vertritt? Einzig und allein, weil die Idee der Verwirklichung von Sozialreformen über den Weg schrittweiser nationaler Reformen flankiert von internationalen Abkommen und Finanzierungen an der realen Verfasstheit des heutigen Kapitalismus scheitern wird.
Alexis Tsipras wird nicht müde, in den internationalen Medien (mit wachsendem Echo) zu argumentieren, dass sein Programm der ökonomischen und sozialen Vernunft (das nach seiner eigenen Aussage in Fragen der Währungspolitik jenem von EZB-Präsident Draghi entspricht) dem gescheiterten neoliberalen Kult der kleinen Minderheit rund um Schäuble und Merkel und ihrer griechischen Partner gegenüber zu stellen.
Realistischerweise müssen wir hinzufügen: Diese kleine Minderheit repräsentiert die zentrale Wirtschaftsmacht Europas, sie kontrolliert die zentralen Wirtschaftssektoren in Griechenland und kontrolliert die internationalen und nationalen Institutionen zur Durchsetzung des Sparregimes.
Warum wird es kein Pardon Merkels geben?
Der Euro ist eine gemeinsame Währung, die unterschiedliche nationale Volkswirtschaften mit eigenen Budgets und Handelsbilanzen aneinanderkettet. Dieser fundamentale „Konstruktionsfehler“ ist ein Widerspruch, der wieder und wieder als akuter ökonomischer, sozialer und politischer Konflikt aufbrechen wird. Dies ist das Resultat dessen, dass die nationale Zersplitterung Europas auf der Grundlage eines demokratisch organisierten Kapitalismus nicht überwunden werden kann. Aus Sicht des deutschen Kapitals ist die aktuelle Politik der Bundesregierung in Berlin alles andere als unvernünftig. Angesichts einer öffentlichen Verschuldung der Euro-Staaten von annährend 100 % des BIP (rund 9.000 Mrd. €) ist die einzige Garantie für die Stabilität des Euro eben jenes Sparregime, das seit Ausbruch der Krise unter Umgehung und Beschneidung der parlamentarischen Demokratie über Europa gezogen wird. Während Deutschland heute Staatsanleihen zum Null-Zinssatz ausgeben kann, weil sich die Kapitalbesitzer damit zufriedengeben, dass ihr Geld in Deutschland sicher ist und sie dafür sogar bereit sind einen kalkulierbaren Reichtumsverlust hinzunehmen, sind Griechenland und die griechischen Banken pleite bzw. werden nur durch internationale staatlich-garantierte Kreditlinien am Leben erhalten. Jeglicher Wertverlust des Euros bedeutet für das dominante deutsche Kapital eine Reichtumsverminderung. Wir können also getrost davon ausgehen, dass in Frankfurt und Berlin keine okkulten neoliberale Zeremonien verfolgt werden, sondern dass ganz einfach scharf kalkuliert wird: Was bringt uns mehr? Der anhaltende Reichtumstransfer in das ökonomisch labile Südeuropa (mit den folgenden Vorteilen für die deutsche Exportwirtschaft) oder der Vorteil, den eine stabile Währung (ohne Reichtumsabfluss in die Krisenländer) für das in Deutschland konzentrierte Kapital bedeutet. Das Auftreten einer europakritischen Partei (AfD) und einer nationalistischen Massenbewegung (Pegida) macht es noch schwieriger diese Gleichung zu kalkulieren. Wir können uns aber sicher sein, dass der Prozess der europäischen Krise eine graduelle Reform des autoritären Krisenregimes hin zu einem partizipativen europäischen Wohlfahrts- und Wohlstandsstaat, wie ihn Tsipras anstrebt, undenkbar macht. Ab einem bestimmten Punkt werden die Widersprüche des Euro-Regimes in einem Aufbrechen der Euro-Zone münden.
Man kann nun argumentieren: Die griechische Volkswirtschaft ist so klein, dass das Europa verkraften kann. Man kann hinzufügen, dass die griechische Staatsschuld bereits überwiegend in den Händen der europäischen SteuerzahlerInnen ist und ein weiterer Schuldenschnitt somit die fragile europäische Bankenlandschaft nicht in Schwierigkeiten bringen würde. Dies alles ist richtig. Es ist möglich, dass die „internationale Gemeinschaft“ die offensichtliche Realität, dass nämlich Griechenland pleite ist, die griechischen Staatsschulden de facto entwertet (weil ohnedies nicht rückzahlbar) anerkennen wird und diesen Umstand durch eine teilweise Schulden-„Erlassung“ anerkennt. Was Merkel & Co. aber nicht zulassen werden, ist das Programm der sozialen Reformen, das SYRIZA verspricht: Erhöhung der Renten, Erhöhung der Mindestlöhne, Wiederherstellung gewerkschaftlicher Rechte, Schaffung von 300.000 Arbeitsplätzen aus öffentlichen Mitteln, Neuinvestitionen in die Gesundheit etc.
Warum nicht? Wenn ein Schuldenschnitt mit sozialen Reformen kombiniert würde, dann würden die „Finanzmärkte“ nicht nur unmittelbar Griechenland, sondern auch den tatsächlichen „Rückszahlungswillen“ von Ländern wie Spanien, Portugal und Italien in Frage stellen. Damit würde die Gemeinschaftswährung neuerlich destabilisiert werden. Dies kann die deutsche Bourgeoisie nicht zulassen.
Reformismus in Griechenland
Tsipras berücksichtigt in seiner Einschätzung der internationalen Lage diese Aspekte nicht. Das wird sich als schwerer Fehler herausstellen. Dazu kommen die erwartbaren Widerstände in Griechenland selbst. Das ökonomische Programm, das die die sozialen Reformen begleiten und schließlich finanzieren soll, baut darauf auf, dass die Gegenseite erkennt, dass das Programm von SYRIZA ein Ausdruck der Vernunft und der Einsicht in die Notwendigkeit ist. Doch die griechische Bourgeoisie wird zu anderen Schlüssen kommen. Ein griechischer Reeder hat recht unverhohlen gesagt, wie seine Antwort auf einen Sieg von SYRIZA aussehen wird: „Eine andere Fahne auf dem Schiff zu setzen, ist einfacher als bei einem LKW die Nummerntafel zu wechseln.“
Jede Maßnahme, die die Verwertungsmöglichkeit des Kapitals in Griechenland weiter verschlechtert (etwa seriöse Reichensteuern), wird mit Kapitalflucht begegnet werden. Der griechische Staatsapparat wird von der SYRIZA selbst als „parasitär“ bezeichnet. Dieser Apparat wird sich Reformen versperren, die Spezialeinheiten der Polizei sind von den Faschisten der „Goldenen Morgenröte“ unterwandert etc.
Kurzum, die Umsetzung von Reformen erfordert revolutionäre Maßnahmen. Komitees in den Stadtvierteln, in den Ministerien, in den Banken und Betrieben, die die Kapitalflüsse überwachen, die Beschäftigungspolitik durchsetzen und die öffentliche Sicherheit wahren. Es gilt der Vernunft des Kapitals die Vernunft der Menschen entgegenzusetzen. Dies wird umso erfolgreicher sein, wenn die Linke die Tatsache anerkennt, dass die Interessensgegensätze zwischen Kapital und Arbeit objektiv existieren. Dass Alexis Tsipras diese einfache Weisheit, die ihm bekannt ist, heute verwischt, schwächt die Erfolgsperspektiven einer künftigen Linksregierung dramatisch.
Der Wahlsieg ist nur der Beginn
SYRIZA vertritt ein Etappenkonzept, in dem die Lösung der schlimmsten Erscheinungsformen der Krise am Beginn eines längeren Prozesses steht. Dies wird als Voraussetzung für ein späteres Ringen um die Überwindung des Kapitalismus gesehen. In Wirklichkeit wird es jedoch schon zur Beseitigung des sozialen Elends und zur Überwindung des Widerstands des Kapitals revolutionäre Maßnahmen brauchen. Der Appell von Alexis Tsipras an seine UnterstützerInnen, sie mögen für ein besseres Leben kämpfen, wird nicht ungehört verschallen. Der Wahlsieg von SYRIZA erscheint für Millionen ArbeiterInnen, Arme und Kleingewerbetreibende als der letzte Strohhalm, nachdem die spontanen Bewegungen, Generalstreiks und verzweifelten Einzelkämpfe seit 2008 keinerlei Linderung im Takt des sozialen Massakers brachten. Doch die Wahlen am Sonntag werden in Griechenland einen neuen Prozess heftiger Klassenkämpfe auslösen.
In diesem Sinne:
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