Paradigmenwechsel
Der Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods und die weltweite Krise in den 1970ern bedeuteten sowohl das Todesurteil für den internationalen Goldstandard als auch für den „keynesianischen Konsens“. An deren Stelle traten jeweils das System der freien Wechselkurse und das ökonomische Programm des Monetarismus, welches ein Schwergewicht auf die restriktive Geldpolitik und Maßnahmen auf der „Angebotsseite“ legte, d. h. die Inflation sollte durch Beschränkung der Geldmenge und der Reduzierung der Produktionskosten, vor allem der Lohnkosten, niedrig gehalten werden. Diese Vorstellungen wurden theoretisch von Milton Friedman begründet und in der Praxis politisch von der Reagan-Administration in den USA und der Thatcher-Regierung in Britannien umgesetzt. Wie schon früher erklärt wurde, wurde der Krieg gegen die Inflation zu einem Feigenblatt für den Krieg gegen die ArbeiterInnenklasse zugunsten der Kapitalisten und ihrer Profite.
Aus den letzten einhundert Jahren können wir an den Beispielen des Goldstandards, des Vertrags von Bretton Woods und jetzt der einheitlichen europäischen Währung erkennen, dass jedes Geldsystem oder jede Geldpolitik irgendwann einmal seine Grenzen erreicht. Jedes dieser erwähnten internationalen Geldsysteme war in der Lage sich während eines kapitalistischen Aufschwungs und einer weltweiten geopolitischen Stabilität durchzusetzen, d. h. in Zeiträumen, in denen die Widersprüche des Kapitalismus und des Nationalstaates vorübergehend übertüncht werden konnten. Im Gegenzug wurde die Existenz eines internationalen Geldsystems selbst zur Quelle von Stabilität und ermöglichte das Wachstum des Handels, eine Expansion des Weltmarktes und somit die Entwicklung der Produktivkräfte.
Aber jedes Mal, wenn es zu einer weltweiten Krise kam, verwandelten sich diese Stärken des internationalen Geldsystems schließlich in ihr Gegenteil und fungierten als paralysierende Zwangsjacken, die dazu beitrugen, diese Widersprüche zu verstärken und wurden somit zu einer Quelle großer ökonomischer und geopolitischer Instabilität. Das Geldsystem, das nicht länger in der Lage ist, seine inneren Spannungen und Widersprüche einzudämmen, wird zerrissen und durch ein neues System ersetzt, sobald das ökonomische Gleichgewicht (vorübergehend und teilweise) wiederhergestellt ist.
Was wir tatsächlich auf der Ebene der Geldpolitik beobachten können, ist eine Art “Paradigmenwechsel” – eine qualitative Veränderung auf den Gebieten der Politik, der Theorie und der Ideologie – welcher aus der Krise und der Zunahme der Widersprüche des alten Systems entspringt und im Gegenzug die Mängel und Schwächen dieser Systeme offenbart.
Im Endeffekt ist jedoch die Krise dieser Geldsysteme, sei es des Goldstandards, des Systems von Bretton Woods oder des Euros, nur eine Widerspiegelung der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Die dem Kapitalismus innewohnenden Widersprüche und die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems sind die Ursachen des Problems.
In dieser Hinsicht ist es kein Wunder, dass wir beobachten können, dass sich die so genannten „Wirtschaftsexperten“ heute am Kopf kratzen und verzweifelt nach Lösungen suchen. Weder der Monetarismus noch der Keynesianismus bieten einen Ausweg, weil beide ganz einfach nur zwei Seiten derselben kapitalistischen Medaille sind. Aufgrund der Extremität und der Tiefe der gegenwärtigen Krise werden die Regelwerke zerrissen und akademische Lehrbücher werden auf die Schnelle neu geschrieben. Die Zentralbanken und Regierungen ziehen eine Geldpolitik in Betracht, wie das so genannte Helikoptergeld und die Quantitative Lockerung, die vor nicht so langer Zeit als undenkbar und frevelhaft betrachtet wurden.
Symptome und Krankheiten
Während die “Experten” weiterhin im Dunkeln tappen, haben einige alternative Theorien, die als Rezepte zur Bekämpfung der Geldkrise angeboten werden, an Bedeutung gewonnen. Da sind zuerst einmal diejenigen, die zum Goldstandard zurückkehren wollen und dabei hoffen, dass damit die Regierungen aufhören, Geld zu drucken und eine inflationsfördernde Geldpolitik zu betreiben. Im Wesentlichen heben diejenigen, die den Gedankengängen Hayeks folgen, die Probleme hervor, die mit dem öffentlichen und privaten Schuldenaufbau verknüpft sind, für die wiederum die Regierungsinterventionen verantwortlich gemacht werden, z. B. die Förderung von Kreditblasen durch die Festlegung extrem niedriger Zinssätze.
Was dieses Lager jedoch nicht berücksichtigt, ist, was passieren würde, wenn die Regierungen nicht in die Wirtschaft eingreifen und die Kredite nicht ausweiten würden. Würden Krisen durch die magische unsichtbare Hand des Marktes vermieden? Die heutigen Hayekianer stellen sich vor, dass ohne die Eingriffe der Regierungen die Marktkräfte des Angebots und der Nachfrage alle Probleme lösen würden. Sie glauben, dass es immer noch zu Krisen kommt, diese würden jedoch im Vergleich zur tiefen Rezession, die wir momentan erleben, nur kleine Wachstumsdellen bedeuten.
Wie wir früher erklärt haben, führen Kredite jedoch nicht in eine Krise, sondern verzögern sie nur. Wenn es in den 1970ern nicht zu einer Kreditausweitung gekommen wäre, wäre die Krise weitergegangen und hätte ein höheres Ausmaß erreicht. Die Kreditausweitung war nötig, um die Konsumkapazität der ArbeiterInnenklasse angesichts der Angriffe auf die Löhne, d. h. die Massenkaufkraft, im Namen der Profiterzielung für die Kapitalisten zu erhalten. Ohne die Ausweitung der Kredite wäre die Expansion der Produktivkräfte schon früher auf einen begrenzten Markt gestoßen, was einem effektiven Nachfragemangel gleichkommt. Unternehmen hätten angesichts einer fallenden Nachfrage nach Konsumgütern die Ausweitung der Produktion eingestellt; die Arbeitslosigkeit hätte zugenommen und der Teufelskreis der Rezession hätte eingesetzt.
Ähnlich würde heute eine Rückkehr zum Goldstandard schnell zu einer sozialen und politischen Explosion führen, da Regierungen weltweit in Ermangelung einer unabhängigen Geldpolitik versuchen, Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse zu führen, um ihren Ausweg aus der Krise durch eine „innere Abwertung“ zu exportieren. In dieser Hinsicht führt jeder Versuch der herrschenden Klasse, ein ökonomisches Gleichgewicht herzustellen, wie Trotzki in seinen Reden vor der Kommunistischen Internationale am Vorabend des Ersten Weltkriegs betonte, zur Zerstörung des sozialen und politischen Gleichgewichts und umgekehrt.
Andernorts gibt es Kampagnen wie das “Vollgeld” (Positive Money), die fordern, dass das Bankensystem unter “demokratische Kontrolle” gestellt wird. Mit Verordnungen soll die Geldschöpfung durch Banken und der Geldverleih zur Profiterzielung (durch Zinsen) beendet werden, was praktisch das Ende des Mindestreserve-Bankwesens bedeuten würde.
Im Wesentlichen versuchen derartige Kampagnen dasselbe Problem zu beleuchten wie die Anhänger Hayeks, das der Schöpfung von Krediten, fiktivem Kapital und Spekulationsblasen, fordern aber die entgegengesetzte Lösung: nicht weniger Regierungsinterventionen, sondern mehr. Im Gegenzug schlagen die Befürworter des „Vollgelds“ eine Art des „People’s Quantitative Easing“, wie auch von den Wirtschaftsberatern Jeremy Corbyns vorgeschlagen wird, bei dem neues Geld ohne entsprechende Verbindlichkeiten durch ein „unabhängiges“ Finanzgremium ausgegeben wird. Die Befürworter des „Vollgelds“ schlagen vor, dass dieses Geld nur der „Realökonomie“ durch Ausgaben und nicht durch Kredite zugeführt wird, um Investitionen in die Industrie, Infrastruktur etc. zu finanzieren.
Zwei fundamentale Mängel müssen bei diesen Vorschlägen jedoch herausgestellt werden: Erstens sind die Entwicklung des Finanzwesens (einschließlich des Mindestreserve-Bankwesens) und die enorme Kreditexpansion nicht das Produkt „gieriger Banker“ sondern das Ergebnis der Anforderungen des kapitalistischen Systems, ständig wachsen und jenseits der Grenzen des Marktes expandieren zu müssen. Mit anderen Worten, die Kredite werden, wie schon zuvor erwähnt, der Gesellschaft nicht einfach aufgezwungen, sondern sie entspringen der Notwendigkeit des Systems, seine eigenen Widersprüche – in erster Linie die der Überproduktion – zu überwinden.
Zweitens müssen wir die Frage stellen: Warum wird das „Vollgeld“ benötigt, um Geld in die Realökonomie zu lenken? Warum gibt es zu viel Spekulation und so wenige Privatinvestitionen in sozial notwendige Dinge wie Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel, regenerative Energie und Wohnungsbau?
Letzten Endes besteht das Problem nicht nur im undemokratischen Charakter des Banksystems, sondern im Privateigentum an Produktionsmitteln und den Kommandohöhen der Wirtschaft. Die Überführung der Banken in öffentliches Eigentum und die demokratische Kontrolle wären ein großer Schritt in die richtige Richtung. Das würde aber nicht das grundlegende Problem innerhalb des Kapitalismus lösen, denn man kann das, was man nicht kontrolliert, planen und man kann das, was man nicht besitzt, kontrollieren.
In diesem Sinne haben Regierungen im Kapitalismus keine echte Macht über die Banken und das Großkapital; es sind die Banken und Großkonzerne, welche über die Regierungen bestimmen. Wenn wir Investitionen in die Dinge, die die Gesellschaft wirklich benötigt, haben wollen, dann müssen wir die wichtigsten Monopole und multinationalen Konzerne übernehmen und sie verstaatlichen und unter demokratische ArbeiterInnenkontrolle als Teil eines sozialistischen Produktionsplans stellen. Solange das nicht der Fall ist, wird jede Reform des Bankwesens nur zu einem Investitionsstreik der Kapitalisten führen – ein Sabotageakt der Kapitalistenklasse, wie wir ihn gegenwärtig in Venezuela erleben.
Es gibt schließlich Anarcho-Libertäre, die ähnlich wie die Anhänger Hayeks, die Regierungen und die Zentralbanken dafür verantwortlich machen, dass sie das Monopol haben, Geld zu schöpfen und den Zinssatz festzulegen. Ihre Lösung lautet: „Digitalwährungen“ zu schaffen, wie z. B. den Bitcoin, die in ihrer Struktur dezentralisiert sind und sich jenseits der Kontrolle durch die Regierungen und Zentralbanken befinden.
Im Gegensatz zu den normalen Währungen, die im Endeffekt vom Staat gestützt werden, wird das Bitcoin-Netzwerk von Freiwilligen verwaltet, die für die Verwaltung des Netzwerks Bitcoins erhalten – ein Prozess, der als „Mining“ bezeichnet wird. Transaktionen werden unauslöschbar auf der „Blockkette“ („block chain“) , ein Konto über alle je vorgenommenen Transaktionen, gespeichert, von der jeder Nutzer eine Kopie besitzt. Diese dezentralisierte Einrichtung macht es weder einer Person oder der Organisation unmöglich, die Kontrolle über die Währung zu erlangen, stattdessen muss jede Veränderung des Netzwerks die Zustimmung aller Verwalter finden.
Trotz des Geredes der Libertären ist die Bitcoin-Währung hinter den utopischen Erwartungen zurückgeblieben. Erst einmal hat der Bitcoin Probleme weithin anerkannt zu werden und fristet ein Dasein am Rande der Ökonomie, z. B. bei anonymen Transaktionen auf Onlinemärkten wie Silk Road, weil der Rückhalt durch eine Regierung oder Zentralbank fehlt.
Zweitens ist aufgrund der Tatsache, dass er nicht weit verbreitet und keineswegs in der Realökonomie verankert ist, der Bitcoin extrem anfällig für sprunghafte Veränderungen in seinem Preis ist und kann als Spekulationsobjekt gekapert werden, so dass er keine bessere Alternative zum Geld darstellt als die traditionellen Währungen.
Schließlich ist es interessant, dass die Bitcoin-Community ihre erste Spaltung durchläuft oder – wie es ein Kommentator nannte – einen “Bürgerkrieg, welcher genau die widersprüchlichen Spannungen widerspiegelt wie in jedem anderen Währungssystem, obwohl die digitalen Währungen eigentlich geschaffen wurden, um diese zu überwinden: einerseits die Notwendigkeit die Geldmenge (oder deren Umlaufgeschwindigkeit wie im Falle der aktuellen Bitcoin-Abspaltung) zu erhöhen, um mit der Nachfrage eines expandierenden Marktes zunehmender Transaktionen Schritt zu halten und andererseits die Notwendigkeit zu verhindern, dass die Geldmenge losgelöst wird von der Realökonomie, die sie vorgibt zu vertreten.
Wie andere Bereiche der anarchistischen Theorie ist das Bitcoin-Experiment wegen der utopischen und idealistischen Analyse des Geldes, die dahinter steckt, zum Scheitern verurteilt. Genauso wie bei der Frage bezüglich des Staates und der Gesetze wurde der Gesellschaft Geld nicht von oben aufgezwungen (in diesem Fall erklären uns die Verfechter des Bitcoins von den Regierungen und Zentralbanken), sondern es ist - wie z. B. die Sprache – ein soziales Werkzeug, dass aus den Notwendigkeiten der Produktion erwächst; im Falle des Geldes aus den Notwendigkeiten eines marktbasierten Systems der Warenproduktion und des Warenaustausches.
Kurz gesagt entsteht das Problem nicht durch die “Einmischung” von Zentralbanken, sondern durch die Anarchie des Marktes, welche aus dem Privatbesitz entsteht und utopische Experimente jeglicher Art können nicht zur Lösung beitragen. Und wie bei den so genannten „Lösungen“ der Zurückkehr zum Goldstandard oder der „Demokratisierung der Banken“ müssen wir das Problem in einer materialistischen und dialektischen Weise betrachten, um nicht die Symptome der Probleme, vor denen die Gesellschaft steht, in Angriff zu nehmen, sondern die zugrundeliegende Krankheit selbst, die Klassengesellschaft und das Privateigentum.
Die Zukunft des Geldes
Wie wir in vielen Bereichen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beobachten können, wird der konservative Charakter der herrschenden Klasse, der den Status quo, der zu seinem Vorteil wirkt, das Phänomen mit einem Hauch zeitloser Mystik verhüllen. Wie es zu Beginn war, ist es auch jetzt noch und wird immer so sein. Das ist die Hymne der Ausbeuter, die die Illusion untermauern, dass der gegenwärtige Zustand die „natürliche“ und „ideale“ Ordnung repräsentiert und aus diesem Grund unveränderlich ist.
Im Gegensatz dazu haben MarxistInnen das Ziel, gründliche Materialisten zu sein, die die Ursprünge der Phänomene in Bezug auf konkrete materielle Bedingungen verstehen und deren historische Entwicklung der Veränderung durch Widersprüche skizzieren. Mit einer solchen Methode kann man nicht nur die innewohnenden Gesetze und Bewegungen eines Prozesses erklären, sondern auch verstehen, wie solche Phänomene durch andere gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst werden.
Im Kapital und seinen anderen ökonomischen Schriften wendet Marx diese Methode streng auf die Frage des Geldes an und streift dessen scheinbar mystischen und magischen Qualitäten ab, um seinen wahren zugrundeliegenden Charakter zu enthüllen. Anstelle jeglicher Ehrerbietung für das Geld legt Marx dessen materielle Basis frei und entlarvt es als das, was es ist: das notwendige Ergebnis der Warenproduktion und der -zirkulation in einem bestimmten Entwicklungsstadium.
Anders als die Bibel behauptet, ist Geld nicht die „Wurzel allen Übels“. Wie dieser Artikel gezeigt hat, indem er zurückgeschaut und die historischen Ursprünge und die Entwicklung des Geldes betrachtet hat, ist es ein soziales Mittel, das aus einem System der Warenproduktion und der –zirkulation entspringt und das wiederum mit der Frage des Privateigentums verknüpft ist, in der die Produktion nicht länger für die direkte Konsumtion, sondern für den Austausch bestimmt ist, in der Männer und Frauen sich nicht länger als Mann und Frau gegenüberstehen, sondern als Waren.
Mit der allgemeinen Durchsetzung der Warenproduktion und –zirkulation setzte sich auch das Geld- (Kredit-) System durch. Im Gegenzug verwandelten sich die sozialen Beziehungen immer mehr in Geldbeziehungen und die scheinbar allmächtige Macht und Kontrolle des Geldes begann zu wachsen. Der Kapitalismus und natürlich der Imperialismus sind die höchsten Stufen in diesem Prozess, der Moment, indem die Warenproduktion und –zirkulation universell und allgemein werden, in dem Maße, in dem die Arbeitskraft – die Fähigkeit des Arbeiters/der Arbeiterin zu arbeiten – selbst zur Ware wird und auf dem Markt frei ge- und verkauft werden kann. Das Kreditsystem hat sämtliches Geld in Kapital verwandelt: selbst verwertender Wert
Kurz gesagt, man kann das Geld nicht einfach abschaffen. Um die Welt vom Geld und den damit verbundenen Plagen loszuwerden, müssen das System der Warenproduktion und der –zirkulation , das es hervorgerufen hat, beseitigen. D. h. wir müssen den Privatbesitz an Produktionsmitteln abschaffen und die Rückkehr zu einem Gemeineigentum an Werkzeugen, Technologie und gesellschaftlichem Wohlstand herbeiführen. Eine solche Gesellschaft würde nicht die des „primitiven Kommunismus“ sein, den unsere Vorfahren in der Urgesellschaft erlebten, sondern ein Kommunismus auf einem wesentlich höheren Niveau der ökonomischen, wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung – eine Überflussgesellschaft.
Wie sieht denn nun die Zukunft des Geldes aus? Wird es z. B. in einer sozialistischen Gesellschaft Geld geben?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns daran erinnern, was schon vorher festgestellt wurde, dass Geld als Teil der Warenproduktion und –zirkulation entsteht. Die Existenz von Waren wiederum beinhaltet die Existenz des Privateigentums, des Privatbesitzes an Produktionsmitteln und Arbeitsprodukten. Die ersten Schritte in einer sozialistischen Ökonomie wären deshalb die Übernahme der wichtigsten Schalthebel der Wirtschaft – der Banken, der wichtigsten Monopole, der Infrastruktur und des Bodens. Diese müssen einem rationalen und demokratischen Produktionsplan unterworfen werden, mit anderen Worten, die Produktion muss vergesellschaftet und der Reichtum der Gesellschaft in die öffentliche Hand überführt werden.
Mit einem solchen Schritt würde die große Mehrheit der gesellschaftlichen Gebrauchswerte jetzt auf soziale Weise produziert und besessen. Es würde nicht länger die Notwendigkeit für den Austausch von Waren und Dienstleistungen bestehen, stattdessen würden die Menschen mit ihrer Arbeit „entsprechend ihren Fähigkeiten“ zur Gesellschaft beitragen und sich „entsprechend ihren Bedürfnissen“ aus dem gemeinsamen Topf bedienen. Die Arbeitsprodukte, die gemeinsam produziert und über die gemeinsam verfügt wird, werden nicht länger ausgetauscht und verlieren auf diese Weise ihren vorherigen Status als Ware.
Die Warenproduktion und –zirkulation würden sicherlich teilweise in den frühen Stadien einer sozialistischen Gesellschaft weiterbestehen, da die gesamte Wirtschaft nicht mit einem Schlag einem gemeinsamen demokratischen Plan unterworfen werden kann. Kleine Produzenten und Besitzer von Geschäften – das Kleinbürgertum – würden eine Zeit lang weiter existieren. Aber die bedeutendsten „Kommandohöhen“ der Wirtschaft würden Teil eines sozialistischen Produktionsplans sein und so würde der größte Teil des Reichtums nicht in Form von Waren bestehen. Und durch die Effektivität und der Überlegenheit der demokratisch geplanten Ökonomie würden die kleinen Produzenten mit der Zeit überzeugt und angeregt, sich dem gesellschaftlichen Plan anzuschließen, somit würden die Überbleibsel der Warenproduktion allmählich verschwinden.
Mit der Auflösung der Warenproduktion und –zirkulation würde der gesellschaftliche Bedarf nach Geld – genauso wie der gesellschaftliche Bedarf nach dem Staat – ebenfalls verschwinden. Immer weniger Waren würden getauscht, stattdessen könnten sie einfach gratis in kommunalen Geschäften, Supermärkten, Restaurants etc. zur Verfügung gestellt werden.
Wir können diesen Prozess in embryonaler Form bei Institutionen wie dem National Health Service in Britannien und der gesetzlichen Krankenversicherung in der BRD bereits im Kapitalismus beobachten, wo jeder ins Krankenhaus gehen kann und behandelt wird, ohne dafür zahlen zu müssen. Innerhalb des modernen kapitalistischen Systems, in dem es der ArbeiterInnenklasse gelungen ist, durch den Klassenkampf, öffentlich finanzierte Dienste wie dem National Health Service und einen Sozialstaat zu gewährleisten, wird der Lohn der ArbeiterInnen faktisch in zwei Teile aufgeteilt: ein Lohn, der von den Arbeitgebern im Austausch für die Arbeitskraft gezahlt wird und ein „sozialer Lohn“ öffentlich zur Verfügung gestellter Leistungen und Dienstleistungen, die bei der Nutzung gratis sind und im Bedarfsfall angeboten werden.
In der Übergangsphase vom Sozialismus zum Kommunismus würde das Verhältnis zwischen diesen beiden Komponenten sich dramatisch in Richtung der letzteren bewegen. Der nicht sichtbare „soziale Lohn“ würde enorm ansteigen, während der Arbeitslohn verschwinden würde. Es gäbe nicht nur die kostenlose Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen, sondern auch die Beförderung, Wohnungen, Elektrizität, Lebensmittel, Bekleidung etc. und sogar Luxusgüter würden, ohne dass es zu einem Austausch käme, als Bestandteil des sozialistischen Produktionsplans zur Verfügung gestellt.
Das gesamte Wertkonzept würde allmählich an Bedeutung verlieren und eher als Repräsentanz des Tauschwerts – d. h. der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit – fungieren. Stattdessen könnten Wertmarken ausgegeben werden, die den Einzelnen die Berechtigung für einen Anteil an den gemeinsamen Arbeitsprodukten gäben. In mancher Beziehung würden sie den Bezugskarten, die im II. Weltkrieg ausgegeben wurden, ähneln. welche jedem Bürger/jeder Bürgerin eine bestimmte Menge an Grundnahrungsmitteln zugestanden. Nur unter dem Sozialismus befände sich das System auf einem qualitativ höherem Niveau der ökonomischen Entwicklung und die Produkte würden aufgrund der Knappheit nicht rationiert und beschränkt, sondern auf der Basis des Überflusses großzügig und gratis geteilt. Auf der Grundlage der gegenwärtigen Technologie könnten solche realen Wertmarken durch einfache digitale Informationen ersetzt werden.
Zwischenzeitlich würde die produktive Kapazität, die der Gesellschaft zugänglich gemacht würde, auf der Basis riesiger Investitionen in Wissenschaft, Technologie und Automatisierung enorm steigen und das gesamte „Einkommen“, d. h. die Menge aller Waren und Dienstleistungen, die dem Einzelnen zugewiesen werden, würden ebenfalls steigen. Der Lebensstandard würde generell massiv erhöht werden.
In den frühen Stadien dieser Übergangsgesellschaft würden das Geld und die Preissignale für Angebot und Nachfrage weiter benötigt werden, um anzuzeigen, wo Mangel besteht und wo Investitionen durch die Planwirtschaft erforderlich sind. In dieser Hinsicht würden auch Banken benötigt. Aber anstatt diesen Finanzapparat für das Lenken und Schleusen des Geldes zur Profitgewinnung der Kapitalisten zu nutzen, würde das Banksystem unter sozialer und demokratischer Kontrolle des ArbeiterInnenstaates, als Teil einer sozialistischen Planwirtschaft, genutzt, Investitionen zu tätigen, um den Mangel zu beseitigen, die Produktivität zu erhöhen und die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen.
Wenn immer größere Teile der Wirtschaft dem sozialistischen Produktionsplan unterworfen werden und der Mangel beseitigt wird, würde der Bedarf an Geld und Preissignalen ebenfalls verschwinden und die Gesellschaft würde stattdessen demokratisch entscheiden, welche Ziele Priorität haben und wo die vorhandenen materiellen, technologischen und menschlichen Ressourcen zu investieren sind.
Das enorme Planungsniveau, das wir gegenwärtig bei den multinationalen Konzernen im Namen des Profits beobachten können, könnte weltweit angewandt werden, um die Anarchie und das Chaos durch die „unsichtbare Hand des Marktes“ zu beseitigen und eine Welt voll Überfluss für alle zu sichern. Mit den uns zur Verfügung stehenden riesigen Produktivkräften in der gesamten Welt gibt es keinen Grund, warum wir nicht schnell zu einer Gesellschaft des Überflusses gelangen können, in der wir unsere Bedürfnisse nach Belieben befriedigen können, ohne Geld zu benötigen und in der Gewissheit, dass der Mangel eine Fehlentwicklung der Vergangenheit ist.
Die heutige herrschende Klasse versucht mit dem Mythos hausieren zu gehen, der Kapitalismus bedeute Freiheit. Aber wie Robert Tresells Protagonist Frank Owen in Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen erklärt, werden wir im Kapitalismus alle „mit einer Goldkette gebunden und gefesselt“ von einer Diktatur der Banker regiert. Im Sozialismus jedoch, in dem wir die wirkliche ökonomische Kontrolle in unseren Händen halten, würde die Gesellschaft im eigentlichen Sinne frei: frei von der Macht des Kapitals und der unsichtbaren Hand des Marktes. Mit Engels‘ Worten bedeutete das „den Aufstieg des Menschen aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“.
Überlassen wir Leo Trotzki das letzte Wort in dieser Angelegenheit:
„In der kommunistischen Gesellschaft werden Staat und Geld verschwunden sein. Ihr allmähliches Absterben muss also schon unter dem Sozialismus beginnen. Von einem tatsächlichen Sieg des Sozialismus wird man erst in dem geschichtlichen Augenblick sprechen können, wenn der Staat nur noch halb ein Staat ist und das Geld seine magische Kraft einzubüßen beginnt. Das wird bedeuten, dass mit dem Sozialismus, der sich der kapitalistischen Fetische entledigt, zwischen den Menschen durchsichtigere, freiere, würdigere Beziehungen zu walten beginnen. Für den Anarchismus charakteristische Forderungen wie „Abschaffung“ des Geldes, „Abschaffung“ des Arbeitslohns oder „Aufhebung“ des Staates und der Familie können nur als Musterbeispiele mechanischen Denkens Interesse beanspruchen.“
„Das Geld kann man nicht willkürlich „abschaffen“, und den Staat oder die alte Familie nicht ‚aufheben‘, sie müssen ihre historische Mission erfüllen, verwelken und verschwinden. Dem Geldfetischismus wird erst auf der Stufe der Todesstoß versetzt sein, wo ein unaufhörliches Wachsen des gesellschaftlichen Reichtums den Zweifüßlern ihr Geizen mit jeder Minute Mehrarbeit und ihre demütigende Angst um die Größe ihrer Ration abgewöhnt haben wird. Mit dem Verlust seiner Eigenschaft, Glück zu bringen und in den Staub zu werfen, wird sich das Geld in einfache Rechenbelege verwandeln, zur Bequemlichkeit der Statistik und der Planaufstellungen. Noch später wird es wahrscheinlich auch solcher Quittungen nicht mehr bedürfen. Doch diese Sorge können wir getrost unseren Nachkommen überlassen, die klüger sein werden als wir.“ (Die verratene Revolution, Kapitel IV)
Was ist Geld? Woher kommt es? Und was bedeutet es? (Teil 4) Was ist Geld? Woher kommt es? Und was bedeutet es? (Teil 3) Was ist Geld? Woher kommt es? Und was bedeutet es? (Teil 2) Was ist Geld? Woher kommt es? Und was bedeutet es? (Teil 1)
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