Bei der von Chaos und Ungereimtheiten begleiteten Berlin-Wahl wurde die SPD mit 21,4 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Gleich darauf folgen die Grünen mit 18,9 Prozent und die CDU mit 18,1 Prozent. Die LINKE verlor 1,6 Prozentpunkt und landete bei 14,0 Prozent, während die AfD im Vergleich zur letzten Wahl fast die Hälfte ihrer Stimmen verlor und auf 8,0 Prozent kam. Schlusslicht wurde die FDP mit 7,2 Prozent.
Wer hat Angst vorm Volksentscheid?
Überschattet wurde die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vom Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen!“ (DWE). Seit über zwei Jahren schafft es die Bewegung Zehntausende für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne zu mobilisieren. Bei Großdemos genauso wie bei den Unterschriftensammlungen für das Volksbegehren. Bei diesen Unterschriftensammlungen, die vom bürgerlichen Staat eigentlich als Hürde eingebaut sind, um Volksentscheide möglichst schwer zu machen, sammelte DWE mit Leichtigkeit die nötige Anzahl Unterschriften. Der Druck der Bewegung erzwang sogar den Mietendeckel, der jedoch vom Bundesverfassungsgericht annulliert wurde.
Die herrschende Klasse bekam Angst. Angesichts des wachsenden Drucks von unten wurde ihr mulmig bei dem Gedanken, dass eine Rot-Rot-Grüne Regierung im Amt ist. Die Parteiführungen von SPD und Grünen sprachen sich zwar gegen die Enteignung der Immobilienkonzerne aus. Aber noch beim Landesparteitag der Berliner SPD 2019 stimmten ganze 40 Prozent der Delegierten für die Enteignung. Auch viele Basismitglieder der Grünen unterstützten den Volksentscheid. Und die LINKE sprach sich als Gesamtpartei dafür aus und beteiligte sich an der Kampagne. Die herrschende Klasse sah die Gefahr, dass der Druck von Unten die Politiker der Rot-Rot-Grünen Regierung unter gewissen Umständen weitertreiben könnte als sie selbst wollten.
Die herrschende Klasse musste die Berliner Landespolitik wieder fest in den Griff kriegen. Zum einen erhielt die Berliner CDU eine Rekordsumme an Parteispenden. Die Lösung war aber vor allem ein Wechsel an der Spitze der Berliner SPD. Auf Michael Müller als Landesvorsitzenden folgte Franziska Giffey, die die Partei weg von Rot-Rot-Grün und der LINKEN und hin zur „bürgerlichen Mitte“ ausrichtete. Sie erklärte offen, dass sie bereit sei eine Koalition mit CDU und FDP zu bilden und sprach sich klar gegen Enteignungen aus. Eine Regierung mit CDU- oder FDP-Beteiligung müsste ein Garant gegen die Enteignung sein und würde der SPD sogar noch eine einfache Ausrede gegenüber der Basis geben („Mit den Schwarzen ist das nicht zu machen…“), so das Kalkül der Herrschenden. Mit dieser Strategie erzielte Giffey im Wahlkampf zwar keine großen Erfolge (das Ergebnis glich fast auf die Nachkommastelle genau dem der letzten Wahl und das trotz des bundesweiten Höhenflugs der SPD), aber es reichte um die Wahl zu gewinnen und andere Koalitionen neben Rot-Rot-Grün zu ermöglichen.
CDU mit R2G verhindern?
Gegen Giffeys Neuorientierung der SPD wurde von unterschiedlicher Seite Kritik laut. So sprachen sich nach der Wahl drei von zwölf SPD-Kreisverbänden klar für Rot-Rot-Grün und gegen eine Koalition mit der CDU aus. Die Berliner Jusos, zusammen mit der Linksjugend ['solid] und der Grünen Jugend erteilten der Rot-Rot-Grünen Koalition schon vor der Wahl den Auftrag zum „weitermachen!“ um die CDU an der Regierung zu verhindern. Die Logik dahinter ist wohl, dass es wahrscheinlicher sei, dass Rot-Rot-Grün die Enteignung der Immobilienkonzerne umsetzt, als eine Regierung mit CDU- oder FDP-Beteiligung. Aus diesem Grund unterstützt auch DWE eine Rot-Rot-Grüne Koalition.
Würde Rot-Rot-Grün das Volksbegehren umsetzen?
Alles spricht dafür, diese Frage mit Nein zu beantworten. Die führenden SPD-Politiker sind erprobte Interessensvertreter der Kapitalistenklasse. Giffey hat sich klar gegen die Enteignung ausgesprochen, auch wenn sie jetzt davon spricht, dass man das Ergebnis des Volksbegehrens anerkennen müsse. Im selben Atemzug mahnt sie „juristische Prüfungen“ an. Es ist klar, dass sie alles dafür tun wird, das Vorhaben mit allerlei juristischen Tricks und parlamentarischen Manövern zu ersticken. Auch die Grünen wollen von Enteignung nichts wissen. Vielmehr wollen sie das Votum nutzen um den Immobilienkonzernen freiwillige Zugeständnisse („Mietenschutzschirm“) abzuringen.
Rot-Rot-Grün war und wäre auch in Zukunft eine bürgerliche Regierung die fest auf dem Boden des Kapitalismus, d.h. des Privateigentums steht. SPD und Grüne, die tausende Fäden legaler und illegaler Bestechung mit den Kapitalisten verbinden, würden innerhalb der Koalition die Mehrheit stellen. Die LINKE wäre, wie bisher, gezwungen jeden Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse, jede Kürzung, jede schwarze Null, mitzutragen. Wenn SPD und Grüne sich sperren, wird die LINKE in der Regierung keine Enteignung durchsetzen.
Manche mögen den Mietendeckel als Folge der Regierungsbeteiligung der LINKEN anführen. Mal abgesehen davon, dass er vom Verfassungsgericht gekippt wurde und Rot-Rot-Grün nichts tun konnte, als hilflos dabei zuzusehen, muss festgehalten werden: Der Mietendeckel war Resultat des riesigen Drucks einer Massenbewegung auf der Straße, nicht von geschickten parlamentarischen Manövern oder „geduldiger Regierungsarbeit“. Und das ist auch der einzige Weg, wie die Umsetzung des Volksentscheids und anderer Verbesserungen erreicht werden kann: mit Großdemos, Streiks und Mietstreiks.
Kleineres Übel?
Wenn Rot-Rot-Grün auch nicht perfekt ist, so mag es doch als kleineres Übel gegenüber einer Regierung mit CDU-Beteiligung erscheinen. Die Logik des kleineren Übels führt die LINKE jedoch unausweichlich tiefer in die Existenzkrise. Durch die Beteiligung an der bisherigen Rot-Rot-Grünen Regierung, war die LINKE gezwungen, eine ganze Reihe kapitalistischer Angriffe auf die Arbeiterklasse mitzutragen: Die geplante Zerschlagung und Teilprivatisierung der S-Bahn ist nur ein Beispiel dafür. Auch die tödliche Sparpolitik bei den kommunalen Berliner Krankenhäusern Charité und Vivantes, die jetzt die Beschäftigten in den Streik zwingt, hat die LINKE mitzuverantworten. Wer soll sie ernst nehmen, wenn sie sich einerseits auf Streikkundgebungen in kämpferischen Reden auf die Seite der Beschäftigten stellt und gleichzeitig in der Landesregierung die Sparpolitik selbst mitverantwortet?
Der Weg des kleineren Übels, das Unterordnen unter die Interessen des Kapitals in einer bürgerlichen Regierung macht die LINKE unglaubwürdig. In der Folge wird sie immer mehr als etablierte Partei wahrgenommen und entsprechend abgestraft. Die Folge sind einbrechende Zustimmungswerte und Wahlniederlagen, wie sie die LINKE im ganzen Osten erfährt. In Thüringen, wo die LINKE regiert, erhielt sie bei der Bundestagswahl nur noch ca. 11 Prozent, während die AfD stärkste Kraft wurde. Auch in Berlin macht sich dieser Trend bemerkbar: In Marzahn-Hellersdorf verlor Petra Pau (LINKE) ihren Wahlkreis, den sie in der Vergangenheit immer gewonnen hatte, an die CDU! Profiteure dieser Entwicklung sind rechte Demagogen wie die AfD, die sich angesichts des Opportunismus der LINKEN als vermeintlich einzige Opposition gegen den Status Quo gebärden können.
In den Abgeordnetenhauswahlen war die LINKE die einzige Partei, die den Volksentscheid klar unterstützte. Ein Volksentscheid, dem 59 Prozent der Berliner zustimmten. Und trotzdem konnte die LINKE bei der Wahl daraus überhaupt keinen Profit schlagen und verlor 1,6 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl, um bei 14 Prozent zu landen. Das ist die Folge angepasster Politik und eines reformistischen blutarmen Wahlkampfs. Die Unterstützung des Volksentscheids ging kaum über Lippenbekenntnisse hinaus. Statt kämpferischer Parolen wurden potenzielle Wähler mit den Hirngeburten irgendwelcher Werbeagenturen gelangweilt (z.B. „Hauptstadt. Weltstadt. Aber vor allem: Dein Zuhause!“).
Sozialistische Opposition!
Angesichts der kapitalistischen Politik von SPD und Grünen ist klar was es in Berlin braucht: Eine sozialistische Opposition! Die LINKE sollte aus der Opposition heraus anbieten, eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen zu unterstützen, um eine Regierung mit CDU oder FDP zu verhindern. Die LINKE sollte dann jedem Gesetz, das der Arbeiterklasse nutzt, zustimmen, aber konsequent gegen jeden Angriff auf deren Lebensstandard stimmen. Vor allem sollte sie selbst sozialistische Forderungen ins Parlament einbringen: Umsetzung des Volksentscheids, Verstaatlichung aller Berliner Kliniken unter Belegschaftskontrolle, Ende der Sparpolitik, Krisenlösung auf Kosten der Konzerne, Banken und Heuschrecken.
So könnte die LINKE das Parlament als Bühne nutzen und die anderen Parteien und ihre pro-kapitalistische Politik bloßstellen. Zusammen mit einer aktiven Beteiligung bei Bewegungen wie DWE und in den Gewerkschaften kann so eine Kraft entstehen, die den Kapitalisten in Berlin das Handwerk legt.
- Kompromisslose Umsetzung des Volksentscheids!
- Kein Rot-Rot-Grün. Die LINKE in die sozialistische Opposition!
- Die Arbeiterbewegung muss in die Offensive!
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