Kategorie: Deutschland

Würzburg: „Wir leben wie die Ratten – und mit den Ratten“

Ein Wohnhaus in Würzburg zeigt die fürchterlichen Auswüchse des privaten Wohnungsmarkts. Im Stadtteil Grombühl soll aufgrund von gefährlichen Baumängeln ein Wohnhaus an der Grombühl-Brücke geräumt werden.

Bild: der funke


Damit könnte den Bewohnerinnen und Bewohnern in den kommenden Tagen die Obdachlosigkeit drohen. Wir haben mit Betroffenen vor Ort gesprochen. DIE LINKE und die DGB-Gewerkschaften müssen jetzt Druck auf die Stadtverwaltung aufbauen und sie zum Handeln zwingen.

Der Eigentümer des Wohnhauses an der Grombühl-Brücke hatte vor etwa zehn Jahre die ehemaligen Labor- und Büroräume illegal zu insgesamt 75 Wohnungen umbauen lassen, obwohl er nur eine Genehmigung für 26 Wohneinheiten erhalten hatte. Laut einem Bericht des BR untersagte die Bauaufsicht dem Eigentümer bereits im Juni 2019 die Nutzung für insgesamt 51 Wohnungen. Sie stellte fest, dass die Wohnungen die Anforderungen von Aufenthaltsräumen nicht erfüllen und keine angemessenen Fluchtwege vorhanden sind. Im Falle eines Brandes wären die Bewohnerinnen und Bewohner der Gefahr schutzlos ausgeliefert. Die Eigentümer hätten die Wohnungen demzufolge räumen und den Bewohnern Ersatzunterkünfte beschaffen müssen. Unter derartigen Umständen bestünde für die Mieter rechtlich gesehen zumindest Anspruch auf eine Mietminderung von 100 Prozent.

Seither ist allerdings nicht viel passiert und die Eigentümer kassieren in der Zwischenzeit weiter fleißig die viel zu hohen Mieten der Bewohner. Dass die Stadt die Wohnungen bisher immer noch nicht geräumt hat, liegt auch daran, dass immer weniger städtische Wohnung mit Sozialbindung vorhanden sind. Die Klagen der Eigentümer gegen die Nutzungsuntersagung der Stadt Würzburg wies das Verwaltungsgericht mit der Begründung ab, dass „eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben der betreffenden Bewohner sowie etwaiger Besucher“ bestehe.

Die Wohnbedingungen sind grausam

Wir waren vor Ort, um uns selbst ein Bild von der Situation zu machen. Mehrere Mieter haben uns freundlicherweise ihre Wohnungen gezeigt und waren bereit, mit uns über die aktuellen Zustände und Ereignisse zu sprechen. Eine Bewohnerin – wir nennen sie im Folgenden zu ihrem Schutz P. – erzählte, dass die Kellerwohnungen einige Jahre nach Bekanntgabe der illegalen Umbauten geräumt wurden und die Bewohner daraufhin in die oberen Etagen gezogen seien. Das habe an der Situation und an den Wohnzuständen aber nichts geändert. Sie selbst wohne seit mehreren Jahren in einer der Wohnungen und zahle fast 700 Euro Miete. Angaben über die Wohnfläche seien im Mietvertrag nicht vorhanden. Die Größe der Wohnung verrät aber, dass sich der Quadratmeterpreis im Segment von Luxuswohnungen bewegt. Notwendige Reparaturen würden hier nur selten und oberflächlich durchgeführt. Die undichten Fenster zur vielbefahrenen Nordtangente habe P. selbst mit Klebefolie versiegeln müssen, nachdem der Eigentümer dahingehend untätig blieb.

In einem Gespräch wurde uns erzählt, dass ein Bewohner die Kosten von mehreren Hundert Euro für die Entfernung von Schimmel an Wand und Boden selbst hat zahlen müssen. Ein Mietmangel, für dessen Kosten der Vermieter selbst aufkommen muss, vor allem dann, wenn es im Winter oft nur kaltes Wasser gibt und die Heizung nicht funktioniert. Die Reparaturkosten habe der Vermieter selbst kassiert – in bar.

Eine Bewohnerin führte uns durch das Treppenhaus in den Keller. Das Haus hat mehrere Kellergeschosse. Das Treppenhaus ist nur schwach beleuchtet und macht überhaupt nicht den Anschein, als würden dort unten noch Menschen leben. Es wirkt wie aus dem dystopischen Film „Parasite“ des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho. Der Gang zu den Kellerwohnungen ist sehr eng und die Luft dort unten sehr stickig. Elektroschalter sind nicht gesichert.

Wir kamen mit einer weiteren Person ins Gespräch. Sie erzählte uns von einer Wohnung, die seit einer Woche keinen Strom bekomme. Dort habe der Hausmeister mithilfe eines Verlängerungskabels den Strom in die Wohnung verlegt. „Wir leben hier wie die Ratten – und mit den Ratten“, erzählt sie uns hinsichtlich der Zustände im Keller. Wir bekamen Zutritt zu einer der Kellerwohnungen. Diese hat nur ein Fenster, das auf die vielbefahrene Nordtangente zeigt. Öffnet man es, ist es laut und die Abgase des Verkehrs ziehen direkt in die Wohnung. Im Falle eines Brandes bliebe der Bewohnerin nichts anderes übrig als aus dem Fenster zu springen. „Aber lieber breche ich mir ein Bein als zu sterben.“, meinte sie zu uns.

Zeit zu handeln

Wie die Stadt Würzburg angesichts derartiger Mietverhältnisse weiter vorgehen möchte, ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Die Gefahr einer Räumung ohne jegliche Wohnperspektive steht für die Bewohner nun unmittelbar bevor. Die jahrelange Untätigkeit der Stadt hat dabei gezeigt, dass auf die städtische Bürokratie hinsichtlich der Wohnungsfrage kein Verlass ist. In einem älteren Artikel haben wir bereits dargestellt, wie die Stadt Würzburg für die unerträglichen Mietverhältnisse selbst verantwortlich ist. Die Knappheit von angemessenem Wohnraum durch Privatisierung und Spekulation haben solche Mietverhältnisse erst möglich gemacht.

Im Falle des Wohnhauses an der Grombühl-Brücke zeigt sich in aller Deutlichkeit, wie akut die Wohnungsfrage geworden ist und wie dringend nun Handlungsbedarf besteht. Zu einer Zeit, in der radikale Forderungen wie die Enteignung und Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen auf der Tagesordnung stehen, sind DIE LINKE und die DGB-Gewerkschaften in der Pflicht, jetzt in die Offensive zu gehen. Die prekäre Wohnungslage im Wohnhaus an der Nordtangente braucht ein konkretes Programm das sofort Abhilfe verschafft:

  • Unterbringung der Bewohner auf Kosten des Eigentümers in menschenwürdigen Unterkünften, bis ihnen angemessene Wohnungen durch die Stadt Würzburg zur Verfügung gestellt werden.
  • Die entschädigungslose Enteignung des Wohnhauses an der Grombühl-Brücke und Sanierung des Gebäudes auf Kosten des gegenwärtigen Eigentümers. Die neuen Wohnungen sollen unwiderruflich in die Sozialbindung überführt werden.
  • Vergesellschaftung von Leerstand in Würzburg, um den Bewohnern des Wohnhauses an der Grombühl-Brücke, einen festen und menschenwürdigen Wohnsitz zu geben.

Nicht vergessen, wofür man steht

Bisher haben DIE LINKE und die DGB-Gewerkschaften in Würzburg unseres Wissens nach, keine öffentlich wirksame Stellung zu den Verhältnissen im Wohnhaus bezogen. Auch wurden keine Schritte unternommen, die Zustände z.B. mit Kundgebungen oder Demonstrationen zu skandalisieren und auf die Lage der Bewohner aufmerksam zu machen.  Die Bundestagswahl habe bisher die wenigen Kapazitäten gefesselt. Dabei hätte eine solche Aktion in Würzburg einen Impuls für die Debatte über die Vergesellschaftung von Wohnraum setzen können. Parallel zur Bundestagswahl fand das Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienkonzernen in Berlin statt. Über eine Millionen Menschen sprachen sich dafür aus.

Auch in Würzburg wird gewissenlos Profit mit Wohnraum gemacht. Deshalb braucht es auch hier die Initiative einer starken Vertretung der Interessen von Mieterinnen und Mietern gegen Mietenwahnsinn und Wohnungsnot. Gerade die Bewohner des Wohnhauses in Grombühl brauchen die Möglichkeit ihre Sorgen und Ängste zu teilen. Vor allem aber die Möglichkeit sich zur Wehr zu setzen und aus den elenden Zuständen, in die sie gezwungen werden, auszubrechen. Das könnte einen Anstoß geben für Veränderungen im Interesse der Allgemeinheit. DIE LINKE und DGB-Gewerkschaften sollten jetzt in die Offensive übergehen und sich der Situation der Bewohner des Wohnhauses annehmen. Wir müssen zusammen auf der Straße für die Zukunft der Bewohner und für eine Stadt kämpfen, in der es solche Zustände nicht mehr gibt!

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