Kategorie: Europa

Ein politisches Erdbeben – eine erste Bilanz der Wahlen in Italien

Die Wahlen am 4. März haben die italienische Politik gleich einem Erdbeben schwer erschüttert. Von der Redaktion unserer italienischen Schwester-Zeitung „Rivoluzione“.


Was einem sofort ins Auge springt, ist die Tatsache, dass die Parteien, die über Jahre die Regierungsfähigkeit des italienischen Kapitalismus garantiert haben, massiv verloren haben. Die Demokratische Partei (PD) hat im Vergleich zur letzten Wahl im Jahr 2013 2,5 Millionen Stimmen eingebüßt, Forza Italia 2,7 Millionen. Dazu müsste man noch die fast 3,6 Millionen Stimmen hinzuzählen, die damals die Liste von Mario Monti, dem vormaligen bürgerlichen Ministerpräsidenten, erhalten hat.

Was die politischen Kommentatoren das „Zentrum“ nennen - damit sind jene Parteien gemeint, die die Bourgeoisie als vertrauenswürdig erachtet – ist sprichwörtlich zerronnen. Das bürgerliche Wunschszenario einer Regierungsbildung auf der Grundlage der parlamentarischen Kräfte von Forza Italia und der Demokratischen Partei ist impraktikabel.

Das italienische aber auch das internationale Kapital steht vor einem großen Problem. Wie ist es mit einem Parlament mit sehr unklaren Mehrheitsverhältnissen möglich eine Regierung zusammen zu zimmern, die ihre grundlegendsten Interessen durchsetzt?

Der Zusammenbruch all jener Parteien, die in den letzten Jahren die zentralen Eckpfeiler der italienischen Regierungen gebildet haben, liegt ein Element zugrunde, das wir jenseits der Demagogie der Fünf-Sterne-Bewegung und der reaktionären Wahlkampagne der Rechten als tiefgreichenden Klassenhass begreifen sollten.

Fünf Sterne in die Regierung?

Die wichtigsten, man kann sagen die ausschließlichen Nutznießer dieser Entwicklung sind die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega. Die Fünf-Sterne-Bewegung konnte weit mehr Stimmen gewinnen, als ihr in Umfragen vorhergesagt worden war, und ist vor allem im Süden des Landes mit 45-55% der Stimmen die bei weitem stärkste Partei. Wie schon beim gescheiterten Verfassungs-Referendum vom November 2016 brachte der Süden auch bei dieser Wahl eine massive Oppositionsstimmung zum Ausdruck.

Die Stimmen für die Fünf-Sterne-Bewegung kommen Großteiles von ArbeiterInnen, prekär Beschäftigten, Arbeitslosen und aus dem deklassierten Mittelstand. Das sind die sozialen Schichten, die in den Jahren der Krise am stärksten unter Druck geraten sind und deren Protesthaltung in erster Linie aus den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und dem Vertrauensverlust in das System genährt wird. Die Kampagnen der bürgerlichen Medien gegen den Populismus der Fünf-Sterne-Bewegung zeigen bei Millionen Menschen keine Wirkung mehr. Die Menschen sind sich bewusst, dass ihnen jegliche Zukunft gestohlen wurde, und mediale Kampagnen gegen den Populismus verstärken zeitweilig nur die Stimmung gegen die herrschende Klasse.

Auch die Tatsache, dass die Lega Berlusconis Forza Italia deutlich überholte, wurde von den Meinungsforschern nicht vorhergesagt. Die Lega hat auch in den nun schon sturmreifen ehemals roten Hochburgen stark zugelegt. In der Emilia, in den Marchen, in Umbrien und in der Toskana kommt sie überall auf 17-20 Prozent, ähnlich dem landesweiten Ergebnis. Dem muss man hinzufügen, dass die Lega erstmals auch in einigen Landstrichen im Süden deutliche Stimmengewinne zu verzeichnen hat.

Die Zugewinne der Lega zeigen zweifelsohne, dass ein Teil der Wählerschaft die Demagogie vom Bürgerkrieg unter den Armen und die rassistische Argumentation der Rechten übernommen hat. In Italien wird seit geraumer Zeit eine widerliche rassistische Kampagne sondergleichen betrieben, und das spiegelt sich auch im Wachstum der neofaschistischen Gruppierungen wider.

Ein Teil der Stimmen für die Lega muss jedoch auch dieser generellen Anti-System-Stimmung zugeschrieben werden, auch wenn sie sich in extrem verzerrter und reaktionärer Art und Weise ausdrückt. Wer im rechten Spektrum die Lega wählte, der wollte sich auch bewusst von Forza Italia (FI) distanzieren, die als zu anfällig für künftige politische Zusammenarbeit mit der Partito Democratico (PD) gilt. Die defacto-Großen Koalitionen von PD und FI bildete die Grundlage der Regierung Monti (November 2011 bis April 2013) und in weniger offener Form unter den Regierungen von Letta (April 2013 bis Februar 2014) und Renzi (Februar 2014 bis Dezember 2016) und sind nicht vergessen. Das Wahlversprechen der Lega, dass man die letzte Pensionsreform wieder zurücknehmen würde, war ein wesentlicher Faktor, dass sie in diesem hohen Ausmaß Arbeiterstimmen holen konnte.

Das hier ist nicht der Ort, um über künftige Koalitionsformen zu spekulieren. Die Fünf Sterne sehen sich jedenfalls schon einen Schritt vor dem Einzug in die Regierung. Das ist wohl ein notwendiger und unausweichlicher Prozess. Luigi Di Maio, der Spitzenkandidat der Fünf Sterne, soll ruhig in den Palazzo Chigi (den Regierungspalast) einziehen. Er soll dort zeigen, wie er es sich vorstellt, die Interessen seiner Wählerschaft mit jenem eines kapitalistischen Systems unter einen Hut zu bringen, das nicht anders kann, als weitere unsoziale Maßnahmen durchzusetzen.

Einmal mehr sehen wir die These bestätigt, dass die Massen derzeit nach dem Ausschlussverfahren agieren. Sie testen die verschiedenen politischen Kräfte, Parteien und deren Führungspersonal ab und ziehen ihre Schlussfolgerungen basierend auf den eigenen gemachten Erfahrungen. Keine Moralpredigt und keine Propaganda kann den unvermeidlichen Prozess ersetzen, dass in Italien das klassenübergreifende Missverständnis, das in der Fünf-Sterne-Bewegung ihren Ausdruck findet, auf die Probe gestellt und durch die Praxis überwunden wird.

Die Niederlage der Linken

Die Linke hat schlussendlich bei diesen Wahlen eine neuerliche und besonders vernichtende Niederlage erlitten. Diese Wahl bestätigt dieses Gefühl in der Bevölkerung, dass die Linke in erster Linie für die Verwaltung der bürgerlichen Herrschaft und die von der EU aufgezwungene Sparpolitik steht. In der Masse der Wählerinnen und Wähler verschwimmen die feinen Unterschiede zwischen den verschiedenen linken Listen. Alle werden in einen Topf geworfen und mit einem einzigen Etikett versehen. Das negative Urteil der Menschen über die Linke hat sie im Großen und Ganzen auch völlig verdient.

Diese Erkenntnis muss unser Ausgangspunkt sein. Das Gejammer jener, die die Niederlage der Linken auf die angebliche Rückständigkeit der Massen zurückführen, weisen wir zurück.

Die PD gilt in der Wählerschaft als völlig abgehoben, von diesem Bild konnte sich auch die Liste „Liberi e Uguali“, eine linken Abspaltung der PD, nicht abheben. Dies erklärt deren ziemlich dürftiges Ergebnis. Das Abschneiden von „Liberi e Uguali“ ist aber auch die Niederlage der Führungsgruppe des linken Gewerkschaftsdachverbandes CGIL, der mit dieser Kandidatur die Hoffnung verband, endlich wieder einen starken politischen Hebel im Parlament zu erhalten.

Die linke Sammelliste „Potere al popolo“ musste einsehen, dass man tausendfach die Phrasen von einer „Politik von unten“ wiederholen kann und trotzdem keine Wahlerfolge erzielen wird, weil es eben schon andere Kräfte gibt, die den Populismus viel besser beherrschen. „Potere al Popolo“ erhielt weniger als die Hälfte der Stimmen, die bei der letzten Wahl die linke Liste „Rivoluzione Civile“ hatte. Speziell für Rifondazione Comunista, die damals wie heute ein zentraler Bestandteil dieser linken Wahlprojekte war, ist das ein weiterer schwerer Schlag, ganz zu schweigen von linken Initiativen wie die linkspopulistische Eurostop, die einen Großteil ihres Programms aufgegeben hat, um an diesem gescheiterten Wahlbündnis teilnehmen zu können.

Auch die Stimmen der Kommunistischen Partei (KP) von Marco Rizzo (0,32%) sind lediglich ein bedeutungsloses Überbleibsel der einstigen kommunistischen Tradition in den ehemals roten Hochburgen. Die Linke macht weiter damit, das immer kleiner werdende politische Erbe von früher zu verprassen. Dieser generelle Trend beeinflusste auch das Ergebnis unserer Liste. Man bedenke nur, dass die „Kommunistische Arbeiterpartei“ (PCL), mit der wir gemeinsam unsere Wahlliste „Sinistra Rivoluzionaria“ gebildet haben, vor 10 Jahren noch 208.000 Stimmen (0,57%) auf sich vereinen konnte. Die heute viel größeren bürokratischen Hürden des Wahlgesetzes, die es uns nicht ermöglicht haben, landesweit anzutreten, reichen nicht aus, um diesen Trend nach unten zu erklären.

Unser Ergebnis

Das schlechte Ergebnis unserer Liste muss daher in dieser allgemeinen Entwicklung gesehen werden. Wir wussten und haben dies auch überall betont, dass wir mit unserer Kampagne gegen den Strom schwimmen, und die nackten Zahlen des Wahlresultats bestätigen diese Ausgangsthese zweifelsohne. Dennoch sehen wir uns auch im Ergebnis in unserer Entscheidung, eigenständig zu kandidieren bestätigt.

Nicht anzutreten, hätte bedeutet, den oben beschriebenen Prozess als passive Beobachter zu kommentieren. Den generellen Prozess umzukehren, war selbstverständlich unter den derzeit herrschenden objektiven Bedingungen völlig außerhalb unserer Möglichkeiten. Stattdessen haben wir den Wahlkampf genutzt, durch den Verweis auf unser Programm eine klare Perspektive zum Aufbau einer klassenkämpferischen Linken in unserem Land aufzuzeigen.

Der Aufbau einer massenhaften Linken in Italien wird durch die Entwicklung des Klassenkampfs bestimmt werden. Welche Formen der Klassenkampf konkret annehmen wird, ist schwer vorherzusagen. Gegenwärtig verlieren sich große Teile der Linken in Gejammere, Pessimismus und politischen Debatten auf niedrigstem Niveau. Wir halten es für ratsam, davon gebührenden Abstand zu halten.

Unter unseren AktivistInnen registrieren wir eine hohe Moral und kämpferische Entschlossenheit. Diese basiert auf dem Verständnis des objektiven Prozesses den wir durchleben, vor allem aber auf der überwiegend exzellent geführten Wahlkampagne, die uns anzeigt, dass wir reich gesegnet an AktivistInnen und politischen Kadern sind, die eine politische Konfrontation auf höchstem Niveau zu führen vermögen (und Wahlergebnisse in ihrer kleinen Kargheit geben uns wichtige Hinweise auf den tatsächlichen Baufortschritt der Fundamentierung unseres Werkes). Auf dieser Basis und mit diesen Werkzeugen setzen wir unseren Kampf gestärkt fort.

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