|
|||
Parlamentswahlen in Griechenland |
|||
Die Parlamentswahlen in Griechenland, die am 25. Januar stattfinden, stellen eine Zäsur im Entfaltungsprozess der weltweiten Krise des Kapitalismus dar. Nach der mittlerweile sieben Jahre währenden Offensive der Bürgerlichen im Klassenkampf, die zum Ziel hatte, die Krisenkosten so umfassend auf die arbeitenden Menschen abzuwälzen, dass für sie selbst sogar noch Profit aus der Krise herausspringt, die sie verursacht haben, beginnt mit dem Wahlsieg der SYRIZA die Gegenoffensive der Arbeiterklasse auf europäischer Ebene. |
|||
|
|||
Die Parlamentswahlen in Griechenland, die am 25. Januar stattfinden, stellen eine Zäsur im Entfaltungsprozess der weltweiten Krise des Kapitalismus dar. Nach der mittlerweile sieben Jahre währenden Offensive der Bürgerlichen im Klassenkampf, die zum Ziel hatte, die Krisenkosten so umfassend auf die arbeitenden Menschen abzuwälzen, dass für sie selbst sogar noch Profit aus der Krise herausspringt, die sie verursacht haben, beginnt mit dem Wahlsieg der SYRIZA die Gegenoffensive der Arbeiterklasse auf europäischer Ebene.
SYRIZA steht für „Synaspismos tis Rizospastikis Aristeras“, was „Bündnis der radikalen Linken“ bedeutet. Im Gegensatz zur bürgerlichen Weltsicht, in der „Radikalismus“ ein Randphänomen gegenüber der „demokratisch“-kapitalistischen „bürgerlichen Mitte“ zu sein habe, ist SYRIZA in den jüngsten Umfragen mit 35% mit Abstand (29% für die zweistärkste, jetzt regierende ND („Neue Demokratie“), daraus ergibt sich ein ungewöhnlich großer Abstand von 6%, wodurch ein Wahlsieg der SYRIZA schon jetzt praktisch sicher ist) die stärkste Partei.
Das Bündnis, das sich erstmals für die Parlamentswahlen im Jahr 2004 gründete, gruppiert sich um eine Abspaltung der Kommunistischen Partei - „Synaspismos“, kurz für „Synaspismos tis Aristeras, ton Kinimaton kä tis Ikologias“, also „Bündnis der Linken, der (sozialen) Bewegungen und der Ökologie“. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 erlebte dieses Bündnis, das bis dahin kaum über 5% hinausgekommen war, einen für alle überraschenden Erfolg: 16%. Schon damit war SYRIZA zweitstärkste Kraft, denn auch für die Siegerin ND hatten nur 18% gestimmt. Damit war es dieser unmöglich, eine Regierung zu bilden. Im Juni desselben Jahres fanden Neuwahlen statt, wo die Unterstützung für SYRIZA weiter explodierte: Wieder verfehlte das Bündnis mit 29.6% nur knapp den Sieg. In einem Monat war seine Unterstützung um fast 12% gestiegen. Nachdem SYRIZA sich am Gründungskongress im Juli 2013 als Partei formiert hat, ist ihr der Sieg nun sicher. Seit den Wahlen zum europäischen Parlament – bei denen SYRIZA mit 26.6% stärkste Partei Griechenlands wurde, hat sie sich in den Umfragen konstant und ausnahmslos in Führung befunden, gelegentlich sogar mit zweistelligem Abstand zur ND.
Solche tektonischen Verschiebungen im politischen System eines Landes weisen auf eine revolutionäre Situation hin – vor allem wenn der massenhafte Zulauf einer Partei deshalb passiert, weil sie revolutionäre Maßnahmen vorschlägt. Im Juni 2012 waren das „die Annullierung des Memorandums und der Gesetze zu seiner Umsetzung“ (Dieses und folgende Zitate sind direkt dem damaligen Wahlprogramm entnommen). Das Memorandum sollte durch einen staatlichen „Nationalen Plan zum Wiederaufbau für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung, die produktive Reorganisation und die gerechte volkswirtschaftliche Sanierung“ abgelöst werden. Das heißt: Das Spardiktat der Troika, das – inzwischen noch viel mehr als damals – zu einer humanitären Katastrophe in Griechenland geführt hat, wo die Gesellschaft auf allen Ebenen zerfällt und es wirklich offensichtlich ist, dass es im Kapitalismus keine Zukunft geben kann, weil er den Menschen alles vorenthält, was sie zum Leben brauchen, sollte durch einen staatlich organisierten, geplanten Wirtschaftsaufbau abgelöst werden. Teil des Plans sollte sein, die krisenverantwortlichen „Banken zu verstaatlichen und anschließend zu vergesellschaftlichen, also sie unter öffentliche gesellschaftliche und transparente Kontrolle zu stellen“, mit dem Ziel, die Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung „neu zu organisieren und die Grundsätze der Demokratie, des Leistungsprinzips, der Transparenz und der demokratischen Planung in ihrem alltäglichen Betrieb zu implementieren.“
Mit diesem Programm schaffte SYRIZA den Sprung von 4.6 auf 26.9%. SYRIZA wurde zur Partei all jener, die sich nach dem Ende des Spardiktats sehnen. Parallel zu SYRIZA sind in vielen Krisenländern der europäischen Peripherie Parteien entstanden, die eine ähnliche Rolle spielen – die Wünsche und Hoffnungen der arbeitenden Massen zum Ausdruck zu bringen, weil alle anderen, etablierten Parteien sich ihnen gegenüber ausschließlich feindlich verhalten, ja die „linke“ Sozialdemokratie in vielen Fällen hauptverantwortlich für massenhaftes Elend ist. Da gibt es PODEMOS in Spanien, die „Fünf-Sterne-Bewegung“ in Italien, die „Anti Austerity Alliance“ in Irland.
Der Wahlsieg von SYRIZA bedeutet den Beginn der Gegenoffensive dieses sich formierenden Widerstands gegen die Krisenpolitik der EU, die überall zu sinkenden Löhnen, wachsenden Arbeitslosenraten, Sozialabbau und Armut führt. Wie erfolgreich diese Gegenoffensive sein wird, hängt zu einem großen Teil von ihrem Programm ab. Auf diesem Gebiet hat die SYRIZA-Führung in den letzten zweieinhalb Jahren wesentliche Fehler begangen.
In dem Programm, das der SYRIZA-Chef Alexis Tsipras am 15. September vorstellte, ist von der Annullierung des Memorandums nichts übrig geblieben. Stattdessen geht es darum, die öffentlichen Ausgaben sofort um mindestens vier Milliarden Euro zu erhöhen, „schrittweise“ die Löhne und Sozialleistungen auf Vorkrisenniveau anzuheben, Korruption zu bekämpfen und die Staatsschulden auf ein „nachhaltiges Niveau“ zu senken, indem man mit den Gläubigern „verhandelt“.
Alexis Tsipras dürfte nicht entgangen sein, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble ebenso wie seine Chefin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker oder die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde nicht in Verhandlungsstimmung sind, sondern es eher gewöhnt sind, Befehle zu erteilen. Zum Verhandeln bräuchte man außerdem eine Verhandlungsmasse, über die das völlig verarmte Griechenland freilich nicht verfügt. Die einzige Maßnahme, mit der Tsipras überhaupt drohen könnte – den EU-Austritt – schließt er in seinem Programm selbst aus.
Es gibt also zwei Möglichkeiten: Entweder, Tsipras weiß nicht, auf welch dünnes Eis er sich mit seinen heutigen, „realistischeren“ Positionen „zurückgezogen“ hat – oder er blufft mit Absicht. Unabhängig von seinen persönlichen Gedanken, über die wir hier keine Spekulationen veranstalten wollen, ergeben sich für die Parteiführung wiederum zwei Handlungsoptionen: Entweder, er versucht zu verhandeln, opfert alles für minimale Zugeständnisse der Gläubiger und dehnt die „schrittweise“ Wiederherstellung der Löhne und Sozialleistungen bis zum St. Nimmerleinstag aus – oder er erkennt die Sinnlosigkeit des Unterfangens, mit solchen Leuten zu reden, orientiert sich auf das zurück, wofür er gewählt wurde und verstaatlicht die Banken und Schlüsselindustrien unter Arbeiterkontrolle, denn das ist die einzige Möglichkeit, die Krise zu lösen.
Das merkt man dem neuen Programm auch an. Keiner der vorgeschlagenen Wege, ohne Verstaatlichungen an das Geld für die versprochenen Sozialinvestitionen zu kommen, hält einer kritischen Betrachtung stand: Im Grunde genommen geht es um Steuererhöhungen für die Reichen und die Eintreibung hinterzogener Steuern. Der Rest des Geldes soll großteils aus dem HFSF – der Agentur, die das Geld der europäischen SteuerzahlerInnen an griechische Banken weitergibt, damit die ihre Schulden bei deutschen und französischen Banken bezahlen können – abgezogen werden und auch aus einem gewissen Teil des Staatsbudgets, das für die Bezahlung EU-subventionierter Infrastrukturprogramme (Community Support Framework) vorgesehen ist (sogenannte „Brückenprojekte“). Das bedeutet, der ganze Plan fällt ins Wasser, wenn die Reichen ihr Geld außer Landes bringen und die EU den HFSF auflöst – und das nicht, weil Tsipras „radikal“ und „utopisch“ geworden wäre, sondern weil er die Radikalität aufgegeben und sich auf linksreformistische Utopien zurückgezogen hat!
Das ist in der Epoche der allgemeinen Krise des Kapitalismus allgemein das Schicksal von keynesianistischen Ansätzen, die die Lösung der Krise durch Investitionsprogramme versprechen: Das Geld gehört den Reichen und die geben es nicht her. Es sich trotzdem zu nehmen, sprengt den Rahmen des Kapitalismus. Es gibt nur zwei Auswege: Sozialismus oder Barbarei. Der Keynesianismus schürt Illusionen, dass esw einen dritten Ausweg gäbe, eine Art „Kapitalismus light“.
Das bedeutet nicht, dass wir bezüglich des SYRIZA-Wahlsiegs eine pessimistische Haltung einnehmen. Führenden Köpfen der Partei ist glücklicherweise bewusst, welchen Gefahren sie durch ihren halbherzigen Kurs ausgesetzt ist. John Milios, ein Parlamentsabgeordneter der Partei, spricht von der Gefahr, dass die EU versuchen wird, die Partei zu unterwandern und erkennt die Notwendigkeit, den “Klassenkampf in der Partei” zu führen. Yanis Varoufakis, SYRIZA-Berater in ökonomischen Fragen, spricht von der Notwendigkeit, sofort nach dem Machtwechsel die wahren Staatsfinanzen zu veröffentlichen.
Weil sich an das derzeitige Programm wegen seiner Unerfüllbarkeit ohnehin niemand halten wird, ist es durchaus möglich, dass sich in der Partei – oder einer Nachfolgeorganisation – ein marxistisches Programm durchsetzt, mit dem die Versprechen der SYRIZA von 2012 einhaltbar sind. Ein solches sozialistisches Programm haben unsere GenossInnen in der griechischen Sektion der IMT, die sich als kommunistische Strömung in SYRIZA konstutiert hat, ausgearbeitet. Seine Kernforderungen sind:
Abgesehen von der revolutionären Aneignung bürgerlichen Eigentums durch die Arbeiterklasse, an die sich SYRIZA nicht mehr herantraut, kennt unser Programm auch bessere „reformistische“ Geldquellen: Es fordert bis zum Wiedereinsetzen des Wirtschaftswachstums die Aussetzung aller Militärausgaben. Die vollständige Version findet sich hier. Eine Kurzfassung auf Deutsch: Welches Programm braucht die griechische Linke?
Vielen SYRIZA-Mitgliedern ist bewusst, dass ihre Regierung nur einige Wochen halten könnte. Doch ihre Chancen sind jetzt viel besser, als sie 2012 waren. Es gibt Brüche und Widersprüche in der Bourgeoisie, die sich ausnutzen lassen: Die Angst der EZB vor Inflation, das Schwanken des italienischen Premierministers Renzi, die Konflikte in der französischen Regierung. Doch SYRIZA darf sich nicht darauf beschränken, nur Debatten anstoßen zu wollen. Die Partei muss sich die Frage stellen: Wer, wenn nicht wir?
Der Sieg der arbeitenden Menschen in Europa über die Bürgerlichen, die ihnen die Folgen ihres eigenen Versagens aufbürden, ist mit einem sozialistischen Programm allein möglich. Von der Umsetzung der von uns skizzierten Maßnahmen, die eine sozialistische Gesellschaft vorbereiten, hängt es ab, ob die EU und die hinter ihr stehende deutsche Bourgeoisie in den kommenden Jahrzehnten weiterhin barbarische Angriffe gegen jede zivilisatorische Errungenschaft der letzten Jahrhunderte führt, oder ob sie, gemeinsam mit dem kapitalistischen System, zu dessen Verteidigung sie dient, auf dem Müllhaufen der Geschichte landet. SYRIZA steht vor der Wahl, vor der auch PODEMOS schon sehr bald stehen kann, vor der mit der Verschärfung der Krise jede Organisation der Arbeiterklasse früher oder später stehen wird: Ein sozialistisches Programm durchsetzen, oder die Existenzberechtigung verlieren. Wir wollen der Arbeiterklasse bei dieser Entscheidung helfen.
Hinweis: Der Dokumentarfilm „Greece on the Brink“ liefert einen wichtigen Beitrag über die Ursachen der Krise in Griechenland. Hier ansehen. |