Seit ihren Anfangen war die Arbeiterbewegung begleitet von der Entwicklung verschiedenster Doktrinen und Ideologien, die versuchten, dem Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung eine Orientierung zu geben. Aus dem breiten Spektrum an Theorien und Tendenzen, die es Mitte des 19. Jahrhunderts gab, konnten nur der Marxismus und der Anarchismus auf internationaler Ebene wirklichen Masseneinfluss erlangen.
Vorbemerkung: Dieser Artikel von Hans-Gerd Öfinger aus dem Jahre 1998 nimmt runde Jahrestage (150 Jahre Kommunistisches Manifest und 60 Jahre Übergangsprogramm von Trotzki) zum Anlaß, um sich mit der Aktualität revolutionärer sozialistischer Programmatik zu befassen.
Ungefähr einmal in jedem Jahrhundert hält ein wissenschaftlicher Durchbruch die Welt in Atem. Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse des „Human Genome Project", stehen wir an der Schwelle zu einem solchen Durchbruch. Die Wissenschaft wird dadurch in die Lage gebracht, die Prozesse der Evolution zu verstehen, rassistischen Mythen die Grundlage zu entziehen und die Art und Weise zu verändern, wie Mediziner Krankheiten diagnostizieren.
Unsere Zeitschrift/Strömung steht in der Tradition des sogenannten „Trotzkismus“. Oft wird gesagt, dass die Kernaussage dieser politischen Strömung die „Theorie“ der permanenten Revolution sei. In der Tat war es der kommunistische Revolutionär Leo Trotzki, der diesen Begriff im Jahre 1906 geprägt und ihn später, im Kampf der damaligen MarxistInnen gegen die bürokratische Verformung des jungen sowjetischen Staates, als zentrales Unterscheidungskriterium zwischen revolutionärem Marxismus einerseits und der aufstrebenden stalinistischen Herrschaft/Herrschaftsideologie andererseits herausgestellt hat.
Die Frage nach dem Standpunkt zur Sowjetunion war in diesem Jahrhundert die Hauptfrage für Sozialisten und die gesamte Arbeiterbewegung. Generationen von Arbeitern in vielen Ländern haben die Sowjetunion als Hochburg des Sozialismus angesehen. Gleichzeitig hat der (angebliche) "Kommunismus" mehr Kommunisten auf dem Gewissen als der Faschismus. Um die Entwicklungen in der Sowjetunion zu begreifen, bedarf es deshalb einer grundlegenden Analyse von Revolution und Konterrevolution. In diesem Sinne werden wir mit der wirtschaftlichen und politischen Lage Russlands um die Jahrhundertwende beginnen.
Der russisch-deutsche Krieg tritt jetzt in seinen zweiten Monat und das gibt die Gelegenheit, das Kräfteverhältnis zu messen. Es ist klar, dass der heroische Widerstand der russischen ArbeiterInnen und BäuerInnen zum ersten Mal die Schläge der deutschen Blitzkriegsmaschine aufgehalten hat. Der bittere Widerstand der sowjetischen Soldaten hat den Zeitplan der Nazis völlig durcheinander gebracht. Schon müssen die deutschen Soldaten einen so hohen Preis für ihre territorialen Gewinne zahlen, dass die sowjetische Behauptung, sie hätten der deutschen Armee eine Million Verluste zugefügt nicht sehr übertrieben sei kann.
Repräsentierte das stalinistische Rußland eine neue Form von Gesellschaft, mit der sich Marx und Lenin nicht befaßt haben? Stalinismus ist ganz klar kein Sozialismus, keine Gesellschaft, die auf der harmonischen Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse beruht. Doch was stellt er dann dar?